Gar nicht so einfach …
Seit Jahr und Tag nutzen wir ja iSailor und sind mit dieser NaviApp eigentlich auch sehr zufrieden. Die Karten sind preiswert und gut, das GUI ist prima, die Usability gefällt uns, AIS-Targets lassen sich sehr einfach über ein NMEA-WiFi Gateway integrieren, es gibt weitere Features wie z.B. Tides and Currents und vor allem gibt sich die App nicht irgendwelchem Schnickschnack hin, den wir sowieso nicht brauchen.
Der Punkt mit den AIS-Targets ist für uns essenziell und hört sich für eine NaviApp Ende 2024 eigentlich ziemlich banal an. Doch weit gefehlt! Die Integrationsmöglichkeit von AIS via NMEA ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal mehr, lässt aber nicht wenige Apps schon mal gleich durchs Raster fallen. Dabei muss man allerdings auch berücksichtigen, dass es sich um ein relativ junges System handelt, wenn man es auf dem Hintergrund der allgemeinen Seefahrtsgeschichte betrachtet. NMEA 183 wurde erst 1983 definiert und AIS wurde erst am Nikolaustag 2000 von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) zu einem verbindlichen Standard erklärt. Wenn sich Entwicklungszyklen so überschlagen, kann das schon zu einem Problem werden.
Doch wieder zurück… Seit dem letzen Jahr nutzen wir neben iSailor auch OpenCPN. OpenCPN war bei uns zunächst nur offshore wegen des Wetter-Overlays ins Spiel gekommen, um endlich die grottenschlechte Usability der OffshoreApp von Predictwind hinter uns zu lassen. Windy funktioniert ja leider nur online. Und als wir das NMEA-AIS integriert hatten, um unsere Schiffsposition in OpenCPN zu haben, wozu wir lediglich mit dem MacBook ins WLAN unseres AIS-Gateways gehen mussten, haben wir zu unserer großen Freude auch gesehen, dass OpenCPN wie selbstverständlich auch die graphische Darstellung (!) eines CPA zu AIS-Targets implementiert hat.
Ein Alleinstellungsmerkmal (!!!), das wir bisher nur von MaxSea Time Zero kannten und seit Jahr und Tag in allen anderen NaviApps vergeblich suchen. Im letzten Jahr haben wir ab Irland dann auch mal die Vektorkarten (o-charts) in OpenCPN ausprobiert. Speziell die Aktualität der norwegischen Karten hat uns begeistert und so ist OpenCPN nun zu unserem zweiten Navigationssystem geworden ist. Leider nur auf dem MacBook, aber toll gemacht, erstaunlich genau, aktuell und preiswert.
Für das Offshore-Wetter nutzen wir inzwischen zwar LuckGrib, doch das liegt nur daran, dass es dafür aktuell nichts Besseres gibt.
Und na klar, wir haben auch noch einen 12″ Plotter von B&G. Der war damals ungefähr doppelt so teuer wie ein aktuelles MacBook der mittleren Leistungsklasse und gut dreimal so teuer wie ein iPad mit GPS und allem Drum und Dran. Für unseren Plotter haben wir je nach Region Navionics- oder C-Map-Charts, doch die Darstellung ist echt bescheiden und so nutzen wir den Plotter eigentlich nur für ein Radar-Overlay. Fest eingebaut in der Navigationsecke unter Deck können wir ihn zwar auch vom Steuerstand aus gut sehen, aber das Display, die Graphik, die Performance, die Darstellung und eigentlich auch das ganze Programming hinken iSailor auf einem halbwegs aktuellen iPad ungefähr zwei Generationen hinterher. Auch, wenn man nur ab und zu mal ein MacBook, iPad oder iPhone nutzt, bekommt man mit dem Plotter schlicht eine Krise und fühlt sich technisch um Jahre zurück in die Vergangenheit katapultiert. Gut, unser Plotter ist nun auch schon von 2020, doch den iPads von 2014 kann er schlicht nicht das Wasser reichen. Auch deswegen nutzen wir dieses System ausschließlich nur für den Radar, denn ein ständiges Navigieren mit dem Plotter würde uns zu sehr auf den Keks gehen.
Aber warum denken wir nun überhaupt über eine weitere NaviApp für’s iPad nach?
Der Grund dafür ist recht simpel. So gut uns OpenCPN auch gefällt und so gut es auf dem MacBook auch läuft, die Vector-Charts für OpenCPN für die Karibik (auch o-charts) kann man leider in Teilen echt vergessen. Manche Ecken sind ok und halten einem Vergleich mit anderen Seekarten stand, doch immer wieder stößt man auf Bereiche, die bestenfalls dazu dienen können, eine Insel nicht umzufahren.
