Und obwohl das Internet des 21ten Jahrhunderts in Jolly Harbour nur »Edge« spricht, ihm also noch ungefähr 5G an dem 4G-Standard fehlen, erreicht uns am nächsten Morgen eine Nachricht von zuhause, die nun endgültig alles verändert. Gestern Abend schlug das Pendel noch einmal stark auf die Seite des Weitermachens aus, heute ist schon wieder alles anders.
In den letzten Wochen haben wir ja nicht nur einmal darüber nachgedacht, ob es nicht doch besser wäre, einfach noch einmal einen neuen Ansatz zu wagen. Bisher ist ja ziemlich viel nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass wir unsere Probleme auf den Überfahrten ziemlich gut immer wieder selbst in den Griff bekommen haben. Ganz ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen oder gar zu einem Seenotfall zu werden. Das ist ja auch schon mal was und sicher nicht ganz so selbstverständlich, wie es im Rückblick aussieht. Also nicht alles ist schlecht gelaufen, sondern manches ist auch sehr gut gelaufen, auch wenn man darauf hätte durchaus verzichten können. Aber alles in allem war doch der Wurm drin, denn kaum etwas lief mal so, wie wir es gerne gehabt hätten. Besonders die Karibik selbst hat uns doch schon eher enttäuscht. Vielleicht lag das ja auch daran, dass wir uns ohne großes Nachdenken der Überhöhung des Traumziels Karibik einfach angeschlossen haben. Die Erwartung ist eben doch die Wurzel der Enttäuschung. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und die Karibik tut ja aktuell auch schon wieder alles, um uns den Abschied leicht zu machen.
Doch egal, es gibt einen Punkt, an dem es sinnvoll ist, darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann. Und an diesem Punkt sind wir nun vor Jolly Harbour definitiv angekommen. Trotz all der schönen Pläne, die gestern Abend ja noch einmal so hübsch belebt worden sind, müssen wir uns nun eingestehen, dass uns für diese Pläne aktuell die Entspannung fehlt. Deswegen fällt am Dienstagmorgen die Entscheidung, zurück nach Europa zu segeln. Natürlich fragt sich nun jeder, ob es nicht einfacher wäre, die PINCOYA in der Karibik zu lassen und zu fliegen. Doch da gibt es dieses Problem mit den Hurricans und auch schon mit den Named Storms. Diese Situationen deckt unsere Versicherung nicht ab. Ab dem 01.06. müssen wir nördlich des 37sten Breitengrades sein, um in diesem Fällen noch versichert zu sein. Aus diesem Grund nehmen die Marinas in der Karibik auch nur sehr ungern Schiffe in ihre Obhut, deren Eigner nicht vor Ort sind. Und an der amerikanischen Ostküste müssten wir wenigstens in der Chesapeake Bay verschwinden, um den 37sten Breitengrad hinter uns zu lassen. Aber die USA und die Karibik sind ein echt teures Pflaster. Zu teuer, um sein Schiff dort einfach mal abzustellen, wenn man noch gar nicht so genau weiß, wann es denn weitergehen kann. Zudem schlägt ein Rückflug von hier für uns beide auch gleich richtig zu Buche und all das in Summe können und wollen wir uns gar nicht leisten. Deswegen geht’s zurück.
Und mal ganz abgesehen von der finanziellen Frage. Wir haben in den letzten Jahren ja auch gesehen, wie schnell das Reisen echt problematisch werden kann. Plötzlich geht gar nichts mehr und man steht wie doof vor seinen Plänen. Und neben dem pandemischen Wahnsinn gibt es ja auch noch jede Menge anderes, was die eigenen Pläne durchkreuzen kann und dies auch mit schöner Verlässlichkeit tut. Wie oft standen wir in den letzten 4 Jahren schon vor der Tatsache, dass wir nicht zur PINCOYA zurückkommen oder zurückkönnen? Und nun würde die PINCOYA noch zusätzlich auf einem anderen Kontinent stehen und eben nicht »nur« in der EU. Was dann durchaus noch zusätzlich steuerrechtliche Fragen aufwirft, weil »das Schiff« unter Umständen ein Land nicht rechtzeitig wieder verlässt. Auch deswegen geht’s nur mit der PINCOYA zurück.
