Peterhead (SCO) -> Farsund (N)
Distanz: 285,2 sm Gesamtdistanz 2023: 8.203,7 sm
Im Großen und Ganzen hat unser Wetterfenster Bestand. Nachdem es am Samstagabend etwas ruhiger geworden war, sausen in der Nacht zum Sonntag noch einmal schwere Sturmböen durch den Hafen. Ab 3:00 wird es wieder ruhiger. Die Wettermeldungen von den Bohrinseln in der Nordsee zeigen zwar auch, dass das Sturmtief nach Osten abzieht, doch das macht die erste Hälfte unserer Strecke auch noch nicht gemütlicher. Obwohl es in Peterhead fast windstill ist, melden sie auch am Sonntagvormittag noch 20 bis 25 kn Wind. Das ist schon mal deutlich weniger als 35 bis 40 kn, aber immer noch eine ganze Menge. Leider gibt es von den Bohrinseln keine Angaben zu den Wellenhöhen, aber die dürften immer noch bei rund 3,0 m liegen.
Das auf die Nordsee einschwenkende Zwischenhoch bringt das erste Wetterfenster seit fast zwei Wochen, um die Überfahrt zu wagen. Und wenn man den Vorhersagen glauben darf, dann wird es auch erst einmal das einzige für die nächste Zeit bleiben. Der Jetstream hat sich verlagert bzw. verlagert sich mit »unserem« Zwischenhoch gerade. Danach gehen die Tiefs nicht mehr mit ihren Zentren direkt über Irland und Schottland nach Osten, sondern kommen weiter südlich rein. Das heißt aber auch, dass sich all die Weststürme, die bisher in so kurzer Abfolge über den Atlantik kamen, dass zwischendrin keine Zeit für eine Überfahrt nach Norwegen war, nun von Oststürmen abgelöst werden, die es gleich ganz unmöglich machen, rüberzukommen. Dieser Herbst ist wirklich schwierig.
Mit unserem Wetterfenster haben wir nur 2 1/2 Tage, um rüberzukommen. Früher als diesen Sonntagmittag konnten wir nicht starten, und bis Dienstagabend müssen wir in Norwegen sein. Der Sonntagmittag als Startzeitpunkt ist schon sportlich, eigentlich ist es schlau, nach einem Tief noch etwas abzuwarten, bis sich die See wieder beruhigt hat. Aber dazu ist keine Zeit, denn das, was danach aus Osten kommt, wird richtig schlimm und sich aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem echten Ost-Orkan auswachsen. Uns sitzt also die Zeit direkt im Nacken.
Um kurz vor 12:00 sind wir fertig. Die Suppe, die wir gestern noch gekocht haben, steht im Topf in der Spüle, ein frisches Brot ist gebacken, 6 Eier warten hartgekocht darauf, gepellt zu werden, und drei Rollen Kekse und Cracker liegen am Niedergang für den kleinen Hunger zwischendurch. Die Wettervorhersage sieht gut aus, die Wellen sollen bis Montag früh schnell auf 2,0 m abnehmen und ein konstanter Wind von 15 kn soll uns gleichmäßig nach Norwegen bringen. Zwischendrin etwas schwächer, aber noch ausreichend stark aus Nordwest. Es sieht gut aus, das einzige, was nicht so recht passt, sind die 4 kn Wind, die wir gerade in der Marina haben. Rechnet man die Abdeckung noch freundlich mit ein, sollten es eigentlich wenigstens noch 14 sein.
Wir verabschieden uns von Paul und hoffen, ihn und Iain irgendwann einmal in Edinburgh besuchen zu können. Genauso wie Niall und Joseph in Dublin. Wir haben so viele liebe Menschen hier und in Irland kennengelernt, es wäre schön, sie noch einmal zu besuchen.
Dann melden wir uns bei Peterhead Harbour zum Auslaufen an und kriegen auch gleich ein Ok. Als wir ablegen, spielt Paul auf seiner Flöte »Auld Lang Syne«. Es geht kaum sentimentaler, wir müssen noch einmal zurückkommen. Thank you, Paul!