2023 sind wir in der Karibik mit den iSailor-Karten von Wärtsilä gut klar gekommen und hatten als BackUp und Cross-Check-System C-Map-Charts auf dem Plotter. Doch ein zweites System in »iPad-Qualität« würde uns schon ganz gut gefallen.
Also googeln wir erst einmal, mit welchen Seekarten andere Segler in der Karibik gute Erfahrungen gemacht haben. Das Ergebnis ist eindeutig, entweder werden Navionics- oder C-Map-Karten gelobt. Die Karten vom iSailor, die Wärtsilä in Zusammenarbeit mit dem UKHO, dem United Kingdom Hydrographic Office erstellt, werden gar nicht erwähnt. Das verstehen wir zwar nicht so recht, aber nun gut.
Natürlich gibt es für Navionics-Karten die Boating-App von eben Navionics und für C-Map-Karten die C-Map-App, die inzwischen von Navico bereitgestellt wird. Doch genau mit diesen Erkenntnissen beginnt nun auch schon unser Problem. Denn inzwischen haben wir eine gewisse Vorstellung von dem, was wir brauchen und haben wollen. Die Boating-App wird zwar überall als der Platzhirsch mit großem Beispielpotential angepriesen und wir haben ihr tatsächlich auch schon mehrfach eine Chance gegeben, aber nach jedem dieser Versuche hoffen wir inständig, dass sich nicht allzu viele NaviApp-Entwickler ein Beispiel an dieser App nehmen.
Und die C-Map-App schauen wir uns gar nicht erst an, weil sie bis heute nicht in der Lage ist, einen NMEA-Datenstrom auch nur für AIS zu integrieren. Ein absolutes NoGo. Zwar prahlen die findigen Entwickler von C-Map damit, dass man stattdessen ja Marinetraffic als sogenanntes Internet-AIS integrieren könne, doch das zeugt wohl eher von absoluter Praxisferne als von irgendwelcher Erfahrung auf See. Vielleicht sollte man dem Entwicklerteam von C-Map-Navico mal ein Segelwochenende spendieren, damit sie mal selbst herausfinden können, wie es um die reale Internetwelt auf dem Wasser und außerhalb der Reichweite des WLANs ihrer Entwicklerbude bestellt ist. Abgesehen davon bietet Marinetraffic ja bestenfalls eine Auswahl von AIS-Signalen, die in Zeit und Raum ihre ganz eigene Realität hat. Bei allem Hype um die künstliche Intelligenz, etwas natürliche Intelligenz scheint manchmal doch ganz angebracht zu sein. Übrigens haut sich auch Savvy Navvy an dieser Stelle genauso wie die C-Map-App aus dem Rennen.
So fallen neben iSailor nicht nur die beiden Großen schon mal durchs Raster, sondern auch noch unzählige weitere Apps, die sich selbst als gekrönte Alternative verstehen. Aber was dann? Weitere Apps mit dem Anspruch einer weltweiten Abdeckung gibt es kaum. Die Suche nach alternativen Apps, die mit C-Map oder Navionics-Charts umgehen können, gestaltet sich schwierig. Schon die Information, mit »welchen Vektorkarten« eine App nun tatsächlich umgeht, oder auch nur, auf welcher Basis diese erstellt und aktuell gehalten werden, scheint top-secret zu sein. Oder der Entstehungsprozess ist so peinlich und unprofessionell, dass man lieber schweigt und vielversprechend nur von »Vektorkarten« schreibt. Da grenzt die offenherzige Aussage von Savvy Navvy: »We source data from hydrographic offices around the world and design the chart interface to be user-friendly.« an eine echte Transparenzoffensive. Absolut cool 😎, das schafft schon mal richtig Vertrauen.
Doch in dem ganzen Dschungel der Angebote bleibt neben iSailor doch noch eine App über. TZ iBoat. Das klingt nicht nur nach Time Zero, sie ist auch von Nobeltec bzw. MaxSea. Bei unseren allerersten elektronischen Navigationsgehversuchen hatten wir Anfang der 10er-Jahre schon einmal MaxSea Time Zero auf einem Windows PC. Zugegeben, es waren die Anfänge der elektronischen Navigation und wir haben es damals sogar auch schon geschafft, ein GPS- und AIS-Signale bis in die Anwendung zu bekommen. MaxSea Time Zero selbst, die verschiedenen GPS-Dongle, die physischen wie auch softwareseitigen Konvertierungshürden der RS-232-Schnittstelle und natürlich auch Windows höchstselbst waren damals ein ewiger Quell einer nie versiegenden Beschäftigungstherapie, die das Segeln schnell hätte zur Nebensache werden lassen, wenn wir nicht die Reißleine wegen der exorbitanten Kosten für die Karten und dem überschaubaren Nutzen gezogen hätten. Das war vor mehr als 10 Jahren und da TZ iBoat heute einen wirklich guten, ersten Eindruck macht und die Entwickler es sogar geschafft haben wollen, eine NMEA-Schnittstelle zu implementieren, laden wir uns die App herunter und schauen uns das Ganze mal näher an.
