Anse d’Arlet [A], Martinique -> Roseau [M], Dominica Distanz: 52,8 sm Gesamtdistanz: 3.004,8 sm
Am Dienstag starten wir früh. Und das ist auch nicht nur einfach so dahingeschrieben, denn unsere Ankerkette rattert tatsächlich schon um 9:00! Als wir aufbrechen, sind wir uns immer noch nicht ganz klar, ob wir nun ein paar Tage auf Dominica bleiben sollen oder Anna und Reinhard von der Sancara nur unser altes Achterstag bringen und dann gleich weiter in Richtung von Guadeloupe fahren.
Über Dominica haben wir gelesen, dass es schwierig ist, dort zu ankern. Die Küste fällt steil ab und es wird einfach zu schnell zu tief, um ordentlich ankern zu können. Deswegen liegen auch bei Roseau eigentlich alle an Moorings, die von zwei Mooring-Betreibern zur Verfügung gestellt werden. Freies Ankern ist zwar nicht verboten, aber eben schwierig. Und bei dem Business-Modell mit den Moorings wird wohl auch nichts dem Zufall überlassen, denn man soll »aktiv in Empfang genommen werden«. Erst in der Bucht von Portsmouth, ganz oben im Norden, soll ankern auch so möglich sein, obwohl auch dort das Business-Modell mit den Moorings zuhause ist. Abgesehen davon wird immer wieder von einigen »Security Issues« berichtet, die Dominica jetzt auch nicht gerade schmackhafter machen.
Doch wir wollen erst einmal segeln, über den Rest können wir uns auf der Fahrt nach Norden immer noch Gedanken machen. Aus der Anse d’Arlet starten wir mit einem munteren Ostwind, der es sich allerdings schon am Eingang zur Bucht von Fort-de-France anders überlegt und zu einem West konvertiert. Uns ist das egal, beide Varianten sind ausreichend kräftig, um uns gut voran zu bringen. Zwischen Martinique und Dominica geht es dann wieder anders herum und der West wird wieder zu dem vorhergesagten Ost. Wir sind nicht schnell, aber ausreichend schnell für die rund 50 sm bis Dominica.
Irgendwo auf halber Strecke verblasst dann allerdings langsam unser Wille, die Nacht durchzusegeln. Vielleicht können wir ja unseren Anker doch irgendwo südlich von Roseau fallen lassen. Die wochenlange Warterei hat uns etwas vom Segeln entwöhnt, so dass uns nun die 50 sm nach Dominica ehrlich gesagt auch schon mal reichen. Außerdem hatten wir uns ja auch vorgenommen, es mal ruhiger angehen zu lassen, diesen gesunden Vorsatz muss man ja nun auch nicht gleich wieder über Bord werfen.
Schon aus der Ferne gefällt uns Dominica ausgesprochen gut. Die Insel ist schroff, bergig und vor allen grün. Sie erinnert uns an La Gomera, nur dass Dominica etwas »zackiger« aussieht.
Wir erreichen die Küste südlich von Roseau erst nach Sonnenuntergang. Das ist zwar blöde, wenn man sich gerade dort einen Ankerplatz suchen will, wo Ankerplätze Mangelware sind, aber wir wollten ja auch nicht hetzen. Die Sancara finden wir schnell. Sie liegt wie alle anderen an einer Mooring. Vorsichtig tasten wir uns an die Küste, doch die Seekarten und Revierführer haben leider recht, es bleibt lange sehr tief. Unsere Ankerkette würde reichen, keine Frage, aber 50 m können wir zwischen den Mooringliegern nicht stecken. Die Schwojkreise von Anker- und Mooringliegern sind bei solchen Längen einfach zu unterschiedlich. Außerdem ist es auch so eine Sache, mit seinen Anker an einem steil abfallenden Hang vernünftigen Halt zu finden.
Eine ganze Weile fummeln wir uns durch vermeintlich freie Stellen, aber kein Plätzchen macht auf uns einen wirklich guten Eindruck. Es ist ziemlich ruhig, eigentlich könnte man auch halbherzig seinen Anker irgendwo ablegen, aber … In diesem Moment braust auch schon das Begrüßungskomitee von Seacat heran. Ein Schwall von freundlichem Englisch schwappt zu uns herüber. Nur gut, dass Dominica englischsprachig ist, auf französisch wären wir ziemlich verloren. Nein, nein, ankern geht gar nicht, nicht hier und auch nicht weiter unten. Alles sehr schwierig, aber er hätte da wie durch Zufall eine wunderbare Mooring frei. Keep your ropes ready and follow. Da uns nichts Besseres einfällt, fügen wir uns. Twenty bucks or fifty EC, it’s cheap and safe. Where do you come from? Sure, twenty Euros are also ok. And the safari tomorrow – you know, all the highlights of Dominica – one trip the whole day – the best and cheapest on the whole island. Marcus Art ist gewinnend, das müssen wir zugeben. Er will keine Entscheidung, alles liegt bei uns und morgen kommt er mal rum, um nachzufragen. Have a good night.
