Tag 18, Dienstag, 31.01.2023
Und Tag 12 nach dem Bruch des Unterwants und Tag 6, nachdem es komplett runtergekommen ist.
Flaute, Flaute, Flaute und nochmals Flaute. Es ist nun schon der 5te Tag! Mit Parasailor 2,5 bis 3 kn, das ergibt ein Etmal von sage und schreibe 64 sm. Vielleicht hätte ich mir doch einige Pfeffernüsse für nächstes Weihnachten auf See aufheben sollen 🙄.
Wir braten in der Sonne und nichts geht mehr. Doch 2,5 kn sind besser als gar nichts. Wir müssen uns mit dem Motoren immer noch sehr zurückhalten. Yachten mit einem heilen Rigg können da sorgloser motoren, wir müssen Diesel für den Notfall in der Hinterhand behalten.
Am frühen Nachmittag geht gar nichts mehr, also doch Motor an. 3 bis 5 kn Wind reichen zu nichts. Im Grunde genommen haben wir hier draußen jedoch nichts auszuhalten. Die ganze Sache zerrt nur sehr an unserer Geduld. Immerhin sind wir nun ja schon den 18ten Tag unterwegs und den 12ten, nachdem das Unterwant zu brechen begann. 12 Tage und 1.130 sm sind wir nun schon so unterwegs. Irgendwie segelbehindert und ständig im Modus des Abwägens. Das zerrt, wenn auch oft im Hintergrund, doch schon ständig an den Nerven.
Kurz vor Sonnenuntergang setzen wir wieder unsere Nachtbeseglung. Immerhin haben wir inzwischen schon wieder brüllende 7 bis 8 kn Wind. Um uns herum sehen wir kleine Squalls. Manche mit, die meisten ohne Regen. Der Parasailor würde uns besser voranbringen als die Genua, doch wenn sich die Squalls entwickeln und zu uns herüberkommen, ist er schwerer zu handhaben und muss dann vielleicht doch schnell runter. Mit einem gesunden Rigg hätten wir ihn als Nachtsegel stehen gelassen. Mit Genua und dem Groß im zweiten Reff werden wir wieder mehr treiben als segeln.
Abends kochen wir uns mit den letzten frischen Sachen einen Restmix. Etwas Kohl, einige Möhren und Kartoffeln. All das andere frische Zeug, sei es Obst, den letzten Apfel hat es heute Morgen gegeben, oder Gemüse, ist nun aufgebraucht. Im Grunde genommen war unsere Bevorratung für den ersten richtigen Langschlag schon mal ganz gut. Doch wir hätten schon etwas mehr Kartoffeln, Zwiebel, Äpfel, Möhren und Kohl mitnehmen sollen. Eigentlich auch Grapefruits, die halten sich viel besser als Orangen. Alles andere Grünzeug ist auch prima, hält sich aber in diesem Klima nicht länger als 14 Tage.
Durch die Nacht geht es gemächlich. Die Flaute hat nun auch die Wellen dahinschrumpfen lassen. Nur ab und zu lässt uns mal ein ungünstiges Wellenset etwas rollen.
Es wird wirklich langsam Zeit anzukommen. Nach unserer Bordzeit von den Kap Verden geht die Sonne nun erst gegen 9:00 auf. Entsprechend spät geht sie auch unter. Morgen werden wir unsere Nachtwachen um noch eine Stunde weiter nach hinten schieben. Dann haben wir mit unserer gelebten Zeit schon mal Martinique erreicht. Unsere Bordzeit wird uns erst folgen, wenn der Anker vor Saint Anne gefallen ist.
Um 10:00 loggen wir unser 18tes Etmal mit 84,0 sm. Noch 190 sm to go. Es sieht nun langsam wirklich danach aus, dass wir es wohl bald schaffen.
Tag 19, Mittwoch, 01.02.2023
Und Tag 13 nach dem Bruch des Unterwants und Tag 7, nachdem es komplett runtergekommen ist.
Unser 6ter Flautentag beginnt. Das aber in der Hoffnung, dass sich zum Abend hin endlich mal etwas ändert und wenigstens ein mittlerer Wind aufkommt. Gleich morgens setzen wir wieder den Parasailor, das löst auf der Logge schon mal die 2,5 kn der Nacht durch brüllende 3 bis 3,5 Knoten ab.