TZ iBoat
Eins schon mal vorweg. Die App macht einen guten und auch intuitiven Eindruck und hätte tatsächlich das Potential, neben iSailor zu bestehen. Ganz sicher kann man die App hervorragend auch ohne Seekarten und nur mit den weltweiten Übersichtskarten als tollen AIS-Viewer nutzen. Denn TZ iBoat bietet nach wie vor die graphische Darstellung des CPA zu AIS-Targets. Das konnte MaxSea-Time Zero schon damals und damals hatten wir es tatsächlich auch schon einmal geschafft, bis zu diesem Feature vorzudringen. Doch die graphische Darstellung des CPA ist immer noch ein absolutes Alleinstellungsmerkmal und allein dafür lohnt sich TZ iBoat schon. Ausprobieren konnten wir das allerdings noch nicht, da wir ja gerade zuhause sind und dort nicht allzu viele AIS-Signale durch die Straßen fahren. Wir werden das aber gleich nachholen, wenn wir zurück an Bord sind.
Doch was ist nun mit den Karten?
Da die Karten von TZ iBoat C-Map-basiert sind, werden wir schon regelrecht nervös und klicken auf das ProbeAbo der Karibikkarten. Man kann die Karten online und auch offline nutzen. Offline ist ja schon mal prima, denn es scheint sich herumgesprochen zu haben, dass es auf See mitunter gewisse Probleme mit der Internetverbindung geben soll 🙂. Online-Karten sind ja eher für Planungen zuhause eine tolle Sache, doch warum Online-Karten als Standard für eine Seenavigation angeboten werden und der Download als Offline-Karte ein Feature ist, können wir nicht wirklich nachvollziehen. Also laden wir die Karten für den wahrscheinlichen Offline-Fall 😂 erst einmal herunter. Dies erfolgt für Teilausschnitte, was die Sache recht mühselig und nervig macht. Aber nach unendlich vielen Klicks auf ein Planquadrat nach dem nächsten, haben wir die Karibik auf dem iPad. 30,99 € sind dafür absolut ok, denn nach dem 1-Jahres-Abo sollen die Karten ohne weitere UpDates auf dem iPad bleiben. Das ist exakt so wie bei iSailor oder OpenCPN, allerdings mit einem großen »Aber«, zu dem wir aber 😂 erst später kommen.
Im Vergleich zu iSailor und OpenCPN wirken die C-Map-Charts von TZ iBoat überfrachtet. Die Karten von iSailor ähneln sehr stark normalen Papierseekarten, die sich ja naturgemäß auf Navigationsbelange beschränken. In TZ iBoat bekommt man eine schon fast topographische Karte, die zwar auch alle Navigationelemente enthält, aber durch die Darstellung und zusätzlichen Informationen doch eher unübersichtlich wirkt. Leider lässt sich die Basisdarstellung nicht »abspecken«, so dass man mit den überfrachteten Seekarten klar kommen muss. Dazu kommen noch die sogenannten Bathymetric Charts, deren Darstellung man glücklicherweise ein- und auch wieder ausblenden 👍 kann. Die Bathymetric Charts sind bei den Offline-Karten automatisch dabei, andere Layer wie z.B. Satellitenbilder funktionieren nur online. Bathymetric Charts lösen sicher bei Hobby-Ozeanographen große Freude aus, allerdings erschließt sich uns deren sittlicher Nährwert für eine Seenavigation nicht wirklich. Sie machen die ganze Sache noch unübersichtlicher 😟 und man hat nun eher das Gefühl, mit seinem alten Schulatlas zu navigieren, als es in Geographie darum ging, eine Hausarbeit zur unterseeischen Rohstoffförderung in der Karibik zu erstellen. Wenigstens uns reichen für die Navigation normale Tiefenangaben und Tiefenlinien vollkommen aus. Doch man kann die Bathymetric Charts ja wenigstens ausschalten, so ein tolles Feature hätten wir uns auch für die Topographie und all den anderen Schnickschnack in den Seekarten gewünscht 👍. Weniger ist eben doch manchmal mehr.
Anhand der nachstehenden Screenshots kann man sich ja mal selbst ein Bild machen.
