Saint Martin – Açores – Tag 11 bis 12 –


Saint Martin, Karibik -> Ziel Açores; bisher: 1.166,0 sm Gesamtdistanz 2023: 4.459,9 sm

„Tag 11 und 12“

„Tag 11 und 12“


Tag 11, Dienstag, 09.05.2023
Um 5:00 loggen wir unsere 1.000ste Seemeilen. 10 1/2 Tage haben wir dafür gebraucht. Flott ist das nicht gerade. Doch inzwischen sind schon wieder die ersten portugiesischen Galeeren aufgetaucht, wir nähern uns wohl doch den Azoren 🙂. Floating terror, der englische Name beschönigt da nichts.

„Ein schöner Sonnenaufgang, hoffentlich mal ein Tag mit etwas mehr Wind.“

„Ein schöner Sonnenaufgang, hoffentlich mal ein Tag mit etwas mehr Wind.“

„Weit und breit ... nichts! Noch nicht einmal ein Lüftchen.“

„Weit und breit … nichts! Noch nicht einmal ein Lüftchen.“

Plötzlich ruft die Capitana: »Da bläst er!« Und wird von einer Sekunde zur anderen richtig zappelig, auch der Schiffsjunge springt aus der Koje und schnappt sich die Kamera. Astrid filmt schon. In etwa 150 m Entfernung schwimmt ein Wal in aller Seelenruhe in die entgegengesetzte Richtung. Er taucht nicht und schwimmt einfach mit leichten Schwüngen an der Wasseroberfläche entlang.

„Es ist ein Pottwal“

„Es ist ein Pottwal“

Ab und zu bläst er. Unglaublich! Es ist schwer zu schätzen, wie groß er ist, aber er muss wenigstens eineinhalb Mal so lang wie die PINCOYA sein. Auf den Photos kann man seine enorme Größe sehen und auch die typische Rückenflosse eines Pottwals. Das größte Tier der Erde, und wir treffen es einfach so mitten auf dem Atlantik. Was für ein Glück. Ein Moment, der einen den Atem anhalten lässt. Phantastisch!

„Immer wieder bläst er. Ohne seine Fontänen wäre er nur sehr schwer auszumachen. “

„Immer wieder bläst er. Ohne seine Fontänen wäre er nur sehr schwer auszumachen. “


Der Wind hat uns über Nacht nur mäßig vorangebracht. Mehr als die üblichen 3,5 bis 4 kn waren wieder einmal nicht drin. Nun schläft er ganz ein. Eigentlich sollte es mit 10 kn aus SW wehen, deswegen bereiten wir den Parasailor vor. Als endlich die ersten 5 kn der angekündigten 10 kn mal bei uns vorbeischauen, kommen diese aber aus Süd. Das passt für den Parasailor nicht mehr, denn wir wollen nicht zu weit nach Norden. Dort droht die Konvergenzzone zwischen dem Azorenhoch und einem Hoch vor der amerikanischen Ostküste mit Gegenwind. Das brauchen wir nun nicht auch noch. Also quälen wir uns mit Groß und Genua möglichst östlich dahin. Es ist ein zähes Geschäft und es nervt. Warum kann es nicht einfach mal laufen?

„Bordalltag ...“

„Bordalltag …“

Von unserem Satelliten-Datenvolumen haben wir erst die Hälfte verbraucht. Da schon am 17ten der neue Abrechnungszeitraum beginnt, können wir großzügiger sein. Also holen wir noch einmal Wetter, vielleicht haben die ja auch ein kleines Wunder zum Runterladen dabei.
Eigentlich sieht es ja gar nicht so schlecht aus, wenn wir nur den Wind bekommen würden, der vorhergesagt ist. Bei uns kommen aber nur 3 bis 4 kn Wind an. Nun aus Westsüdwest. Auch wenn die Richtung gar nicht so schlecht ist, es ist zu wenig! Also motoren wir wieder einmal. Irgendwo da vorn muss er ja schließlich sein. Der passende Wind. Seit Tagen behaupten die Vorhersagen, dass wir mit einem leichten Wind segeln können und dass es irgendwo dahinten sogar auch noch etwas mehr davon gibt. Das ist wie die Möhre, die der Reiter auf dem Esel dem Esel an einem langen Stock vor die Nase hält. Das funktioniert übrigens wirklich, nur blöd, dass wir der Esel sind.
Später gibt’s eine kleine Möhre für die Genua 🙄, dann wieder nichts…


