So richtig böse können wir unserem Gummiboot gar nicht sein. Es ist inzwischen 12 Jahre alt, was für ein Gummiboot, egal ob es benutzt wird oder nicht, ein ziemlich hohes Alter ist. Insbesondere hatte der Kleber in der letzten Zeit schon sehr geschwächelt. So sind nach und nach fast alle aufgeklebten Pads einfach abgefallen und wir mussten sie mit Sikkaflex neu ankleben. Nach so vielen Jahren ist aller geklebter Kunststoff einfach durch, egal wo man segelt.
Seit wir 2020 schon den ersten Schwimmer mit Sikkaflex kleben mussten, rechnen wir eigentlich ständig mit Schlimmeren und sind im Grunde genommen vollkommen überrascht, dass unser altes Gummiboot nicht schon längst den Löffel abgegeben hat. Doch so ein Plattfuß kommt dann natürlich doch immer im unpassendsten Moment. So ziehen wir unser Gummiboot am Sonntag auf das Vorschiff und starten noch einen Reparaturversuch. Etwas muss es noch durchhalten, aber parallel beginnen wir auch mal mit der Suche nach einem Ersatz. Ja, auch das noch, aber so ist es, denn der Teufel scheißt ja bekanntlich immer auf den größten Haufen.
Die Reparatur ist nicht ganz einfach, denn wir können den geschlossenen Hohlraum des Schwimmers ja nur von außen kleben. Doch nachmittags scheint es gelungen zu sein. Die Falze der Nähte haben wir üppig mit Sikkaflex eingepampt und vorsichtig angedrückt. Nach und nach pumpen wir den Schwimmer ganz leicht auf und er scheint seine Luft tatsächlich zu halten. Entspannung!
Die Suche nach einem neuen Gummiboot gestaltet sich nicht ganz so einfach. Wären wir in Deutschland, hätten wir gerne wieder die SVB-Hausmarke genommen, aber die hat sich mit gut gemeinten Wülsten am Heck, die das Boot schneller ins Gleiten bringen sollen, leider selbst in Abseits gestellt. Denn diese Innovation verhindert die Montage von Rädern🙄.
Nun sind wir aber zudem in der Karibik und das bedeutet, dass alles, was hier schwimmt, etwas größer und exklusiver ist. Da bilden auch die Dinghies keine Ausnahme. Dinghies, die für uns passen könnten, gibt es eigentlich nur in den Katalogen der großen Hersteller. Auf Lager hat so etwas kaum einer, weil die Nachfrage dafür wohl einfach fehlt. Eigentlich suchen wir etwas mit aufblasbaren Boden so um die 2,70 m. Ein Rib ist uns zu voluminös und auch zu schwer, denn wir fahren unser Dinghy ja hinten, damit wir uns auf dem Vorschiff das Starkwindsegel nicht blockieren. Aber abgesehen davon, sind Ribs schon ohne Karibikaufschlag deutlich zu teuer. Ganz zu schweigen von dem UV-beständigen Hypalon. Die Suche ist schwierig.
Und dann passiert das Unerwartete. Um gleich am Montag fragen zu können, wann wir denn am Dienstag zur Reparatur auf der Matte stehen sollen, verlegen wir uns noch Sonntagabend vor Le Marin. Und als wir dann am Montagfrüh mit unserem frisch reparierten Gummiboot rüberfahren und fragen, – Überraschung! – wir können auch schon gleich kommen. Damit haben wir nun wirklich nicht gerechnet. Am Montag passiert dann zwar nichts mehr, aber wir liegen nun wenigstens schon mal vor der Werkstatt. Sozusagen in der Pole-Position für die Rigg-Reparatur.
Ganz langsam beginnen wir uns zu entspannen. Es ist unendlich gut, dass endlich mal etwas passiert. Und … das muss man ja auch mal sagen … die Zahl unserer Probleme hat in den letzten 24 h nicht zugenommen. Allein das ist schon ein absolut phantastischer Fortschritt.
Am Dienstag geht es dann tatsächlich los. Zwar mit einigen Unterbrechungen, aber es passiert etwas. Wenn man sonst immer alles selbst macht, ist es schwierig, sich in so einer Abhängigkeit zu befinden.