Noch im Hafen setzen wir das Groß voll und verstauen alles seefest, bevor es aus der Einfahrt geht. Vor uns geht ein Fischer raus. Es ist immer gut, jemanden vor sich zu haben, wenn nicht ganz klar ist, wie es draußen aussieht. Der Trawler ist einer der mittleren Größe und er verschwindet nur zu einem Drittel zwischen den Wellen. So passt das. Dass es nicht ruhig und schmusig wird, ist uns klar, aber so lange der Trawler zwischen den Wellen nicht ganz abtaucht, ist es auch noch nicht wirklich schlimm. Zum zweiten sind keine Schaumkronen oder Brecher zu sehen. Wir erinnern uns an PE und unsere nächtliche Ausfahrt aus Gijón. Er fragte über Funk: »Are there breakers? If not, it’s ok.« Uns war es damals doch zu viel und deswegen haben wir vor Gijón auch abgebrochen. Doch heute sieht’s gut aus. Immerhin haben wir seitdem ja auch 15.000 Seemeilen mehr Erfahrung gesammelt.
Gleich vor der Ausfahrt versetzt uns der Gezeitenstrom mit 2 kn nach Süden. Nicht optimal, aber anders ging es mit unserem Startzeitpunkt eben auch nicht. Doch auf der anderen Seite beschert uns der Versatz auch einen spitzeren Windwinkel. Das Groß und etwas später auch die Genua stehen recht vernünftig. Unser Bug zeigt zwar nach Nordnordost, doch wir halten durch den Strom einen hübschen Ostkurs, der uns knapp im Norden an den Windrädern vor Peterhead vorbeiführt.
Die Wellen sind hoch, aber rund, da sie mit dem Strom laufen. Sie haben gut 3,5 m. Allerdings passen die anfänglichen 10 kn Wind nicht besonders gut zu diesen Wellen. So läuft der Motor als Stütze mit. Normalerweise versuchen wir ja, wenn es irgend geht, zu segeln, doch uns sitzt die Zeit im Nacken, denn unser Wetterfenster schließt sich definitiv am Dienstagabend. Das ist ein hartes Ende, das wohl auch nicht mit sich diskutieren lässt.
Etwa 6 sm vor der Küste kommt endlich Wind auf. Erst 12, etwas später 15 kn. Auch der Strom beginnt etwas später zu kentern, wodurch sich allerdings dann auch die Wellen aufsteilen. Langsam geht es auf die 20 kn Wind zu. Um uns herum sieht es ungemütlich aus, aber wir wissen ja, dass wir hinter dem Sturmtief sind. Vor 12 Stunden hat es hier noch mit mehr als 40 kn geblasen. Und der Wind hat Wellen zurückgelassen, die sich wirklich sehen lassen können.
Immer wieder schiebt uns die ein oder andere Welle ziemlich hässlich aus dem Ruder. Unser Autopilot meistert all das super, aber mit dem noch voll gesetzten Groß holen wir etwas zu sehr über.
Irgendwie ist mir nicht mehr gut 🤢, doch ich versuche es zu ignorieren.
Um nicht zu viel Segelfläche im Wind zu haben, wenn die Wellen uns aus dem Ruder schieben, nehmen wir die Genua ins zweite Reff. Der Erfolg ist mäßig, wir haben hinten zu viel, wir müssen das Groß einreffen, um den Druckpunkt für die Dreher nach vorn zu bekommen. Glücklicherweise zeigt sich das Barometer gleichbleibend. Der Barograph ist inzwischen nicht mehr nur ein Hilfsmittel, wir vertrauen schon sehr auf den Trend.
Das Reffen des Groß geht problemlos. Etwas ran und vor dem Wind einreffen. Routine.
Boah, was sind die Wellen brutal. Diesen Gedanken kann ich gerade noch zu Ende denken, das Reff ist drin, so viel Seemannschaft muss schon noch sein, dann setzt das Denken aus und … es ist Zeit, die Fische zu füttern.
Fast 8.000 sm liegen dieses Jahr schon in unserem Kielwasser und nun hat es die Nordsee geschafft. 🤮.
Die Sache erleichtert, fast fühlt man sich richtig befreit, doch dieses Gefühl währt nicht lange, denn die See ist mehr als heftig. Der Schiffsjunge droht zu einem Totalausfall zu werden. Ich erinnere mich an dieses Video des Hamburger Schlepperkapitäns. »Erst hat man Angst vorm Sterben, dann hat man Angst, nicht zu sterben.« Da wir beide ja nur bedingt seefest sind, kennen wir dieses Gefühl, auch wenn es uns schon lange nicht mehr erwischt hat. Schön ist das nicht, aber ein Zurück gibt es eben auch nicht. Es ist hart sich zusammenzureißen, besonders, wenn einem eigentlich alles egal ist.