Weather coaching
Wie uns anhand der Wetterinformationen der letzten Woche ein Coach von Land aus hätte effektiv führen sollen, ist uns nicht ganz klar. Wann haben auf diesem Törn in der großräumigen Vorhersage schon mal die lokalen Verhältnisse, mit denen wir uns rumschlagen müssen, gestimmt? Wie oft haben wir unsere Koordinaten eingegeben und gesagt: »Aha, dieser Wind sollte uns jetzt also um die Nase wehen.« Der Coach hätte uns aufgrund der großräumigen Vorhersagen Wegepunkte und Ratschläge gegeben, die für uns gar nicht gepasst hätten oder umsetzbar gewesen wären.

Nichts gegen großräumige Wettervorhersagen, um die zu bekommen, haben wir uns ja den Iridium GO! exec zugelegt. Um unsere Entscheidungen im Kleinen auf dem Hintergrund der Kenntnis des Großen zu fällen. Aber wie soll so etwas andersherum funktionieren? Selbst wenn ein Coach zweimal am Tag bei uns anruft und nachfragt, wie denn das Wetter da draußen so ist.

Ohne Frage passen die Wettervorhersagen großräumig schon recht gut. Aber eben nur großräumig. Doch wir kleinen Fahrtensegler sind schlicht zu langsam, um uns in dieser Großräumigkeit schnell genug bewegen zu können. Wenn Boris mit seiner Rennziege mit 20 kn dahindonnert und Etmale um die 400 oder gar mehr Seemeilen hinlegt, dann bewegt er sich in dieser Großräumigkeit, denn er braucht ja von Saint Martin zu den Azoren auch nur 5 oder 6 Tage. Wir brauchen aber schon 3 bis 4 Tage, um wenigstens eines seiner Etmale zusammenzufahren. Und nach 4 Tagen ist dort, wo Boris nach 24 h schon lange war, schon wieder alles vollkommen anders.

So kann ein Coach die Schnellen sicherlich recht gut beraten, aber den Langsamen kann er nur sagen, dass es in drei Tagen entweder so kommt oder eben anders. Das interessiert die Langsamen aber sowieso nur, wenn sie überhaupt in drei Tagen diesen Punkt erreichen. Denn da sind ja auch noch die lokalen Gegebenheiten, die sicherlich auch irgendwo in dem Vorhersagemodell zu finden sind, nur leider eben nicht dort, wo sich gerade der Langsame befindet, sondern vielleicht hundert oder zweihundert Seemeilen westlich, östlich, südlich oder nördlich – oder wo auch immer.

Als wir über Coaching vs. Iridium nachgedacht haben, haben wir das in dieser Klarheit noch nicht so gesehen. Da fiel die Entscheidung zu Gunsten des Iridium aus anderen Gründen. Gott sei Dank. Natürlich kann ein Coach Fahrtenseglern auch beratend zur Seite stehen, er kann aber kaum über das Senden von Wegepunkten aus der Fernanalyse ein »remote routing« leisten. Sicher gibt es Situationen, in denen es dennoch funktioniert, die sollte man aber lieber nicht mit zu viel deterministischen Schwung in die Waagschale werfen. Früher musste sich der Segler auf seine eigenen, lokalen Wetterbeobachtungen stützen, das geht auch heute noch nicht anders, nur heute kann er zusätzlich die Großwetterlage mit einbeziehen. Die konnte er früher nur vermuten.

