In der Bucht Mindelo ist es voll. Da wir in der Nacht angekommen sind, haben wir erst einmal ganz hinten den Anker geworfen. Ohne Radar ist es schon schwer, sich als Neuling in einer Bucht zurechtzufinden, in der sich nicht nur große und kleine Ankerlieger tummeln, sondern auch noch einige Wracks herumliegen.
Am Sonntag bläst es weiterhin kräftig und ein hoher Schwell lässt uns ziemlich rollen. Ansonsten liegen wir weiter hinten aber ganz gut. In Richtung Marina und speziell hinter dem Wrack, das auf halben Weg quer liegt, liegen unzählige Fahrtensegler dicht an dicht. Wir beschließen, lieber etwas unruhiger zu liegen, als uns auch noch in dieses Getümmel zu stürzen. Außerdem müssen wir mal dringend Wasser machen, dass ist “weiter hinten” sicherlich auch besser als mittendrin.
Die Kulisse der Bucht um uns herum ist nicht gerade »lieblich«. Alles sieht eher etwas schrabbelig und industriell aus. Eingefärbt von dem rotbraunen Sahara-Staub, der inzwischen auch die PINCOYA schon wieder bedeckt. Dieser Staub ist wirklich ätzend, alles ist eingesaut, und er setzt sich in allen Geweben so fest, dass auch Schrubben und viel Wasser wenig helfen. Wahrscheinlich wurden auf den Kanaren oder Kap Verden die braunen Segel erfunden. Weiß sind unsere nun auch schon lange nicht mehr.
Und da Mindelo nicht wirklich ein Idyll zu sein scheint, lassen wir unsere Überfahrt erst einmal an Ort und Stelle sacken. Wir können sowieso erst Montag einklarieren, da können wir auch den Sonntag einfach etwas weiter hinten vertrödeln.
Montag geht’s zum Einklarieren, außerdem wollen wir uns eine Daten-Karte für unseren Router besorgen. Am Dinghy-Dock vor der Floating Bar in der Marina können wir unser Dinghy problemlos und ohne Sorgen lassen. Außerhalb der Marina erwartet uns allerdings schon eine ganz andere Welt. Hier weht ein Mix von westlicher und afrikanischer Mentalität durch die Straßen.
Um nicht ständig von selbsternannten Guides angesprochen zu werden, versuchen wir, so aufzutreten und zu gucken, dass es für die Guides keine Gelegenheit gibt, einen Blickkontakt als Aufforderung zu nutzen. Ähnlich ist es mit den Straßenhändlern, von denen es gleich doppelt so viele gibt, wenn ein Kreuzfahrtschiff am Kai liegt. Normale Fahrtensegler scheinen für die Straßenhändler eher uninteressant zu sein. Das alles ist nervig und wir sind zugegeben etwas angespannt. Auch weil wir einfach noch kein Gefühl dafür haben, wichtige Details richtig zu erkennen und zu interpretieren.
Das Immigration Office und das Office der Políca Maritima finden wir nicht gleich. Und weil wir blass, weiß, blond und suchend nicht ganz verbergen können, dass wir hilflose Touristen sind, werden wir natürlich auch gleich angesprochen. Da liegt aber auch die Kehrseite unserer Vorsicht, die ja dennoch nicht ganz unberechtigt ist. Der Kerl, der uns anspricht und helfen will, erfüllt nicht gerade die europäischen Standards, um Vertrauen zu erwecken. Aber er will uns nur helfen und freundlich sein. Nicht mehr und nicht weniger. Im Nachhinein tut es uns dann schon etwas leid, denn wir sind sicher recht unwirsch und unfreundlich rübergekommen. So ist das auch Mist.
Einige Tage später, inzwischen haben wir schon etwas Erfahrung gesammelt, werden wir wieder angesprochen, nur weil ich gerade ein Photo von einem Gebäude mache. Diesmal ist es ein etwas abenteuerlich aussehender Rasterman. Er erzählt uns von dem Gebäude, wann und vom wem gebaut, von der Insel, dem ersten portugiesischen Entdecker, der Geschichte und der ersten Besiedelung der Inseln. Irgendwie will er gar nicht enden und wir wollen nun auch nicht zu abweisend und unfreundlich sein. Natürlich kreiseln in unseren Köpfen schon die Gedanken, was wir machen, wenn er nun eine Bezahlung für seine Dienste möchte. Aber er ist nur stolz auf seine Insel und mit einem Fistbump verabschiedet er sich nicht ohne den Hinweis, dass wir ihn gerne einfach ansprechen können, wenn wir ihn sehen und noch etwas wissen wollen.