Die Zeit dafür ist günstig, denn die beste Zeit für ein Wetterfenster für das Crossing von West nah Ost ist von Mitte April bis Mitte Mai. So ziehen wir einen der schon einmal durchdachten Pläne aus der Schublade. Anfang April werden wir auf St. Martin ankommen und beginnen, alles für die Überfahrt vorzubereiten. Ab Mitte April liegen wir dann dort auf der Lauer, um aufzubrechen. Die Bermudas hoffen wir links liegen lassen zu können, um direkt zu die Azoren zu gehen. Von dort könnte es dann nach Porto Santo gehen, um die PINCOYA dort preiswert und unter der Obhut von Freunden abzustellen. Doch aktuell geht die Tendenz tatsächlich eher in Richtung Heimat. Das spanische oder portugiesische Festland ist keine Alternative, weil wir diesen bekloppten Orcas nicht doch noch anheim fallen wollen.
Also wird es von den Azoren in die grobe Richtung von England und Frankreich gehen. Mal sehen, wo wir einschlagen. Und wenn wir das geschafft haben und alles gut gegangen ist, dann haben auch erst einmal alle Langschläge ihre Schrecken verloren. Wenn es dann wieder losgeht, und das wird es in jedem Fall wieder, dann umfahren wir die Iberisches Halbinsel einfach großzügig oder brechen gleich in die andere Richtung auf.
Noch bleibt etwas Zeit
Die Ereignisse, aber auch unsere Entscheidung verlangen nun erst einmal etwas Ruhe. So verabschieden wir uns im Vorbeifahren von Janice & Andy und verlegen uns mit der Hoffnung auf Ruhe in die Bucht Five-Island-Harbour. Mein Gott, wie wild waren wir noch vor 12 Stunden entschlossen, möglichst direkt nach Newfoundland zu segeln.
Die Five-Island-Harbour-Bay erweist sich allerdings als der totale Flop schlechthin. Dort liegt man zwar inmitten in einer wunderhübschen Natur, doch das Ocafee bekommt einen Brechreiz und ihm wird ganz grün im Gesicht, denn der Wind trägt von St John’s einen erbärmlichen Gestank in die Bucht. Sind es die Industrieanlagen von St. John’s oder eine Raffinerie oder brennt dort schlicht eine Mülldeponie? In jedem Fall ist das alles so unerträglich, dass wir uns schon nach 2 Stunden wieder verlegen und unseren Anker vor dem Jolly Beach fallen lassen. Hier kehrt dann endlich mal etwas Ruhe ein. Ein wunderbarer Liegeplatz.
Nachdem nun die Hängepartie der Entscheidungen hinter uns liegt und klar ist, wie es weitergeht, schmieden wir neue Pläne. Pläne, die besser zu unserer Gesamtsituation passen und auch unsere Segelsaison nicht schon im Juni beenden. Pläne, die noch unausgegoren sind, aber uns inzwischen immer besser gefallen. Pläne, die an alte Ideen anknüpfen und das einbinden, was uns noch vor einigen Jahren ziemlich unmöglich erschien. Die Karibik hat bislang nicht ganz unsere Erwartungen erfüllt, aber, und das muss man gerechterweise auch mal schreiben, es gibt Abende, an denen die Karibik diese Erwartungen auch übererfüllt. Und so ein Abend ist heute, als ich diese Zeilen schreibe. Es war ein sonniger Tag, der zwar mit viel Regen begann, aber dann doch alles noch einmal rausgerissen hat. Ein laues östliches Lüftchen schaukelt uns in die Nacht und einige Passatwolken zeigen den Squals am Horizont, das Freundlichkeit auch ganz nett sein kann.
