Unsere Segelsachen sind zwar schnell wieder trocken, doch bevor es nach Inishmore weitergehen kann, müssen wir noch drei Sachen erledigen. Ganz oben auf der Liste stehen die Seepocken, die auf unserer Schraube ein neues Zuhause gefunden haben. Die müssen wieder ausziehen, denn so geht das gar nicht. So steht nun eine Zwangsräumung unter Wasser an. Ganz ähnlich sieht es mit unserer Logge aus, denn die loggt auch rein gar nichts mehr. Auch die Logge werden die Pocken besiedelt haben und auch dort müssen sie wieder weg.
Aber nicht nur unter Wasser läuft es gerade nicht so gut, auch oben im Masttop dreht sich nichts mehr. Für das Anemometer der Windeinheit hatten wir vorsorglich schon zusammen mit dem Radar ein neues Lager bestellt, doch als der Windgeber in Kilrush die ganze Zeit nicht einen einzigen Aussetzer hatte, haben wir beschlossen, uns diese Arbeit erst einmal zu sparen. Die ganze Freude darüber hielt dann allerdings nur bis Loop Head und ab dort stand das Anemometer immer mal wieder still. Das mutet wie ein Luxusproblem an, denn man kann ja auch segeln, ohne ganz genau zu wissen, mit wieviel Knötchen es weht. Doch gerade auf der Kreuz und auf längeren Passagen fahren wir immer gerne mit dem Autopiloten im Windmodus, und der findet es eben nicht ganz so toll, wenn er nach einem Wind steuern soll, der mit null Knoten weht, weil das Anemometer steht.
Also ziehen wir erst einmal die Logge, um sie zu reinigen. Das geht von innen und wenn man mit dem Stopfen schnell genug ist, dann spritzt einem auch gar nicht so viel Wasser durch die Öffnung entgegen. Natürlich sitzt, wie vermutet, auch die Logge voller Pocken. Die lassen sich aber bereitwillig abkratzen und schon ist Punkt eins erledigt. Da ich nicht besonders scharf auf’s Tauchen bin, lässt sich der Tauchpunkt recht einfach auf morgen verschieben 😇. Und als es abends etwas abflaut, nehmen wir Punkt zwei in Angriff, das Anemometer. Die ganze Sache geht erstaunlich schnell. Einmal hoch, um die Windeinheit herunterzuholen. Unten ist dann das neue Lager schnell montiert und schon geht es wieder hoch, um die Windeinheit wieder dorthin zu bringen, wo sie hingehört. Alles funktioniert auf Anhieb.
Nach einer ruhigen Nacht machen wir uns dann gleich noch vor dem Frühstück für die Tauchaktion fertig. Das Wasser ist kalt und das erste Mal tauche ich mit Schuhen und Kopfhaube. In der Winterausrüstung ist die ganze Sache erstaunlich angenehm. Allerdings nur von den Temperaturen her, denn die Sicht unter Wasser beträgt gerade einmal 2 m.
Ich brauche gefühlt eine Ewigkeit, um die Schraube und auch das Ruder von tausenden und abertausenden kleinen Seepocken zu befreien. Auf der Schraube sitzen die Burschen besonders fest und am Ende komme ich erst nach fast 20 min mit blutigen und vollkommen verschrammten Händen wieder hoch. Die Mistdinger sind messerscharf und auch vom Abkratzen bleiben noch scharfkantige Reste zurück. Da müssen wir uns eine Handschuhlösung überlegen, so will ich das nicht noch einmal, zumal sich viele der kleinen Schnitte entzünden. Der Großteil der Pocken ist nun aber erst einmal ab, doch bevor wir durch den Caledonian Canal fahren, werden wir wohl dort unten noch einmal für Ordnung sorgen müssen.
Inishmore wir kommen!
