Saint Martin, Karibik -> Ziel Açores; bisher: 263,4 sm Gesamtdistanz 2023: 3.557,3 sm
Tag 1, Samstag, 29.04.2023
Gleich mit dem ersten Morgenkaffee checken wir das Wetter. Es sieht weiterhin wirklich gut aus. Vielleicht gelingt uns ja ein problemloser Ritt direkt zu den Azoren. Unser Furuno zeigt für den Großkreis 2.177 sm an. Dabei wird es allerdings nicht bleiben, denn wir müssen einen Bogen nach Norden fahren. Wie groß der werden wird, hängt nur vom Wind und den Drucksystemen ab. Der direkte Weg ist eher eine Theorie bzw. ein Anhaltspunkt. Alles hängt davon ab, wie weit wir ausholen müssen, um die Nordwestseite des Hochs zu erwischen, um dann nach Osten abbiegen zu können. Und wie weit später vielleicht das ein oder andere Tief nach unten reicht. Ggf. müssen wir ja auch wieder etwas nach Süden ausweichen. Mit dem Iridium GO! exec haben wir die besten Voraussetzungen, das alles rechtzeitig zu erkennen. Gestern haben wir noch einmal den Download ausprobiert und ein Test-Wetter geholt. Es funktioniert wirklich toll.
Cool ist auch, dass wir nun auch die Möglichkeit haben, offshore zu bloggen. Grundsätzlich werden wir unsere Blogs komplett mit Bildern fertig machen, dann aber »offshore« nur den Text senden. Wenn wir dann wieder INet haben, werden wir den identischen Blog noch einmal mit Bildern senden und den »Offshore-Blog« offline nehmen. So die Theorie. Auch das ist Neuland, mal sehen, ob das so praktikabel ist.
Nach unserem zweiten Gutenmorgenkaffee beginnen wir, die PINCOYA wieder endgültig seeklar zu machen. Wenn man 4 Wochen nur vor Anker gelegen hat, dann ist vieles der Ordnung nicht mehr ganz so »seefest«. Dass wir das Ausklarieren von gestern Abend auf heute Morgen verschoben haben, war keine besonders schlaue Idee. Wir sind nicht die einzigen und stehen in einer langen Schlange durch den ganzen Laden von Ile Marine.
Eigentlich sind nur 5 Pärchen vor uns, aber nicht nur das Verfahren hat so seine Tücken, auch die Fingerfertigkeiten.
Irgendwann ist es dann aber doch geschafft und wir können zurück und nun auch das Gummiboot verstauen. Doch bevor wir das machen, gehen wir noch einmal baden. Das tolle warme Wasser wird uns fehlen, auch wenn sich die Erfrischung bei 29° Wassertemperatur in Grenzen hält, aber man kann sich ja hinterher an der Verdunstungskälte erfrischen 😎.
Pünktlich um 11:00 geht’s dann los. Der Wind körselt etwas unentschlossen über die Berge von Saint Martin. Kurz sieht es danach aus, als ob wir im Osten um Anguilla herumsegeln können. Dann wird es aber doch der Westen.
Zwischen Bush Dog Island und Bush Prickly Pear West gehen wir nach Nord zurück auf den Altantik. Es ist ein gemütliches Segeln. Der wahre Wind liegt bei knapp unter 10 kn, was uns einen scheinbaren Wind von etwas über 10 kn beschert. Das ist vollkommen ausreichend für einen ersten Seetag, wir kommen ja gut und gemütlich voran. Noch segeln wir maximal Nord. Das wird sich wohl auch in den nächsten 2 Tagen kaum ändern. Aber dann sollte es peu á peu etwas mehr nach Osten gehen. Mal sehen, ob unsere Theorie aufgeht.
Um 18:30 fahren wir in unsere erste Nacht. Die Überfahrt zu den Azoren hat wirklich sanft begonnen. Tagsüber haben wir erst einmal die Beschäftigung der letzten Tage sacken lassen. Es ist gut, wenn ein langer Törn so beginnt. Auf dieses »Nichts« haben wir uns echt gefreut. Wenn das alles so weitergeht, wird es ein wunderbarer Törn.
Eigentlich hatten wir gedacht, dass mit uns noch weitere Segler aufbrechen, denn die Gelegenheit ist zurzeit wirklich günstig. Aber weit und breit ist niemand zu sehen. Weder am Horizont, noch auf AIS. Bei solchen Bedingungen allein hier draußen zu sein, ist ein Geschenk.