Antigua gefällt uns gut, obwohl wir aus dieser Insel nicht wirklich schlau werden. Jolly Harbour macht auf uns den Eindruck, als ob es seinen Höhepunkt eigentlich schon hinter sich hat. Auf der anderen Seite ist Jolly Beach von luxuriösen Ferienappartements gesäumt und viele neue sind noch im Bau. Aber am Strand, wo all die Ferienanlagen stehen und noch neue gebaut werden, ist keine Socke zu sehen.
Ab und zu trollt mal der ein oder andere Tourist am Strand entlang, aber die Liegen sind leer und auf den Party-Katamaranen sitzt immer nur eine Hand voll von diesen Party-Hungrigen, die mit brüllender Disco-Mucke dicht am Strand auf und ab gefahren werden. Insgesamt passt das alles nicht wirklich zusammen. Hoffentlich erholen sich Antigua und auch Jolly Harbour wieder. Uns soll das aber heute so mal recht sein, wir sind ja nicht wirklich unglücklich, wenn um uns herum nicht die Mega-Party tobt.
Schon am nächsten Tag beginnen wir mal mit einigen Vorbereitungen für unser Crossing. Das Rigg muss nachgespannt werden, da sich die neuen Wanten setzen, unsere Ankerwinde mault herum und auch der Wasserpass muss dringend wieder einmal gereinigt werden. Sicherlich auch der Propeller am Saildrive. Unsere Ankerwinde macht uns allerdings Sorgen.
Wir haben sie im Winter 2014/15 eingebaut. Sie tut nun also schon in der 9ten Saison ihren Dienst dort vorne im Ankerkasten. Und ehrlich gesagt, sie sieht auch nach einem neunten Dienstjahr in dieser unfreundlichen Salzwasserumgebung aus. Wir haben ja viel und gerne geankert, doch wir haben keine Idee, wie oft sie unseren Anker runtergelassen und auch wieder hochgeholt hat. Es müssen hunderte, wenn nicht über tausend Ankermanöver gewesen sein. Also bekommen alle Lager eine Extraportion Fett und wir gönnen ihr einen Getriebeölwechsel. Die Kabel sehen auch schon ziemlich mitgenommen aus, die werden innen sicherlich schon auf wenigstens einem Meter vollkommen grünspanig sein. Doch wir erwecken sie zu neuem Leben und sie zieht wieder wie in ihren jungen Tagen an der Kette. Dennoch werden wir einen neuen Motor bestellen und als Ersatz mitnehmen. Das Ende des ersten Motors scheint nicht mehr allzu weit in der Zukunft zu liegen. Der Rest sieht noch wirklich gut aus, die Maxwell wird es mit neuem Motor und neuen Kabeln noch einmal 9 Jahre machen.
Ab nach St. Martin
Jolly Harbour, Antigua -> Marigot Bay, Saint Martin Distanz: 101,5 sm Gesamtdistanz: 3.288,9 sm
Als wir das Wetter checken, sieht es günstig aus. St. Martin liegt auf einem freundlichen Voll-und-bei-Kurs und irgendwelche wettertechnischen Hässlichkeiten sind nicht zu erwarten. Eigentlich wollten wir noch einen Zwischenstopp auf St. Kitts einlegen, aber das passt nun gerade nicht mehr so richtig. Wir brauchen Zeit für uns und auch für die Vorbereitung des nächsten Crossings. Die Rückfahrt über die Azoren ist nicht ganz ohne und überhaupt nicht mit der Hinfahrt in den Passatwinden zu vergleichen. Hin kommt man eigentlich immer, aber zurück ist anspruchsvoller. Deswegen brauchen wir auch etwas Zeit, um uns dafür vorzubereiten. Vorbereitungen hören ja nicht mit der Vorbereitung des Schiffs auf, ein wesentlicher Teil ist unsere Vorbereitung. Und die findet im Kopf statt und braucht eben auch so ihre Zeit. Wir wollen das sicherlich nicht überbewerten, aber wir wollen auch so gut vorbereitet sein wie auf der Herfahrt, denn falls etwas Unvorhergesehenes passiert, soll uns das nicht gleich aus den Socken hauen. Uns wäre unwohl damit, von vorn herein auf unser Glück zu bauen. Wobei das Glück ja bei vielen ganz sorglos »Geht-schon« heißt. Uns ist wohler damit, das Glück erst dann zu brauchen, wenn wir keine Antwort mehr haben. Deswegen versuchen wir uns und auch die PINCOYA bestmöglich vorzubereiten.