Ansonsten finden wir Bereiche, z.B. die Bahia de Samaná im Norden der Dominican Republic, in denen die iSailor-Charts durchaus mehr Seekartendetails enthalten, als die Karten von TZ iBoat. Doch fast alles ist bis auf die letzte Tiefenangabe identisch. Ein Mehrwert durch TZ iBoat-Karten können wir nirgends finden, eher im Gegenteil.
Und nun zu dem großen »Aber«.
Als wir auf den Speicherverbrauch im iPad gucken, schlagen wir hinten über. 5,55 GB für nur 2/3 der Karibik! All der Schnickschnack in den Karten hat eben seinen Preis.
Um diese Größenordnung nun etwas besser einzuordnen, muss man wissen, dass iSailor bei uns nach Jahren der Nutzung nur 1,25 GB belegt. Das aber für sämtliche Karten Europas vom Nordkap bis Portugal und Spanien, allerdings ohne das Mittelmeer, dafür aber inklusive der Azoren, Madeira, Kanaren, Kap Verden, der Karibik und der kompletten Ostküste Nordamerikas bis hoch nach Neufundland. Und OpenCPN nimmt sich auf dem MacBook für Europa von Spitzbergen bis zur Algarve, auch ohne Mittelmeer, aber mit Madeira, Kanaren, Kap Verden und der Karibik auch »nur« 5,9 GB.
Leider kann man bei iSailor nicht mehr so richtig herausfinden, wie groß einzelne Kartenteile sind, doch bei OpenCPN hat die Karibik eine Größe von 340 MB. So sind die Karten von TZ iBoat schon gegenüber OpenCPN um den Faktor 16 größer. Das lässt vermuten, dass ein Kartensatz für TZ iBoat im Umfang unserer aktuell heruntergeladenen Karten von OpenCPN offline schon mit gut 90 GB zu Buche schlagen würde. Würden wir denselben Kartenumfang, den wir heute auf unseren iPads für iSailor ständig mit uns herumtragen, auch für TZ iBoat haben wollen, würde das Datenvolumen noch deutlich darüber liegen. Also vielleicht 125 GB. So stehen 125 GB den 1,25 GB gegenüber, die sich iSailor gönnt. Das ist ein Faktor 100!
Vor diesem Hintergrund verkümmert die Frage: »Und was passiert mit meinen Offline-Karten, wenn das Abo ausläuft?« zu einer rein akademischen Frage. Denn bei solchen Datenmengen muss man zwangsläufig all das löschen, was nicht mehr im Abo ist, wenn man es aktuell nicht mehr braucht. Und sicher lohnt es sich auch, das Datenvolumen und all die Online-Features noch aus einem anderen Grund im Auge zu behalten, denn fast jedes Roaming-Datenvolumen wird nach kurzer Zeit um einen Nachschlag bitten.
So bleiben wir bei iSailor, dessen Seekartenqualität den anderen Systemen in nichts nachsteht. Eher im Gegenteil. Dazu nehmen wir weiterhin die C-Map-Karten des Plotters als Cross-Check-System und OpenCPN mit dem tollen graphischen CPA als Übersegler- und Unterstützungssystem.
Als wir begannen, über das Navi-Thema noch einmal neu nachzudenken, dachten wir tatsächlich, dass wir mit unseren wenigen Ansprüchen am Ende zwischen mehreren Apps großzügig die beste auswählen können. Tatsächlich haben wir uns nur noch TZ iBoat angesehen, weil alle anderen schon vorher durchs Raster gefallen waren. Das ist Ende 2024 schon ebenso erstaunlich wie ernüchternd. Und es macht uns tatsächlich auch etwas Sorge, da iSailor weit und breit die einzige Software zu sein scheint, die unsere wenigen Ansprüche erfüllt. Doch wahrscheinlich wird sich das Thema »Navigation« ja sowieso noch einmal drastisch verändern, wenn sich »always on« mit Starlink und Kuiper auch offshore durchsetzt. Dann kommt aber auch noch einmal ein ganz anderer Kostenfaktor mit ins Spiel, und ob man dann mit einer verspielten Seenavigation, die GoogleMaps nacheifert, besser und problemloser dran ist, wagen wir mal zu bezweifeln. Doch vielleicht gehören wir auch nur zu einer aussterbenden Fahrtenseglergeneration, die die Sache mit der Navigation einfach zu eng sieht. Wir haben uns ja schon komplett von allen Papierseekarten verabschiedet, worüber der alternde deutsche Seemanns-Michel ja schon entsetzt den Kopf schüttelt. Nun schütteln wir den Kopf über die »modernen« NaviApps. Aber mal ganz ehrlich, die Ähnlichkeit ist doch rein zufällig 😂, oder?