Nun ja, aber vielleicht darf man ja auch nur nicht so fürchterlich knauserig sein und sollte einfach etwas mehr Geld in die Hand nehmen, um z.B. die hochauflösenden Modelle von Predictwind zu kaufen. Unterstützend dazu senkt man im Download noch die Intervallgröße und schon hat sich die Genauigkeit vervielfacht. Das stimmt aber leider nur bedingt, denn die Genauigkeit eines Modells wird ausschließlich von den Messpunkten bestimmt, die zur Berechnung des Models herangezogen werden. Also vom Input und nicht vom Output. Und da gibt es eben auf dem Atlantik nicht allzu viele Messpunkte. Während der Pandemie brach auch der Schiffsverkehr ein. Dadurch gab es noch weniger Meldestellen, was die Modelle gleich mit einer schlechteren Treffenquote quittierten. Denn auch in den hochauflösenden Modellen stecken nur die wenigen Eingangsparameter. Nur eine Vervielfachung der tatsächlichen Messpunkte würde die Genauigkeit wirklich verbessern, alles andere ist wie einen HD-Monitor kaufen, um ein VGA-Video schärfer zu sehen. Nur ein VGA-Video bleibt eben ein VGA-Video, egal wie toll der Monitor ist.


Und wie sieht’s nun gerade lokal aus?
Aktuell liegt das Meer bleiern um uns herum. Es ist wolkenlos und der fast noch volle Mond geht gerade auf. Es gibt kaum etwas Schöneres als einen aufgehenden Vollmond über dem Meer in einer wolkenlosen Nacht. Selbst die Sonne hat da so ihre Schwierigkeiten, auch wenn sie alle Farbregister zieht.
Das dunkelgelbe Licht des aufgehenden Mondes liegt wie ein Strahl auf dem glatten Wasser und der wogt mit dem Atlantikschwell gemächlich auf und ab. Unser Motor brummt derweil schon wieder, immer noch kein Segelwind. Und die Vorhersage … nun ja. Eigentlich ist es zum Heulen, aber in diesem Moment bin ich froh, dass es so ist. Denn es gibt kaum etwas Schöneres als einen gerade aufgehenden Vollmond über einem ruhigen Meer.

Um 23:59 loggen wir unser 10 Etmal mit 92,7 sm. 1.226 sm to go.


Tag 12, Mittwoch, 10.05.2023

„Ruhige Aussichten!“

„Ruhige Aussichten!“

Beginnen wir mal mit einer Überschrift …


Und irgendwann lernen auch wir diese Lektion des Fahrtensegelns!
Es hat lange gedauert, nicht nur Tage oder Wochen, sondern Jahre. Gut, um ehrlich zu sein, eigentlich unser ganzes Seglerleben.

Schon seit gestern Abend fahren wir unter Motor durch die Flaute. Der Atlantik liegt vollkommen glatt um uns herum. Manchmal kräuselt er sich etwas, aber ansonsten hebt und senkt ihn nur der alte Schwell, der Stunde um Stunde auch geringer wird. Ab und zu beflügeln Wolken unsere Hoffnung, denn in der Nähe von Wolken kann Thermik für etwas Wind sorgen. Aber auch dort, – immer wieder nichts.

„Floating terror, selbst ihr reicht der Wind nicht zum Segeln“

„Floating terror, selbst ihr reicht der Wind nicht zum Segeln“

Nicht nur einmal geht uns der Gedanke durch den Kopf, dass das, was wir gerade tun, vollkommener Blödsinn ist. Denn das Einzige, was wir gerade tun, ist unseren Tank leer zu fahren, ohne eine rationale Chance zu haben, dadurch auch nur irgendetwas zu erreichen. Irgendein Lüftchen, mit dem wir segeln könnten, ist weder in Sicht, noch haben wir bisher auch nur eine ansatzweise Windänderung durchfahren. Wir motoren stumpf durch eine Flaute, von der wir noch nicht einmal wissen, wie groß sie wirklich ist. Denn das, was uns die Vorhersagen bisher vorhergesagt haben, hat wenigstens für den Bereich, den wir überschauen konnten, kaum gestimmt.

„Schöne Flaute“

„Schöne Flaute“

Aber das Wissen um diesen Blödsinn hilft uns nicht, unsere eingefahrenen Muster zu durchbrechen. Wenn kein Wind ist, wird eben motort. Ganz extrem hat uns das mal ein Seglerpärchen an der Algarve erklärt. Wenn sie nicht wenigstens 4 Knoten fahren, werfen sie den Motor an, sonst wäre es nicht schnell genug. Und die beiden hatten eine 34er, da wird der Bereich, in dem man segelt, schon recht schnell recht klein. Nun sind wir vielleicht etwas schwachwind-toleranter, für uns liegt die Grenze bei 2 kn. Aber auch das ist hier draußen Blödsinn, denn so etwas klappt nur, wenn die nächste Tankstelle nicht weit ist.

