Saint Martin – Açores – Tag 7 bis 10 –


Saint Martin, Karibik -> Ziel Açores; bisher: 979,3 sm Gesamtdistanz 2023: 4.273,3 sm

„Tag 7 bis 10“

„Tag 7 bis 10“


Tag 7, Freitag, 05.05.2023

„Nachtflaute.“

„Nachtflaute.“

Die Segelei verlangt einem bei diesen unsteten Bedingungen wirklich viel Geduld ab. Gegen 3:00 kollabiert der Wind. Mit 4 kn ist er nur noch ein Schatten seiner selbst. Neben uns kämpft ein Franzose genauso wie wir mit dieser willenlosen Natur. Es hilft nichts, den Rest der Nacht müssen wir motoren. Auch das Groß muss wieder runter. Der Schwell lässt die dicke Erna rollen und das Groß schlägt zuverlässig im Zehn-Sekunden-Takt. Die einzige Abwechslung bringen Querwellen, dann folgt dem ständigen Rumms-Wumms ein kurzes Innehalten, bevor es in dem bekannten 10-Sekunden-Rhythmus weitergeht.
So ein Rumms-Wumms kracht jedes Mal durch das ganze Schiff. So laut, dass an Schlaf kaum zu denken ist. Das ist schlimmer als das konstante Gebrumm des Motors, das auch nicht gerade für Entspannung sorgt. Das zerrt an den Nerven. Doch noch schlimmer sind die Belastungen im Rigg und für das Großsegel selbst. Es nervt, das Groß immer wieder runterzuholen und dann wieder setzen zu müssen. Aber anders geht es nur, wenn einem das Material egal ist und man eigentlich schon längst ein Hörgerät bräuchte. Und das Auftuchen des Groß ist schon mal gar kein Spaß, denn dazu muss der Schiffsjunge auf den Decksalon und wird immer wieder so hin und her geschubst, dass er manchmal den Baum ganz doll in den Arm nehmen muss. Das geht übrigens, seitdem wir eine Dirk haben, wesentlich besser und sicherer. Die Dirk hält mein ganzes Gewicht und der Baum schlackert bei fester Großschot nicht mehr so hin und her, wie nur mit dem Kicker, der unter dem Gewicht des Schiffsjungen ja immer gleich eingeknickt ist. Wer soll es ihm verdenken? Der Dirk ist ja mit seinem harten Dyneema-Kern ein Kerl von einem ganz anderen Kaliber. So kann der Schiffsjunge nun den Baum bedenkenlos inniglich umarmen, um nicht abgeschüttelt zu werden.

„Mal sehen, ob es damit geht.“

„Mal sehen, ob es damit geht.“

8:00. Es ist keine Besserung in Sicht. Leichter Wind aus Südwest und wir wollen nach Nordost 🙄. Das geht bei so einem Wind mit den konventionellen Segeln nicht. Also bereiten wir alles für den Parasailor vor. Wir haben wirklich nicht damit gerechnet, auf dieser Überfahrt den Parasailor zu nutzen. So braucht es etwas, bis alles fertig vorbereitet ist. Nach einer halben Stunde ist es soweit, der Parasailor steht und es kehrt Ruhe ein. Wir rasen mit den 6 bis 8 kn Wind zwar nicht dahin, aber der Parasailor fällt nicht ein und es fährt etwas.

„Er steht gerade so.“

„Er steht gerade so.“


Wie sehr wir mit dem Wind kämpfen müssen, um für uns die ein oder andere Seemeile abzuzwacken, kann man gut an unserer Etmal-Tabelle sehen. Bei durchschnittlichen 5 kn und 2.177 sm war unser hochgerechneter Ankunftstag dermaleinst der 17te Mai. Das ging in den ersten 6 Tagen dann schon hoch auf den 25ten Mai, also mal eben plus 8 Tage. Gestern lief es dann kurz mal richtig gut, was uns wieder zurück auf den 17ten schleuderte. Doch heute liegt die neue Hochrechnung schon wieder auf dem 22ten mit steigender Tendenz. Daran kann man ganz gut sehen, wie es um unser Vorankommen bestellt ist. Wir rechnen übrigens immer mit dem Durchschnitt der letzten 24 Stunden.