Astrid geht es noch gut, ich kann einige kleine Auszeiten gut gebrauchen. Astrid übernimmt und versucht, mir auch noch etwas Beistand zu geben. Wir wissen es und wir kennen es, Seekrankheit formatiert den Kopf und überschreibt alles mit »scheißegal« in GROSSBUCHSTABEN. Es ist schwer, dagegen anzugehen. Auch wenn man all das kennt und weiß, es geht manchmal nicht, und selbst dann nicht, wenn man will. Seekrankheit lässt den größten Dickkopf matschig werden. Und das ist für einen ausgemachten Dickkopf schon recht ärgerlich.
Um 20:00 Uhr segeln wir unsere 30.000ste Seemeile mit der PINCOYA. Dass wir die noch dieses Jahr ersegeln, ist schon bemerkenswert, denn erst im Januar sind wir mit der 22.000sten Seemeile gestartet. Und um 22:20 kommen wir zurück in die östliche Hemisphäre, die wir im Juni 2019 verlassen haben. Highlights, die Astrid noch tapfer protokolliert, während der Schiffsjunge recht angeschlagen vor sich hindämmert.
Doch dann ist auch die Capitana dran. Gleich, nachdem der Schiffsjunge seinen 5ten Versuch unternommen hat, sich zu befreien, startet die Capitana ihren ersten. Die Wellen sind einfach maximal schlimm, um nicht schon wieder dieses Wort mit »sch« zu benutzen. 3,5 m im Mittel, mit Klopfern dazwischen, die es locker bis 4,5 m schaffen.
Der Wind nimmt zu, 25 kn im Mittel, wir müssen funktionieren. Auch wenn’s schwer fällt, wenigstens zwischendurch mal zwei klare Gedanken auf die Reihe kriegen 🤢. Links und rechts Bohrinseln und einige Versorger. Wenigstens sehen wir ihre Lichter nun in der Nacht besser. Tagsüber sind sie in dem Nordsee-Einheitsgrau viel schwerer auszumachen.
Abwechselnd machen wir das Nötigste. Das Nötigste an Navigation und auch das Nötigste zum Segeln. Von dem Nordwest oder wenigstens einem Westnordwest ist keine Spur mehr zu sehen. Wir haben inzwischen einen glatten West, wenn nicht sogar Westsüdwest. So muss die Genua weg, doch der Wind reicht auch nur für’s Groß. In solchen Wellen und vor dem Wind ist das bei uns eh die einzige Beseglung, die funktioniert. Viele fahren dann ja nur mit Genua, wir haben es noch nie hinbekommen, dass die Genua unausgebaumt in solchen Wellen auch nur halbwegs steht. Und ein Ausbaumen bei Nacht und in diesem Bedingungen ist auch schon ohne Seekrankheit ein Himmelfahrtskommando.
Nur mit Groß ist Ruhe im Schiff, was natürlich relativ gemeint ist. Der Autopilot ist unser Held, er steuert die PINCOYA unermüdlich durch die Wellen. Und unsere dicke Erna nimmt auch harte Einschläge vollkommen gelassen hin, lässt sich vom Autopiloten zurück auf Kurs steuern und zieht weiter durch die Nacht. Die Crew ist wieder einmal das schwächste Glied in der Kette 🥺. Aber wir müssen ja »nur« gucken, um einen Weg durch all die Bohrinseln zu finden. Zwischendurch können wir immer mal wieder für 10 Minuten abschalten und durchatmen. Dann wieder konzentrieren. Das ist nicht einfach, aber abwechselnd geht es. Mal reißt sich der eine, mal die andere zusammen. Spaß geht irgendwie anders. Aber was hilft’s, es gibt keine Alternative.
Um 24:00 haben wir 64 sm geschafft, nur noch 220 sm liegen vor uns. Humor ist, wenn man trotzdem lacht …
Irgendwann kurz nach Mitternacht schläft der Wind innerhalb von 20 Minuten ein. Doch die Wellen bleiben, damit uns der Spaß am Segeln nicht vergeht. 10 kn Wind passen nicht zu diesen Wellen. Also geht es unter Motor weiter. Das Groß lassen wir oben. Vielleicht rollen wir ja dadurch etwas weniger. Das ist wenigstens die Hoffnung, was allerdings auf unserem Vorwindkurs auch nur eine Hoffnung bleibt. Da das Groß erbärmlich schlägt, machen wir es ganz auf und fixieren es mit dem Bullenstander. So etwas wie den Bullenstander haben wir natürlich immer fest angeschlagen, so müssen wir auch dafür nicht aus dem Cockpit. Zusätzlich fahren wir den Traveller ganz herüber, so dass der Winkel der Großschot zum Baum steiler wird. Das alles zusammen wirkt erstaunlich gut, denn wir rollen ja quer. So schlägt das Groß kaum noch und wir können es guten Gewissens und vor allem ohne Angst vor Schäden oben lassen.