Wir erinnern uns, dass wir vor Jahren mal einen Blog verfolgt haben, wo ein Seglerpärchen auf einer langen Überfahrt ebenfalls nicht aufhörte zu motoren und es ganz klar war, dass sie mit ihrem Dieselvorrat höchstens ein Viertel der Strecke schaffen. Damals dachten wir – Hey, hört auf zu motoren, das ist doch vollkommener Blödsinn! -. Jetzt gerade machen wir genau dasselbe, obwohl wir es eigentlich besser wissen könnten und im letzten Blog ja auch schon geschrieben haben. »Nicht wir können irgendeine Wetteränderung erreichen, die Wetteränderung muss zu uns kommen.«

Um 4:00 machen wir den Motor aus. Mitten auf dem Atlantik, weit und breit nur das unendliche Nichts. Zum Beiliegen bräuchten wir wenigstens etwas Wind. Den haben wir aber nicht und die Segel würden schlagen. Also lassen wir uns einfach treiben. Es ist gerade hell geworden, man sieht uns gut und AIS haben wir auch an. Den Kids schreiben wir schnell via Satellite eine SMS, »Alles ok, wir lassen uns nur etwas treiben, kein Wind, ganze Familie bitte informieren.« Da wir den Satelliten-Tracker immer mitlaufen lassen, haben wir den Kids erzählt, dass bei uns solange alles ok ist, solange wir uns bewegen. Auch so ein alter Trugschluss aus der alten Konditionierung.

Doch was nun? Wir gucken uns an. Wache gehen? Och nö. Also stellen wir noch den AIS-Alarm ein und gehen schlafen. Die PINCOYA liegt mitten auf dem Atlantik erstaunlich ruhig. Besser und ruhiger als in manch einer Ankerbucht. Wir schlafen tief und fest und wachen erst nach 4 Stunden wieder auf. Dann frühstücken wir und als wir überlegen, wie es weitergehen könnte, kräuselt sich das Wasser ganz leicht. Diese Fahrtenseglerlektion haben nun auch wir gelernt, so warten wir erst einmal ab. Als der Hauch dann zu einem Lüftchen wird, setzen wir die Genua. Eine Stunde später auch das Groß. Nun kann es weitergehen. Etwas grimmig denkt der Schiffsjunge, dass er sich auch schon gestern Abend um 21:00 mit der Capitana hätte hinlegen können. Aber da waren wir noch nicht soweit. Und unsere Bilanz der letzten 4 1/2 Stunden kann sich immer noch sehen lassen. 2,5 sm und das auch noch in Richtung Azoren. Wer kann sich da beschweren?

„Zwischen den Punkten haben wir uns rumgetrieben.“

„Zwischen den Punkten haben wir uns rumgetrieben.“


Der Wind pendelt sich bei 10 bis 12 kn aus Süd bis Südsüdwest ein. Wir gehen etwas höher ran und segeln in der Hoffnung, etwas Abstand zwischen uns und die nahende Konvergenzzone zu bringen, genau in Richtung Osten. Noch ist sie nordwestlich von uns, aber wir wissen ja nun, dass da schon ein Versatz von zwei hundert Seemeilen drin sein kann. Vorsicht ist das Mütterlein des Sonntagsgeschirrs. Also lieber mehr Ost.

„Hinter uns sieht es nicht schön aus. Kommt da die Konvergenzzone?“

„Hinter uns sieht es nicht schön aus. Kommt da die Konvergenzzone?“

„Vor uns sieht es besser aus.“

„Vor uns sieht es besser aus.“

„Graubrauntrüb 😂“

„Graubrauntrüb 😂“

Um 21:15 ist endlich Halbzeit. 1151 sm liegen hinter uns und noch 1151 vor uns. Das hat gedauert, aber nun ist endlich nach 11 1/2 Tagen Bergfest.

„Viel Zeit zum Lesen.“

„Viel Zeit zum Lesen.“

Um 23:59 loggen wir unser 11 Etmal mit 94,0 sm. 1.137 sm to go.

Unsere Position am 10.05. um 23:59
31° 00′ 08,6″ N, 049° 50′ 19,7″ W