Um 23:59 loggen wir 59,4 sm. Das war immerhin noch ein Schnitt von 4,6 kn. Gar nicht so schlecht bei einem Wind um die 8 oder 9 kn. Im Übrigen haben wir diesmal unsere Taktik geändert und zählen die Seetage und Etmale, wie es ja auch eigentlich richtig ist, nun von 0:00 bis 23:59. Das hat nicht nur »sprachliche« Vorteile, wenn man bloggt 🧐, denn dann beginnt ein Seetag eben wirklich auch wie ein normaler Tag mit einem Sonnenaufgang und endet mit einem Sonnenuntergang. Aber rein praktisch können wir auch die Bilder und Video-Schnipsel leichter den Tagen zuordnen, denn die Timestamps von Kameras und Handys kümmern sich herzlich wenig um unsere Sichtweise 😂. Was allerdings bleibt wie bisher, ist unsere Bordzeit auf der Überfahrt. Die karibische Zeit, UTC -4, werden wir solange beibehalten, bis wir auf den Azoren sind. Die Azoren haben UTC +/- 0, wir werden also 4 Stunden »zurückfahren«.
Tag 2, Sonntag, 30.04.2023
Die Nacht vergeht ruhig. Vielleicht etwas zu ruhig. Doch der Wind reicht zum Segeln, auch wenn es nur langsam vorangeht. Allerdings haben wir zunehmend das Gefühl, dass es vielleicht doch etwas schneller gehen könnte. Dann ist da noch diese Ruderstellung. Erst dachte jeder von uns auf seiner Wache, dass der Segeltrimm nicht stimmt, aber bei so wenig Wind kann man seine Segel gar nicht so leegierig trimmen 😳. Im Kielwasser ist nichts zu sehen, aber wir haben den Verdacht, uns am Ruder etwas eingefangen zu haben. Wenn es ein Netz oder Tampen wäre, dann würde bestimmt hinten noch etwas zu sehen sein. Wahrscheinlich haben wir uns einen Bollen Sargassum eingefangen.
Das Sargassum ist in den letzten Jahren zu einem echten Problem herangewachsen. Die Überdüngung und die Erwärmung der Meere haben das Sargassum rasant wachsen lassen. Vor einer Woche war sogar ein Bericht darüber in der Tagesschau. Ein fast geschlossener Teppich zieht sich von Mexiko aus der karibischen See quer über den Atlantik bis vor die westafrikanische Küste. Viele Strände und Urlaubsgebiete sind betroffen. Wir hatten das Problem ja auf unserer Herfahrt auch schon selbst gesehen.
In der Hoffnung, dass nun unser aktuelles Problem auch wirklich ein Sargassum-Problem ist, starten wir den Motor. Objektiv betrachtet, ist es nicht die aller schlaueste Idee, den Motor zu starten, wenn man die Vermutung hat, dass etwas am Saildrive oder dem Ruder hängt. Doch ein Netz oder ein Tampen, die solche Wirkung erzielen, müssten wirklich Achteraus noch zu sehen sein. Außerdem ist es erst 6:00 und noch dämmerig und ein Offshore-Tauchgang steht nun wirklich nicht ganz oben auf der Wunschliste des Schiffsjungen.
So rollen wir die Genua ein. Das Groß darf bleiben, wo es ist, der Wind ist schwach genug, um trotzdem solche Aktionen zu fahren. Unter Motor fahren wir einen beherzten Kringel, einige scharfe Kurven, eben so scharf, wie sie unsere dicke Erna noch hinkriegt, und dann noch eine kurze Strecke rückwärts. Einige dicke Bollen Sargassum kommen unter dem Kiel hervor. Vielleicht war’s das? Aber … schwer zu sagen, denn das Sargassum ist praktisch allgegenwärtig. Aber das scheint es wirklich gewesen zu sein. Das Ruder steht wieder gerade und der Autopilot muss nicht mehr gegensteuern. Außerdem sind wir fast einen Knoten schneller, was bei unserer langsamen Geschwindigkeit schon richtig was ausmacht 👍.
In unseren Langfahrtrhythmus sind wir in der ersten Nacht schon mal ganz gut reingekommen. Aber es braucht auch, bis wir uns wieder ganz darauf eingestellt haben. So vergeht der erste Tag eher verschlafen ruhig. Das Wetter lässt uns gewähren. Insgesamt läuft es gut, mal sehen, wann es mehr nach Osten gehen kann? Der Autopilot steuert uns zwischen 45 und 50° zum scheinbaren Wind. Viel müssen wir nicht machen, dreht der Wind, drehen wir mit.
Zum Sonnenuntergang fühlt sich das Ruder dann schon wieder irgendwie »anders« an. Es ruckt merkwürdig und lässt sich nicht mehr so gleichmäßig drehen, wie wir es kennen. Diesmal machen wir Nägel mit Köpfen und bringen die GoPro am Bootshaken an den Start.
Wir nehmen die Genua weg und machen das Groß auf, um möglichst wenig Fahrt im Schiff zu haben. Es ist nicht ganz einfach, den richtigen Winkel zu treffen, um auch den richtigen Teil des Unterwasserschiffes aufzunehmen. Aber dann sehen wir den Salat. Ein kleiner Bollen Sargassum hängt am Saildrive, ein großer vorm am Ruderblatt. Also fahren wir unter Motor einen Aufschießer in den Wind und geben dann noch einmal kräftig rückwärts. Die Aktion hilft, danach ist das Ruder wieder frei und fühlt sich wieder normal an. Bisher hat uns dieses Sargassum-Zeug ja nur beim Angeln genervt, weil es ewig am Angelhaken hing, aber so etwas nervt ja richtig. Hoffentlich kommen wir bald in Regionen, wo dieses Zeug nicht mehr so vertreten ist.
