Nun fehlen noch zwei oder drei Irland-Blogs, denn wir sind ja blog-technisch noch gar nicht dort angekommen, wo wir nun gerade nach Schottland starten. Diese Blogs werden wir aber natürlich noch »nachlegen«, doch nun geht’s erst einmal mit einem Sprung in das aktuelle Geschehen.
All unsere Kalkulationen mit Wind, Gezeiten und Strömungen von gestern scheinen heute aufzugehen. Das Ankern in der Pincher Bay direkt unter dem Fanad Head Lighthouse war ok. Etwas unsicher waren wir ja schon, aber für die Nähe der Bucht zum Atlantik war es erstaunlich ruhig und wenig rollig. Auf der anderen Seite gibt es wohl auch kaum einen hübscheren Ankerplatz im Norden von Irland, – wenn das Wetter mitspielt.
Unser Wecker klingelt früh. Vor uns liegen rund 60 sm und damit auch zwei Gezeiten. Da wir mit Niedrigwasser starten, haben wir uns ja auch für die Pincher Bay entschieden. Die Devise war, möglichst weit außen und am Eingang von Lough Swilly zu starten, damit wir schnell dem Strom des auflaufenden Wassers entkommen. Als unser Wecker klingelt, ist der Wind schon wach. Es weht aus Südost mit 12 kn. Alles wie vorhergesagt, so könnte unser Plan aufgehen.
Pincher Bay, Lough Swilly, Ireland -> Traigh Bail Aonghais Bay, Islay Island, Scotland
Distanz: 62,3 sm Gesamtdistanz 2023: 7.609,3 sm
Über Malin Head, der nördlichsten Ecke von Irland, geht die Sonne auf. Malin Head ist zwar landschaftlich recht unspektakulär, aber etwas westlich von Malin Head teilt sich der Gezeitenstrom. Ein Teil kommt oder geht aus bzw. in die irische See und der andere Teil läuft an der Westküste Irlands rauf oder runter. Ohne einen Stromatlas, den Reeds oder eben die irische WebSite eOceanics ist man hier als Segelgast schon etwas aufgeschmissen, wenn man sich fragt, wie und wann denn die Gezeiten hier nun genau laufen.
Und in dem Moment, als ich gerade schreibe, dass »all unsere Kalkulationen aufzugehen scheinen«, fallen die Segel ein, der hübsche Südost verabschiedet sich und ein kläglicher Hauch von 5 kn kommt aus Nordost. 🙄 Und nun brummt der Motor. Wenigstens regnet es nicht, die Sonne kämpft noch um die Vorherrschaft. Hmmm …
Auf den ersten Meilen war es so gut gelaufen, so hätte es ruhig weitergehen können. Denn der Morgen hatte schon mit einer herben Enttäuschung begonnen. Einer Enttäuschung, die vielleicht aber auch ihr Gutes haben könnte, wenn man es mit etwas Abstand betrachtet. Gleich viermal flog heute früh beim Ankeraufholen die Sicherung raus. Das erste Ankeraufmanöver mit neuem Motor und nun dieses Desaster. Erst vorgestern hatten wir ihn ja bekommen und auch gleich eingebaut. Er schnurrte auch spontan wie ein Kätzchen und wir waren uns danach absolut sicher, dass tatsächlich der alte und zugegeben ziemlich vergammelte Motor das Problem war. Und nun dies! Neuer Motor, altes Problem. Aber wie gesagt, das hat vielleicht auch sein Gutes, selbst wenn uns zunächst nur das Schlechte ärgert. Denn die Ursache liegt nun definitiv nicht in dem alten Motor, sondern muss wohl doch noch »irgendwo anders im System« stecken. Und da bleiben eigentlich nur noch die Kabel. Vor neun Jahren haben wir für die neue Winde auch neue 35er-Kabel eingezogen. D.h. die Kabelenden vorn sind nun auch schon fast 10 Jahre der Feuchtigkeit und vor allem dem Salzwasser im Ankerkasten ausgesetzt. Wie schlecht solche Bedingungen für Kabel sind, wissen wir ja inzwischen hinlänglich. Im Winter wollten wir eh an diese Baustelle gehen und die letzten 2 m tauschbar machen, doch nun müssen wir wohl schon früher eine temporäre Lösung finden. Es ist zum 😤.
