Praia da Vitória, Terceira, Açores -> Ziel Kilrush, Ireland bisher: 619,0 sm Gesamtdistanz 2023: 6.540,3 sm
Tag 4, Sonntag, 11.06.2023
So stürmisch haben wir unseren Hochzeitstag auch noch nie begonnen 😊. Der Tag empfängt uns mit Böen bis 34 kn. Wir jagen durch die stockfinstere Nacht, den Fetzen Genua haben wir schon lange weggedreht. Der Wind dreht zuverlässig auf, wenn die nächste Regenbö über das Wasser peitscht. Die Wellen haben gut 3 m, sind aber etwas konfus, haben unterschiedliche Richtungen und laufen übereinander. Ab und zu erbricht sich eine ins Heck, wo unser Gummiboot eigentlich zusätzlich einen guten Schutz bietet. Normalerweise hängt es gut verschnürt in seinen Gurten, aber in der Nacht spülen die Wellen die Kugelfender unter dem Gummiboot außenbords, so dass es nun keine Auflagefläche mehr hat und herumschlackert. Es dauert etwas, bis wir das alles wieder gerichtet haben. Einige Wellen laufen auch mit 90° genau quer ein und krachen schäumend in die Backbordseite der dicken Erna. Dann holt sie weit über und wir rutschen von unseren Sitzen im Decksalon. Eigentlich sind wir mit rund 7 kn schnell genug für diese Wellen und der Autopilot steuert alles mit Bravur aus. Aber ein Spaß ist das wirklich nicht, jeder Gang durchs Schiff sorgt für neue blaue Flecken.
So geht es Stunde um Stunde. Wir hängen durch, an Schlaf ist kaum zu denken. Wir trotzen der Nacht die ein oder andere Minute ab und dösen vor uns hin, aber erholsam ist das auch nicht. Tagsüber sind solche Verhältnisse ja schon sch…, nachts gibt es da noch einen Nachtzuschlag. Ab und an denken wir, dass es nun abflaut. Nur noch 22 kn. Doch kurz darauf geht der Radau schon wieder von vorn los, denn wir wurden nur von einer Wolke zu nächsten durchgereicht.
Unsere 4 Mitstreiter bleiben erstaunlicherweise zusammen. Als ob man sich abgesprochen hätte. Drei davon sind deutlich größer als wir und könnten ohne Probleme viel schneller das Weite suchen. Doch alle bleiben auf einem Radius von etwa 10 sm wie auf Kommando zusammen. Das ändert sich erst wieder, als der Wind morgens tatsächlich abnimmt und es ruhiger wird.
Doch ruhiger werden ist gut, aber nachdem man stundenlang mit 27 bis 30 kn Wind durch die Nacht gejagt ist, empfindet man 22 kn tatsächlich als »ruhiger«. Gegen 5:30 legen wir uns abwechselnd mal richtig hin und holen stundenweise etwas Schlaf nach. Das war wirklich eine harte Nacht. Wohl ebenso hart wir unsere Überfahrt im letzten Jahr von Cascais auf die Kanaren, nur das damals der Mist noch länger dauerte.
Morgens holen wir neues Wetter und siehe da, wir sind tatsächlich mehr oder weniger durch. Die nächsten zwei Tage wird es noch windig bleiben, aber so viel Wind und Wellen wie in den letzten 24 h sollten wir nicht mehr bekommen. Und das Schönste ist, dass uns das Neufundlandtief wohl einen moderaten Südwest bis Süd spendieren soll, mit dem wir zackizack im Sauseschritt nach Ireland segeln können. Das sind mal richtig gute Aussichten, hoffen wir mal, dass sich auch alle daran halten.
Bis zum Nachmittag haben wir dann unser Schlafdefizit wieder etwas aufgefüllt. Als ich aus der Koje krabbele, finde ich Astrid lesend in der Sonne im Cockpit. Der Wind hat sich um die 17 kn eingependelt und auch die Richtung stimmt für uns recht gut, um fast Kurs Irland zu gehen. Etwas mehr Ost müssen wir noch machen, damit sich die nun abschwächende Westseite des Tief nicht zu sehr in uns hineindreht. So passt es mit dem Segeln wieder, wir kommen gut und vor allem gemütlich voran. Nur die Wellen brauchen wohl noch etwas, um ihr Durcheinander aufzuklaren.
Es kann kaum besser in eine Nacht gehen. Seit Stunden halten sich die konstanten 17 kn aus West, Kurs Kilrush liegt an, die Sonne scheint von einem blauen Himmel und alle Vorhersagen deuten daraufhin, dass es auch morgen, vielleicht sogar übermorgen so weitergeht. Das ist mal herrlich entspannend, auch wenn es draußen mit 18° bei 17 kn Wind eindeutig zu chillig ist. Ja und die Wellen, die konnten ihr Durcheinander leider noch nicht ganz aufklaren. Etwas kleiner und gleichmäßiger dürften sie schon sein. Für empfindliche Mägen ist das immer noch nichts.
Um 23:59 loggen wir unser 3. Etmal mit 144,0 sm. 672,0 sm to go.