Die Menschen in Mindelo sind freundlich und hilfsbereit. Sicher nicht alle, aber sehr viele. Und man muss für sich aufpassen, das nicht durch zu große Vorsicht zu verpassen.
Die Prozedur des Einklarierens ist problemlos, auch wenn wir insgeheim doch etwas schmunzeln müssen. Sowohl das Immigration Office, wie natürlich auch das Office der Policía Maritima werden durch Beamte der Policía Maritima betrieben. Zwei Eingänge zu unterschiedlichen Büros, aber im “Backoffice” verbunden. Es kommt nur darauf an, wer nun gerade wo Dienst hat. Im Immigration Office werden unsere Pässe und die Crew-Liste geprüft und ein Formular ist auszufüllen. Dann wird alles gestempelt. Nun werden wir zur Policía Maritima geschickt. Dort werden die Pässe, die gestempelte Crew-Liste und nun auch die Bootspapiere geprüft. Ein neues Formular ist auszufüllen und wird gestempelt. Die Bootspapiere werden einbehalten. Alles hat seinen geordneten Gang. Irgendwie erinnert uns das doch stark an die bürokratischen Abläufe in Deutschland. Spontan kommt einem da eine KFZ-Zulassungsstelle in den Sinn. Nur sind die Officer nicht so muffelig. Freundlich und hilfsbereit werden wir durchgeschleust. Dann noch der Hinweis, dass Friday ein Bank Holiday ist, und wenn wir am kommenden Wochenende weiter wollen, müssten wir schon am Donnerstag auschecken. Wow.
Am Donnerstag durchlaufen wir dann die Prozedur auf dem umgekehrten Weg, aber mit ebenso vielen Stempeln, Formularen und derselben Freundlichkeit. Und eines sorgt auch hier wie überall mit großer Verlässlichkeit für eine gewisse Auflockerung. Immer wird der Schiffsjunge als Capitan angesprochen und wenn ich dann sage: Não, não, esta e capitana!«” dann gibt es immer, egal ob Frau oder Mann, ein bewunderndes »Ah, capitana!« Und ein breites, noch etwas freundlicheres Lächeln.
Am Montag herrscht dann auch Aufbruchsstimmung und das vordere Ankerfeld leert sich etwas. Also legen wir um. Weiter vorn ist es wirklich wesentlich ruhiger und eigentlich liegen wir dort nun richtig gut. Wenn da nicht dieser Ankermagnetismus wäre. Unsere deutsche Nationale scheint weitere deutsche Segler magisch anzuziehen. Alle Welt lästert ja über die Franzosen und ihre Ankerkünste, aber inzwischen müssen wir sagen, dass eher die Deutschen ein Problem darstellen. Franzosen geraten wohl auch deswegen in den Fokus der Kritik, weil es viel mehr französische Fahrtensegler gibt als aus irgendeiner anderen Nation. Da mögen die Franzosen absolut gesehen vielleicht tatsächlich das Rennen der Ankerdeppen machen, aber prozentual sind wohl eher die Deutschen vorn. Und zum Schmunzeln sind immer wieder die Briten, sie stellen sich auch beim Ankern gern hinten an und ihr Understatement zwingt sie förmlich dazu, einen großen Abstand zu halten.
So lassen zwei Deutsche, einer nach dem anderen ihren Anker rechts und links von uns fallen. Einer in 25 m Entfernung und einer in 20 m. Wenn wir nicht dazwischen wären, wären die Abstände unter ihnen ja ok, doch nun ja. Unsere Frage, ob nicht vielleicht doch etwas mehr Abstand besser wäre, zumal es ja immer noch munter mit über 20 kn weht und immer wieder einige Fallböen durch die Bucht jagen, wird mit großen Augen und noch größerem, schweigenden Unverständnis beantwortet. Das Ding mit den Schwojkreisen und der Geometrie aus der Grundschule ist ja nun auch nicht jedermanns Sache. Einige Male haben wir ja wegen solchen Experten schon das Weite gesucht, diesmal aber bleiben wir.
Und das Ankerglück will es, dass der Wind leicht dreht und nun ein Franzose in einen der beiden deutschen Ankerkünstler hineinrutscht. Zu dem hatte er nur 1 1/2 Bootslängen Abstand und der Anker des Deutschen liegt nun vor dem rutschenden Franzosen. Wir können uns eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Manchmal trifft es die Richtigen, doch lernen wird der Deutsche daraus auch nichts, denn nun gibt es lediglich eine weitere Geschichte über die französischen Ankerkünste zu erzählen.