Doch auf der anderen Seite hat es auch sein Gutes, denn der alte Motor sieht zwar vergammelt aus, aber wir können ihn über Winter wieder aufarbeiten und haben so einen Ersatzmotor. Und einige Meter 35er-Kabel kosten eben auch wesentlich weniger als ein neuer Motor.
Während ich das schreibe, kämpft die Capitana draußen mit dem Wind bzw. dem Nicht-Wind. Doch plötzlich rollt die Genua wieder raus und die Schot knatscht auf der Winsch. Astrid scheint einige Restknötchen unseres alten Südost wiedergefunden zu haben. Kurz darauf läuft es wieder in Richtung Süd-Schottland und nicht mehr zu den äußeren Hebriden. 🙂
Der Gezeitenstrom versetzt uns zunächst nach Nordwesten, aber das holen wir ab 12:00 mit dem gekenterten Tidenstrom wieder rein. Soweit unsere Theorie. Inzwischen haben wir ja gelernt, wie theoretisch Theorien sein können. Aber – ich weiß gar nicht, ob ich es vielleicht doch lieber nicht schreiben sollte, der Aberglaube nagt ja dann doch an einem – aber es läuft gerade mal wieder ganz praktisch mit unserer theoretischen Theorie. Doch psst 🤫!
Insgesamt geht es die nächsten Stunden gut voran, ein schöner Segeltag. Der Südost bläst gelassen aus der Irischen See und so haben wir kaum Atlantikschwell. Mit diesem Wind fühlt sich das Segeln hier fast wie ein Segeltag auf der Ostsee an, denn im nördlichen Ausgang der Irischen See und um die Inseln der Schottischen Westküste herum ist es relativ flach. Die Windwellen sind moderat und noch läuft der Strom nicht zu sehr gegen den Wind. Einige Winddreher veralbern uns zwar, aber der Autopilot macht da im Windmodus einfach mal mit und wir sitzen die Dreher aus. Wenn der Gezeitenstrom später wieder nach Süden setzt, können wir bei dem Südost sogar etwas abfallen, weil dann der Strom für die notwendige Höhe sorgen wird, die wir brauchen, um den Norden von Islay Island anzulaufen.
Port Ellen im Süden von Islay Island wurde uns immer wärmstens als erster Stopp auf dem Weg nach Schottland empfohlen. Das liegt für uns so aber außerhalb jeder Reichweite. Strom und Wind passen dafür einfach nicht. Und das ist auch gut so, denn der Wind steht aktuell genau auf der nach Süden offenen Bucht von Port Ellen. So haben wir uns die Traigh Bail Aonghais Bay im Nordwesten von Islay Island ausgeguckt. Abwechselnd geben wir unser Bestes bei der Aussprache dieser Bay, ob damit allerdings ein Schotte weiß, wo wir nun ankern wollen, bleibt fraglich. Das schottische Gälisch bzw. viele der Ortsnamen werden noch eine echte Herausforderung. Wir fühlen uns doch sehr an unseren Törn in Wales erinnert, auf dem wir immer erst einmal gefragt haben, wie man denn nun den Ort ausspricht, wo wir gerade angekommen waren. Die Überraschungen waren jedes Mal groß. 😂
Wir sind schnell. Auf halben Weg nach Islay Island dreht der Wind noch mal kräftig auf. Gegen 12:00 hat der Strom damit begonnen zu kentern. Wann, wo und wie genau, ist nicht immer so eindeutig und schon gar nicht an den verschiedenen Inseln und Sunden einheitlich. Aber inzwischen läuft der Strom eindeutig irgendwie gegen den Wind. Das steilt die Windwellen auf. Es wird etwas ungemütlicher. Zwischenzeitlich haben wir einen bis eineinhalb Knoten mit. Näher an Islay Island haben wir wieder eher einen Knoten gegenan. Es ist nicht immer ganz eindeutig, ob wir nun gerade geschoben oder gebremst werden. Bei 20 Knoten Wind in den Segeln rauscht es nur so. Minutenlang fahren wir immer wieder um die 7,5 kn. Dann reffen wir das Groß doch ein, fahren aber immer noch knapp 7 kn. Was für ein tolles Segeln, und bis zum Nachmittag ist es sogar sonnig. Erst wollte die Capitana noch abwarten, bis die Bö vorbei ist, dann haben wir aber doch gerefft. Die Bö war doch etwas »nachhaltiger« als gedacht. Und wir haben Sonne im Cockpit, wow, was für ein Ritt.
