Liverpool I


Am Mittwoch ist es dann soweit. Nach einer unendlichen Kette von anderen Dingen können wir nun endlich mal damit beginnen, uns mit Liverpool und dem OCC Award zu beschäftigen. Gleich am Morgen beginnen wir damit, an unserer Acceptance Speech für das Award Dinner zu feilen. Vor einem halben Jahr wäre uns das noch leichter gefallen. Da waren wir noch in Irland und Schottland unterwegs und haben ohnehin nur Englisch gesprochen. Doch mit jedem Monat, den wir zurück in Deutschland sind, scheint unser Englisch etwas mehr eingerostet zu sein.

Doch da ist noch ein anderes Problem. Für den Freitagabend heißt das Motto »smart casual«, aber für den Samstagabend, für das Award Dinner selbst, wurde die Losung »formal without black tie« ausgegeben. Der Freitag ist nicht unbedingt das Problem, denn »smart« sind wir ohnehin und »casual« waren wir auch schon immer. So haben wir mal gegoogelt, was sich hinter dem Motto »formal without black tie« verbirgt, und was da zu Tage kommt, sprengt doch schon etwas den Inhalt unseres Kleiderschranks. 2020, nach unserem letzten Arbeitstag, haben wir uns definitiv von allem verabschiedet, was sich mit einem »formal dress code« in Verbindung bringen lässt. Und nun dies! Seit einer Stunde versuche ich, die Anzughosen über meinem Bauch zuzubekommen, die schon 2020 nicht mehr zu gingen. Es gibt Reste in der Asservatenkammer unserer Business-Klamotten, aber so richtig üppig sind die nun auch nicht mehr. Etwa zeitgleich verschwindet Astrid mit einem Berg von Klamotten im Schlafzimmer, und während ich vor dem Spiegel versuche, das einzuziehen, was den Hosenbund zu sprengen droht, schallt es aus dem Schlafzimmer immer wieder: “Noch nicht gucken, komme gleich, nur noch das probieren!”

Am Ende beschließen wir, etwas gefunden zu haben, was »formal enough« ist. Denn schließlich werden wir ja nicht im Buckingham Palace empfangen. Dennoch wollen wir angemessen vor die OCC-Gemeinde treten, denn es ist schon eine große Ehre für uns, so einen Preis vom OCC entgegennehmen zu dürfen. Da fügen wir uns gerne mal in Formalien, die uns sonst doch etwas fremd geworden sind. Im Grunde genommen ist der OCC ja ein Club, der vollkommen unkonventionell und wirklich wunderbar »gerade« ist. Und bei dem das tatsächliche Segeln und vor allem das Long-term Cruising definitiv im Vordergrund stehen. Doch zu einem Annual Dinner in good old Britain gehört dann wohl doch eine gewisse Etikette.
Nach unserer Kleiderwahl bleibt dann aber immer noch unsere Acceptance Speech. Es dauert etwas, bis wir wieder ins Englische hineinkommen. Um etwas mehr Routine zu bekommen, wechseln wir untereinander auch einfach mal ins Englische. Was vor Monaten noch selbstverständlich war, wirkt nun noch etwas holperig. Aber so langsam wird’s wieder.


„»Gelb« und »Tröti« kommen zu uns, sie haben den ersten Teil ihres Abenteuers allein in einem Päckchen zurückgelegt.“

„»Gelb« und »Tröti« kommen zu uns, sie haben den ersten Teil ihres Abenteuers allein in einem Päckchen zurückgelegt.“

Schon gestern ist ein Päckchen aus Hamburg angekommen. Aufgrund all der anderen Verpflichtungen konnten wir »Gelb« und »Tröti« nicht mehr selbst abholen. »Gelb« gehört Leonard und ist ein waschechter »Superlambanana« aus Liverpool. »Tröti« gehört Theodora und soll Leonards »Gelb« auf seiner Reise Gesellschaft leisten. Beide sollen mit uns zusammen nach Liverpool fliegen und für Sonntag ist ein Photo Shooting mit ihnen vor dem Yellow Submarine eingeplant. Außerdem wollen wir seine Superlambanana-Verwandtschaft in Liverpool besuchen. Mal sehen, was noch so alles passiert.


Mit unserer Acceptance Speech lebt dann auch unsere Saison 2023 wieder auf. 2023 war schon ein außergewöhnliches Jahr. Es begann mit unserem ersten Atlantic Crossing und dem gebrochenen Want. Doch schnell folgte dann schon das zweite Crossing zurück bis nach Irland. Und Ende Juli begann für uns die wohl nasseste, kälteste und windigste zweite Hälfte einer Segelsaison, die wir je erlebt haben. Unser Schlussspurt war nicht gerade einfach und wurde dann auch noch von einem zu frühen Wintereinbruch in Norwegen und dem gebrochenen Wasserstag im Skagerrak gekrönt. Es dauerte fast 9.000 Seemeilen, bis wir Ende November in Büdelsdorf festmachen konnten.
Ein unglaubliches Jahr. Das alles kommt nun wieder hoch.


