Segeln… so ging’s bei uns los
Astrid ist sozusagen mit dem Segeln groß geworden. Eine Neptun 20, ein Laser, der sagenumwobene Opti “Lady” sowie einige Surfbretter pflastern den Weg ihrer Segelkarriere. Die bloße Erinnerung an Astrids Gleitfahrten mit der “Lady” zwischen den Stegen des SVSN in Steinhude, lässt noch heute den Eignern und Anliegern das Blut in den Adern gefrieren. Später wurde dann die Neptun ihres Vaters von Astrid und ihm immer wieder an den Grenzen der Physik über das Steinhudermeer getrieben. Bald gab es zuhause mehr Pokale als Kaffeetassen. Astrids erstes eigenes Boot war dann ein Laser, der muss wohl auch schlussendlich für die Übertragung des Segel-Bazillus verantwortlich gemacht werden, an dem sie bis heute schwer erkrankt ist.
Bei mir war es eher die späte Liebe, aber nicht weniger heftig. Mit 30 verschlug es mich auf Mallorca zufällig auf eine Gib Sea 362. Ich liebte damals das Surfen und fuhr oft mit meiner Surf-Clique spontan an die Nord- oder Ostsee. Auf einer richtigen Segelyacht war ich allerdings noch nie gewesen. Es traf mich wie ein Hammer. Unzählige Segelyachten hatte ich schon beobachte, aber nie hatte ich auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, selbst darauf zu sein. Dann stand ich am Ruder, die Segel wurden hochgezogen, der Motor ausgestellt, der Wind griff sich die Segel und schob uns langsam an der Küste Mallorcas entlang. In diesen ersten Minuten wurde auch ich unheilbar infiziert. Nie hat es mich wieder losgelassen. Nach drei Tagen wankte ich etwas benommen von Bord und es waren nur noch zwei Gedanken in meinem Kopf: ich muss Segeln lernen und wie zum Teufel komme ich an ein Schiff.
Der Segelschein war schnell gemacht, aber der zweite Gedanke ließ sich nicht so einfach verwirklichen. Ähnlich erging es auch Astrid. Nach dem BR-Schein und dem Prüfungstörn stockte es. Astrid steckte in Studium und Beruf. Ich stolperte durch mehrere berufliche und private Tiefdruckgebiete. Das waren bei uns beiden (ganz unabhängig voneinander) keine guten Voraussetzungen für den nächsten Schritt. Mit mehr oder weniger regelmäßigen Chartertörns blieben wir beide so gut am Ball, wie es eben ging. Da mir der Hunger nach mehr Meer immer noch ziemlich auf der Segelseele brannte, trat ich in die Segelkameradschaft Hannover (SKHA) ein. Ein kleiner Segelverein mit eigenem Seeschiff. Dort lernte ich viel von den alten Hasen und kümmerte mich auch bald um die Pflege und Technik der Vereinsyacht, einer Halberg Rassy 352. Das war für meinen Traum, einmal ein eigenes Schiff zu besitzen, mindestens ebenso wichtig, wie praktische Erfahrungen im Fahrtensegeln zu sammeln.
Anfang 2002 kreuzten sich dann Astrids und mein beruflicher Weg und 2003 kreuzten wir schon auf unserem ersten gemeinsamen Törn durch die schwedischen Schären. Wie selbstverständlich und ohne Absprache waren wir ab der ersten Segelmeile die Idealbesetzung eines Skipperpaares. Wir ergänzten uns einfach so und genossen eine so unglaublich selbstverständliche Leichtigkeit beim Fahrtensegeln, wie ich und auch Astrid sie noch nicht erlebt hatten. Obwohl das Wetter es uns streckenweise nicht gerade leicht machte.
Das lockte die schon etwas müde herumgeisternden Träume und Ideen wieder hervor und hauchte ihnen neues Leben ein. Wir wollten mehr und wir wollten uns mehr trauen. Zusammen sind wir stark. Das war nicht nur so ein Spruch, das war auch so. Und als in der SKHA die Idee wuchs 2004 mal wieder “etwas Großes” zu machen, vielleicht rund England mit einem Abstecher nach Irland, “buchten” wir sofort die Irische See. Über den Winter kramten wir das alte, fast vergessene Wissen der Gezeitennavigation wieder hervor und übten Stunde um Stunde. Im Sommer 2004 gehörte die Irische See uns. Allerdings passte anfangs unsere Theorie nicht ganz zu der Gezeitenpraxis der englischen Westküste. Speziell die Gezeitenströmungen weigerten sich hartnäckig zu den Zeiten in die richtige Richtung zu strömen, die wir für sie berechnet hatten. Aber einige walisische Hafenmeister später hatten dann auch wir verstanden, wie der Gezeitenhase wirklich läuft.