Bis zum Morgengrauen ändert sich kaum etwas. 6 bis 10 kn Wind sind nichts, mit dem man in diesen Wellen vorankommen könnte. Wir haben inzwischen zig Bohrinseln und Versorger passiert. In der Karte sind Gebiete eingezeichnet, die man meiden soll, weil dort Gasaustritte beobachtet wurden. Wahrscheinlich Nebenwirkungen dieser intensiven Ausbeutung der Gas- und Ölfelder. Vielleicht auch aus undichten Pipelines, die hier wie ein Spinnennetz auf dem Meeresboden liegen. Selbst wenn irgendwann der Schwenk auf alternative Energien gelingen sollte, wird wohl kaum jemand all diesen Schrott von der Ausbeutung der fossilen Brennstoffe wieder wegräumen. Die Bohrinseln wird man sicher noch abwracken, doch der Rest wird wohl einfach liegen bleiben. Ist ja auch einfacher, sieht ja keiner.
Um 4:00 haben wir übrigens unsere 8.000ste Seemeile in diesem Jahr in unserem Kielwasser gelassen. Ein Rekord, den wir wohl so schnell nicht wieder toppen werden.
Mit der Dämmerung bemerken wir, dass wir beginnen, uns ganz langsam wieder einzukriegen. Wenn man seekrank ist und zurück an Land kommt, ist alles nach einer Viertelstunde vergessen. Bei dem nicht enden wollenden Geschaukel ist es eher ein Prozess von vielen Stunden. Wenn es denn überhaupt gelingt. Aber wir mussten uns schon immer einschwingen, wenn es wieder auf’s Wasser ging, deswegen sind wir zuversichtlich, dass es nun auch Stück für Stück wieder besser wird.
Der Motor läuft insgesamt seit 12 h. Ein Negativrekord, den wir hoffentlich auch nicht so schnell wieder brechen werden. Gegen 13:00 haben wir dann zärtliche 15 kn von achtern. Es ist eher ein Westsüdwest ohne Aussicht auf eine Spur Nord. Die Wellen sind über den Vormittag etwas geringer geworden. Um auch die Genua hinzunehmen zu können, gehen wir etwas weiter nördlich. Noch nicht ganz Kurs Stavanger, aber so fährt’s schon mal ohne Motor. Es ist ein Eiertanz und ein Spiel knapp an der Grenze, an der die Genua gerade noch so steht. Der Autopilot steuert nun nach dem Wind. Das ist unsere Standardeinstellung auf Langschlägen, so muss man nur ab und zu mal gucken, ob der Kurs noch halbwegs stimmt, aber sich nicht ständig um die Segel kümmern. Eigentlich wäre der Parasailor das richtige Segel für diesen Wind, aber diese Idee verwerfen wir lieber mal ganz schnell wieder. Zu solchen Spielchen fehlt uns gerade doch irgendwie noch der Antrieb.
Je weiter wir herüber nach Norwegen kommen, desto geringer werden die Auswirkungen der Gezeitenströme. Ganz langsam kehrt wieder etwas Routine ein und auch der ein oder andere Salzcracker verschwindet, während wir zu unseren Mägen herunterhorchen, wie die denn nun diese Fütterung finden. Insgesamt geht es aber wieder, obwohl der Kopf irgendwie matschig bleibt und ein Nach-unten-gucken sofort ungute Erinnerungen wachruft.
Insgesamt liegen wir hinter unserem Zeitplan, wir hatten konstanteren Wind erwartet, der uns schneller und vor allem auch einfacher und direkter in den Süden von Norwegen bringt. Ab Mittag geht es eigentlich, aber ab dem späten Nachmittag raubt uns wieder ein leichter Gegenstrom etwas Fahrt. Uns fehlt ein ganzer Knoten an der Durchschnittsgeschwindigkeit, die wir eigentlich veranschlagt hatten und die wir so dringend brauchen. Wir hatten sehr gehofft, noch weiter im Süden von Norwegen ums Eck zu kommen, aber nun sieht es sogar danach aus, dass wir Farsund morgen noch nicht mal mehr im Hellen schaffen. Das ist einerseits blöd wegen der Dunkelheit, denn im Dunkeln die norwegische Küste anzulaufen, ist schon doof. Und andererseits soll der Wind in der Nacht zum Mittwoch schon auf Ost drehen, was uns etwas ungelegen käme.
