Açores -> Ireland – die letzten Seemeilen bis Kilrush –


Nachdem der Anker gefallen ist, setzen wir uns ins Cockpit und saugen in großen Zügen diese unendliche Ruhe ein. Wir fühlen uns »angekommen«. Auch wenn im Süden von uns ein Gewitter grummelt und es nicht danach aussieht, dass es noch lange trocken bleibt, fühlt sich Irland gut und entspannt an.

„In der Scarggane Bay I“

„In der Scarggane Bay I“

Die Überfahrt steckt uns in den Knochen und die Augen quietschen. Viel Schlaf haben wir in den letzten Tagen nicht bekommen, da kommt uns die richtige Zeit für ein Mittagsschläfchen ganz gelegen. Den Abend lassen wir genauso langsam ausklingen, wie die Dämmerung den Tag ausklingen lässt. So ein Sundowner fühlt sich im Vergleich zu den fast dämmerungslosen Sonnenuntergängen in der Karibik schon recht anders an.


Der halbe Sonntag vergeht dann erst einmal mit Aufräumen. Unter und auf Deck beseitigen wir die Spuren der Langfahrt und klaren auch gleich noch etwas für die nun folgende Auszeit auf. In der letzten Nacht hat es unglaublich geschüttet, so ist schon mal alles gründlich mit Süßwasser gespült worden. Wir müssen nur noch alles zusammenräumen und trocknen.
Nachmittags wollen wir in den Pub gleich in dem Dörfchen gegenüber in der Mitte der Bucht. Doch unser Gummiboot hängt vollkommen schlapp in den Gurten, es hält inzwischen seine Luft nur noch halbherzig für einen Tag. Als wir es aufpumpen, hören wir ein lang anhaltendes »Pffff…«. 😤 Eine der alten Problemstellen pfeift schon wieder aus einem neuen Loch 🙄. Ein letztes Mal dichten wir unser altes Gummiboot ab, damit unserem Pub-Besuch nicht auch noch die Luft ausgeht. Wir sind nun in Irland und ein erstes Guinness muss schon sein. Vielleicht auch Fish & Chips, aber mal sehen, was der Pub so hergibt. Und wenn wir in ein paar Tagen wieder Internet haben, dann bestellen wir gleich ein neues Dinghy und lassen es uns nach Kilrush liefern. Wir sind ja nun in der EU und da sollte das ja eigentlich alles kein Problem sein.


Dann setzen wir über und sind nach 19 Jahren das erst Mal wieder in Irland an Land. 2004 haben wir beide, als Astrid noch nicht die Capitana und ich auch noch nicht der Schiffsjunge war, als Skipper ab Dublin einen Chartertörn übernommen. Damals haben wir viel über die störrischen Gezeiten und die widerwilligen Strömungen gelernt, die sich nie auch nur ansatzweise um unsere präzisen Berechnungen geschert haben.

„Auf dem Weg zum Pub, die letzte Dienstfahrt unseres alten Dinghys?“

„Auf dem Weg zum Pub, die letzte Dienstfahrt unseres alten Dinghys?“

Mit unserem Gummiboot treffen wir nicht ganz den Parkplatz, dort wo die Straße einen Knick macht. So stolpern wir über die Uferböschung geradewegs auf ein Grundstück, dessen Grenzen allerdings nicht direkt zu erkennen sind. Hinter dem Verandafenster sitzt der Hausherr an seinem PC und winkt uns so freundlich zu, als habe er uns schon längst genau an dieser Stelle auf seinem Grundstück erwartet. Was für ein Welcome!

„In der Scarggane Bay II“

„In der Scarggane Bay II“

Der Ort ist klein, wir schauen mal hier und mal da um die Ecke, aber viel ist hier nicht wirklich zu sehen. Doch in der Mitte des Ortes finden wir den Pub. The Green Room, H.J. O’Connor. Ein Pub, der eigentlich kaum typischer sein kann. Das Pullen der beiden Guinness dauert etwas, gutes Guinness braucht eben seine Zeit. Wir sitzen draußen und lauschen. Nach und nach füllt sich der Pub. Drinnen und draußen. Die irische Pub-Culture scheint der britischen nicht ganz unähnlich zu sein. Ein Pub scheint auch in Irland eher eine gesellschaftliche Institution zu sein. Das ahnt man schon, wenn man die irischen Revierführer liest, sofern sie auch von Iren geschrieben wurden. Bevor auch nur irgendein anderes Detail erwähnt wird, gibt es erst mal eine Aufzählung, wo welcher Pub zu finden ist. Der Rest kommt später, soviel Zeit muss sein. Man sagt übrigens nicht Pub mit einem klaren »a«, sondern Pop mit einem leicht langgezogenen und tiefen »o«.