„Mal sehen ...😂“

„Mal sehen …😂“


Bis kurz vor Sonnenuntergang lassen wir den Parasailor oben. Ein hübscher Segeltag geht zu Ende. Nicht schnell, aber hübsch! Eigentlich sieht das Wetter gut aus und wir könnten ihn auch über Nacht stehen lassen. Doch das Wetter war bisher zu unstet und wir haben damit kein gutes Gefühl. Und im Nachhinein … Gott sei Dank mit 3 Ausrufezeichen!!! Manchmal hat man doch das richtige Bauchgefühl. In die Nacht geht es dann mit Groß und Genua. Allerdings nicht lange, dann muss das Groß schon wieder runter. Die Genua steht zwar auch nur leidlich, aber das geht so noch.


„Und schon wieder geht's in die Nacht.“

„Und schon wieder geht's in die Nacht.“

Seitdem es dunkel ist, sehen wir im Norden ein heftiges Wetterleuchten. Das sieht phantastisch aus. Ein tolles Naturschauspiel, das sich über den nördlichen Horizont erstreckt. Immer wieder leuchten lange Wolkenbänder. Mal sehr hoch, aber auch weiter unten. Die Front des Tiefs scheint sich dort gerade auszutoben.

„Mondleuchten“

„Mondleuchten“

Um 23:59 loggen wir unser 6. Etmal mit 90,4 sm. 1.573 sm to go.


Tag 8, Samstag, 06.05.2023
Es ist gerade Wachwechsel, als der Wind um 2:00 ziemlich direkt von SW auf NW dreht. Das passt. Wir setzen das Groß und gehen höher ran. Doch plötzlich geht es Schlag auf Schlag. Das Wetterleuchten ist zwar immer noch weit weg, aber es fallen die ersten Tropfen. Den Regen haben wir in der stockfinsteren Nacht nicht kommen gesehen. Der Vollmond versteckt sich hinter den Wolken. 20 Minuten später schüttet es wie aus Eimern und der Wind nimmt rapide zu. Wir reffen im Fünf-Minuten-Takt, wobei wir das zweite Reff der Genua schon mal gleich ganz weglassen. Der Wind ist schneller als wir. Am Ende segeln wir mit dem ersten Reff im Groß und der Starkwindfock und liegen immer noch ordentlich auf der Backe. 18 bis 20 kn am Wind sind mit den entsprechenden Wellen kein richtiges Vergnügen, wobei es weiterhin schüttet, also ob es dafür Preise zu gewinnen gibt. Alles ging so schnell, dass wir uns nur schnell unsere dünnen Regenjacken übergeworfen haben. Die hingen griffbereit, die Segelsachen haben wir seit Monaten nicht mehr gebraucht. Das dünne Zeugs ist ein Witz in dem wahrhaft karibischen Regen. Im Handumdrehen sind wir bis auf die Unterhosen nass. Alles trieft, unter uns bilden sich Pfützen! Gott sei Dank haben wir das Rainimi oben, so ist es direkt vor dem Niedergang noch halbwegs trocken geblieben. Die nassen Sachen werfen wir einfach auf einen Haufen im Cockpit. Nachdem wir uns erst einmal selbst wieder trocken gelegt haben, kramen wir unsere Segelsachen raus. Willkommen zurück im Norden!


Um 3:30 flaut es ebenso schnell ab, wie es zugenommen hat. Innerhalb von 15 Minuten haben wir nur noch 4 kn Wind. Für den Spaß sorgen allerdings weiterhin die Wellen, denn die bleiben bei uns. Seit gestern Abend ist auch Lise bei uns, ein Norweger. Auch er kämpft sich so voran. So wird es auch die nächsten Tage bleiben. Wir verfolgen gegenseitig unsere Segelversuche und können die Misserfolge des anderen bestens nachvollziehen. Geteiltes Leid soll ja halbes Leid sein, aber hier trifft uns beide jeweils die ganz Portion.