Cashla Bay, Rossaveal -> Inishmore, Killeany Bay Distanz: 10,8 sm Gesamtdistanz 2023: 7.173,4 sm
Schon in der Cashla Bay merken wir, dass sich der Tauchgang gelohnt hat. Die PINCOYA beschleunigt wieder »normal«, wenn wir Gas geben. Die Schraube produziert nicht mehr nur Verwirbelungen, sondern auch wieder Vorschub. Kaum sind wir aus der Cashla Bay heraus, empfängt uns in der Galway Bay ein immer noch kräftiger Westnordwest. Das hatten wir gar nicht so vermutet. Vor Rossaveal ist es wirklich sehr schön geschützt. Nach Nordwesten ist die Galway Bay offen und entsprechend ruppig geht’s auch gleich schon wieder zur Sache. Doch es sind nur etwa 10 »halbwindige« Seemeilen bis Inishmore.
Schon bald fällt unser Anker etwas südöstlich des Mooringfeldes vor Kilronan, der Hauptstadt von Inishmore. Fünf weitere Segler liegen an den Moorings, nur einer ankert wie wir.
Mit dem Niedrigwasser am Nachmittag fallen riesige Strandbereiche trocken. »Riesig« ist da nicht übertrieben, die nächsten Tage lernen wir die Räder an unserem Gummiboot wieder richtig schätzen. Es geht erstaunlich weit flach rein, der Hinweis, dass die inneren Moorings eher nicht von Schiffen mit einem großen Tiefgang genutzt werden sollten, ist wohl berechtigt. Obwohl der Tidenhub jetzt nur noch 4 m beträgt, ist es ein langer Weg bis zu Hochwassergrenze. Es bläst immer noch kräftig aus Westnordwest, doch auf unserem Ankerplatz liegen wir wunderbar ruhig.
Entgegen der Vorhersagen beginnt der nächste Tag trüb und regnerisch. Wir lassen es ruhig angehen und stecken nur mal vorsichtig die Nase um die Sprayhood herum in den Nieselregen heraus. Als es Mittags im Westen etwas heller zu werden scheint, machen wir unser neues Gummiboot für seinem ersten echten Einsatz bereit.
Nach einer kleinen Runde durch den Hafen, um mal zu schauen, ob es nicht dort doch so etwas wie ein Dinghy Dock gibt, fahren wir doch lieber an den Strand und spielen die Vorteile der Dinghy-Räder voll aus. Es ist ein langer Weg bis zur Hochwassergrenze, aber die 8 kg, die das neue Dinghy weniger wiegt, machen sich sofort sehr angenehm bemerkbar.
Wir drehen eine Runde durch Kilronan und verkriechen uns mit dem nächsten Schauer im Aran Sweater Market. Die Aran Islands Knitwear ist weltberühmt und man kann kaum glauben, dass all das, was hier verkauft wird, wirklich lokal handgestrickt ist. Aber am allerbesten oder vielmehr erstaunlichsten sind die Mustervarianten der Clans. Wenn wir richtig gezählt haben, gibt es 302 verschiedene Clan-Strickmuster. Und da früher die Zugehörigkeit zum richtigen Clan durchaus über das Überleben oder doch ein plötzliches Ableben entscheiden konnte, liegen in der Ähnlichkeit der Muster Leid und Freud doch sehr eng beieinander. Aber ihr könnt ja mal selbst gucken -> 302 Clan-Strickmuster!
Nachdem sich der Regen verzogen hat, fordern wir unser Glück heraus und gehen zum alten Hafen, der in der Nähe es heutigen Flughafens liegt. Und unser Wagemut wird belohnt, wir bleiben trocken auch wenn zwischenzeitlich keine Gefahr besteht, einen Sonnenbrand zu bekommen. Auf diesem Spaziergang treffen wir auch den Esel, der sich abends immer so angeregt mit seinem Kumpel oben auf dem Hügel unterhält.
Der alte Hafen fällt vollkommen trocken und da wir so gegen Niedrigwasser ankommen, sind die alten Landmarken, die die Fischer bei Hochwasser durch die Felsengasse führen, gut zu sehen. Ganz offensichtlich wird der Hafen aber immer noch genutzt, denn all der Fischereikram, der auf der Pier steht, sieht nicht gerade historisch aus und macht nicht den Eindruck, dass er hier für die Touristen hingestellt wurde.
Den Abend lassen wir bei einem Pint Guinness im Pub von Kilronan ausklingen.