Unser Rigg hält sich bisher wacker. Doch was soll ihm auch passieren, wenn kaum Wind ist und die Wellen sich in Grenzen halten? Mit jeder Segelmeile kommen wir weiter in den Bereich, in dem wir uns nun auch wieder nur mit Motor selbst retten könnten. Das macht durchaus ein gutes Gefühl.
Ansonsten vergeht der Tag unspektakulär. Genauso unspektakulär wie auch unsere Angelkünste sind. Außer Braunalgen ziehen wir nichts an Bord. Die errechnete Ankunftszeit auf Martinique pendelt sich so langsam auf Freitagmorgen ein. Genauer gesagt, unsere Ankunft an dem Wegepunkt zwischen St. Lucia und Martinique. Danach müssen wir ja noch um die Ecke nach Saint Anne.
Zum Abend hin frischt es dann tatsächlich deutlich auf. Endlich fahren wir wieder. Wenn man so kurz vor dem Ziel ist, juckt es schon ziemlich in den Fingern, den Parasailor einfach stehen zu lassen und es laufen zu lassen. Doch die Vernunft siegt. So kurz vor dem Ziel dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, ein unnötiges Risiko einzugehen. Mehr als 1.200 Seemeilen haben wir nun schon mit dem geschwächten Rigg geschafft und davon rund 80% unter Segeln. So kommt der Parasailor runter und wir setzen die Genua im ersten Reff. So richtig schnell sind wir nicht, aber so sollten wir heile ankommen.
Pünktlich zum Wachbeginn ersegeln wir uns unsere 2.000ste Seemeile. Was für eine Strecke!!!
Der Wind entpuppt sich wieder einmal als das kleinere Problem. Es ist schwierig, in den Wellen einen Kurs zu finden, der uns nicht zu sehr rollen lässt. Die Wellen eilen dem stärkeren Wind voraus und so ist es nun auch gleich wieder ordentlich unruhig geworden. Im Deutschen treffen solche Worte wie wellig, schaukelig und rauh gar nicht so richtig, das englische Wort »bumpy« fasst eine solche Wellensituation viel besser zusammen. Da spürt man förmlich, wie man hin und her geschubst wird. Und es ist tatsächlich wieder really bumpy geworden ist.
Irgendwann in der Nacht bekommen wir einen blinden Passagier. Ein Vogel setzt sich nach einigen Anflugversuchen hinten auf das Gummiboot. Im Mondlicht können wir nicht so richtig erkennen, was es für einer ist, aber nach einem Seevogel sieht er nicht aus. Um ihn nicht zu stören, bleiben wir weitgehend im Decksalon und gucken nur ganz selten mal raus. Aber er scheint echt fertig zu sein und bleibt einfach sitzen.
Die Wellen werden immer ätzender. Um sie halbwegs zu nehmen, müssen wir abfallen. So bekämpfen wir die Pest mit der Cholera. Rollen wir etwas weniger, schlagen die Segel. Beides ist nicht gerade gut für unser geschwächtes Rigg. Morgen vor Martinique soll das noch schlimmer werden. Das kann noch einmal heiter werden.
Um 7:40 überschreiten wir wieder eine dieser magischen Grenzen. Nach fast 20 Tagen, liegt nun unser Ziel nur noch zweistellig vor uns. 99,9 sm to go! Aber wir rollen wie blöde. Was sind das nur für Scheißwellen??? Wenn das so weitergeht, laufen wir noch Gefahr, den Mast doch noch auf den letzten Metern zu verlieren. Noch weiter abfallen geht nicht, dann drehen wir irgendwann eine Patenthalse und wenn der Mast damit nicht gelegt wird, dann haben wir den Wind auf der kaputten Seite. Und soweit anluven, das die Wellen vorlicher reinkommen, würde uns einen Kurs nach Bermuda bescheren. Zudem dreht der Wind auch ständig zwischen 60 und 100° hin und her. Hat man mal einen Kurs gefunden, der halbwegs läuft, ist er im nächsten Moment schon wieder dahin. Es ist wirklich zum 🤮!
Um 10:00 loggen wir unser 19tes Etmal mit 101,0 sm. Nur noch 89,6 to go. Man sieht, wir haben wieder Fahrt aufgenommen.
Tag 20, Donnerstag, 02.02.2023
Und Tag 14 nach dem Bruch des Unterwants und Tag 8, nachdem es komplett runtergekommen ist.
