Cascais [A] (P) -> Isla de la Graciosa [A], Lanzarote, Kanaren (E)
Start: 17.11. 10:00 Ende: 22.11. 02:00
Wind: W – NW – N- NE 12 – 35 kn
Distanz: 612,5 sm Gesamtdistanz: 3.559,8 sm
Der erste Tag (Donnerstag)
Eigentlich sollte es erst um 12:00 losgehen, doch wenn man fertig ist, kann man nicht noch zwei Stunden warten. Also rattert schon um 10:00 unsere Ankerkette. Dass der Wind noch nicht auf Nordwest gedreht hat, ist nicht zu übersehen. Doch was soll’s? Mit einem strammen West können wir auch leben, denn ab Mittag wird der Wind ja eh immer nördlicher und für uns damit achterlicher reinkommen.
Es ist trüb und stippert ab und zu. Eigentlich ein echt norddeutsches Novemberwetter, wenn da nicht diese Temperatur wäre. Die ist zwar portugiesisch herbstlich, aber ein norddeutsches Seelchen fühlt sich an einen Hamburger Hochsommer erinnert. Grauwassersegeln, die Nordsee lässt grüßen!
Gleich hinter der Mole von Cascais schnappt uns der Westwind, doch mit jeder Regenfront scheint der Wind weiter auf Südwest zu drehen. Und die Regenfronten haben es in sich, lassen aber auch bereitwillig alles raus, was sie so in sich haben. Durch die Reede in der Tejo-Mündung vor Lissabon fahren wir wie durch Nebel, nur dass die Tropfen etwas dicker sind. Irgendwie wähnen wir uns schon weit draußen auf dem Atlantik, als nach dem Regen ganz unvermittelt wieder Cascais hinter uns auftaucht. So richtig weit sind wir noch nicht gekommen, dafür sind wir aber ordentlich nass worden. Wir kommen nur leidlich voran und machen eigentlich zu wenig West, da aus dem Westwind nun doch eher ein Südwestwind geworden ist.
Die Orcas machen uns tatsächlich einige Sorgen und wir hoffen, dass die Gefahr, attackiert zu werden, weiter draußen und somit eben in Richtung Westen und nahe oder hinter der Großschifffahrtslinie deutlich geringer ist. Grundsätzlich wird die Capitana ja immer nervös, wenn wir in die Nähe von Großschifffahrtslinien kommen. Dann checkt sie im Minutentakt die Kurse aller Frachter, sobald ihr AIS-Signal auf unserem Plotter auftaucht. Entspannung gibt es nur, wenn alle Peilungen deutlich auswandern. Der Schiffsjunge muss sich in diesen Situationen navigatorisch geschickt im Hintergrund halten und versuchen, eine normale Gelassenheit auszustrahlen. Zu viel Gelassenheit führt ebenso wie zu wenig Gelassenheit immer in die falsche Richtung. Auf das richtige Maß einer ausgeglichenen, eben ganz normalen Gelassenheit kommt es entscheidend an. Nun aber zerren gleich zwei Sorgen an der Capitana. Zum einen die Sorge, unbeschadet durch die Großschifffahrtslinie zu kommen, und zum anderen muss das klappen, bevor uns die Orcas ins Visier nehmen. Und so ist unsere Fahrt in die erste Nacht nicht ganz so unbeschwert, wie man es gerne hätte.
Und so geht es in die erste Nacht.
Da es südlich von Lissabon kein Verkehrstrennungsgebiet gibt, segeln wir im spitzen Winkel durch die Frachter. Für solche Kurse haben wir inzwischen eine »Reinhard-Leuchte«. Das ist zwar kein gelbes Rundumblinklicht, wie es jedes gute Baustellenfahrtzeug oder trawlende Fischer in der Biskaya oder eben Reinhard haben, aber es ist ein weißes Blitzlicht, das man auch als zweites Ankerlicht nutzen kann. Das alles entspricht zwar nicht der reinen Lehre der Navigationsbeleuchtung und sicher würde man dafür vom DSV auch geteert und gefedert, aber man wird eben auch besser gesehen, besonders wenn man gerade eine der Großschifffahrtslinien quert. Da auch Frachter ganz offensichtlich gerne zusammen fahren, trifft man immer wieder auf ganze Rudel, die sich in die eine oder andere Richtung bewegen. Solche Rudel sind schwer zu queren. Aber wir haben Glück, vielleicht auch wegen der Reinhard-Leuchte, alle scheinen uns irgendwie Platz zu machen, und so rutschen wir ohne Probleme durch.