So werfen wir um 17:00 noch einmal schweren Herzens den Motor an. Wir müssen noch einmal 3 Stunden etwas nachhelfen, dann sollte der Strom auch wieder kentern. Diese elende Motorfahrerei ist eigentlich nicht unser Ding, doch die Zeit drängt.
Ab 20:00 ist dann Nachtruhe, wir stellen den Motor aus. Das ist unser Kompromiss. Durch die Nacht segeln wir dann so, wie es eben geht, sofern der Wind nicht zu sehr schwächelt.
Uns geht es inzwischen wieder gut, nicht richtig gut und unbeschwert, aber gut. Da bringt etwas Nachtruhe bestimmt auch das letzte Stückchen Erholung. Wir beginnen mit unserer normalen Nachtwachenroutine. Alle drei Stunden wird gewechselt und Ching-Chang-Chong entscheidet heute, dass der Schiffsjunge beginnt.
Die Nacht ist ruhig. Die Wellen gehen noch etwas zurück und bremsen uns nicht mehr so aus. Es läuft. Nicht überragend schnell, aber gut genug. Wenn es dämmert, können wir immer noch überlegen, wie wir beschleunigen. Nun brauchen wir erst einmal etwas Erholung.
Dass wir noch ein anderes Ziel als Farsund erreichen, können wir uns abschminken. Farsund ist maximal, und im Hellen wäre ein Traum.
Da ich begonnen habe, hat Astrid die letzte Wache von 5:00 bis 8:00. Um 7:00 höre ich englisches Geplapper, kriege es aber nicht so recht auf die Reihe. Kurz darauf guckt Astrid um die Ecke in die Mittelkoje und sagt: »Die norwegische Coast Guard sagt etwas von “near gale warning”. Wir sollten mal überlegen, was wir machen.« Dass es irgendwie ruppiger geworden ist, hatte ich schon im Halbschlaf mitbekommen. Es sind noch 45 sm bis zur Ansteuerung von Farsund. Die Nacht sind wir nur mit Groß vor dem Wind etwas südlicher gesegelt. Nun könnten wir etwas höher rangehen, um auch die Genua dazuzunehmen. Wenn wir es schaffen, die 45 sm mit einem Schnitt von 6 kn zu segeln, könnten wir gegen 16:00 an der Ansteuerung sein. D.h. wir würden geradeso noch im Hellen ankommen.
Der Wind liegt inzwischen wieder bei 20 kn, aber leider genau aus West. Also gehen wir erst etwas weiter nördlich ran, um dann zu schiften und wieder etwas weiter südlich zu gehen. Aus der »near gale warning« wird am Vormittag eine »gale warning«, die die Coast Guard zu unserer Beruhigung stündlich wiederholt. Die Wellen nehmen schnell auf 3 m zu, der Wind pendelt sich etwas über 20 kn ein, aber die Böen bleiben wenigstens unter 30 kn.
Es wird zusehends ruppiger. Vor Norwegen läuft der Hauptstrom nach Norden, doch leider wollen die Wellen in die andere Richtung. Und es sind wirklich hohe Sets dazwischen. Wenn man Wellenhöhen schätzt, schießt man ja doch leicht über das Ziel hinaus, doch was sich da ab und an hinter uns aufsteilt, hat deutlich mehr als 3 m.
Wenn man aus einem Wellental dort hinaufschaut, kann einem schon etwas anders werden. Aber unsere dicke Erna meistert sie alle mit Bravour. Drei- oder viermal bricht einer dieser Wellenberge in unser Gummiboot hinein, das wir ja vor dem Heck quer hochgezogen fahren. Ein guter Schutz, auch wenn es die Kugelfender, auf denen das Gummiboot aufliegt, nach oben spült und wir sie wieder runterstoßen müssen.