Im Süden zieht allerdings irgendetwas auf, doch bevor uns das erreicht, sind wir hoffentlich schon hinter Islay. Über Funk lauschen wir der irischen Wettervorhersage. Der Kerl sagt etwas von Thunderstorms, Rain and Fog. Visibility poor in rain. Hmm, das war so eigentlich nicht geplant und bei Windy haben wir davon auch nichts gesehen. Doch wenn wir so in die Runde gucken, könnte die irische Coast Guard durchaus recht haben. Das wäre jetzt wirklich nicht nötig gewesen.
Seit dem Brexit müssen EU-Segler in Großbritannien wieder einklarieren. Das sind grundsätzlich ganz ähnliche Prozeduren wie früher, bevor Europa mehr oder weniger grenzenlos wurde. Oder eben für EU-Segler in allen anderen nicht Schengen-Staaten. Aber wenigstens ohne Visum, da hätte man bei diesem Rückschritt also durchaus noch einen drauflegen können 😂.
Aus der Presse kennt nun jeder die Diskussion um die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, die nun eigentlich eine EU-Außengrenze ist, aber eben nicht wieder eine harte Grenze sein soll, weil sonst alte Konflikte wieder aufbrechen könnten. Da nicht ganz klar war, ob wir auch noch in Nordirland einreisen, haben wir im Vorfeld schon mal versucht rauszubekommen, wie wir uns als Segler nun richtig verhalten. Mit dem Auto fährt man ja einfach über die Grenze und merkt gar nichts davon. Und das sollte ja eigentlich auch so sein, wenn man mit den Schiff einreist, denn die Grenze, die zu Land nicht bemerkbar ist, sollte eben auch zu Wasser ganz ähnlich unauffällig sein. Saint Martin und Sint Marten in der Karibik sind da ja ein glänzendes Negativbeispiel.
So studieren wir die Einreiseregularien von Irland nach Nordirland. Und wenn wir dann später von Nordirland nach Schottland segeln, bleiben wir ja sogar in den Hoheitsgewässern von Großbritannien und sollten schon mal gar kein Problem haben. So die Theorie. Die Regularien sind nicht ganz einfach zu verstehen, aber wir interpretieren sie wie folgt. Ob das nun schlussendlich alles so richtig ist oder uns dann die britischen Coast Guard am Schlafittchen packt, wissen wir am Ende auch nicht 😇. Im Fall der Fälle schreiben wir dann einen Blog über unsere Erfahrungen auf der Polizeistation… 😂
Also:
Zur Einreise in UK meldet man sich per Online-Formular an. Bei der Einfahrt in UK-Gewässer setzt man die gelbe Q-Flagge, die besagt, dass man noch nicht zolltechnisch einklariert hat. Wenn man das Online-Formular nicht ausfüllen kann, muss man es ausdrucken, ausfüllen und per eMail oder Post – ja ja, mit Briefmarke und so – an den Customs schicken. Von wo und wann bleibt etwas unklar. Das Online-Formular soll man aber maximal 24 h vor der Abreise ausfüllen. Die Q-Flagge muss natürlich auch im Offline-Fall gesetzt werden. Wenn man dann da ist, trägt man im Online-Formular die genaue Ankunftszeit und -ort nach oder ruft im Offline-Fall bei der Customs-Yachtline an. Das mit dem Nachtragen der genauen Ankunftszeit und des Ortes gelingt allerdings nicht, weil wenigstens unser Formular hinterher read-only ist. Nun ja, aber man ist ja da und vielleicht sogar dort, wo man geplant hat anzukommen. Danach darf man die Q-Flagge herunter nehmen, falls einem nichts anderes auferlegt wird. Die Geschichte mit Nordirland läuft identisch, aber ohne Q-Flagge, weil es dort eben die Zollgrenze gar nicht gibt und so muss für auch den Zoll nicht mit der gelben Flagge gewedelt werden.
Also setzen wir auf halber Strecke die schottische Gastlandflagge und darunter die gelbe Q-Flagge und segeln munter weiter in Richtung Islay Island.