Die Nacht ist kalt und ehrlich gesagt auch recht ungemütlich. Der Wind nimmt langsam zu und hat nun zurück auf Westnordwest gedreht. Irgendwann liegt das Cabo São Vicente querab und wir fahren tatsächlich schon weit westlich der Schifffahrtslinie. Das gesamte Verkehrstrennungsgebiet am südwestlichen Zipfel der Iberischen Halbinsel liegt weit im Osten. Orcas haben wir bisher nicht gesehen. Glück gehabt! Bei allen Theorien glauben wir, dass das einzige, was wirklich hilft, tatsächlich nur Glück ist.
Sieht man mal von dem schlechten Wetter und den recht hohen Wellen ab, läuft es eigentlich recht gut hier draußen. Doch um 3:30 Uhr bringt eine Regenfront den richtigen Nordwestwind. Von jetzt auf gleich springt der Wind auf über 30 Knoten und wir haben alle Hände voll zu tun, um einzureffen. Dabei schüttet es wie aus Eimern. In der Hektik schließe ich den Kragen meiner Segeljacke nicht richtig, und schon nach einer Minute läuft mir der Regen ungebremst den Rücken herunter. Das ganze Szenario ist schon etwas surreal. Es ist Neumond und die Nacht ist stockfinster. Die Segel lärmen beim Reffen und links und rechts hören wir immer wieder das Rauschen der brechenden Wellen, sehen aber nichts.
Und peu à peu werden die Wellen immer höher. Nach den ersten Böen pendelt sich der Wind zwischen 25 und 30 Knoten ein. Immer wieder jagen Regenschauer durch die Nacht und damit geht’s dann hoch bis 35.
Inzwischen haben wir auch die Starkwindfock im zweiten Reff und krachen regelrecht durch die Wellen. Immer wieder werden wir achterlich getroffen, aber keine Welle steigt ein. Langsamer sollten wir nicht sein. Viel können wir nicht mehr tun. Da müssen wir nun durch. So verkriechen wir uns unter Deck, setzen uns in den Decksalon und lassen es laufen. Und das stellt sich in der Tat noch als die beste Strategie heraus, denn es ist die mit Abstand angenehmste Stelle an Bord. Die Segel passen zum Wind und der Autopilot steuert wesentlich besser, als wir es jemals könnten. Und von drinnen haben wir einen prima Rundumblick, aber aus dem Großschifffahrtsbereich sind wir ja eh raus, nun kommt uns kaum noch mal ein Frachter in die Quere. Alle Viertelstunde bimmelt die Eieruhr und wir schauen nach dem Rechten. So richtig gut geht es uns nicht, zwischen dem Eieruhrbimmeln dösen wir im Decksalon so vor uns hin. An unseren geregelten Nachtfahrtrhythmus ist nicht zu denken. Also quälen wir uns so durch die Nacht. Draußen rauschen die Wellen und immer wieder werden Regenschauer durch die Nacht gepeitscht. Im Decksalon ist das alles sehr gut zu ertragen, trotzdem zerrt das Wetter ganz schön an unseren Nerven.
Die Nächte im Winterhalbjahr sind verdammt lang, aber irgendwann beginnt es dann doch zu dämmern. In dem ersten Morgenlicht sehen wir das ganze Ausmaß um uns herum. Die Wellen sind wirklich beeindruckend hoch und manchmal auch fast angsteinflößend. Der Wind liegt ständig zwischen 20 und 30 Knoten und inzwischen empfinden wir stehende 6 Beaufort schon als entspannend ruhig. So geht es Stunde für Stunde. Und Stunde für Stunde donnern wir durch diese Wellen. Die Möglichkeit, sich im Decksalon zu verstecken, ist ein Geschenk. Was müssten wir draußen leiden.