„The Green Room“

„The Green Room“

In The Green Room trifft man sich. Die Familie mit zwei Kinder und einem Baby, die ältere Dame, die gerade mit ihrem Hund eine Runde draußen war und nun natürlich noch in den Pub geht, eine Hand voll Halbstarker, ein verliebtes Pärchen, einfache Menschen und auch augenscheinlich gutbetuchte, Frauenrunden, die ebenso laut sein können wie die Männerrunden nebenan, und jede Menge normaler und unnormaler Besucher wirklich jeden Alters.

Hinter der Theke steht ein blutjunges Mädel, wahrscheinlich die Enkelin, denn kurz darauf kommt Oma mit frisch gemachten Haaren, die noch die Rundungen der Lockenwickler verraten, und übernimmt. An der Wand hängt der obligatorische Flachbildschirm mit der Fußballübertragung. Davor die Männer mit einem Pint. Die Frauen im Gespräch vertieft, auch mit einem Pint. Genau dieses Flair haben wir immer so genossen und nun sind wir wieder mittendrin. Das WiFi-Password heißt übrigens »Letshaveapint«! Da kommen keine Fragen mehr auf.

„Das erste Guinness“

„Das erste Guinness“

Das WLAN ist schnell und wir können nach 11 Tagen mal wieder einige Nachrichten lesen. Was sich allerdings auch nicht lohnt, denn geändert hat sich kaum etwas. 10 Tage vor oder zurück in der Nachrichtenlage sind ebenso unerheblich wie ein Monat.

Mit dem zweiten Guinness kämpfen wir uns durch die zum Schreien schlechten Web-Seiten von Ryanair. Ich weiß, die wollen auch nur maximal verkaufen, aber wir wollen eben nur minimal buchen. Da treffen zwei ungleiche Bedürfnisse aufeinander. Aber am Ende haben wir einen Rückflug in einer Woche. Das Maximale ist nun gefixt, aber ein drittes Guinness schaffen wir nicht mehr, sonst treffen wir auf dem Rückweg noch die PINCOYA nicht wieder.

„Abend in der Scarggane Bay“

„Abend in der Scarggane Bay“


Auf dem Weg zu »Angekommen Zwei«
Scarggane Bay -> Kilrush Distanz: 31,4 sm Gesamtdistanz 2023: 7.096,7 sm

„von der Scarggane Bay -> erst einmal in die Carrigaholt Bay“

„von der Scarggane Bay -> erst einmal in die Carrigaholt Bay“

Um genau zum Hochwasser an der Schleuse der Kilrush Marina zu sein, haben wir erst einmal etwas gerechnet. Als der Schiffsjunge als erster 12:30 als Abfahrtszeit zur Diskussion stellt, nickt die Capitana. Astrid rechnet immer etwas schneller, aber dafür sind die Brechungen des Schiffsjungen über jeden Zweifel erhaben. Theoretisch sollte uns ein leichter Südwest etwas segeln lassen und zusammen mit dem auflaufenden Hochwasser müsste es eigentlich recht recht gut voran gehen. Das alles hat natürlich auch seinen Eingang in die Berechnungen gefunden. Also 12:30, soviel steht schon mal fest.

Gezeiten können ja ebenso stressig wie beruhigend sein. Und gerade sind wir eher in einer dieser beruhigten Phasen, denn es ist 12:00, wir sind fertig und wollen nicht durch einen Frühstart das errechnete Endergebnis gefährden. So gibt’s erst einmal noch einen Tee, denn genau daher kommt auch der Ausspruch: »Abwarten und Tee trinken!«
Es war übrigens kein geringerer als Sir Earl Grey höchst persönlich, der auf einer seiner Expeditionen, um das best geeignetste Bergamotte-Öl zu finden, eben diesen Ausspruch prägte. In den deutschen Sprachschatz gelangte diese Einstellung nur wenig, einzig die Friesen haben dieses Motto bereitwillig adaptiert. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass im übrigen Deutschland eher Bier getrunken wird und das Ding mit den Gezeiten auch keine so große Rolle spielt.