Mindelo selbst ist alles andere als spektakulär. Drei Tage laufen wir herum, um uns die Stadt anzusehen und vielleicht das eine oder andere Photomotiv zu finden. Doch das ist schwer. Santo Antão, die Insel gegenüber, soll ja einen Ausflug wert sein. Auch abseits von Mindelo soll es wirklich schöne Ecken geben. Doch in der Bucht von Mindelo hält sich die Idylle doch sehr in Grenzen.
Es ist toll, mal etwas an dieser anderen Welt zu schnuppern, aber um den Kap Verden gerecht zu werden, muss man sich die Zeit nehmen und durch die Inseln cruisen. Die Zeit haben wir aber dieses Mal nicht, denn auch unsere Zeit in der Karibik ist ja durch den Start der Hurrikansaison im Juni recht begrenzt. Deswegen konzentrieren wir uns auch eher auf die Vorbereitungen zu unserer ersten wirklich langen Etappe. Am Samstag den 14ten soll es losgehen. Das Wetter scheint zu passen und wir sind schon fast perfekt vorbereitet.
Obwohl es in Mindelo ja einige Supermärkte, Einkaufläden und Märkte gibt, ist die Versorgung nicht ganz einfach. Grundsätzlich gibt es eigentlich alles, aber nicht alles ist gerade immer verfügbar. Die Auswahl ist nicht üppig, die Preis hingegen teilweise schon. So nimmt man, was gerade da ist und guckt dann auch mal im nächsten Laden vorbei. Das akribische Abarbeiten von Einkaufslisten kann man getrost vergessen. Etwas ärgerlich ist, dass die eine Supermarktkette keine ausländischen Kreditkarten akzeptiert. Man kann zwar auch in Euro bezahlen, bekommt aber bei einer 1:100 Umrechnung nur Escudos zurück. Das erst zu erfahren, wenn man mit seinem vollen Einkaufswagen an die Kasse kommt, ist schon etwas blöd. Und ehrlich gesagt riecht das auch schon etwas nach einem erweiterten Businessmodell.
Nach unseren Sightseeing- und Einkaufstouren setzen wir uns immer erst einmal in die Floating Bar an der Marina, wo unser Dinghy ja vor sich hin dümpelt. Hier treffen sich die Fahrtensegler und alles, was in Mindelo irgendwie mit dieser Fahtenseglerwelt zu tun hat. Ab und an mischen sich auch einige Einheimische darunter, aber im Grunde genommen ist dies der Treffpunkt der Weiterziehenden, derjenigen, die eine Mitfahrgelegenheit suchen, und der Irgendwie-hier-hängen-Gebliebenen. Wir genießen dieses Flair und hängen dort auch gerne mal etwas ab, bevor es wieder zurück auf die PINCOYA geht.
Unsere Tage vergehen mit einigen Vorbereitungen, etwas Sightseeing und viel Müßiggang. Doch am Freitag sind wir tatsächlich fertig. Eigentlich kann es losgehen. Etwas angespannt sind wir schon. Die Frischwassertanks sind voll und sechs Mahlzeiten sind ganz oder teilweise vorgekocht. Nur Zwiebeln fehlen uns noch, da haben wir uns wohl etwas verzählt. So brechen wir noch einmal auf, um mit unseren letzten Escudos aus dem Zwangsumtausch noch schnell Zwiebeln zu kaufen und auch unseren letzen Müll wegzubringen.
Grundsätzlich hat die Marina ja Müllcontainer, aber die sind verschlossen. Für Marinalieger, die einer Karte haben, ist das kein Problem. Viele der Ankerlieger stellen deshalb ihre Mülltüten einfach klammheimlich davor und gehen. Doch das ist auch irgendwie blöd, aber es gibt weit und breit wirklich nicht eine einzige öffentliche oder irgendwie zugängliche Mülltonne. Wo die Kapverdianer ihren Müll lassen, ist uns schleierhaft. Aber es gibt auch George. Ein mehr oder weniger zahnloser Rasterman erster Güte, der am Müllverschlag der Marina wie zufällig herumsteht und sich auf die lukrative Müllentsorgung von Ankerliegern spezialisiert hat. Natürlich entgeht George nicht, was wir vorhaben und er bietet uns auch gleich seine Dienste an. Natürlich kostenlos, ist ja Ehrensache, aber wenn man doch die ein oder andere Münze rein zufällig über hätte, würde er sich schon darüber freuen. So bekommt George einen Teil unserer letzten Escudos, die wir eigentlich in Zwiebeln umsetzen wollten. Doch der Supermarkt hat eh geschlossen und George freut sich. Danach lassen wir unser Mindelo-Erlebnis in der Floating Bar ausklingen.
Mindelo, São Vicente, Cabo Verde
16° 52′ 49,3″ N, 024° 59′ 55,8″ W