Um 10:00 Uhr loggen wir unser erstes Etmal mit 135,3 Seemeilen. Der Wind hätte uns eigentlich schneller vorankommen lassen, doch die Wellen sind das Problem.
Der zweite Tag (Freitag)
Erst gegen Mittag nimmt es etwas ab. Der Wind liegt nicht mehr ständig zwischen 25 und 34 Knoten. Doch die Wellen bleiben hoch. Draußen sieht es aufgewühlt aus, uns reicht es nun langsam. Eigentlich soll es zum Nachmittag hin abnehmen, und so hoffen wir auf eine ruhigere Nacht.
Geschlafen haben wir kaum und unsere Birnen fühlen sich matschig an. Nicht nur einmal gucken wir auf ein Anfänger-Sudoku und haben keine Idee, wo irgendeine Zahl passen könnte. Rumsitzen oder Liegen ist noch das Beste, denn inzwischen sind wir auch etwas »weich geklopft«. Die Rollbewegungen unserer dicken Erna in den Wellen sind vollkommen unberechenbar. Ständig stößt man irgendwo an, auch wenn man eigentlich auf alles gefasst ist.
Und hier mal ein kleiner Eindruck, wie es für uns fast 4 1/2 Tage lang war. Mal mehr mal weniger, aber niemals auch nur annähernd ruhig.
Gegen 16:00 »flaut es ab«. Nur noch knapp 20 Knoten. Doch diese Pause ist nur eine Pause zum Luftholen, denn gleich darauf geht es schon wieder mit 35 Knoten weiter. Danach wieder die üblichen 27. Puh, ein Ende ist nicht abzusehen, es könnte nun wirklich einmal gut sein. Wenn wir der Vorhersage glauben, sollten wir nun eigentlich mit 15 Knoten dahinsegeln. Doch das hat dem Wind wohl niemand erzählt.
Lesen oder gar Blog schreiben geht nicht. Alles läuft auf Sparflamme. Also warten, durchhalten und etwas Schlaf nachholen. Die nächste Nacht wird genauso lang und dunkel werden wie die letzte. Keine schönen Aussichten.
Und dann geht’s schon in die zweite Nacht.
Endlich, endlich nimmt es dann gegen 22:00 etwas ab. Der Wind bleibt unter 20 Knoten und dreht auf NNE. Die Starkwindfock steht nun gar nicht mehr und schlägt nutzlos herum, denn wir fahren nun genau vor dem Wind. Also raus und Fock eindrehen. Doch sie lässt sich aber nicht mehr eindrehen. Irgendetwas hat sich verzwackelt. Da hilft auch kein Zerren mit der Winsch, wenn irgendetwas beim Segeln nicht mehr freiwillig geht, dann hilft auch keine Gewalt, denn nach »fest« kommt dann ganz schnell »ab«.
Also muss der Schiffsjunge nach vorn. Angeleint hangele ich mich im Dunkeln vorwärts. Astrid passt hinten auf und brüllt mich an, wenn eine der höheren Wellen kommt. Erst die Fender aus dem Ankerkasten und sichern, dann dort kopfüber nach dem Rechten sehen. Bäuchlings und kopfüber im Ankerkasten zu stecken, ist nicht die angenehmste Lage bei diesen Wellen. Die Reffleine ist vom Furler gesprungen und hat sich unterhalb bekniffen. Es dauert, bis ich die Reffleine wieder frei habe. Dann können wir die Starkwindfock einrollen. Insgesamt habe ich Glück und bekomme keinen Vollwaschgang. Das hatten wir auch schon mal anders.
Ohne Fock reicht es nun mit dem zweiten Reff im Groß nicht mehr. Also ausreffen. Hierzu muss die leeseitige Backstage weg. Gut, dass wir das schon so oft gemacht haben und uns letztes Jahr Patentschäkel gegönnt haben, um die eigentliche Backstage schnell von der Talje zu trennen. Das alles ist inzwischen auch im Stockfinsteren und mit matschiger Birne reine Routine. Mit dem ersten Reff im Groß fährt’s dann auch wieder und ist sogar relativ ruhig. Unsere Lieblingsbeseglung! Vorm Wind nur mit Groß und ab geht die Post.