Direkt an der Pier vor Caraïbe Marine ist es brütend heiß. Auf dem Ankerplatz ging ja immer ein kräftiger Wind, und wenn mal weniger Wind war, dann brachte wenigstens noch ein kleines Lüftchen etwas Abkühlung. Aber hier steht die Luft, und es ist wirklich fast unerträglich. Da wir auch neue Achterstagen bekommen, mussten wir auch das Bimini wegnehmen. So ist Schatten Mangelware, das ist schon so eine Nummer. Zudem kommen abends die Mücken, die hatten wir draußen auf dem Anchorage gar nicht. Also sitzen wir abends hinter Fliegengittern in der PINCOYA. Da fehlt nun eigentlich nur noch ein Aufguss und das Saunagefühl wäre perfekt.
Die Mannschaft, die in der brütenden Sonne auch noch körperlich arbeiten muss, kann einem schon etwas leid. Ganz ohne ist das nicht, da muss man sich erst einmal dran gewöhnen. Wir trinken nicht nur, wir kippen regelrecht das Wasser literweise in uns hinein. Nach 3,5 Tagen ist nicht nur unser Trinkwassertank leer, sondern auch noch die Wasserflaschen aus unserer Grabbag. Wir müssen beide jeden Tag fast 8 Liter Wasser getrunken haben.
Bis Mittwochmittag sind dann tatsächlich alle neuen Wanten fertig montiert. Das eine steuerbordseitige Unterwant hatte noch Zicken gemacht, denn das alte Ball-Terminal hatte sich wohl etwas in den Salingfuß gearbeitet. Aber unsere Mannschaft hat das sehr gut nachgearbeitet. Der Chef kommt extra noch einmal, um es uns zu erklären. Im Grunde genommen ist der Schaden nicht schlimm und wir können mit der nachgearbeiteten Lösung problemlos leben. Man könnte den kompletten Fuß auch ausbauen und einen neuen anfertigen, aber darauf verzichten wir mal lieber. So entspannen wir uns am Mittwochabend noch etwas mehr, nun fehlen nur noch die neuen Achterstagen, Die sind aber schon vermessen und Donnerstagmittag werden wir sicher wieder in See stechen können. Hoffentlich erwarten uns mit der Rechnung keine größeren Überraschungen. Vor einer Diskussion um die Rechnung graut uns etwas, auch deswegen haben wir jede Aktivität haarklein dokumentiert. Wir hoffen sehr, dass wir das nicht brauchen. Doch in jedem Fall macht die Arbeit, die sie bisher geleistet haben, einen wirklich guten Eindruck. Der Mast steht wieder kerzengerade! So ein gerade stehender Mast, ganz ohne Beule zu einer Seite, ist schon eine echt tolle und vor allem beruhigende Sache.
Als am Donnerstag die Achterstagen montiert sind, fällt uns bei der Präsentation der Rechnung doch die Kinnlade runter. Erstens haben sie nicht die angebotenen Spanner verbaut, sondern teurere, und zweitens werden insgesamt sieben Arbeitsstunden mehr berechnet, als wir notiert haben. Nun gab es natürlich auch Arbeitszeiten in der Werkstatt zum Ablängen der Drähte und zum Pressen. Zwei Pressungen konnten wir allerdings mitverfolgen, eine dauert ungefähr 5 Minuten. Da können also keine 7 Stunden zusammengekommen sein.
Und die Rechnung enthält Fehler. Fehler sind zwar Hardfacts, doch das andere ist zwar nicht direkt eine Gefühlssache, aber dennoch schwierig zu besprechen.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl gehen wir in die Diskussion. Die Sprachbarriere macht die ganze Sache nicht einfacher, auch wenn die Rechnungsdame gut Englisch spricht. Doch obwohl es anfangs ein kleines Hin und Her gibt, denn niemand mag sich ja gerne anhören, dass etwas nicht ok ist, finden wir einen fairen Kompromiss. Natürlich hätten wir in Europa deutlich weniger bezahlen müssen, aber wir sind mit unserem Problem ja eben auch in der Karibik angekommen. Die Fehler der Rechnung werden korrigiert und man kommt uns mit einen speziellem Discount wirklich fair entgegen. Anders kann man es nicht sagen. So fahren wir genau nach einen Monat mit einem reparierten Rigg wieder auf den Ankerplatz vor Le Marin. Nun kann es endlich weitergehen. Was für ein tolles Gefühl!