„Der Morgen empfängt uns sehr betrübt.“

„Der Morgen empfängt uns sehr betrübt.“

Bei 4kn bleibt uns nur zu motoren. Wir bergen die Segel. Ein Eiertanz! Um 7:00 haben wir wieder 9 kn. Also Motor aus und Segel wieder hoch. Dass dieses Spielchen unsere nächsten Tage füllen wird, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das ist vielleicht auch gut so, denn sonst wäre unsere Laune sicher direkt in den Keller gegangen. So hilft uns die Hoffnung von einer Motorphase zur nächsten Segelphase und hält uns optimistisch, wenn aus der Segelphase wieder eine Motorphase wird. Die Segelphasen sind aber immer irgendwie kröpelig. Nichts geht einfach mal so. Alles ist ein Gewürge, nur selten läuft es rund. Als ich dieses Zeilen schreibe, ist dieses Spielchen schon 48 Stunden alt und die Laune des Schiffsjungen war schon mal besser.

„Da scheint noch mehr Regen zu sein.“

„Da scheint noch mehr Regen zu sein.“

„Trocknungsversuche.“

„Trocknungsversuche.“

Bei Sonnenaufgang sehen wir das ganze Desaster! Um uns herum schwappt eine grautrübe See, die der herbstlichen Nordsee zum Verwechseln ähnlich sieht. Wo ist dieses Blau nur geblieben? Sicherlich ist die Wassertemperatur noch höher als in der Nordsee, aber die Lufttemperatur versucht das auszugleichen. Wortlos kramt die Capitana eine Fleece-Jacke hervor und stopft ihre Hotpants in den Wäschesack. Die werden erst einmal nicht mehr gebraucht ☹️. Irgendwie schade. Wir holen neues Wetter, aber die Aussichten sind ernüchternd. Das Gute ist, dass kein Schwerwetter in Sicht ist, eher im Gegenteil. Es wird schwierig werden, unter Segel voranzukommen. Und was soll ich schreiben? So ist es dann auch. Wie einfach war es, mit den Tradewinds in die Karibik zu kommen. Das Zurück ist ein ganz anderer Schnack.

„Sicher ist sicher! Gut behütet!.“

„Sicher ist sicher! Gut behütet!.“

„Grautrüb ... hmm, wie geht's weiter?“

„Grautrüb … hmm, wie geht's weiter?“


Inzwischen sind wir eine Woche unterwegs. Unterbrochen von einigen Segel- und Nichtsegelmanövern trödelt der Tag so dahin. Schlimm ist das alles nicht, nur eben auch nicht gerade besonders »zielführend«. Abends gibt es Bratkartoffeln mit Schinken. Die Karibik liegt 700 sm hinter uns, die Bermudas 600 sm in Nordwesten und die Azoren liegen 1.500 sm im Nordosten »irgendwie voraus«. Bratkartoffel im »nowhere«. Ziemlich allein! Nur Lise segelt noch in etwa 5 sm Abstand zu uns. Für diejenigen, die zuhause »auf dem Trockenen« sitzen: eine Seemeile hat etwa 1,85 km. Wenn man die Distanzen grob mal 2 nimmt, hat man eine ganz gute Idee, wo wir gerade sind und was vor bzw. schon hinter uns liegt. Oder man stellt sich einfach vor, dass Luftlinie gerade noch die Strecke Madrid-Stockholm vor uns liegt, aber nicht Spanien, Frankreich, Deutschland, Dänemark und Schweden dazwischen liegen, sondern nur Wasser. Diese unermesslichen Weiten auf dem Wasser machen einen schon ehrfürchtig. »Ehrfürchtig« ist ein großes Wort, aber wenn man so klein ist und diese Weiten erleben darf, ist das schon eine ganz passende Beschreibung.