Im Zweistundentakt holen wir nun etwas Schlaf nach. Das ist auch bitter nötig. Bis hierhin war’s echt hart. Wir hängen total durch.
Um 10:00 loggen wir unser zweites Etmal mit 135,0 sm. Wir kommen voran.
Der dritte Tag (Samstag)
Lange nach dem Wind haben sich nun auch die Wellen etwas beruhigt. Abwechselnd haben wir Schlaf nachgeholt. Die letzten 48 h stecken uns in den Knochen. Nachdem wir das Etmal haben, machen wir erst einmal Wasser. Das geht aber nur leidlich, denn die PINCOYA rollt und platscht immer noch ziemlich durch die Wellen. Und obwohl wir leicht auf der Backbordseite liegen, dort, wo wir das Seewasser über das Seeventil der Klospülung ansaugen, ziehen wir immer wieder Luft. Die Wellen sprudeln und schäumen einfach noch zu stark im Bereich dieses Seeventils. Grundsätzlich geht das Wassermachen aber gut, doch wir werden uns noch einmal Gedanken machen müssen, ob wir nicht doch irgendwo weiter hinten ansaugen können. Die kleine PINCOYA ist wohl doch etwas zu agil in den Wellen.
Nachdem wir Wasser gemacht haben, gibt es einen Berg Spaghetti zum Frühstück 😋. Zwei Tage haben wir uns nur von »magenfreundlichem Trockenfutter« ernährt. Nun muss es mal was Richtiges sein. Doch die Schaukelei ist immer noch so doll, dass es die Spaghetti nur mit Frischkäse und Parmesan gibt. Unsere Sparvariante, ohne dass wir Soße kochen müssen. Dass dies die einzige warme Mahlzeit unserer Überfahrt bleiben soll, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Um auf der Rückseite der Starkwindzone dranzubleiben, reffen wir das Groß ganz aus. Wir würden gerne im Windbereich bis 20 Knoten bleiben. Dazu dürfen wir nicht zu langsam werden, aber auch nicht zu schnell sein. Alle 100 sm haben wir Koordinatenpunkte vorbereitet, zu denen wir nun das Seewetter mit dem Garmin abrufen. Sozusagen Wetterwegepunkte. Und da die Aufbereitung der Wetterdaten in der Garmin-App ziemlich rudimentär ist, haben wir auch noch gleich eine kleine Tabellenkalkulation gebastelt, die anhand der Eingabe von Entfernung der Punkte und unserer geschätzten Geschwindigkeit dorthin berechnet, wann wir an dem einen oder anderen Punkt sein werden. Und diese beiden Sachen zusammen funktionieren tadellos.
Im Großen und Ganzen passt die Vorhersage immer noch ganz gut zu unserer bisherigen Planung. Wir dürfen nur nicht zu schnell werden, sonst fahren wir in das nächste Starkwindgebiet mit über 30 kn Wind wieder rein. Das baut sich nämlich vor der Westküste Marokkos gerade auf, und zieht sich dann bis in die östlichen Kanaren. Wenn wir unseren Speed bei 5,5 kn halten, dann sollte es zwar auch noch einmal etwas über die 20 gehen, aber eben nicht mit 30 kn enden. Wie das aussieht, wissen wir ja nun, und ehrlich gesagt sind wir nicht wirklich scharf auf ein zweites Rendezvous.
So geht’s durch den Tag und wir versuchen uns wieder auf Langfahrt einzuschwingen. Die ersten beiden Nächste waren furchtbar und nicht nur einmal haben wir uns gefragt, warum man sich so etwas überhaupt antut.
Und so geht’s dann auch schon in die dritte Nacht.