Doch etwas bleibt noch zu tun. Wir müssen erst einmal alles wieder seeklar machen und uns auch neue Backstagen spleißen. Die alten Backstagen hatten wir ja für unser Provisorium missbraucht. Und da wir nicht so genau wissen, in wie weit die alten Backstagen durch die Notfallknoten, die wir schnell einfach so eingebunden haben, geschwächt wurden, haben wir beschlossen, uns neue Backstagen anzufertigen.
Das bringt uns auch wieder auf einen Punkt, an den wir uns (noch) nicht ganz herangetraut haben. Fiber-Rigging. Warum um alles in der Welt, sollten wir nicht auch die Achterstagen und die Wanten einfach aus Dyneema machen können? Vielleicht nicht die Vorstagen, weil dort ja auch die Mimik mit den Rollsegeln laufen muss, aber warum nicht den Rest des stehenden Gutes? Das hätte den riesigen Vorteil, aus der Abhängigkeit eines Riggers zu kommen, denn die Dinger können wir selbst ablängen und spleißen. Und speziell behandeltes Dyneema hat die 4- bis 5-fache Bruchfestigkeit von Nirodraht. Die normale 2- bis 3-fache Bruchfestigkeit würde für uns ja schon absolut ausreichen, wir wollen ja schließlich nicht Boris abhängen 😂. Da hätten wir selbst auf dem Atlantik alles selbst und vollständig reparieren können. Angenehm wäre das sicher nicht gewesen, aber wir hätten die Möglichkeit gehabt. Mal sehen, wir spielen mit dem Gedanken, unsere Backstagen doch noch einmal umzubauen und durch 8er Dyneema zu ersetzen. Das ist aber noch nur ein Gedankenspiel …
Vor Le Marin legen wir uns strategisch günstig, um bei Leader Price einzukaufen. Inzwischen wissen wir auch, dass Leader Price wohl Donnerstag beliefert wird und Freitagvormittag die Regale gefüllt werden. Also ist der Freitag unser Einkaufstag. Einfach mal so für einen normalen Einkaufswagen mit einer ganz normalen Versorgung 180 € hinzulegen, schmerzt schon etwas. Da hilft das Wissen, dass dieser Einkaufswagen auf den anderen karibischen Inseln das doppelte wert ist, auch nur bedingt weiter.
Wie viele andere liegen auch wir etwas gedrängt an dem Fahrwasser zur Werft, an dessen Ende sich auch das Dinghy-Dock von Leader Price befindet. Zugegeben nicht optimal und das Heck der PINCOYA schwappt vielleicht auch etwas in das Fahrwassers hinein. Aber wir sind in guter Gesellschaft. Ein Brite, ein Brasilianer, zwei Franzosen, ein Holländer, eine Finne und auch ein Schwede liegen mitten im Fahrwasser. Alle Nationen fahren grüßend um die nicht ganz korrekt liegen Ankerlieger herum. Und dann kommt »Passage«, ein deutscher Segler. 17m und mit allen Standern, die man so braucht, um ein echter Weltumsegler zu sein. Natürlich heißt er nicht »Passage«, aber seinen richtigen Bootsnamen hier zu nennen, wäre gemein, denn vielleicht lernt »Passage« ja auch noch etwas hinzu. Wir fühlen uns zurückversetzt in die deutsche Besserwisserei. Alle sind scheiße, nur man selbst hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Fremdschämen! Ich überlege kurz, ob wir nicht doch schnell unsere Nationale einholen sollten. Boah, so viel »typisch deutsch« ist schwer zu ertragen. Und »Passage« fährt möglichst dicht an den Hecks und Bügen der ahnungslosen Ankerlieger im Fahrwasser vorbei. Während er steuert, fuchtelt sie herum und keift jedem mit überschlagender Stimme das Wort »Passage« entgegen. Der Engländer guckt zu uns herüber und hebt die Arme als Zeichen eines absoluten Unverständnisses. Ich zucke mit den Schultern und wir schämen uns fremd. Warum müssen Deutsche ihre so peinliche Besserwisserei immer so heraushängen lassen? Geht es nicht auch anders? Segeln die nur um die Welt, um die Welt an ihrer deutschen Gründlichkeit genesen zu lassen? Wie wohltuend sind da doch Franzosen, denen nicht jedes Ankermanöver gelingt!
vor Anker vor Le Marin, Martinique
14° 27′ 52,3″ N, 060° 52′ 31,1″ W