Unter den Moorings sollte man sich jetzt nicht so etwas vorstellen, was man z.B. aus Skandinavien kennt. Eigentlich sind es dicke Kugelfender, die er in sein Boot hievt, um dann unten auch unseren Tampen durchzufädeln. Ohne Hilfe kann man die eh nicht nehmen.
Uff … nun sind wir da. Die Sancara ruft uns auf 16. Sie machen morgen auch eine Safari. Schon um 8:30. Wir müssen aber erst einmal ankommen.
Morgens zeigt sich Dominica schon mal von ihrer hübschen Seite. Was machen wir nun? Erst einmal einchecken und ein paar ECs holen. Das ist ja auch schon mal ein guter Plan. ECs sind die East Caribbean Dollar, die Landeswährung. In Landeswährung zahlen ist immer preiswerter, als großzügige Umrechnungskurse in Anspruch zu nehmen. Außerdem werden Fremdwährungen meist nur in Scheinen angenommen, das bedingt eben auch aufgerundete Umrechnungen, denn Wechselgeld gibt es, wenn überhaupt, auch nur in Scheinen. Von Seacat, dem Mooring-Betreiber, kann man alles bekommen. Sie fahren einen auch zum Einklarieren oder zu einem Geldautomaten. Oder zum Supermarkt oder eben auf eine Safari, everything is possible. Nun sind wir aber nicht gekommen, um uns möglichst berührungslos transportieren zu lassen. Also fahren wir mit unserem Gummiboot zum Dinghy-Dock von Seacat. Anschließend müssen wir unser Gummiboot dort nicht, denn dort wird aufgepasst. Und dort liegen sogar kleine Heck-Moorings, damit die Dinghies nicht unter den Steg rutschen können. Natürlich werden wir gleich wieder gefragt, was wir machen wollen und ob man uns irgendwo hinbringen kann. Das ist aber überhaupt nicht aufdringlich und als wir sagen, dass wir zu Fuß gehen wollen, erklärt man uns den Weg und gibt uns immer wieder den Rat, dass wir unter allen Umständen auf dem Seitenstreifen gehen müssen und NIEMALS auf der Straße.
Warum wir diesen Rat bekommen, wissen wir nach den ersten Metern an der Straße. Erstens herrscht hier Linksverkehr, was für uns bedeutet, dass die Gefahr immer aus der anderen Richtung kommt, und zweitens fahren die Dominicanerinnen und Dominicaner wie Sau, wenn man es noch freundlich ausdrücken will. Die Straße ist so eine Art Schlachtfeld und das Leben eines Fußgängers scheint hier wenig zu gelten. Italiener könnten von den dominicanischen Autofahrern hinsichtlich gewagter Manöver und dem Einsatz von Hupen für jegliche Art der Kommunikation noch viel lernen. Der Fahrstil, den wir einmal in Palermo kennenlernen durften, würde hier wohl eher als defensiv und zurückhaltend bezeichnet werden.
2017 hat der Hurricane Maria den Süden von Dominica vollkommen verwüstet. Wir können allerdings nicht erkennen, welche Schäden davon noch herrühren, aber zwischen dem französischen Martinique und Dominica klafft schon ein riesiger Unterschied. Wir sind die einzigen Bleichgesichter, die zu Fuß nach Roseau gehen. Und auch in Roseau selbst sehen wir nur wenige Menschen, die nicht irgendwie »coloured« sind. So können wir gut nachfühlen, wie es für coloured People in Deutschland sein muss. Wobei uns alle, bis auf einen etwas irren Typen, absolut freundlich und offen begegnen, was ja andersherum in Deutschland nicht immer so der Fall ist. Natürlich verrät uns unsere Hautfarbe sofort als Touris und wir latschen einfach an der Straße entlang und sind offensichtlich nicht im Pulk mit einem Kreuzfahrtschiff gekommen. Das ist wohl ungewöhnlich genug, um uns noch mehrmals darauf hinzuweisen, dass wir an und auf den Straßen sehr vorsichtig sein müssen. Be careful, you know, the street is dangerous, go here! Das ist echt fürsorglich und die Typen, die uns das sagen, könnten nicht unterschiedlicher und krasser sein. Sie scheinen wirklich Angst zu haben, dass wir unter die Räder kommen. Wir sind echt platt, aber die Angst ist zugegeben auch nicht ganz unbegründet.
Der Typ, der uns beschimpft, ist ebenfalls recht speziell. Aus seiner Schimpftirade können wir nur immer wieder das Wort »white« heraushören. Es ist ein blödes Gefühl, so angemacht zu werden. Und wieder müssen wir an Deutschland denken, wo der deutsche Rassismus ja immer weiter um sich greift. Eine grauhaarige Dame, die etwas abseits von uns auf der Straße geht, bekommt das mit. Sie kommt zu uns herüber und sagt, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, er sei »mentally ill«. Man stelle sich das nur mal am Rande eine Pegida-Demo vor 😂. Das wäre schon cool und würde uns echt stolz auf Deutschland machen.