Liverpool wir kommen!
Um den Flieger um 6:00 in Berlin-Brandenburg mit etwas Vorlauf zu erreichen, brechen wir gegen Mitternacht auf 🥱. Etwas erstaunt sehen wir abends allerdings noch, dass uns unser Hotel in Liverpool irgendwie abhanden gekommen zu sein scheint. Die CheckIn-App funktioniert nicht und in Google Maps sehen wir beim Überprüfen der Adresse »hotel permanently closed«. 😳 Ein Chat-Bot der App fragt scheinheilig: “Do you need help?” “Joah, ehrlich gesagt schon! We do need a hotel!” versteht er allerdings nicht gleich, doch nachdem wir mehrere Chat-Bots in der App überwunden haben, erreichen wir eine echte Menschin am anderen Ende des Chats. Leider hat der Besitzer des Hotels Mitte April gewechselt, aber die neue Kette soll alle Buchungen 1:1 übernommen haben. Behind the scenes, you know, upcoming reservations remain unaffected! Have a lovely stay in Liverpool. Hmm … puh … 🤨, yes. Äh, ja genau! Wait, hope and see. Nun können wir eh nichts mehr machen, also hin und mal selbst nachsehen.


„Wir nehmen die erste U-Bahn zum Flughafen.“

„Wir nehmen die erste U-Bahn zum Flughafen.“

Da das Parkhaus in Berlin-Brandenburg für drei Tage mehr kostet als die Flüge für zwei Personen hin und zurück nach Manchester, suchen wir uns eine S-Bahn Station und parken am Straßenrand. Irgendwelche passenden Zugverbindungen gibt es für so frühe Flüge eh nicht. Es grüßt die Nachhaltigkeit! Der Rest geht problemlos. Ryanair residiert zwar im Billig-Terminal 2, aber der Ablauf ist technisch wirklich perfekt. Außer, dass einer der Checkin-Herren sich wohl eine Prämie damit verdienen will, dass er jede Tasche nachmisst und so einen ordentlich Extra-Profit für Ryanair erwirtschaftet. Wenn man schon an den Flugpreisen nichts verdient, muss man wenigstens seinen Buchungsablauf so gestalten, dass die Hälfte der Fluggäste aus Versehen doch mehr Gepäck bucht. Und von denen, die es geschafft haben, dies zu umgehen, werden 30 % noch mal beim Check-In abgezockt. Da hilft es auch nicht, seine Tasche auf Maß zu knuffen, wenn der Stoff ein Übermaß hergibt, klingelt die Kasse. Wir kommen »grenzwertig« durch, aber für den Rückweg werden wir noch in einem Pound-Shop etwas Tape kaufen und die Tasche des Schiffsjungen lieber mal »hart auf Maß tapen« 😇.

„Zunächst geht es bis Manchester“

„Zunächst geht es bis Manchester“


In Manchester kommen wir in Rekordzeit an, da muss uns etwas Rückenwind geschoben haben. Aber dann heißt es warten. Den Mietwagen haben wir erst ab 11:00 gebucht, um ihn nicht für vier Tage nehmen zu müssen.

„Wartezeit in Manchester auf dem Airport“

„Wartezeit in Manchester auf dem Airport“

Das Wetter ist eh so britisch, wie es nur im Land der Regenschirme sein kann. Alle Vorhersagen stehen allerdings auf »etwas trockener«, hoffen wir mal, dass die Briten das ernst meinen und die Wetterbesserung kein britischer Humor ist.


Rental car go!
Es ist ziemlich gewöhnungsbedürftig, in einem britischen Mietwagen auf der »falschen« Seite zu sitzen und dann auch noch auf der »falschen« Seite zu fahren. Alles an dem Mietwagen ist falsch herum, nur der Scheibenwischerhebel sitzt richtig, aber nun regnet es nicht mehr. Es ist recht ungewohnt, links mehr Auto zu haben als rechts. Dadurch schwebt die linke Seite ständig in Gefahr, dass es dort zu eng wird. Und auch bis Montag wird sich mein Blickwinkel nicht daran gewöhnen, dass die Dimensionen einfach anders sind. Immer wieder zuckt die Capitana zu mir herüber und fordert unmissverständlich mehr Platz auf ihrer Seite. Wenigstens zum Bordstein oder anderen blöden Hindernissen wie parkenden Autos und so. Es ist anstrengend, die Proportionen, die sich in den rechtsfahrenden Blickwinkel eingebrannt haben, ad hoc zu ändern. Mit einiger Konzentration geht es immer eine Weile ganz gut, aber in dem Moment, in dem man beginnt, genau das zu denken, fällt man unwillkürlich doch immer wieder in die alten Fahrmuster zurück. Die breite Seite des Autos befindet sich eben doch auf der falschen Seite, wenn man vom Beifahrersitz aus steuern muss.