Wir fahren in der Mitte einer Scheibe mit einem Durchmesser von 15 sm bzw. 30 km. Unter guten Bedingungen können wir in etwa 7 sm noch etwas erkennen. Das hängt natürlich davon ab, wie groß dieses Etwas ist. Lise neben uns ist gerade 4,3 sm entfernt, es ist trüb und wir können ihre Segel gerade noch so ausmachen. Nachts sind die Lichter meist besser zu sehen.

Um dies zu erleben, sind wir aufgebrochen. Natürlich auch, um zu reisen und um die Welt zu sehen. Aber diese Weite zu erleben, ist einmalig und das eigentliche Geschenk. Natürlich kann man hier draußen auch ordentlich einen auf die Mütze bekommen und es kann auch schief gehen. Aber schief gehen kann es auch, wenn man mit dem Fahrrad in Bockelmömme zum Bäcker fährt. Auf diesem Törn haben wir bisher nichts auszuhalten. Es ist ruhig und freundlich und wirklich schlechtes Wetter ist nicht absehbar. Zumindest nicht für die nächsten 3 oder 4 Tage. Was danach kommt, steht sowieso in den Sternen und wir müssen gucken, wie wir mit dem umgehen, was dann da kommt. So reisen wir gerade über das Meer, alles ist grautrüb, aus dem Lautsprechern klingt ein Cello-Konzert und wir sind glücklich.


Um 23:59 loggen wir unser 7. Etmal mit 100,5 sm. 1.478 sm to go. Mehr als 4,5 kn scheinen wir bisher nicht heraussegeln zu können. Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen und der Tatsache, dass wir auf dem windreichen Nordatlantik unterwegs sind, hatten wir uns das schon anders vorgestellt. Doch wir sitzen windtechnisch wohl gerade zwischen allen Stühlen.


Tag 9, Sonntag, 07.05.2023
Der Tag beginnt, wie der letzte geendet hat. Umlaufend nichts. Wir motoren von einer Hoffnung auf ein Segelwunder in die nächste. Die Flaute hat als karibischen Abschiedsgruß noch eine kleine Sintflut dabei. Solche Nächte sind ätzend. Von dem Vollmond, den wir eigentlich gebucht hatten, ist keine Spur zu sehen, obwohl er wohl kugelrund irgendwo hinter den Wolken noch leuchten sollte.

„Das Nichts!“

„Das Nichts!“

Aus der Vorhersage lässt sich keine Strategie herausmelken. Egal wie, wir sitzen in einem Flautengebiet, aus dem wir auch mit Motor nicht so einfach herauskommen, wenn wir die Azoren nicht ganz aus dem Auge verlieren wollen. Das Flautenloch ist einfach zu groß und erstreckt sich zudem etwas ungünstig in Richtung Nordosten. Wir brauchen eine Wetteränderung, denn wenn wir schon kein anderes Wetter erreichen können, muss die Wetteränderung zu uns kommen. Deswegen fahren wir auch unter Motor einfach stumpf in Richtung Azoren.

„Kein Wind!“

„Kein Wind!“

Inzwischen ist es ist kalt geworden. Stück für Stück kramen wir unsere warmen Sachen wieder hervor. Die Nächte verbringen wir nun wieder ausschließlich im Decksalon, die Barfußroute liegt definitiv hinter uns. Als es dämmert, finden wir uns selbst in einem glatten grauen Atlantik wieder, der uns mit seinem alten Schwell langsam hebt und senkt. Manchmal sieht es so aus, als ob jemand diesen grauen Atlantik mit Frischhaltefolie abgedeckt hat. Kein wirkliches Segelwetter, doch es sieht irgendwie gewaltig aus. Nicht bedrohlich, aber gewaltig weit.