Tag 5, Montag, 12.06.2023
Bis 3:00 geht’s gut durch die Nacht. Der Wind ist konstant, nimmt allerdings beständig zu. Gegen 2:00 haben wir schon mal die Genua eingerefft, nun wechseln wir bei Böen bis knapp 30 kn auf die Starkwindfock. So viel Wind sollte es eigentlich nicht geben, aber nun ja, das macht uns auch wieder richtig schnell. Letzte Nacht hatten wir immer wieder Schauerböen, nun ist es sternenklar. Wahrscheinlich ist der Wind ein letzter Gruß unseres Sturmtiefs, dass sich nun mit einem vierten Windfeld verabschiedet.
Um 5:00 beginnt es zu regnen. Es hat sich doch wieder zugezogen. Die Hoffnung verspricht einem immer eine Besserung, aber es ist dann meist doch nur die Hoffnung. Der Wind frischt mit dem Regen immer wieder auf. Im Mittel liegt er wieder bei 24 kn. Schon wieder so ein Ritt.
Es hätte auch ruhiger bleiben dürfen. Das Wetter draußen ist scheußlich, besonders die Wellen. Selten haben wir so ein Chaos um die 2,5 m gesehen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass wir dem Tiefdruckkern jetzt wirklich nahe sind. Die Wellenrichtung kann man nur grob mit 120° aus Backbord +/- 90° angeben. Die Wellen, die mehr achterlich einlaufen, sind ok, aber die, die dann stumpf von der Seite einschlagen und sich dabei häufig auch noch brechen, sind schlimm. Wir schlafen ja schon ganz unten im Schiff in der Mittelkoje, aber bei solchen Einschlägen haut es uns selbst dort auf die Seite. Mal ganz abgesehen von dem Lärm und der Wucht eines solchen Einschlags. Wir muten unserer dicken Erna schon echt was zu, aber sie läuft stoisch durch dieses Chaos.
Morgens, als es etwas auflockert und die Regenwolken meinen, nun abziehen zu können, weil sie genug Sauwetter verbreitet haben, wird es tatsächlich wieder etwas ruhiger. Wir setzen bei 15 bis 20 kn wieder die Genua. Die Wellen tun sich allerdings etwas schwer mit dem Begriff »ruhiger«. Gut verkeilt kann man im Decksalon aber prima sitzen. Und nun auch schon wieder im T-Shirt, die großen Fenster im Decksalon sind wie ein Wintergarten. Nur die Tür darf keiner offen stehen lassen 🙂, aber das ist ja in einem Wintergarten auch so. Was war das nur wieder für eine Nacht und gestern Abend sah es noch so schön nach einer ruhigen Nacht aus.
Wenn das Blauwasserblau nicht noch etwas in den Wellen durchschimmern würde, dann könnten wir auch auf der herbstlichen Nordsee sein. Kurze Auflockerungen werden von grauen Regenwolken abgelöst und der Wind treibt uns unablässig durch die ruppigen Wellen. Von einem langen Atlantikschwell ist weit und breit keine Spur, die Wellen sind kurz, steil und ruppig wie in Nord – und Ostsee. Ein schönes Segeln ist das nicht, das ist eher Abenteuer- oder Reisesegeln. Vergnügungssegeln sieht anders aus. Ohne Decksalon würden wir wohl solche Touren nicht wieder machen. Schaut man auf den Breitengrad, sind wir inzwischen auf Höhe von Galizien, aber hier draußen ist so gar nichts auch nur annähernd sommerlich, obwohl wir ja eigentlich den 12. Juni haben und nicht auf der Südhalbkugel sind.
Um 15:50 ist Halbzeit. 582 sm liegen hinter uns und nur noch 🙂 lächerliche 582 sm vor uns. Außerdem zeigen sich erste Wolkenlücken und eine letzte verwirrte portugiesische Galeere, die zugegeben etwas blaugefroren aussieht, kreuzt unseren Weg. Irland, wir kommen! Das Wetter haben wir schon, nun müssen wir nur noch ankommen 😂. Aber auch die Wellen nehmen sich nun etwas zurück, das Leben an Bord wird wieder einfacher. Grundsätzlich ist so ein Wetter ja nicht wirklich schlimm, wir segeln ja auch in eine Ecke, wo so ein Wetter Standard ist. Doch es macht eben doch einen riesigen Unterschied, ob man mit so einem Wetter auf einer Überfahrt ist und Tage lang damit umgehen muss, oder man in so einem Wetter Küstensegeln macht und sich den passenden Moment zum Segeln doch weitgehend frei aussuchen kann.
Ab und zu denken wir ja schon darüber nach, ob es nicht doch besser wäre, ein etwas größeres Schiff zu haben. Doch so eine Überfahrt legt die Latte für ein anderes Schiff schon ziemlich hoch, da bleiben am Ende nicht mehr viele Modelle über und kaum eines ist Standard von der Stange.
