So richtig beim Segeln scheinen wir noch nicht wieder angekommen zu sein. Wir kümmern uns zwar ganz prima um Hoch- und Niedrigwasser und planen unseren Aufbruch für spätestens 8:30, doch schlussendlich trotteln wir dann um 10:30 los. Ein erster kleiner Hinweis darauf, dass wir vielleicht doch etwas zu spät dran sein könnten, sind die Anglerboote, von denen nur noch einige wenige weit hinter der Einfahrt ihr Glück versuchen.
Es strömt und wir geben Gas, aber das bringt uns auch nur unwesentlich nach vorn. Also mehr Gas, doch je näher wir der Ausfahrt kommen, desto weniger geht es voran. Wir sind auch die einzigen, wenn man mal von dem blöden grünen Frachter absieht, der von hinten aufkommt. Ein Déjà-vu, nur so ganz déjà-vu-ig ist unsere Erinnerung gar nicht, nur vor zwei Jahren war der Frachter rot 😳 und die Welle war nicht ganz so ekelig.
Die dicke Erna gibt alles, der Motor dröhnt und unsere Erna schüttelt sich. Sie vibriert bis in den Masttop zur Funkantenne. Vielleicht auch etwas vor Aufregung. Gott, was sind wir Deppen, hätten wir uns etwas beeilt, dann hätte es so einfach sein können.
Mit 2 kn Fahrt bei 2.500 Umdrehungen huschen wir nicht gerade an der grünen Mole vorbei. Der alte Volvo qualmt, als wollte er den Frachter einnebeln. Im gröbsten Geschaukel biegen wir nach Süden und der Frachter nach Norden ab. Glück gehabt, dem haben wir es aber auch ordentlich gezeigt.
Nachdem die Orcas die französische Yacht versenkt haben, geht uns ja doch schon etwas die Düse. Wie unbeschwert sind wir hier vor zwei Jahren herumgefahren? Und wir scheinen nicht die einzigen zu sein, denen es so geht. Fast alle Yachties drücken sich unterhalb der 20m-Linie an der Küste entlang. Kaum einer fährt weiter draußen, wo der Wind viel schöner, gleichmäßiger und vor allem stärker ist. So müssen auch wir gut die Hälfte der Strecke nach Figureira da Foz motoren. Erst spät kommt auch im engen Küstenbereich so viel Wind auf, dass es zum Segeln reicht. Das nervt und wir verfluchen die blöden Orcas nicht nur einmal.
Es scheint so, dass inzwischen wohl nicht mehr nur einige wenige Orcas so durchgeknallt sind, sondern immer mehr dieses Verhalten annehmen. Wenn das so weitergeht, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es die ersten Toten gibt und bis sich dieses Verhalten nicht mehr nur auf die spanische und portugiesische Atlantikküste beschränkt und die Orcas langsam zu einem weltweiten Problem für Segler werden. Das sind keine guten Aussichten. Einige Tage später lesen wir in einer Facebook-Orca-Group, dass es auf halben Weg von Lissabon nach Madeira nun auch zu einem Zwischenfall gekommen ist. Und so verpufft unsere und die Hoffnung vieler anderer Segler, durch die Flucht hinter der Großschifffahrtslinie dem Problem zu entgehen. Ein gutes Gefühl macht das alles nicht. Am Ende ist man nur auf sein Glück angewiesen. Solche Situationen, in denen nur der Zufall bestimmt, mögen wir nicht gerade, wir hätten schon ganz gerne etwas Einfluß auf das, was geschieht.
Figueira da Foz überrascht uns mit der Tatsache, dass es 2022 nur noch Hochsaisonpreise gibt. Das Wetter ist zwar schön, aber im November 32 € für diese Marina zu zahlen, ist schon etwas happig. Wir überlegen lange hin und her, ob wir gleich morgen weiterfahren oder nicht. Doch am nächsten Tag soll gar kein Wind sein und noch so eine Motorfahrt wollen wir uns dann auch nicht antun. Denn 8 h motoren kosten ja inzwischen auch schon 32 €.
Also bleiben wir noch einen weiteren Tag und nutzen den strahlenden Sonnenschein, um endlich einmal das Großsegel mit der Sailrite auf dem Decksalon zu nähen. Etwas alten Segelstoff haben wir zuhause aus einem unserer alten Segel herausgeschnitten und mitgebracht. Eigentlich wollten wir einfach einige Meter Dacron kaufen, aber dadurch, dass kaum noch jemand in Europa Segel näht, alles am Computer layoutet wird und dann in China zugeschnitten und meist auch genäht wird, gibt es in Deutschland keine Reste mehr. Man ist also gut beraten, seine alten Segel als Ersatzteillager zu behalten.