So ungefähr ab dieser Zeit verlief unser Kurs immer gradliniger. Es folgte der letzte große Törn auf gechartertem Kiel von Edinburgh nach Bergen in Norwegen, incl. Bohrinsel-Riesenslalom. Die Chartertörns mit der SKHA waren toll. Wir konnten in Revieren segeln, die man auf eigenem Kiel in einem Jahresurlaub nie erreichen kann. Aber das alles war uns zu wenig. Wir wollten mehr und öfter segeln. Die ganze Saison, immer wenn wir wollten. Jedes mögliche Wochenende und die maximal zu ergatternden Anzahl von Sommerurlaubswochen. Außerdem wollten wir ein eigenes Zuhause auf See. Die alten Ideen waren wieder da, nun nur viel konkreter, weil wir jetzt wussten, was Fahrtensegeln ist und vor allem, wie wir es haben wollen.
Die Mohrian: unser erstes eigenes Schiff
Und dann war da plötzlich die Mohrian, eine Vindö 40. Eigentlich sind wir ja auch nur mal zum Anschauen nach Kiel Wendtorf gefahren. Drei Wochen später saßen wir mit einem Glas Rotwein in der Abendsonne der Marina Wendtorf und zwischen uns lagen die Schiffsschlüssel.
Natürlich wussten wir nicht, ob das alles klappt. Finanziell war es sowieso ein dicker Brocken und der Unterhalt musste ja auch irgendwie bezahlt werden. Aber es gab keine Alternative, es musste sein. Und bereut haben wir es bis heute nicht eine Sekunde. Um Geld zu sparen, machten wir von Anfang an möglichst alles selbst. Im Sommer wurde gesegelt und im Winter gebastelt. Ein Ganzjahreshobby! Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Einen Heimathafen bekamen wir bei der Yachtwerft Heiligenhafen in Ortmühle. Da liegt auch seit Urzeiten das Schiff der SKHA. Die Werft war für uns so eine Art Glücksfall. Zu viele Arbeiten mussten gemacht werden, die wir noch nie gemacht hatten. Wir kannten aber die ganze Mannschaft der Werft und konnten mal das eine oder andere fragen. Und wenn wir uns dann etwas doch noch nicht zutrauten, konnten wir die Werft beauftragen. So sind wir ohne größere Verluste in die Aufgabe “Eigner zu sein” hineingewachsen und konnten Schritt für Schritt alles lernen und so machen, wie wir es wollen. Inzwischen sind natürlich alle grundsätzlichen Fragen rund um die Pflege und Wartung einer Yacht abgehakt. Heute geht es eher um Spezialfragen. Manchmal ist es nach wie vor noch wichtig, mit einem Fachmann zu sprechen, auch wenn es hunderte von Internet-Experten gibt.
Nachdem wir nun auf See zusammengezogen waren und vom Skipperpaar zum Eignerpaar geworden waren, zogen wir auch an Land zusammen und sind inzwischen ein Ehepaar geworden.
Mit jedem Törn, mit jedem Wochenende und mit jeder Stunde auf der Mohrian wuchs die Sehnsucht, mal länger loszufahren. Die abgetrotzten Urlaube und damit auch die Törns wurden länger, ebenso die zunächst verstohlenen Blicke nach “wirklich” seegehenden Fahrtenyachten. Alle Spaziergänge führten regelmäßig durch Marinas und wie durch Zufall lagen alle Stege irgendwie systematisch auf unserem Weg. Unschuldige Yachten und jegliches Zubehör mussten unsere kritischen Blicke ertragen und wurden beurteilt. Aus der vagen Sehnsucht heraus sammelte sich langsam ein Häuflein von Das-wäre-toll- und Das-geht-gar-nicht-Mosaiksteinchen. Nach einiger Zeit konnten wir aus den Mosaiksteinchen schon recht gut ein Bild unseres Schiffes zusammensetzen. Aber irgendwie fehlte trotzdem noch das große Bild mit Schiff.
Was heißt denn “mal länger losfahren”? Wie sollte das denn überhaupt gehen? Schließlich stehen wir beide mitten im Berufsleben. Wie sollen wir da “mal länger losfahren”?
Es könnte klappen!
Unmerklich war das “Segeln” für uns mehr geworden. Es wurde zu einer Art Synonym. Segeln war nicht mehr nur eine Möglichkeit, mit Windkraft über das Meer zu fahren. Es war zu einem Inbegriff geworden, an dem sich unsere Träume und unsere Sehnsucht kristallisierten. Nicht im Sinne eines Ziels, dessen Ziellinie es zu erreichen gilt, eher zunächst als eine Perspektive. Kurz gesagt, unser Traum wuchs heran, nahm Gestalt an und streckte mehr und mehr seine Fühler in unser Alltagsleben aus. Natürlich hatten wir auch damals schon nicht nur unsere Arbeit als Lebensinhalt, aber unser Traum mischte sich in alles ein und relativierte auf charmante Art den einen oder anderen eingefahrenen Weg.