Die Gebiete, in denen Overfalls in der Seekarte eingetragen sind, umfahren wir lieber großzügig. Wir haben noch kein Gefühl dafür, wann die nun unangenehm werden und wann nicht. Immerhin segeln wir gerade mit rund 6 Beaufort bei maximalem Strom, da sind wir lieber etwas vorsichtiger.
Nördlich von Islay Island haben wir dann eindeutig den Gezeitenstrom gegenan. Es stockt etwas. 20 kn Wind voll und bei in den Segeln, aber nur 5 kn über Grund. Doch auch hier, mal so und mal so. Und dann doch eher mehr so als so. 🙃 Die Sache mit den Gezeitenströmen ist schon speziell. Es strömt nicht mal einfach so von Nord nach Süd oder von Hier nach Da oder umgekehrt. Jede Insel sorgt für ihre eigene Verwirbelung. Und viele Inseln tun sich auch gerne mal zusammen, um für noch mehr Spaß zu sorgen.
Die Bö, die die Capitana eigentlich aussitzen wollte, bläst uns nun schon seit drei Stunden voran. Insgesamt ist der Wind schon etwas kräftiger als vorhergesagt, aber es ist ein tolles Segeln. Sehr angenehm, wenn wir da an unsere Ritte in dem schachbrettartigen Wellenchaos an der Westküste von Irland zurückdenken. Kein Vergleich, echt ruhig!
Das mit den Thunderstorms und dem Rain bestätigt sich leider. Es zieht sich immer mehr zu. Kaum erreichen wir den Norden von Islay, grummelt es. Mit dem Radar sehen wir zwei Gewitter nördlich von uns. Die werden uns nicht belästigen, aber südlich sieht’s auch nach Regen aus. Der wird uns wohl nicht verschonen. Hoffentlich ist da nicht auch noch ein Gewitter drin.
Als wir uns der Traigh Bail Aonghais Bay nähern, sehen wir vor der kleinen Insel Nave Island immer wieder aufschäumendes Wasser. Keine richtigen Brecher, eher fast wie ein Blas von einem Wal, aber für einen Wal ist diese Ecke eigentlich zu flach. Vielleicht Basking Sharks oder irgendwelche anderen größenren Tiere. In der Seekarte ist nichts verzeichnet, wir gucken mit dem Fernglas und machen lieber einen ordentlichen Bogen. Als wir näher kommen, ist es aber eindeutig, es sind Felsen. Leider nicht verzeichnet. Wir haben inzwischen wieder Niedrigwasser. Das ist gut, at low water you can see the danger.
Die Traigh Bail Aonghais Bay ist riesig und wir haben sie ganz für uns allein. Auf einer Wiese in Ufernähe weiden mindestens hundert kohlrabenschwarze Rinder. Aus der Ferne sehen sie auf der Wiese zunächst wie kleine schwarze Käfer aus. Als wir näher kommen, sind es dann aber doch Rinder. 🙂 Sonst ist hier nichts, mal abgesehen von einer Scheune, die auf der anderen Seite des Loch Gruinneard steht, nur Natur. Und was für eine Natur! Vor uns ein endlos langer, weißer und vollkommen unberührter Sandstrand. Das ist der Oberhammer, genau solche Ankerspots lieben wir. So etwas sollte man vielleicht doch lieber in Noforeignland verschweigen 🙂. Doch hier kommen ja eh nur so wenige Segler hin, da können wir später ruhig noch etwas Reklame machen.
Kaum ist unser Anker gefallen, – runter geht es ja immer problemlos, nur beim Aufholen fängt das Theater an -, zieht von Süden eine schwarze Wolkenwand heran. Im Osten blitzt und donnert es. Zum Abend bekommen wir noch einmal ordentlich einen auf die Mütze, aber schon nach kurzer Zeit ist alles wieder vorbei und der Wind besinnt sich auf die für ihn vorhergesagten 6 kn. So kann es bleiben, eine ruhige Nacht wartet auf uns. Unsere erste schottische Ankernacht seit … ja seit 2006.
Traigh Bail Aonghais Bay, Islay Island, Scotland, UK
55° 52′ 54,0″ N, 006° 17′ 15,8″ W