Dann ist es 12:20 und die Capitana wird zappelig, aber es gelingt dem Schiffsjungen, sie mit dem Zettel seiner hoch präzisen Berechnungen noch weitere 4 Minuten hinzuhalten, denn das Manöver des Ankeraufnehmens hat er selbstverständlich auch schon mit einberechnet. Diverse Gegenargumente prasseln auf den Schiffsjungen ein, die Capitana bezweifelt allein schon die anheim gestellte Durchschnittsgeschwindigkeit von 5,5, kn. Was soll der Schiffsjunge da machen? Inzwischen ist es 12:24 und die Capitana atmet hörbar aus.

„Ankerketten-, Algen- und Tripleinen-Salat“

„Ankerketten-, Algen- und Tripleinen-Salat“

Abrupt beendet die Capitana dann um 12:26 die Diskussion und startet wortlos den Motor. Aber was heißt hier wortlos. Als der Motor brummt, sagt sie: “So und nun los!”. Worte, die keinen Widerspruch dulden. Na gut, der Schiffsjunge gibt klein bei, was sind schon 4 Minuten für eine so präzise Berechnung, diese kleine Ungenauigkeit steckt sie schon mal ganz locker weg. Doch obwohl der Schiffsjunge alles einberechnet hat, machen ihm schon auf den ersten Metern der Ankerkette, die er einholt, einige schmuddelig, schleimige Algen einen ersten Strich durch seine Berechnungen. Es dauert, das schleimige Zeug von der Kette abzupulen. Aber es kommt noch schlimmer. Die Tripleine hat sich unbemerkt mit den Algen verbündet und sich zusammen mit ihnen in einem schmadderigen und meterlangem Knäuel um die Ankerkette gewickelt. Das alles hat eine, wenn auch entfernte, Ähnlichkeit mit der längsten Kohlroulade der Welt. Nur in Halbmeterschritten geht es voran. Bäuchlings auf dem Bugspriet liegend muss nahezu jedes einzelne Kettenglied von den Algen und der Tripleine befreit werden. Wie sich die Tripleine so erfolgreich zusammen mit den Algen um die Ankerkette wickeln konnte, bleibt uns auch hinterher noch ein Rätsel.

Aber so lernen wir schon wieder eine weitere Besonderheit Irlands kennen. Neben den Goretex-Schafen gibt es nämlich auch Dyneema-Algen. Die kommen nicht nur in der Dicke von 4 mm Tampen vor, sondern auch als sogenannte irische Dyneema-Flatschenalge. Flatschenalgen sehen in etwa so aus wie diese Schlabberpilze in einem chinesischen Süßsauer, die man immer an den Rand schiebt oder versucht, in einer Servierte dezent verschwinden zu lassen, damit der Chinakoch nicht gekränkt wird. Die Algen hier sind natürlich viel größer und länger und hängen in bis zu 2 m Flatschen zigfach vertörnt um die Ankerkette herum. Sie sehen zwar schlabberig und weich aus, aber weit gefehlt, man kann sie nicht einfach so zerreißen. Man bräuchte eigentlich eine Machete, aber wer hat schon eine Machete an Bord? So wickelt der Schiffsjunge die Dyneema-Flatschenalgen zusammen mit den Dyneema-Fadenalgen und der Tripleine geduldig, – ja ja, der Schiffsjunge ist total geduldig und kein böses Wort kommt über seine Lippen – um die Ankerkette herum ab. Garniert wird das Ganze noch von pampigen Sauerkrautalgen, die zwar nicht so reißfest sind, aber zur Klumpenbildung neigen und in der Gruppe dennoch erstaunlich stark sind. Die wiederum erinnern an Szegediner Gulasch, wobei die Gulasch-Stückchen fehlen. Das ganze Zeug fühlt sich weder gut an, noch riecht es besonders appetitlich. Und kaum 45 Minuten später ist auch schon der Anker oben und der Zeitplan des Schiffsjungen unwiderruflich im …, ok solche Worte gehören nicht in einen Blog. Die Capitana rümpft etwas die Nase, als der Schiffsjunge in Luv an ihr vorbeigeht. Aber die Capitana ist auch eine der schlauesten Capitanas auf den sieben Meeren und erspart sich den kleinen, aber bösen Satz: »Hab doch gleich gesagt, wir hätten früher losfahren sollen!« Dennoch steht dieser Satz irgendwie im Raum…