Die Nähaktion geht problemlos. Die Sailrite marschiert anstandslos auch über achtlagige Verstärkungen. Es ist schon Gold wert, wenn man sich so selbst helfen kann. Das Maschinchen war zwar nicht ganz preiswert, aber nach dieser und den anderen Sprayhood- und Persenning-Reparaturen und den Sonnenschutz-Covern für die Fenster sind wir wohl so langsam im Amortisationsbereich.
Und da die Reparatur doch schneller als erwartet ging, bleibt noch Zeit für einen kleinen Spaziergang.
Und dann könnte es eigentlich weitergehen, aber uns wird die Entscheidung abgenommen. Morgens ist der Hafen geschlossen und die Ampel steht auf rot. Die Wellen vom Ex-Hurrikan Martin, ja ausgerechnet Martin (!), sind im Anmarsch. Ein deutsches Seglerpärchen versucht, noch schnell auszuchecken, aber nach dem Hinweis des Hafenmeisters, dass der Spaß, bei geschlossenem Hafen auszulaufen, bis zu 2.000 € kosten kann, lässt sie wieder auf ihren Liegeplatz zurückkehren. So sind wir nun in Figueira da Foz gefangen und ein Blick auf die Vorhersagen lässt vermuten, dass wir nun wohl auch den günstigeren Wochentarif 🫢 voll ausschöpfen werden 😤. Wind ist kaum und das wird sich wohl auch nicht groß ändern. Nur Martin treibt es auf dem Atlantik so heftig, dass selbst der Start der Regatta »Route du Rhum« verschoben wird. Das Problem sind die Wellen, die dem Wind ja immer vorauseilen. Als wir mal gucken gehen, haben sie »erst« gut vier Meter. In der Nacht soll es noch deutlich mehr werden und wir hören dann ihr Grollen draußen auf den Molen. In der Marina liegen wir absolut ruhig, nur die rote Ampel zeigt an, dass es keine gute Idee ist auszulaufen.
Immer wieder brechen sich die Wellensets komplett über die gesamte Breite der Einfahrt. Gestern waren wir noch vorn am Leuchtturm, heute ist das vollkommen unmöglich, ohne von der Mole gespült zu werden. Und selbst ganz am Anfang der Mole, dort, wo noch nicht Wasser auf beiden Seiten des Wellenbrechers ist, kommen wir noch 1 1/2 Stunden nach Hochwasser ins Laufen. Gerade will ich einige Photos machen, als ich im Augenwinkel sehe, wie eine Frau, die eben noch vor mir stand, an mit vorbei läuft. Ich gucke mal vorsichtig um die Kamera herum und lasse das photographieren mal lieber sein. Gut zwanzig Zentimeter hoch schwappt uns die Welle noch ganz oben auf dem Strand, dort, wo der Strand und die Mole längst eins sind, entgegen. Früher bin ich ja mal viel gelaufen, ich wusste gar nicht, dass ich immer noch so schnell sein kann. Die Capitana hat längere Beine und macht schnell einige Meter gut. Einen halben Meter hinter mir läuft dann die Welle auf der anderen Seite der Mole ins innere Hafenbecken. Einer der Angler ist immer noch dabei, all sein Angelzeug zusammenzuraffen, er wäre eh zu spät dran gewesen, wenn die Welle noch etwas mehr Schwung gehabt hätte. Angler, Touris und Schaulustige grinsen sich etwas verlegen an und alle ziehen sich dann doch etwas weiter zurück. Mein lieber Scholli, was muss hier in der Nacht zum Hochwasser abgegangen sein?
Wir hängen hier mit 3 weiteren Crews etwas ungeplant fest. Immer mal wieder geht der ein oder andere gucken, obwohl die Ampel noch auf rot steht. Und alle kommen immer mit derselben Botschaft zurück, dass die Wellen sich immer noch in der Einfahrt brechen.
Das Wetter ist durchwachsen, aber wir kriegen zwei Einkäufe im Trockenen hin. Der viele Regen ist schon nervig und die PINCOYA leidet ziemlich unter der allgegenwärtigen Nässe. Innen ist alles klamm und kaum etwas trocknet in den kurzen Sonnenpausen mal richtig durch. Und draußen trieft und tropft es. Das Teakdeck unserer dicken Erna ist ein einziges Trauerspiel und treibt einem die Tränen in die Augen. Wir brauchen DRINGEND mal etwas mehr Sonne!
Inzwischen geht es nur noch darum, möglichst schnell einige Seemeilen nach Süden gut zu machen. All die hübschen Sightseeing-Geschichten können wir bei diesem Wetter gleich vergessen. So warten wir auf die erlösende gelbe Ampel, dann dürfen wieder Schiffe über 11 m raus.
Stationen:
04.11. Aveiro / São Jacinto -> Figueira da Foz Distanz: 36,0 sm Gesamtdistanz: 2.843,3 sm
05. -> 09.11. Figueira da Foz
40° 08′ 50,0″ N, 008° 51′ 34,7″ W