So erstaunlich mild und schön der gestrige Tag auch gegen alle Vorhersagen war, so scheiße ist die Nacht. Der Wind dreht am späten Abend auf Ost und in der Bucht steht im Handumdrehen ein unangenehmer Schwell. Im Morgengrauen verlassen die ersten Segler ihre Moorings, um 10:00 sind wir mit einem einzigen irischen Segler allein vor Kilronan. Die haben wohl alle noch nie auf den Kanaren geankert 😂, im Vergleich dazu ist es hier regelrecht ruhig. Es regnet noch bis Mittags, dann wird es ruhiger.
Gestern haben wir gefragt, was Leihräder kosten. Der Preis besiegt die Faulheit, denn schließlich haben wir ja Klappräder an Bord. Die spannende Frage ist nur, ob die nach 9 Monaten noch wirklich Luft auf den Reifen haben und auch neue Luft bei sich behalten können. Da es regnet, können wir das unter dem Rainimi einfach klären. Vor dem Frühstück kramen wie die Räder raus, pumpen die Reifen auf und siehe da, nach dem Frühstück beschließen wir, die gesparte Leihgebühr in Fish & Chips und Guinness umzusetzen. So kommt das auch der lokalen Inselwirtschaft zu Gute 😂.
Auf die nächste Aktion freuen wir uns schon, denn mit dem neuen und vor allem größeren Gummiboot wird das Verschiffen der Räder an Land ein Kinderspiel sein. Und so ist es auch. Die Räder kommen ins Vorschiff bzw. in das Vordinghy 😂 und wir sitzen bequem hinten. Und – ach ja … gegen 12:30 hört es auf zu regnen und im Westen wird es auch schon wieder heller.
Schnell sind die Räder aufgebaut und es geht los. Kaum tritt der Schiffsjunge in die Pedale, ruft die Capitana auch schon von hinten: »Hey, Vorsicht, andere Seite! Hier kommt die Gefahr immer von der anderen Seite und heute machen wir mit!« Stimmt, ja Mist (!), is ja Linksverkehr! Dieses Problem begleitet den Schiffsjungen dann den ganzen Tag, obwohl er phasenweise auch gute Momente hat und durchaus mal richtig abbiegt. Doch die Straßen sind ja auch eng, das fällt es einspurig gar nicht so sehr auf, auf welcher Seite man fährt 😎 🚴♀️💨 🚴♂️💨 😅.
Eigentlich ist Inishmore ja recht flach, doch wenn man erst einmal im Sattel sitzt, steilen sich die Berge schon recht unschön auf. Doch runter macht es Spaß. Unseren ersten Stopp legen wir an der Kilmurvey Bay bei Cill Mhuirbhigh ein. Und wer nun den Ortsnamen mal versucht auszusprechen, versteht, warum die Iren das Guinness erfunden haben und hier auch der Whiskey zuhause ist. Spontan beschließen wir, gleich morgen hier noch einmal unseren Anker fallenzulassen. Dabei wissen wir noch gar nicht, was für eine wundervolle Idee das nun wieder ist.
Nachdem wir uns an der Kilmurvey Bay etwas ausgeruht haben, geht es hoch zur Festung Dún Aonghasa. Etwas Eintritt kostet der ganze Spaß schon, aber in diesem Moment fällt mir ein, was Anfang Juni passiert ist und ich ja mal fragen könnte, »When is an old man not only an old man but a senior?« Die Dame hinter dem Tresen flüstert: »Sixtyfive …« Und als ich über das ganze Gesicht erstrahle und ein leises »Strike!« murmele, sagt sie freundlich: »Nine euros, 4 for the old man and 5 for the young lady.« Und so geschieht es bei Dún Aonghasa, dass sich für mich das Alter endlich einmal lohnt. Nun ja, Dún Aonghasa ist ja auch schon in die Jahre gekommen.
Die Festungsanlagen von Dún Aonghasa sind aus der Bronzezeit und wurden etwa 1.100 v. Chr. erbaut. Vieles ist (noch) ungeklärt, aber der Zeithorizont von über 3.000 Jahren ist schon atemberaubend. Ob die Anlage wirklich mal als Halbrund zum Kliff angelegt wurde oder im Laufe der Jahrtausende in Teilen abgestürzt ist, ist unklar. Das Kliff erreicht an dieser Stelle eine Höhe von rund 100 m. Es ist eine atemberaubende Küste, deren Besuch wir kurz darauf mit dem Wormhole krönen.