Nachmittags wird es sonniger. Und der Schiffsjunge denkt, dass es mal Zeit für etwas Körperpflege ist und er gleich mal mit einer Rasur beginnen könnte. Inzwischen sieht er aus wie Captain Iglo, und so ein Bart beginnt dann eben auch zu jucken. In alter Wikinger-Manier trotz er dem kalten Wind mit nacktem Oberkörper, während sein Bart über dem Atlantik Stück für Stück das Weite sucht. Doch nach der Rasur ist eins schon mal ganz klar, eine Dusche am Heck wird es heute nicht geben. Und drinnen schon mal gar nicht, weil bei der Lage, die wir schieben, das Duschwasser vor die Pantry abläuft 🙄, bevor es von der Duschpumpe außenbords befördert werden kann. Aber frisch rasiert ist ja auch schon mal was, den Rest muss das Deo richten 😳. Und plötzlich wird dem Schiffsjungen auch klar, warum die Gelbschnabelsturmtaucher seit 2 Tagen immer nur noch in Luv vorbeifliegen 😂.
Vollkommen abrupt steigt gegen 17:30 der Wind aus. Die Wellen haben sich schon gut eine Stunde vorher beruhigt. Und da es nun nur noch verhalten um uns herum schwabbelt, kochen wir uns nach 48 h mal wieder etwas Warmes. Vorher war es uns einfach zu gefährlich, mit einem Topf kochenden Nudelwasser zu hantieren und gleichzeitig die Bolognese unter Kontrolle zu halten.
Aber leider haben wir inzwischen auch einen ganz eigenen Schwachwindindikator. Unser Windmesser im Masttop steigt unter 6 bis 7 kn Wind aus. So dreht die dicke Erna beim Essen abrupt in den Wind und fährt nach Monte Gockolo.
– Ach ja, all die Elektronik, die man so käuflich erwerben kann … Es ist wohl egal, für welches System man sich entscheidet, alles scheint nicht für Dauer gemacht zu sein. Da wir mit einigen B&G Geräten ja doch recht enttäuschende Erfahrungen gemacht haben, haben wir jede Gelegenheit genutzt, auch mal andere nach ihren Erfahrungen mit B&G oder Raymarine zu fragen. Die Erfahrungen sind identisch. Wenn man sie einmal in der Konstellation zum Laufen gebracht hat, die man sich vorstellt und die auch laut Prospekt problemlos möglich sein soll, was auch schon nicht immer gelingt, dann geht es im Schnitt 3 bis 4 Jahre gut, bevor sich die Ausfälle häufen. Das ist bei den Preisen schon ärgerlich. Vielleicht ist es doch besser, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, wenn man mehr Zuverlässigkeit haben will. Aber wie es sich am Ende dann mit NKE oder Furuno verhält, wissen wir auch nicht. Allerdings liegt die Vermutung auch hier nahe, dass auch die keine Wunder in Sachen Zuverlässigkeit vollbringen. Das alles passt so überhaupt nicht zu den vollmundigen WebPages. –
Wahrscheinlich stecken wir nun direkt in dem sich auffüllenden Kern des alten Sturmtiefs. Wenn wir so um uns herumschauen, dann ziehen sich die Wolkenbänder verdächtig kreisförmig um uns herum. Da besteht Hoffnung, dass wir mit ein, zwei Stunden motoren den Wind auf der anderen Seite wiederfinden. Aber gleich holen wir noch mal Wetter und schauen, was die Modelle dazu zu sagen. Doch die Ruhe ist absolut erholsam, endlich kann man sich mal wieder etwas entspannter auf der dicken Erna bewegen.
Und tatsächlich, die neue Wettervorhersage zeigt, dass wir den Kern genau getroffen haben! Punktlandung! Und das Beste ist, auch wenn es zwischenzeitlich etwas schwachwindig werden wird, wir werden wohl ohne weitere Überraschungen zum Wochenende perfekt in Irland ankommen. Das dicke Neufundlandtief soll freundlich bleiben und uns hübsch nach Irland bringen.
Abends landet dann eine junge Schwalbe bei uns und fliegt direkt unter Deck. Der Wind muss sie verblasen haben. Wir stellen ihr etwas zu trinken hin und legen einige Brotkrumen dazu. Mit Mücken können wir leider gerade nicht dienen. Sie lässt sich bereitwillig mit der Hand fangen und wir versuchen sie in die Nähe des kleinen Wassernapfes zu setzen. Aber sie ist zu aufgeregt und so sucht sie doch das Weite. Irgendwie blöd, wir hätten sie ja mitgenommen und durchgefüttert, aber wie erklärt man das so einer Schwalbe?
Kurz vor Mitternacht können wir wieder segeln. Immerhin mit 3 bis 4 kn. Das geht aber nur, weil die Wellen sich nun wirklich beruhigt haben, sonst würden die Segel bei diesem wenigen Wind wie blöde schlagen. Doch das ist allemal besser als zu motoren. So können wir wenigstens gut schlafen.
Um 23:59 loggen wir unser 4. Etmal mit 132,7 sm. 546 sm to go.
Unsere Position am 12.06. um 23:59
45° 00′ 32,4″ N, 016° 37′ 49,8″ W