„Weiter geht's ...“

„Weiter geht's …“

Kaum kommen wir aus der Scarggane Bay, fehlen an der präzise vorausberechneten Geschwindigkeit von 5 kn auch schon 1,5 kn. Das macht es nicht einfacher, die verlorenen 45 Minuten wieder einzuholen. »Einholen« bedeutet ja, Versäumtes wieder gut zu machen, was durchaus besser gelingt, wenn man schneller, aber nicht langsamer ist. Heute scheint nicht der Tag des Schiffsjungen zu sein. Die Capitana verschwindet mit der Bemerkung unter Deck, dass sie jetzt mal einen Nudelsalat vorbereitet, das allerdings nur für den Fall, wenn es heute doch länger dauern sollte, und dass man ihn, also den Nudelsalat, ja auch noch morgen essen könne.

„Lighthouse südlich der Carrigaholt Bay“

„Lighthouse südlich der Carrigaholt Bay“


„Hmmm ...“

„Hmmm …“

Alle Details würden diesen Blog sprengen, doch zum Hochwasser fällt unser Anker in der Carrigaholt Bay, etwa 8 sm westlich von Kilrush. Zu unserem Ankermanöver schüttet es, wie es nur schütten kann.

„Irisches Wetter ...“

„Irisches Wetter …“

Aber voraus über Kilrush sieht es noch schlimmer aus. Alles hat eben sein Gutes, auch diese blöden Dyneema-Algen. Und so tragen wir in das Logbuch nicht »Angekommen Zwei« ein, sondern Einskommafünf!

„Reste des Forts und der Pier von Carrigaholt“

„Reste des Forts und der Pier von Carrigaholt“


„aus der Carrigaholt Bay -> nach Kilrush“

„aus der Carrigaholt Bay -> nach Kilrush“

Nun aber, »Angekommen Zwei«
Morgens klingelt unser Wecker gegen 6:00, denn das Morgenhochwasser hat sich für 7:30 angekündigt.

„Das vorerst letzte Ankermanöver“

„Das vorerst letzte Ankermanöver“

„Kilrush voraus.“

„Kilrush voraus.“

„Nach fast 7 Monaten mal wieder »Marina-Vorbereitungen«“

„Nach fast 7 Monaten mal wieder »Marina-Vorbereitungen«“

Pünktlich und problemlos geht es nicht nur los, sondern erreichen wir auch die Schleuse vor der Kilrush Marina. Nur niemand erhört uns auf Kanal 80 und so drehen wir nicht nur einen Kringel vor der Schleuse.

„Die Fahrwassertonne Kilrush“

„Die Fahrwassertonne Kilrush“

„Schleuse voraus ...“

„Schleuse voraus …“

Ob uns am Ende irgendwer über Funk erhört hat oder jemand unseren auf und ab fahrenden Mast hinter der Schleuse gesehen hat oder die Schleuse einfach immer um 8:08 geöffnet wird, wissen wir nicht, aber um 8:08 beginnt es an dem Schleusentor zu blinken. Dann öffnet es sich und wir können einfahren. Der Rest ist »Selfservice«, denn an einem Panel muss man die nächsten Schritte selbst ausführen. »Hinten schließen« und »vorne öffnen«, die Capitana zögert etwas, doch drückt dann entschlossen die Knöpfe.

„Und sie öffnet sich doch ...“

„Und sie öffnet sich doch …“

„Selfservice in der Schleuse“

„Selfservice in der Schleuse“

„Und schon sind wir durch ...“

„Und schon sind wir durch …“

Der Rest ist ebenso einfach wie phantastisch. Schon auf den ersten Metern hinter der Schleuse sehen wir, dass wir mit dieser Marina einen Volltreffer gelandet haben. Und als wir zu Breeda ins Office kommen, kann der Empfang nicht herzlicher sein. Später kommt auch noch Simon, der Manager der Marina und Portofficer des OCC zu unserer Begrüßung. Uns werden einige Plätze gezeigt, die wir nehmen können. Und wir suchen uns einen Platz aus und wissen, dass wir hier die nächsten Wochen nicht besser liegen können. »Angekommen Zwei«, wir hätten es nicht besser treffen können.

„In Kilrush angekommen“

„In Kilrush angekommen“

„Hinter der Schleuse ist es ziemlich ruhig.“

„Hinter der Schleuse ist es ziemlich ruhig.“

„Die Kilrush Marina“

„Die Kilrush Marina“

In der Kilrush Marina
52° 38′ 03,6″ N, 009° 29′ 41,2″ W