Wie wunderbar waren doch die Nachtfahrten im Sommer im Norden. Lange dämmerte es, um dann nur kurz halbwegs dunkel zu werden. Doch hier herrscht gerade das absolute Gegenteil. Fast dämmerungslos geht die Sonne gegen 18:00 unter, um sich nach einer stockfinsteren Neumondnacht erst 12 h später wieder zu zeigen. Auch eine nicht enden wollende, stockfinstere Nacht kann einem richtig auf’s Gemüt schlagen. Doch es läuft. Nur mit Groß direkt vor dem Wind bei 15 bis 20 Knoten müssen wir uns nicht um viel kümmern und können beruhigend unsere Wunden lecken.
Inzwischen haben wir weitgehend in unseren normalen Nachtfahrtrhythmus zurückgefunden. Seit der ersten Nacht sitzen wir nachts eigentlich nur noch im Decksalon und haben meist die Türen und manchmal sogar das Luk geschlossen. Das ist eine unglaublich komfortable Sache, nicht auszudenken, wenn wir bei diesem Scheißwetter auch noch ständig draußen sitzen müssten. Erstens kommt die ein oder andere Welle doch mal über und zweitens regnet es ja auch ab und zu. Aber vor allem ist es kalt und der Wind macht diese Kälte noch durchdringender. So gehen wir nur ab und zu mal raus, um die große Ausschau zu halten. Aber das ist hier eigentlich auch Blödsinn, denn außer einigen Frachtern treibt sich hier eh keiner rum und die Frachter haben alle AIS.
Gegen 7:00 reffen wir wieder ein, seit einigen Stunden liegt der Wind schon wieder deutlich oberhalb von 20 Knoten. Augenscheinlich sind wir etwas zu schnell. Das Reffen haben wir uns aber für die Dämmerung aufgehoben.
Unser drittes Etmal loggen wir dann um 10:00 mit 133,6 sm
Der vierte Tag (Sonntag)
Am Sonntagvormittag nimmt der Wind dann tatsächlich schnell weiter zu. Ständig 25 und in Böen immer mal wieder 30. Offensichtlich kommen wir dem Starkwindgebiet nördlich der Kanaren zu schnell zu nahe. Ein neues Punktwetter bestätigt das, wir sollten es tatsächlich nicht einfach laufen lassen, wenn wir nicht noch mehr abbekommen möchten. Also reffen wir ein, um langsamer zu werden.
Die Wellen haben jedoch etwas geschafft, was dem Schiffsjungen seit Jahren nicht gelingen will 😳. Sie haben abgenommen! 🙄 So passen sie auch besser zu dem Wind, auch wenn das Wellenbild eher chaotisch ist. Doch auch wenn sie nun nicht mehr ganz so hoch sind, immer wieder treffen uns einige ganz unvermittelt mal von rechts oder links, oder das Heck der dicken Erna wird plötzlich herumgedrückt, weil sich zwei kleine Wellen zu einer großen zusammengetan haben. Dieses ewige Schubsen ist schon etwas nervig, auch gerade, weil man es überhaupt nicht absehen kann. Auch wenn es sich auf einem Vorwindkurs nur mit Groß einfach segelt lässt, den Tribut dafür zahlt man mit dem Rollen.
Nach zwei Stunden pendelt sich der Wind bei 20 kn ein und wir können uns auch gut in dieser Windzone halten. Wenn das so bleibt, werden wir in der Nacht von Montag auf Dienstag vor La Graciosa mit einem 17ner Nordost ankommen. Das würde passen.
Am Sonntag kommt dann aber auch so langsam unsere Langfahrtroutine zurück. Wir haben uns eingeschwungen und fühlen uns wieder recht gut. Dass wir nicht absolut seefest sind, wissen wir. Das muss man eigentlich auch gar nicht sein, wenn man sich nach einer gewissen Zeit einschwingt. Zu wissen, dass das so ist, ist gut und es hilft, die ersten Tage zu überstehen. Doch leicht sind die ersten Tage deswegen trotzdem nicht.
