Eigentlich liegen die Tatsachen ja auf der Hand, doch wenn es sich ein Plan erst einmal lange genug im Kopf gemütlich gemacht hat, gelingt es ihm doch recht leicht, immer mal wieder ein »aber« in den Ring zu werfen. Doch wir haben inzwischen Anfang Juli, müssen noch mit der Bahn zurück zur PINCOYA nach Bremerhaven fahren und werden wohl frühestens Mitte Juli starten können. Unser Plan im Kopf hatte seinen Starttermin Anfang Mai. Da fehlen uns nun satte 2 1/2 Monate. Das ist nicht eben wenig.
Während wir zuhause die letzten Dinge erledigen und sich die letzten Reste auf dem Wohnzimmertisch versammeln, schubsen wir unseren ursprünglichen Plan endgültig von der Wartebank. Der Wunsch, nicht noch einen Winter im Norden zu verbringen, macht die Entscheidung ebenso leicht, wie das aktuelle Wetter. Egal, in welche Richtung wir starten, das Wetter wird es uns nicht wirklich einfach machen. Das Einzige, was Mitte Juli passt, ist die Tide. Doch das ist ja eher nur ein schwacher Trost.
Schon den ganzen Juni war das Wetter absolut unbeständig und von einem halbwegs stabilen Segelwind in die eine oder andere Richtung konnte überhaupt keine Rede sein. Der Jetstream leitet ein Tief nach dem nächsten in die Nordsee und nichts, aber auch gar nichts deutet irgendwie daraufhin, dass sich an diesem Wechselwetter im Juli irgendetwas ändern könnte. Das höchste der Gefühle sind mal kurze Zwischenhocheinflüsse, die zwar etwas Sonne, aber dann auch keinen richtigen Segelwind bringen.
Unter diesen Bedingungen ist es unmöglich, noch rechtzeitig im Norden um Schottland herum zu einem Absprungpunkt in den Süden von Irland zu kommen. Die Rutsche durch den Englischen Kanal wird schon schwierig genug. Und dafür bleiben uns nun ja auch nur noch 6 Wochen, wenn wir uns Anfang September auf die Lauer legen wollen, um den Sprung in den Süden zu wagen. Wenn der Wind nur einmal für einige Tage aus einer halbwegs günstigen Richtung wehen würde, dann wäre diese Etappe in wenigen Tagen zu schaffen. Doch das macht er seit Wochen, ja eigentlich seit Monaten schon nicht mehr, so ist der Glaube daran schön, aber die Aussicht darauf äußerst gering. Wie es aussieht, wird unsere Tour durch den Kanal ein elendes Gestotter von einem Versteck zum nächsten, um auf die nächsten 8 oder 12 Stunden Segelwind zu hoffen. Die Hoffnung auf eine flotte Segeltour haben wir begraben, dazu müsste sich die Gesamtwetterlage ändern und dazu muss sich eben auch der Jetstream verlagern. Doch nun ja, genau deswegen liegt unser Ziel ja auch im Süden 😂!
Wesentlich besser starten wir von zuhause. Mit Bus und Bahn geht es zur PINCOYA. Und weil sich nun doch noch eine ganze Reisetasche gut gefüllt hat, nehmen wir die Verbindung mit den wenigsten Umsteigern. Das ist zwar nicht die schnellste Verbindung, aber die bequemste für uns. Ohne Probleme oder Verspätungen kommen wir nach vier Stunden in Bremerhaven an. Wer hätte das bei dem schlechten Ruf der Bahn gedacht?
Nun könnte es tatsächlich losgehen. Abends checken wir die Wettervorhersagen, doch kein Modell hält für uns auch nur einen kleinen Hoffnungsschimmer bereit.