„Azorenwetter. Das kann ja heiter werden.“

„Azorenwetter. Das kann ja heiter werden.“

Ab 10:00 können wir wieder segeln, aus der Vorhersage war das nicht zu erkennen und der Wind kam sozusagen und im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Nichts. Segeltechnisch leben wir aktuell von der Hand in den Mund. Wenn uns einige lokale Effekte etwas voranbringen, soll uns das recht sein, das großräumige Wetter hat da weniger zu bieten.


Aber nichts bleibt auch nur für 30 min, wie es ist. Bis zum Nachmittag setzen und bergen wir das Groß unzählige Male. Den Genua-Furler müssen wir schon alle 20 Minuten mit Wasser kühlen, damit er nicht von der ständigen Auf- und Abrollerei überhitzt. Auch der Schiffsjunge trägt inzwischen sein einziges Muscle-Shirt, da er ein Kreuz wie Arnold bekommen hat und die T-Shirts an den Oberarmen unangenehm spannen. Bei uns werden die Segel ja noch per Hand hochgezogen und da kommt so schnell keine Muckibude mit. Mal segeln wir backbordbug, mal steuerbordbug, mal hoch am Wind, mal raum, aber immer mit einem Wind kleiner 10 kn 🤮 . ‚Und ganz ehrlich, am nächsten Tag hat der Schiffsjunge wirklich einen Muskelkater, aber die Capitana erklärt ihm, dass das noch lange kein Grund ist, um frei zu bekommen ☹️.

Das alles nervt. Es wäre schon schön, wenn es wenigstens mal zwei Stunden so vor sich hin segeln würde, wie man es eingestellt hat. Grundsätzlich geht ja der Windpilot Ruder, da müssen wir nicht viel tun. Doch wir müssen aufpassen, dass er uns nicht zurück in die Karibik, nach Afrika oder sonst wohin steuert. Ihm ist das nämlich herzlich egal. Und wenn das alle 30 Minuten passiert und zwischendurch der Wind immer mal wieder ganz weg ist und wir in den Wellen rollen, dann hält sich der Spaß selbst bei der größten Begeisterung doch in sehr engen Grenzen.

„Das Segeln ist schwierig.“

„Das Segeln ist schwierig.“


Lise, dem Norweger, ergeht es nicht anders. Er ist inzwischen etwa 2 sm vor uns. Mit 14 m hat er ja auch das schnellere Schiff, da soll man wohl nach 36 Stunden auch in Führung liegen 😂. Für uns hat das Vorteile, wir sehen, was er macht und wissen, was auch gleich auf uns zukommen wird. Er ist sozusagen unsere Vorhut. Sicher werden wir uns in Horta treffen, dann nehmen wir auf diesen grandiosen Tag mal zusammen ein Bier!
Wenn ein Tag so läuft, kann man auch gar nichts anderes machen. Nach dem fünften Versuch, zu Bloggen oder Bilder zu machen, versucht man es kein sechstes Mal, denn gleich müssen ja die Segel eh wieder runter oder hoch oder rüber oder was auch immer.

Abends kommt etwas Wind auf. Der kommt zwar mehr oder weniger aus Richtung der Azoren, also aus ENE, aber wir können segeln. Lise scheint die Nase echt gestrichen voll zu haben und motort stumpf weiterhin gegenan in Richtung Azoren. Mehr als verständlich nach so einem Tag. Auch wenn wir nun genau nach Norden fahren, es segelt und ohne Motor ist es ruhiger. So können wir wenigstens ordentlich schlafen. Das ist nach dem Gewürge des letzten 18 Stunden ja auch schon mal was.

Um 23:59 loggen wir unser 8 Etmal mit 99,2 sm. 1.389 sm to go. Leider mehr motort als gesegelt 😩.