Wir sind schnell, teilweise zu schnell. Mit 8,5 kn eine Welle herunterzusurfen, macht kein gutes Gefühl, da immer die Gefahr besteht querzuschlagen. Deswegen reffen wir zeitig das Groß ein und drehen dann auch noch die Genua bis ins dritte Reff. Die Starkwindfock wäre auf einem anderen Kurs die richtige Wahl, nur vor dem Wind funktioniert sie nicht auf der Selbstwendeschiene. Wir müssten Schoten anschlagen, damit wir sie offener fahren können, aber wer will so etwas schon unter solchen Bedingungen machen?
Durch den Gegenstrom brechen sich die Wellen recht merkwürdig. Oft sieht es fast so aus, als ob sie nach hinten kippen, meist schäumt es auf ihren Wellenrückseiten. Das ist auch gut so, denn so treffen uns nur wenige echte Brecher.
Die Anfahrt von Farsund macht uns etwas Sorgen. Vor Norwegens Küste wird es noch einmal richtig tief, um dann kurz vor der Einfahrt nach Farsund von 350 m auf weniger als 50 m zu verspringen. Wir sind uns nicht ganz sicher, was für Wellen uns dort erwarten. Aber egal wie, irgendwie müssen wir dort durch. Der Bereich, für den explizit vor »dangerous waves« gewarnt wird, liegt etwas weiter im Norden. Für den Bereich der Anfahrt gibt es keine besonderen Hinweise.
Zwei Stunden vor der Anfahrt sehen wir die ersten 30er Böen und der Wind pendelt sich um die 25 kn ein. Irgendwie haben wir echt Pech. Auf der anderen Seite haben wir in den letzten Stunden tatsächlich einen Schnitt von 6,7 kn hingelegt. Wir werden Farsund im Hellen schaffen. Immer wieder ziehen Regenschauer durch und lassen den Leuchtturm Søndre Katland verschwinden. Auf der andere Seite kommt auch mal die Sonne kurz raus und lässt den weißen Turm strahlend hell aufblitzen. Wir sehen früh, wo wir rein müssen. Und vor uns sieht es gut aus.
Die Wellen nehmen entgegen unserer Erwartung einfach so peu á peu ab. Was man von dem Wind allerdings nicht sagen kann. Aber brutale Windböen sind ja nicht so schlimm wie brutale Wellen. Statt Farsund direkt anzulaufen, wollen wir in die westliche Bucht Vågen. Wir brauchen vor Anker erst einmal eine kleine Pause. Vielleicht werden wir dort auch den Sturm abwettern, aber erst einmal wollen wir dort alles in Augenschein nehmen.
Auf Höhe des Leuchtturms und natürlich gerade, als wir das Groß bergen, hacken noch einmal einige 30er Böen auf uns ein. Doch es ist wie ein kleines Wunder, kaum sind wir auf Höhe der schmalen Einfahrt bei Litle Eigeroy, ist der Wind wie ausgeschaltet. Hinter uns sehen wir noch die weißen Schaumkrönchen und vor uns herrscht Windstille. Wie kann so etwas sein? Es ist unglaublich.
Und Norwegen ist wie immer ein Traum. Nach der Überfahrt fahren wir wie paralysiert durch die engen Fahrwasser. Spontan verlieben wir uns gleich auf den ersten Metern durch diese sagenhafte Inselwelt auf’s Neue und fragen uns, warum wir eigentlich nicht nur hier segeln. 😂
Pünktlich zur Dämmerung lassen wir in der Mitte der Vågen Bucht unseren Anker auf 14 m fallen. Es strömt etwas durch die Bucht, aber wir liegen hier wie in Abrahams Schoß. Wir haben es geschafft, es war nicht ganz ohne und wahrscheinlich unser härtester Trip dieses Jahr, wenn man mal von dem gebrochenen Want und den daraus resultierenden Herausforderungen auf unserem Trip in die Karibik absieht. Doch die Nordsee ist wirklich speziell und hat immer eine Überraschung parat.
Und dann gibt es endlich die Suppe, die eigentlich für die Überfahrt gedacht war. Wir sind froh, nun hier zu sein, und wenn wir auf die Wetterentwicklungen gucken, war es wohl wirklich die einzige Möglichkeit seit 14 Tagen und wird es wohl auch für einige Zeit noch bleiben. Das, was sich nun zusammenbraut, ist wirklich noch etwas schlimmer als befürchtet und wir sind heilfroh, dass uns der Mist nicht mehr in Peterhead erwischt.
In der Vågen-Bucht bei Farsund
58° 04′ 24,9″ N, 006° 48′ 49,1″ E