Doch bevor es losgeht, müssen wir erst einmal wieder auschecken. Unsere Zeit auf Antigua war kurz. Zu kurz. Und das ist schade. Für uns und auch Antigua. Obwohl 10 Eier hier 14,50 € kosten 😳. Gerne hätten wir noch mehr gesehen und noch mehr gemacht. Das müssen wir nun aber auf »später« verschieben. Es ist ja nicht ganz ausgeschlossen, dass wir nicht doch noch einmal in der nächsten Zeit wieder hier sind. Mal sehen. In Portugal haben wir vor zwei Jahren ein französisches Pärchen getroffen, die im Winter immer in die Karibik fahren und für den Sommer wieder zurück nach Europa segeln. Das fanden wir damals absolut irre, aber vielleicht ist das ebensowenig irre, wie in Greenland zu überwintern. Wir haben gerade erst angefangen, an etwas zu schnuppern, was noch gar keine Zeit hatte, seinen Geruch so richtig zu entfalten.
Unser Auschecken ist ähnlich XXL wie unser Einchecken. Klipp klapp, … ihr wisst, die Türen, … klapp klipp! Und natürlich virusfrei, denn die Capitana kehrt vollständig desinfiziert zurück.
Vor uns liegt eine Nachtfahrt nach Saint Martin. Doch die ist mehr oder weniger unspektakulär. Das Wetter ist freundlich und hat nichts, was uns irgendwie stressen könnte. Wir finden zwar nicht ad hoc in unseren Nachtfahrtrhythmus, aber ganz vergessen ist unser letztes Crossing auch nicht. Doch wir sind schnell, zu schnell. In bekannte Reviere kann man ja auch bei Nacht gut einfahren, manchmal ist das ja auch bei unbekannten nicht anders möglich, aber mit etwas Tageslicht ist es schon angenehmer. Deswegen nehmen wir sukzessive immer mehr Segel weg, um langsamer zu werden. Im Morgengrauen erreichen wir Sint Maarten, den südlichen Teil. Über das Wellenbild und die Bedingungen zwischen Barbuda und Sint Marten im Angesicht der vielen Flachstellen, sprechen wir mal lieber nicht. Es gibt angenehmere Wellenbedingungen.
Die Capitana schläft ihren Rhythmus und auch der Schiffsjunge kriegt seinen ganz gut hin. Insgesamt passt das schon mal ganz gut, wir haben vielleicht inzwischen doch etwas mehr Routine. Obwohl … und das muss man auch ehrlich sagen … so eine erste Nachtfahrt nach Wochen ist nicht selbstverständlich.
An Sint Maarten pirschen wir uns im ersten Morgengrauen entlang und biegen dann um die Ecke nach Saint Martin in die Marigot Bay. Das Finden eines vernünftigen und wenigstens halbwegs ruhigen Ankerplatzes ist hier nicht ganz einfach. Fähren und Speedboats ballern tagsüber pausenlos und auch ziemlich rücksichtslos durch das Ankerfeld. Es dauert etwas, bis wir einen halbwegs erträglichen Ankerplatz gefunden haben. Und es wird nicht der letzte Platz hier bleiben, denn die Suche nach etwas Ruhe kennt hier kein richtiges Ende. Optimal ist das alles nicht und schon gar nicht bei dem Wetter, das uns noch erwartet. Aber in der Marigot Bay warten ja auch die meisten Cruiser nur darauf wegzukommen, und das vielleicht nicht ohne Grund.
Stationen:
Anchorage Five-Island-Harbour
17° 05′ 41,2″ N, 061° 53′ 22,7″ W
Anchorage II vor Jolly Harbour
17° 04′ 05,2″ N, 061° 53′ 46,2″ W
Marigot Bay I, Saint Martin
18° 04′ 24,2″ N, 063° 05′ 27,9″ W