Tag 10, Montag, 08.05.2023
Wider Erwarten bleibt der Wind uns treu. Also Kurs Nord. Die Dämmerung offenbart, dass vor uns eine dicke schwarze und zugegeben bedrohlich aussehende Wolkenwand liegt. Ich wecke Astrid, wir bereiten uns lieber auf ein kleines Set von Unannehmlichkeiten vor. Wieviel Wind in so einer Wolkenwand steckt, ist immer schwer zu sagen. Dass viel Regen in ihr steckt, ist in diesem Fall aber offensichtlich.

„Upps, schon wieder?“

„Upps, schon wieder?“

„Diesmal gut vorbereitet.“

„Diesmal gut vorbereitet.“

Am Ende kommt es nicht wirklich dicke, dafür wir werden gründlich gespült. Nach der Regenfront geht es gleichmäßig und ruhig weiter in Richtung NNE. Auch diese Variante kommt in keiner Vorhersage vor, aber unsere Vorhersage ist auch schon zwei Tage alt. Also holen wir neues Wetter.

„Dahinten wird's schon heller!“

„Dahinten wird's schon heller!“

Mit der neuen Wettervorhersage keimt etwas Hoffnung auf. Wir sind südlich eines Hochdruckkeils, der sich nach Süden ausdehnt und von Norden durch ein Tief bedrängt wird. Die Entscheidung der letzten Nacht, nach Norden zu gehen, war richtig. In unserer alten Vorhersage konnte man die Entwicklung nicht wirklich sehen und in erster Linie sind wir ja auch nur dem aufkommenden Wind gefolgt, der ebenso nicht vorhergesagt war. Glück gehabt.

Wenn wir uns durch unser Ziel nicht zu weit nach Osten locken lassen, sollten wir im Laufe des nächsten Tages in das westliche Windfeld des Azorenhochs kommen, dass uns mit einem über Süd auf Südwest drehenden Wind in die südlichen Ausläufer eines Tiefs bringen wird. Damit könnten wir dann wieder Kurs Azoren gehen. Allerdings bildet sich westlich des Tiefs ein neues Hoch und die Konvergenzzone zwischen diesem Hoch und dem Azorenhoch könnte uns später noch etwas blöd treffen. Aber später ist eben nicht jetzt, also erst einmal Kurs Nord.

„Ein Lichtblick?“

„Ein Lichtblick?“

Der Tag entwickelt sich zu einem unserer schönsten Segeltage. Mittags erreichen wir den Hochausläufer und es wird sonnig. Gemütlich segeln wir dahin, denn aus dem ENE-Wind ist ein ESE geworden. Abwechselnd holen wir etwas Schlaf nach und machen einfach mal nichts. Die letzten zwei Tage waren nervig genug.

„Oh! Es geht auch anders!“

„Oh! Es geht auch anders!“


Miss Weisung
Da man nicht immer nur lesen, schlafen, Sudokus lösen, Bilder machen, Blogs schreiben oder essen kann, sucht man sich neue Aufgaben. Wobei das mit dem Essen noch nicht abschließend geklärt ist 🤭! Also Aufgaben, zu denen man etwas Ruhe braucht und für deren Lösung es gut ist, unterwegs zu sein, wenn man nicht immer nur hin und her geschubst wird oder ständig an den Segeln zuppeln muss.
Seit unserer Überfahrt im Januar stört uns, dass die Angaben zu COG (course over ground) und BRG (bearing), also der Peilung zu dem nächsten Wegepunkt, zwischen unserem Furuno, dem B&G Plotter und den normalen B&G Displays zu der iSailor- oder Navionics-App, aber auch zur Bad Elf oder den iPhones abweichen. Identisch waren die Angaben noch nie, aber ‚man segelt ja auch nicht wie auf Schienen und jedes System hat eine individuelle Dämpfung oder kognitive Fähigkeit, das alles auszurechnen. Doch aktuell haben wir eine Abweichung von mehr als 15°. Und eine Abweichung von 15° macht am Ende einer Strecke von 2.000 sm schon einen echten Unterschied. Da kann man nicht nur die Hafenkneipe in Horta eklatant verfehlen.