Das Wormhole ist eine »rechteckige Naturbadewanne« etwas südöstlich der Festungsanlage von Dún Aonghasa. Wie so etwas »natürlich« entstehen kann, ist uns ein Rätsel. Aber weil es eben wirklich etwas »übernatürlich« wirkt, heißt es eben auch Wormhole. Wobei das rechteckige Loch auf ein reptilartiges Seemonster zurückgeführt wird und deswegen auf Gälisch auch eigentlich Poll na bPéist heißt. Wieder so ein gälischer Guinness-Moment, aber »Péist« ist eben dieses Seemonster, dass auch in der irischen Folklore besungen wird. Merken kann man sich das recht gut, denn »Péist« wird wie »beischt« ausgesprochen und dass ein Seemonster beißt, liegt ja auch irgendwie auf der Hand.
Leider finden wir keinen Weg herunter an den Pool des Monsters. Aber es ist auch schon spät und wir brechen zu unserem Rückweg untenherum an der Küste entlang auf. Das führt uns am Sonnenstudio der Robben vorbei, die dort bei Niedrigwasser auf einer Sandbank liegen und sich die Sonne, sofern sie denn mal scheint, auf den Robbenpelz scheinen lassen.
Zu den Fish & Chips für die gesparte Leihgebühr kommt es dann leider nicht mehr, denn Fish & Chips ist aus und der Fischer muss morgen erst einmal neuen Fisch fangen. Chips gebe es noch, aber ohne Fish wollen wir die auch nicht. Also geht’s mit knurrenden Magen zurück auf die PINCOYA und als Alternative gibt es einen Berg Nudeln.
Zur Kilmurvey Bay
Inishmore, Killeany Bay -> Inishmore, Kilmurvey Bay Distanz: 6,5 sm Gesamtdistanz 2023: 7.179,9 sm
Am nächsten Tag strahlt die Sonne von einem sattblauen Himmel. Schnell kaufen wir noch einige frische Sachen im Sparmarkt ein und machen uns dann fertig für den kurzen Weg in die Kilmurvey Bay. Der Wind ist leider eingeschlafen und so müssen wir motoren. Doch es sind ja nur 7 Seemeilen. Schon morgen soll alles wieder ganz anders aussehen und das nächste Tief von Westen heranrücken. Doch nun haben wir einen Sommertag, wie wir ihn seit unserer Ankunft im Juni noch nicht wieder hatten.
Die Bucht von Kilronan verlassen wir als letzter Segler. Nun ist niemand mehr hier, obwohl das Wetter eigentlich doch recht gut ist. Die eine Nacht mit dem Ostwind hat alle sehr nachhaltig vertrieben. In der Kilmurvey Bay sind wir auch die einzigen. Es ist ein wunderbarer Ankerspot und dem von Kilronan bei weitem vorzuziehen. Besonders, wenn man Ausflüge nach Dún Aonghasa und zum Wormhole des Péist plant. Beides liegt in lockerer Fußwegentfernung. Allerdings gibt es hier außer Natur rein gar nichts. Das hält wohl auch viele davon ab, hier mal ihren Anker fallenzulassen.
Der Nachmittag ist einmalig und wird nur für zwei Stunden von einem durchziehenden Seenebelfeld kurz unterbrochen. Der Sundowner ist atemberaubend und vielleicht genau der Grund, warum wir mit der Karibik nicht warm geworden sind.
In der Nacht beginnt es aus West zu stürmen, es ist Zeit, dass wir uns gleich morgenfrüh verdrücken. Das nächste Tief drängelt schon.
Stationen:
06. -> 08.08. Inishmore, Killeany Bay 53° 06′ 49,3″ N, 009° 39′ 53,1″ W
09.08 Inishmore, Kilmurvey Bay 53° 08′ 04,6″ N, 009° 44′ 57,2″ W