„Rechts oder Links, das ist hier die Frage.“

„Rechts oder Links, das ist hier die Frage.“

Ohne müde zu werden, diktiert die Capitana dem Schiffsjungen die nächsten Manöver aus den Navi. »Große Kurve«, »kleine Kurve«. Rechts oder links wäre an dieser Stelle zu verführerisch, um doch wieder in alte Muster zu verfallen. So verbirgt sich hinter der »kleinen Kurve« ein Linksabbieger, bei dem der Schiffsjunge direkt die Kurve kratzen muss, und hinter der »großen Kurve« ein Rechtsabbieger, der unweigerlich durch den Gegenverkehr führt. Bis auf kleine Aussetzer gelingt die Navigation recht gut, führt uns allerdings an ein Ziel, dass uns dann doch etwas zu kleinstädtisch vorkommt. Im Navi hatte ich »Mount Pleasant« gesucht und gefunden. Die 33 Meilen passen auch halbwegs zu unserem Ziel in Liverpool, was den Schiffsjungen zu schnell »go« hat klicken lassen. Aber in dem Navi auf unserem Handy sind es eben Kilometer und nicht Meilen. Und knapp daneben ist eben auch vorbei, besonders wenn es sich um Straßen wie »Mount Pleasant« handelt, die wohl ähnlich eindeutig sind, wie eine »Bahnhofstraße« in Deutschland.

„Die Mersey Gateway Bridge“

„Die Mersey Gateway Bridge“

Als wir in die Mount Pleasant Road einbiegen, wundern wir uns gleich, dass Liverpool seit unserem letzten Besuch doch recht »kleinstädtisch« geworden ist. Normalerweise geht eine Stadtentwicklung ja doch in die andere Richtung. Die Sache lässt sich aber schnell klären, denn der Navi zeigt zuverlässig, dass wir erst in Widnes sind und nicht schon in Liverpool. Und genau hier nimmt nun ein Unheil seinen Lauf, dass wir erst am Sonntag wieder gerade ziehen können. Wir fahren über die Mersey Gateway Bridge. Eine sehr hübsche Brücke, die malerisch den River Mersey überspannt, aber mit einem Mautsystem belegt ist, mit dem sich die hübsche Brücke den Zorn unzähliger Menschen zugezogen hat. So kommt die eigentlich wirklich sehenswerte Brücke in über 2.000 Bewertungen gerade mal auf zwei mickrige Sternchen.


„Unser Hotel, einen neuen Namen hat es noch nicht ...“

„Unser Hotel, einen neuen Namen hat es noch nicht …“

Unser Hotel finden wir dann in Liverpool unter einem neuen Namen. Nach der Übernahme sind noch zwei außerordentlich nette und absolut hilfsbereite Mitarbeiter vor Ort, doch alles andere scheint irgendwie abhanden gekommen zu sein, wenn man mal von den Zimmern selbst absieht. Aber nun ja, man kennt unsere Buchung und so haben wir ein wenn auch bescheidenes Dach über dem Kopf. Wenigstens fast, denn wir sind zu früh.

„In der City von Liverpool I“

„In der City von Liverpool I“

„In der City von Liverpool II“

„In der City von Liverpool II“

Bis 15:00 drehen wir noch eine kleine Sightseeing-Runde durch Liverpool. Einige Erinnerungen poppen hoch, doch es hat sich viel verändert. Etwas angemackelt drehen wir unsere Runde durch die Innenstadt, immerhin sind wir seit Mitternacht ja schon unterwegs. Und abends wartet noch das Dinner im Royal Mersey Yacht Club auf uns. So nehmen wir noch eine kleine Mütze Schlaf, sobald unser Zimmer fertig ist.
Danach ist es Zeit, sich für das Dinner im RMYC vorzubereiten. Wir sind gespannt, eine alt-ehrwürdige britische Club-Tradition wartet auf uns.

Und nun folgen einfach mal einige Bilder aus Liverpool, denn viel ist an diesem Nachmittag in dieser hübschen Stadt nicht mehr passiert.

„An den Docks von Liverpool I“

„An den Docks von Liverpool I“

„An den Docks von Liverpool II“

„An den Docks von Liverpool II“

„An den Docks von Liverpool III“

„An den Docks von Liverpool III“

„Kurz vor dem Albert-Dock das »Pumphouse«, ein toller Pub.“

„Kurz vor dem Albert-Dock das »Pumphouse«, ein toller Pub.“

„Am River Mersey schwören sich wirklich viele die ewige Liebe.“

„Am River Mersey schwören sich wirklich viele die ewige Liebe.“

„Der River Mersey“

„Der River Mersey“

„Es ist gerade Niedrigwasser und die Locks sind geschlossen.“

„Es ist gerade Niedrigwasser und die Locks sind geschlossen.“

„Das Albert-Dock“

„Das Albert-Dock“

„Narrow Boats, heute nur noch für Touristen“

„Narrow Boats, heute nur noch für Touristen“

„»Gelb« und »Tröti« genießen das gute Wetter.“

„»Gelb« und »Tröti« genießen das gute Wetter.“