Schon am Abend fahren wir in die erhoffte Winddrehung und kommen so unserem Azoren-Kurs etwas näher. Wenn es so weiterläuft, können wir gegen Mitternacht vielleicht sogar etwas abfallen. Außerdem geht es etwas schneller in die zweite Nacht als in die erste.
Weil wir gestern keinen richtigen Hunger mehr hatten, haben wir schon heute früh zum Frühstück eine Portion Chilli con Carne verputzt. Nun gibt es gleich die zweite und dann geht’s zum Tanz in den Mai 💃🕺🏻.
Um 23:59 loggen wir unser erstes Etmal mit 100,5 sm. 2.059 sm to go. Das ist nicht wirklich berauschend, aber für einen Wind unter 10 kn und unsere Sargassum-Spielchen immer noch ganz gut. Wenigstens ist das Etmal dreistellig, wenn auch knapp.
Tag 3, Montag, 01.05.2023
Gleich morgens holen wir Wetter. Der Download über den Iridium GO! exec funktioniert wirklich superschnell und reibungslos. Noch nie hatten wir so einen Wetterkomfort an Bord. Das ist der Hammer! In rund 1 1/2 Minuten laden wir ein Grib von 710 kB. ECMWF, wind, wave, pressure, 12 h interval, 5 days, 50 km resolution. Die 710 werden von Predictwind vor dem Download prognostiziert. Tatsächlich sind es in der Up- and Down-Kommunikation dann aber 942 kB. Und auf dem Mac finden sich dann sogar zwei Gribs, die zusammen 1.105 kB haben. Nun ja. Mit der App für den Iridium GO! hat man aber einen prima Überblick, wieviel Daten im Up- und Download gesendet und empfangen werden. Wenn man etwas vorsichtiger an die Download-Größe herangeht, ist man sicher gut beraten. Das kann man ja über die Kartengröße sehr gut steuern. Vielleicht holen wir zukünftig auch die Wellen einfach gesondert, wenn wir meinen, dass es heftiger wird und wir wissen möchten, was da an Wellen auf uns zukommt.
Und das Beste ist, dass unser Wetterplan für die nächsten Tage wohl aufzugehen scheint. Wir sollten das Hoch gut auf seiner Nordwestseite erwischen und dann mit ihm direkt auf Kurs Azoren gehen können. Das Hoch scheint auch kräftig genug zu sein, um uns die Tiefs aus dem Norden etwas vom Hals zu halten. Das passt so schon mal alles sehr gut.
In der Nacht schiebt sich ein langer Atlantikschwell aus dem Norden unter die Windwellen aus Südost. Der ist nicht wirklich hoch, vielleicht 1,5 bis 2,0 m, aber zusammen mit den querlaufenden Windwellen ist es etwas ruppiger geworden. Insgesamt scheinen wir aber sehr viel Glück mit dem Wetter zu haben. Zumindest soweit wir das aktuell absehen können. Auch die Mondphase haben wir zufällig richtig gut getroffen. Am Samstag sind wir mit einem dicken zunehmenden Mond gestartet und segeln nun bis Mitte Mai über einen kugelrunden Vollmond in einen abnehmenden Mond durch die Nächte. Das ist schon sehr angenehm.
Ansonsten passiert nicht viel. Die Bordroutine hat eingesetzt. Die Sonne steht im Zenit und beschert uns Energierekorde. Gestern haben wir 2,38 kWh geladen. Die Lithiums waren nicht ganz voll, denn wir hatten drei Tage hintereinander mehr als 300 Liter Wasser gemacht. Da kommt der Energie-Boost ganz gelegen. Und da nun die Batterien wieder richtig voll sind und der Laderegler abgeschaltet hat, backen wir erst einmal Brot 🍞.
Um 13:00 knacken wir die 2.000, nur noch 1.999 sm to go 😂. Da wir nun doch schon fast auf direktem Weg zu den Azoren sind, dürfen wir das auch gleich mal so schreiben. Hoffen wir mal, dass wir nicht doch noch irgendwelche Bögen nach Norden oder Süden fahren müssen und nun die Azoren direkt anhalten können.
Um 23:59 loggen wir unser zweites Etmal mit 103.5 sm. 1.957 sm to go. Zwischenzeitlich sah es besser aus, aber ab ca. 20:00 haben wir gut 1 bis 1,5 kn Gegenstrom. Hmm … der Golfstrom würde uns mitnehmen, aber der liegt weiter westlich. Hoffentlich ist das nur so ein Wirbel, der bald auch wieder aufhört, uns das Leben schwer zu machen.
Unsere Position am 01. Mai um 23:59
21° 32′ 12,0″ N, 061° 06′ 12,1″ W