Das alles klingt schon etwas »deppenhaft«, doch die Ursache kann auch nicht in den Geräten oder der Software liegen, denn der B&G Plotter und die B&G Displays bekommen genauso wie die iPads die GPS-Daten aus derselben Quelle. Dem AIT 2000 AIS Transponder von Digital Yacht. Und in iSailor auf den iPads hat der COG dann plötzlich zwischen 15 und 18° weniger als auf den B&G Geräten. Wobei sich der Furuno auf die Seite von B&G schlägt, obwohl der gänzlich autark ist. Allerdings schlägt sich wiederum die Böse Elfe auf die Seite der iPads, obwohl auch sie autark ist. Auf der Überfahrt in die Karibik hatten wir den Unterschied der mangelnden Fähigkeit zur Großkreisnavigation der Software auf den iPads zugeschrieben, was kleinere Abweichungen erklären kann, aber nicht 15°.

Es dauert fast zwei Stunden, bis wird die Ursache bzw. den Konfigurationsparameter gefunden haben. Es ist die Missweisung. Skeptisch sind wir geworden, weil trotz all der Schaukelei der Kompass mit seinem Kurs besser zu den B&G-Geräten und dem Furuno passte, als zu den iPads und der Bösen Elfe. Und als die Capitina mit den Worten: »Es kann hier nur eine Miss Weisung geben und die bin ich!” den Parameter der Missweisung auf den B&G-Geräten von »auto« auf »manuell« setzt und dafür “0” eingibt, ist plötzlich auch der COG auf allen Geräten gleich. In dem Furuno finden wir einen entsprechenden Parameter, und schon zeigt auch er denselben COG an. Er ist zwar immer noch auf allen Geräten in Abhängigkeit der Verarbeitung und der Dämpfung etwas unterschiedlich, aber dennoch ausreichend gleich.

Warum nun das? Furuno und B&G haben die Einberechnung der Missweisung in die GPS-Daten mit einprogrammiert. Das ist auch extrem seemännisch, denn das ist das, was man auf den Papierkarten auch findet. Eben die Missweisung. Jedem Prüfer im DSV schlägt dabei das Herz eine Spur schneller, denn das ist genau das, was er seine Prüflinge fragt, die immer nur auf ihre blöden Navi-Apps starren und das Kursdreieck falsch herum anlegen. Unbekannt bleibt allerdings, ob B&G und Furuno auch zwischen magnetisch und geographisch Nord unterscheiden. Wir nehmen mal an, dass sie das wohl eher nicht machen. iPhone, iPad und die Böse Elfe haben mit so etwas gar nichts am Hut und rechnen schlicht mit den nackten GPS-Daten und dem geographisch Nord. iSailor und Navionics könnten sich als maritime Navigationssoftware dennoch darum kümmern, denn auf den meisten Schiffen findet sich ja immer noch ein Kompass, der auch im Handy-Zeitalter der erdbedingten Missweisung unterworfen ist. Das tun sie aber genauso wenig, wie sie sich um eine Großkreisnavigation scheren. So lästige Dinge wie die Missweisung werden wir erst überwinden, wenn wir im Metavers des Herrn Zuckerberg segeln. Dann brauchen wir aber auch keine Rettungsinsel mehr, sondern nur ein Notaus.
Und damit der Schiffsjunge nun nicht länger verwirrt ist, stellen wir die B&G-Geräte und den Furuno so um, dass auch ihnen die Missweisung egal ist. Es kann eben nur eine Miss Weisung geben und der Schiffsjunge hat sich zu fügen.


„Abendstimmung und ...“

„Abendstimmung und …“

„... Sonnenuntergang.“

„… Sonnenuntergang.“

Es läuft … ohne weitere Vorkommnisse loggen wir um 23:59 unser 9. Etmal mit 117,4 sm. 1.305 sm to go.

Unsere Position an Tag 10 um 23:59
29° 42′ 58,3″ N, 052° 43′ 57,6″ W