Vielleicht veränderte sich auch nur langsam unser Blickwinkel. Weg von einem eher kurzfristigen Alltagsgeschehen, hin zu einer weiterreichenden Perspektive. Einer Perspektive, die uns die wiederbelebten Ideen eröffneten. Das war ein tolles Gefühl. Nicht dass die normalen Alltagsnotwendigkeiten und -nervigkeiten plötzlich weg waren. Die waren natürlich immer noch genauso da, so wie sie auch vorher da gewesen waren. Jetzt aber eben in einem größeren Raum, zusammen mit unseren Ideen, die wir mehr und mehr für machbar hielten.
Wie selbstverständlich knüpften wir beide unsere Ideen nicht „statisch“ an ein Ziel, dessen Erreichung dann minutiös durchgeplant wird. Nie war es für uns das Ziel: »Wir segeln um die Welt«, auch wenn dies ausnahmslos von jedem, mit dem wir sprachen, als völlig selbstverständlich angenommen wurde und wird. Natürlich kann man solche Ziele haben und auch zielstrebig verfolgen. Unserer ganz persönlichen Idee von einem Leben unter Segeln widerspricht dies allerdings schon fast im Grundsatz. Wir wollen keinen Masterplan für die nächsten drei bis fünf Jahre. Der einzige „statische“ Punkt in unserer Idee ist: “Wir wollen mal länger losfahren und auf unserem Schiff leben.” Wohin uns dann die Neugier und das Wetter treibt, dass werden wir sehen. Auf jeden Fall werden wir in unserem Heimatrevier der Ostsee starten und uns erst einmal all das ansehen, was heute für uns außerhalb der Reichweite eines 4-wöchigen Jahresurlaubes liegt. Danach sehen wir weiter und suchen uns ein Plätzchen für unsere erste Überwinterung.
Soviel ungeplante Freiheit bringt zwangsläufig die Schwierigkeit mit sich, dass man den teilweise ohnehin schon recht irritierten Freunden oftmals sagen musste: “Wissen wir noch nicht, mal sehen, wird sich dann bestimmt ergeben, wenn es soweit ist!”. Aber auf der anderen Seite erhalten wir uns damit die Freiheit die Dinge so zu entscheiden, wie sie für uns in dem Moment richtig sind, in dem eine Entscheidung gefällt werden muss.
Langsam wuchs aus der Idee und den sich daraus eröffnenden Perspektiven ein Lebensgefühl heran, aus dem dann fast unbemerkt eine Lebenseinstellung wurde, die unseren Alltag heute prägt. Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, was mehr Einfluss auf uns hatte und uns veränderte. Die Idee von einem Leben unter Segeln oder nur schon der Gedanke, dass so etwas möglich ist.
So schön solche Träume und Ideen auch sind, irgendwann stellt sich unweigerlich die Frage: »Träumt man um des Träumens Willen oder fiebert man dem Ganzen ehrlich entgegen?« Gerade wenn es, wie bei uns, noch einige Jahre bis zu einem möglichen Starttermin sind, werden die Vorbereitungen leicht zum Selbstzweck und man läuft Gefahr, nie loszukommen. Schnell ist dann immer wieder ein Grund gefunden, der es einem unmöglich macht, genau jetzt zu starten. Denn fertig wird man ja ohnehin nie. Klingt blöd, ist aber ziemlich menschlich und hält nicht wenige zuhause, die gleiche Ideen hatten. Dessen sollte man sich bewusst sein und man sollte auch so ehrlich mit sich sein, dass einem diese Frage, egal wie die Antwort irgendwann einmal ausfällt, nicht die Freude am Leben (und Vorbereiten 😉 ) vermasselt. Wir kennen einige Segler, die sehr glücklich damit sind, perfekte Vorbereitungen zu treffen, aber irgendwie kaum noch Zeit zum Segeln finden.
Da wir uns dessen bewusst sind, stellen wir uns diese Frage auch immer mal wieder.
Bis heute sind wir immer zu der gleichen Antwort gekommen. »Ja, wir wollen los und wir wollen auf unserem Schiff leben.« Dies ist unser Ziel und da stecken wir all unsere Energie rein.
Weil wir jedoch möglichst wenig aufschieben und auf später vertagen möchten, gibt es für uns nicht nur dieses »Fern«-Ziel. Zu schnell zerplatzen Träume an Umständen, die man nur wenig bestimmen kann. Unser oberstes Gebot ist, heute soviel von unserem Traum leben, wie irgend möglich, um “nebenbei” den restlichen Plan zu verwirklichen. Das lässt sich für uns auf den einfachen Nenner bringen, im Sommer wird maximal gesegelt und im Winter wird nur soviel gebastelt, dass es im Frühjahr wieder zeitig losgehen kann. Deswegen ist der Reiseteil auf unserer WebPage auch größer, als der mehr technische Teil unserer Vorbereitungen.
Inzwischen haben wir die Mohrian verkauft und »unser Schiff«, die PINCOYA, gefunden. Das war ein Riesenschritt in Richtung »Fern«-Ziel und eine unglaublich tolle Sache für unsere Segelsommer in der Ostsee.