Nun können wir auch wieder mal ein Buch lesen, etwas Blog schreiben und sogar das ein oder andere Sudoku lösen 😂. Und unsere Köpfe fühlen sich nicht mehr ganz so matschig an. Doch die Küche bleibt immer noch kalt, denn an Kochen ist noch nicht wirklich zu denken. So lange wir alle paar Minuten so arg hin und her geworfen werden, mögen wir nicht mit kochendem Nudelwasser und Tomatensoße hantieren. Vor Anker vor La Graciosa hauen wir uns dann zum Ausgleich dafür erst einmal unsere Bäuche doppelt voll 😋. So bleiben wir nun einfach verkeilt sitzen und kauen mal an einer Scheibe Brot herum oder löffeln Müsli mit Joghurt. Joghurt ist wichtig, denn der klebt das Müsli so schön zusammen, da kann nichts mal plötzlich über den Rand schwappen 😂. Richtig perfekt ist griechischer Joghurt 👍, den haben wahrscheinlich die griechischen Seefahrer erfunden, wohl wissend, dass es einige Jahrhunderte später auch Müsli dafür gibt.
Doch so langsam verändert sich auch etwas. Die Wassertemperatur liegt inzwischen bei 24,1°. In Cascais sind wir bei einer Wassertemperatur von 17° gestartet. Selbst wenn unser Loggenthermometer gerne mal etwas übertreibt, wir freuen uns riesig auf ein Schwimmerchen vor der Isla de la Graciosa.
Und mit dieser Vorfreude geht’s dann auch schon in die vierte Nacht.
Es läuft gut, wir sind langsam genug. Knapp 5 kn Fahrt reichen. Trotzdem wird es irgendwann in der Nacht noch einmal auffrischen, aber mit dem zweiten Reff im Groß können wir eine ganze Menge ab, das sollte eigentlich kein Problem sein. Und schon um 20:00 dreht der Wind wieder auf. 22 kn mit Böen bis 29, die entsprechenden Wellen lassen auch nicht lange auf sich warten. Wieder rauschen wir durch die stockfinstere und mondlose Nacht. Wenn man in der Stadt wohnt, kann man sich kaum vorstellen, welchen Unterschied ein schöner Mond in der Nacht macht.
Für uns ist es immer noch gewöhnungsbedürftig, bei Nacht so durch’s Wasser zu pflügen. Man hört seine Bugwelle rauschen und am Heck dieses zischende Plätschern, sieht aber absolut nichts. Automatisch denkt man: »Was ist, wenn da jetzt irgendwas im Weg ist?« Dass diese Gedanken nur nachts kommen, ist eine irrationale Kopfsachen, denn tagsüber ist es eigentlich genau das Gleiche. Auch tagsüber sieht man nicht unablässig nach vorn auf’s Wasser, und das, was einem gefährlich werden könnte, sieht man sowieso nicht rechtzeitig genug.
Immer wieder hören wir die Wellen, wie sie sich hinter uns und um uns herum brechen. Das sind natürlich keine echten Brecher, wie an einem Strand, aber wenn die Wellenkrone bricht, hört sich das auch schon ganz beeindruckend an. Besonders, wenn man es nur hört, aber nichts sieht. Oft passiert dann gar nichts, die PINCOYA schaukelt etwas und pflügt weiter durch die Nacht. Nur die Logge zeigt, dass sie gerade eine Welle herunterhuscht. Doch ab und an werfen sie einige Welle doch richtig aus der Bahn und manchmal werden wir auch wirklich hart getroffen. Die dicke Erna holt dann schwer über und wir müssen zusehen, nicht von der Salonbank zu rutschen. Alles was zwischendurch einfach achtlos irgendwo hingelegt wurde, fliegt dann durch den Salon. Bei diesen Einschlägen helfen auch die besten Antirutschmatten nicht mehr. Und genau dies sind eben auch die Wellen, warum die Küche auch heute kalt bleibt.
Insgesamt ist diese Nacht rau. Nicht der Wind beutelt uns, aber die Wellen. Nach längeren »ruhigen« Phasen, in denen es ganz passabel läuft, gibt es immer mal wieder 20 bis 30 Minuten ein richtiges Durcheinander. Da es stockfinster ist, gibt es keine Vorwarnung und auch in der Seekarte ist bei weiträumigen 3.000 m Tiefe kein Grund dafür zu finden. Diese Phasen kommen so überraschend, wie sie dann auch wieder gehen.