Also ankommen, Grünzeug kaufen und …
… nun ja … warten. Grundsätzlich ist es ja nicht schlimm, mal nichts zu tun, abzuwarten, zu lesen und dem Tag dabei zuzusehen, wie er vergeht. Besonders nach so einer Zeit, die nun gerade hinter uns liegt. Doch alles in uns hatte sich auch gerade darauf eingestellt, jetzt endlich, also nicht irgendwann einmal, sondern genau jetzt und gleich, mal wieder loszusegeln. Und nun dies! Wir sind fertig und bereit, kommen aber nicht weg! Wären wir zwei oder drei Tage schneller gewesen, hätten wir schon die ersten Seemeilen hinter uns gelassen. Aber das mit dem Schneller ging wieder mal nicht so und nun spielen Wind und Wetter nicht mehr mit.
In dem unsteten Wechselwetter sind die möglichen Wetterfenster ohnehin gerade unglaublich kurz, und wenn 12 Stunden Segelwind auch noch zur Tide passen müssen, ist schon etwas Glück gefragt. Am Wochenende würden die Windrichtung und die Tide eigentlich passen, um aus der Wesermündung herauszukommen. Doch dann soll es draußen auch gleich mit mittleren 25 kn wehen. Das verheißt auf der Nordsee nichts Gutes und so etwas wollen wir uns nicht gleich antun. Das würde nicht gut gehen, denn unsere Seebeine sind verkümmert. Wir brauchen einen ruhigeren Start.
Es braucht nicht viel Verstand, um zu dieser Einsicht zu kommen, dazu kennen wir uns selbst zu gut und reden uns schlechte Bedingungen auch nicht mehr so sorglos schön wie früher. Aber mit dem Herzen wollen wir los und so nervt es schon und tut ehrlich gesagt auch etwas weh.
Wir sitzen auf heißen Kohlen und die Vernunft sagt: “Ach nö, lass mal lieber!” Also lassen wir es mal lieber. Da draußen wartet bestimmt noch genug schlechtes Wetter auf uns, da müssen wir nichts überstürzen, um einen auf die Mütze zu bekommen.
Hätten ich unseren Blog »Der Start« vom 02.06.2019 schon mal früher gelesen, hätte ich gar nicht so viel zu den Schwierigkeiten schreiben müssen, die ein Segler hat, Bremerhaven hinter sich zu lassen. Im Grunde genommen hat sich nichts geändert.
Aber war da nicht ganz früher auch mal dieses Schlüsselerlebnis in Schweden? Wir mussten los, weil uns die Zeit im Nacken saß, und unsere Segelnachbarn, mit denen wir zwei Tage auf Öland eingeweht waren, sagten: ” Och nö, wir warten mal, bis der Wind wieder moderat aus der richtigen Richtung kommt.” Damals war diese Entscheidungsfreiheit der Traum für uns, nun fällt es uns trotzdem schwer, obwohl wir die Zeit hätten 🙄. Vielleicht sind wir einfach immer noch zu zappelig.
Dann streichen wir Helgoland
Eigentlich hätte die Überschrift ja »Bremerhaven -> Helgoland« heißen sollen. Doch nun streichen wir das preiswerte Tanken und die pfandfreie Versorgung mit Getränken auf Helgoland. Ein technischer Stopover für einen Tag wäre ja ok gewesen, aber wann wären wir dann von Helgoland wieder weiter nach Westen weggekommen? Am vierten Tag hätte die Hafengebühr von Helgoland unsere Ersparnis beim Tanken schon wieder mehr als aufgefressen.
Ärgerlich für Fahrtensegler, die ins Ausland wollen, ist allerdings der deutsche Dosenpfand. Den hätten wir auf Helgoland wirklich sparen können. Doch rechnet man den Unterschied der Hafengebühren von Bremerhaven und Helgoland mal in Dosenpfand um, können wir in Bremerhaven jeden Tag 58 Dosen in die gelbe Tonne treten, ohne sie an einem Automaten zurückzugeben, um den Dosenpfand wiederzubekommen. Da relativiert sich so eine Ersparnis auch schon wieder recht schnell. Also verschieben wir unseren Einkauf lieber in pfandfreie Länder.
Wartezeit …
Immerhin sind an diesem Wochenende die Matjestage in Bremerhaven. Also hin und Matjes-Brötchen essen.