Unser blinder Passagier bleibt bis Mittag. Wir wissen nicht, was es für ein Vogel ist, aber er hat Krallen und sieht für uns eher nicht nach einem Seevogel aus. Das Wasser und die Brotkrumen, die wir ihm hinstellen, rührt er nicht an. Mittags streckt er sich und startet. Bis zum nächsten Land ist es noch etwas, er fliegt in Richtung Barbados.
Wenn uns der Wind erhalten bleibt und die Wellen das Rigg oben lassen, werden wir morgenfrüh ankommen. Vor 14 Tagen waren wir uns noch nicht so sicher, ob das klappen wird. Bald werden wir sagen: »Was für ein Erlebnis!«
Nachmittags umzingeln uns Squalls. Es regnet. Ich lass mich im Cockpit nass regnen. Es ist schon ulkig, dass man sich doch über Regen so freuen kann. Vielleicht bekommt man als Norddeutscher am Ende doch Defizite bei zu viel Sonnenwetter. Aber dieser Regen ist warm und irgendwie weich. 🙂 Sehr schön!
70 sm vor Martinique sehen wir die ersten Fischer in erstaunlich kleinen Booten. Wir unterhalten uns kurz über Funk mit einem der Fischer. Unsere eigenen Angelkünste beschränken sich auf das Angeln von Braunalgen. Die angeln wir dafür aber in Unmengen.
Um 21:00 kommt Land in Sicht! Es ist ja noch hell, Mindeloer Zeit eben. Wir sehen wohl den Mount Gimie auf St. Lucia. Der ist 950 m hoch. Martinique hüllt sich noch dezent in Squalls. Der Wind hat aufgefrischt. Die üblichen 19 kn Passatwind sind zurück. Da wir ordentlich eingerefft fahren, um unser Rigg zu schonen, ist der stärkere Wind kein Problem.
Um 23:00 sehen wir am Horizont die ersten Lichter von Martinique. Der Schlussspurt kann beginnen. Pünktlich dazu legt der Wind auf über 20 kn zu und die Wellen werden ruppig. Ziemlich ruppig sogar. Und auch die Lichter verschwinden immer wieder, denn uns erwischt eine dicke Front mit Squalls, unglaublichem Schüttregen und Böen bis 30 kn. Das alles muss ja jetzt nicht auch noch sein. Was soll so etwas? Haben wir nicht schon genug um unser Rigg gebangt?
Unser normaler Nachtwachenrhythmus löst sich nicht nur in der Aufregung anzukommen auf, auch das Wetter lässt uns keine Ruhe. Es hackt wie blöde und immer wieder verschwindet Martinique im Regen. Die letzten Seemeilen vergehen gähnend langsam und ziehen sich dahin wie Kaugummi. Dann endlich kommen wir wenigstens etwas in die Wellenabdeckung von Martinique. Und unsere hübsche Theorie, dass wir ja bei »fast Vollmond« alles ganz wunderbar sehen können, wird von mächtigen Squall-Wolken, die mit wahrhaft sintflutartigem Schüttregen daherkommen, komplett zunichte gemacht.
Die Bucht von Le Marin ist für uns unter Segeln nicht einmal ansatzweise zu erreichen. Also holen wir im Regen die Segel ein und brummen die letzten 5 Seemeilen bis vor Saint Anne mit Motor. Um 7:50 Bordzeit bzw. 4:50 lokaler Zeit fällt unser Anker vor Saint Anne auf Martinique. Wir haben uns im Dunkeln mal hinten im Ankerfeld angestellt. Vor uns leuchten hunderte von Ankerlichtern.
Es ist geschafft!!! Wir haben daran geglaubt, auch wenn es nicht immer danach aussah, dass wir heile aus dieser Nummer herauskommen. Auf der einen Seite haben wir wohl alles mehr oder weniger richtig gemacht und uns keine gravierenden Fehler geleistet. Wenigstens konnten wir die »Verkettung unglücklicher Umstände« durchbrechen und einen funktionieren Modus finden. Doch das sind nur die ersten 50% auf der einen Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht mit großen leuchtenden Buchstaben »Glück gehabt! Nicht vergessen!«. Ohne dieses Glück wären wir nun nicht hier vor Saint Anne und könnten nicht mit einem Rotwein auf unser Abenteuer anstoßen. Dessen sind wir uns sehr bewusst.
Inzwischen vor Le Marin auf Martinique,
14° 27′ 38,2″ N, 060° 52′ 21,9″ W