Als wir das Immigration Office nicht gleich finden, sehen wir die grauhaarige Dame wieder und fragen spontan, ob sie weiß, wo es denn sei. Wir stehen fast davor, das hätten wir auch selbst schaffen können. Aber … als wir erfolgreich vom Einklarieren wieder draußen sind, kommt sie gerade aus einem Shop auf der anderen Straßenseite. Wie selbstverständlich kommt sie zu uns herüber und fragt, ob alles geklappt hat. Ja, wir bedanken uns, denn nun wollen wir ja »nur« noch an dem Geldautomaten der National Bank einige ECs holen. Doch die Cash Machine ist leider defekt und der Wachmann schickt uns zu dem Geldautomaten gleich bei der Pharmacy. Hmm … Pharmacy … die finden wir aber nicht und so irren etwas ratlos umher.
Wahrscheinlich laufen wir etwas zu ratlos durch die Straßen, denn plötzlich ruft Hazel hinter uns her: »Can I help you, what are you looking for?« Dass die grauhaarige Dame Hazel heißt, erfahren wir irgendwann zwischendurch, denn weil sie uns so sehr hilft, fragen wir einfach nach ihrem Namen. We are looking for an ATM that works. Da der an der Bank nicht geht, suchen wir den anderen, eben den an der Pharmacy. That’s quite a long way, I’ll show you. Und schon rast sie im Sturmschritt los und wir hinterher. Es geht quer durch Roseau und das in einer ganz anderen Richtung, als die, die wir vorher mit Hilfe des Wachmanns eingeschlagen hatten. Hazel dreht sich immer wieder um und schaut, ob wir ihr folgen können. Sie ist wirklich schnell. Und sie scheint bekannt wie ein bunter Hund zu sein, ständig grüßt sie irgendwen oder wird gegrüßt. Selbst die Autofahrer bringt sie mit einer fast unmerklichen Handbewegung dazu anzuhalten. Staunend hecheln wir ihr hinterher. Das ist definitiv kein Tempo für den Schiffsjungen! Dann sind wir am Geldautomaten. Wir sollen es versuchen.
Selbstverständlich wartet sie und quatscht derweil mit einer der Gemüsehändlerinnen. Der Geldautomat geht zwar grundsätzlich, kommt aber wohl mit unseren ausländischen Karten doch nicht so richtig klar. Hazel sagt, dass das schon mal vorkommt, aber wir könnten ja direkt in die Bank gehen. Natürlich führt sie uns hin und spricht auch gleich mit dem Wachmann, schleust uns in die Bank, bedeutet uns zu warten, denn sie müsse das vorher mit der Sachbearbeiterin besprechen, denn es ginge ja nicht, dass wir in der Schlange stehen, die sich heute allerdings nur in drei Schleifen durch die Schalterhalle windet. Irgendetwas scheint aber nicht zu funktionieren, doch sie hat noch eine Idee. Da wäre noch eine andere Bank, vielleicht geht die ja, aber die ist noch etwas weiter weg, als der ATM bei der Pharmacy. Aber egal, just follow me und schon ist sie wieder vor uns und saust durch die Straßen. Am Ende führt sie uns mit unserem Problem, Geld abzuheben, mehr als eine Stunde (!) durch Roseau und wartet selbstverständlich bei jedem Versuch ab, ob wir erfolgreich sind oder nicht.
Am 4ten Geldautomaten und der zweiten Bank sind wir dann tatsächlich erfolgreich. So viel Hilfsbereitschaft macht uns echt sprachlos und wir bedanken uns sehr bei Hazel. Ohne sie hätten wir keine ECs bekommen und danach auch keine Tomaten und auch nicht diese Zimtschnecken mit den Cocos-Raspeln. Hazel treffen wir auf unseren späteren Sightseeing-Runden durch Roseau noch zweimal wieder. Immer wieder fragt sie, ob sie noch etwas für uns tun kann.
Mit unseren ECs kaufen wir an einem dieser fliegenden Straßenstände Tomaten, die wirklich mal nach Tomate schmecken. Und auf dem Rückweg kommen wir an einer kleinen Bäckerei vorbei, wo wir nicht nur Brot kaufen, sondern eben auch diese leckeren Zimtschnecken. Da bleibt nun nur noch die Frage offen, ob irgendein Schwede das Rezept für Zimtschnecken nach Dominica gebracht hat oder das Rezept von seefahrenden Schweden nach Göteborg gebracht wurde.
Bei dem Aufpasser von Seacat bezahlen wir 50 ECs für eine Nacht an der Mooring. Etwas im Norden von Roseau soll in einer unscheinbaren kleinen Bucht doch die Möglichkeit bestehen, frei zu ankern. Dort ist nicht viel Platz, aber dort wollen wir es mal versuchen. Denn nach all den Reparaturen müssen wir tatsächlich etwas haushalten, und etwas mehr Natur und Einsamkeit wäre uns schon auch recht.
südl. von Roseau an einer Mooring
15° 16′ 56,1″ N, 061° 22′ 36,1″ W