Das Wetter ist durchwachsen und die Preise sind gesalzen. Spült man den Matjes dann noch mit einem Bier herunter, hat man zwar eine Hauptmahlzeit bezahlt, aber nicht im Bauch. Allen Buden ist diese Geschäftstüchtigkeit gemeinsam, doch der direkte »Matjesbezug« ist nicht allen anzusehen. So stapeln sich auf einer Mercedes-Haube unzählige Flaschen eines Wunderheilmittels für alternden Lack, der vielleicht auch der ein oder anderen Piccolöchen-Dame gut zu Gesicht stehen würde, und gleich nebenan können Dachfenster zum Austausch bestellt werden. Auf der nach unten offenen »Matjesbezugsskala« liegt die dänische Lakritze allerdings klar vor allen anderen ganz oben und vorn, locker auch vor dem Stand mit Stricksocken, der Kaffeerösterei, dem orientalischen Gürtel- und Taschenmarkt und dem Klamottenstand, der zufällig gerade »Sale« hat. Der Duftkerzenstand vom Weihnachtsmarkt verkauft nun duftiges Massageöl mit Esoterik-Garantie und ein Altrocker im Scorpians-Look bietet der Piccolöchen-Gemeinde Silberschmuck mit einer kleinen Portion verruchter Exklusivität.
Die Restaurants im sogenannten »Schaufenster am Fischereihafen« sind gut besucht, aber leider hat der Fischmarkt wohl aufgrund des Überangebots aus aller Welt trotz des Festivals schon geschlossen. Vor der American Cars Show rekelt ist ein Spiderman wahlweise auf dem Dach seines XXL-Hummers oder klettert behände den rollatorgerechten Aufgang von den Schwimmstegen herauf. Auch Spiderman scheint in die Jahre gekommen zu sein, er scheint es nun auch im Rücken zu haben. Sein Geschäftsmodell bleibt uns allerdings bis zum Schluss verborgen, aber wenigstens hat der Name seines XXL-SUVs ja noch einen gewissen maritimen Bezug, obwohl er auf englisch eigentlich Lobster heißen müsste.
Wir drehen einige Runden auf dem Matjes-Festival, stellen enttäuscht fest, dass es das längste Matjes-Brötchen der Welt, immerhin 32 m, erst morgen gibt, sehen uns die Schiffe des BSH leider nur von außen an und fahren dann zurück mit der »Hafenlinie«.
Warten? Warum nur?
Etwa die Hälfte aller Boote in der Lloyd-Marina sind Motorboote. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man an die Schwierigkeiten denkt, die Segler haben, von Bremerhaven aus in See zu stechen. Alle sind nett zueinander, doch es gibt Unterschiede. Unser Nachbar zur Rechten ist Segler und sagt uns unmissverständlich, dass es absoluter Blödsinn ist, bei dem aktuellen Wetter von hier aus zu starten. Wir müssten auf etwas aus Süd oder Ost warten, schon bei einem moderaten Südwest kommen wir nie bei Wangerooge vernünftig um die Ecke und weiter nach Westen.
Unser Nachbar zur Linken ist Motorbootfahrer. Ein netter Kerl, der auch echt interessiert ist. Doch er versteht beim besten Willen nicht, warum wir nun hier liegen und auf ein passendes Wetterfenster warten. Der kleine Hinweis darauf, dass nun gerade in diesem Moment der Wind am Eingang der Außenweser mit etwa 25 kn aus WSW bläst, lässt seinen Blick zum Himmel und in die Wolken wandern und viele Fragen in seinem Kopf zurück. Wenn ich mich recht entsinne, müssen wir alle irgendwann einmal diesen Sportbootführerschein See gemacht haben, doch vielleicht sind Segler nach der Prüfung doch gezwungen, etwas näher am Wettergeschehen und den Gezeiten zu bleiben.
So warten wir. Vielleicht bis Montag. Zur Zeit steht der Montag vorhersagetechnisch hoch im Kurs. Mal sehen, wie sich das so entwickelt. Geduld ist gefragt, was ja eine der großen Kernkompetenzen des Schiffsjungen ist 🙄.
Im-Jaich, Lloyd-Marina, Bremerhaven
53° 32′ 58,2″ N, 008° 34′ 06,7″ E