Zum Sonnenaufgang gehen wir etwas an den Wind und setzen die Genua im zweiten Reff. Es hat wieder etwas abgeflaut, wir können nun Gas geben. Die ganze Nacht über haben wir schon etwas Höhe sausen lassen, um nun einen anderen Windwinkel fahren zu können. Im Laufe des Tages soll es zudem noch etwas mehr auf Nordost drehen, dann sollte unser Kurs ganz langsam wieder zu unserem Ziel passen. Doch diese Aufmerksamkeit überlassen wir dem Autopiloten, den wir in den Windmodus gestellt haben.
Um 10:00 loggen wir uns viertes Etmal mit 123,7 sm. Nur noch 77 sm to go.
Der fünfte Tag (Montag)
Der Tag, an dem man ankommt, ist immer ein besonderer Tag. Aber es ist auch der Tag, der sich unendlich hinzieht, an dem sich jede Seemeile besonders viel Zeit lässt, um der nächsten das Warten zu übergeben, und es ist der Tag des Teilens, denn ständig wird die Reststrecke durch die aktuelle Geschwindigkeit geteilt und mit diesem Ergebnis sucht der Blick dann die nächstgelegene Uhr.
Doch gegen 12:00 zieht plötzlich eine warmes Lüftchen in den Niedergang. Erstaunt stellen wir das Teilen ein und unwillkürlich streckt der Schiffsjunge seine Hand in den Niedergang. Tatsächlich! Warme Luft! Föhnt sich die Capitan gerade im Cockpit? Nee, sie sitzt vor mir! Ungläubig trete ich in den Niedergang und ein warmes Lüftchen umschmeichelt meine Lenden. »Komm Schatzi!« ruft der Schiffsjunge »Ich glaub, wir haben den Sommer eingeholt!« Und im Cockpit streichelt uns tatsächlich ganz seicht ein Sommerlüftchen. Wie wunderbar!
Zwei Tage und zwei Nächte haben wir in unseren Snowboardhosen und Segeljacken zugebracht. Im geschlossenen Decksalon war’s immer gut, aber draußen echt klapperkalt. Den Rest der Zeit ging es in langen Jeans und mit Sweatshirt. Das war schon ein Fortschritt, auch wenn wir nur im Decksalon gesessen haben. Und nun dies! Wir setzen uns im T-Shirt ins Cockpit und genießen das Gefühl, den Sommer eingeholt zu haben. Was freuen wir uns auf ein erstes Schwimmerchen im 24° warmen Wasser vor der Isla de la Graciosa mit anschließendem Sonnenbad und einem kleinen Schlückchen gut gekühltem Rosé.
Doch der letzte Tag zieht sich und als wir La Graciosa und Lanzarote gerade so am Horizont erahnen können, beginnt die letzte Nacht. Stunde um Stunde segeln wir dem Lichtschimmer entgegen und gegen 1:00 beginnen wir die Einfahrt. Die Kanaren sind spärlich beleuchtet, zumindest was die Schifffahrt angeht, und so blenden wir uns unseren Track aus dem letzten Jahr ein. Vor uns fährt ein Fischer nach Caleta de Sebo ein, der Hauptstadt 😂 der Isla de la Graciosa. Dahinter sehen wir unzählige Lichter schwanken. Die Ankerbucht schein voll zu sein. Um 2:20 fällt unser Anker weit draußen vor dem Playa Francesca auf 15 m. Wir kennen die Bucht zwar und das Eckchen, wo wir schon dreimal geankert haben, scheint noch frei zu sein, aber im Dunkeln wollen wir uns nicht weiter durch das Ankerfeld fummeln. Das können wir immer noch morgen im Hellen machen.
Und dann sind wir da. Geschafft! Es war nicht ganz ohne, aber wir sind froh, es einfach gemacht zu haben.
Vor dem Playa Francesca der Isla de la Graciosa
29° 13′ 03,6″ N, 013° 31′ 51,0″ W