Bastelfieber


Auch wenn es nicht den Anschein hat, ohne könnten wir auch. Ok, der Capitana würde es bestimmt leichter fallen, aber der Schiffsjunge könnte es auch hinkriegen, wenn er sich etwas bemühen würde. Doch in unserem Reisegepäck steckt einfach zu viel Bastelarbeit, um die Füße hochzulegen, und noch mehr wartet ja bei Jan von Lava Chandler auf uns. Bis auf eine Lithium ist ja alles angekommen, aber die zweite ist schlicht verschollen. So hat Jan eine weitere bestellt, die auch schon auf Gran Canaria gesichtet worden sein soll. Es besteht also berechtigte Hoffnung, dass sie es in den nächsten Monaten auch noch bis Lanzarote schafft.

„Wieder da!“

„Wieder da!“

„Rübenartige Möhren und eine Familienpaprika!“

„Rübenartige Möhren und eine Familienpaprika!“

Der Montag vergeht mit Einkaufen und einer Generalreinigung der PINCOYA. Sie sieht wirklich schlimm aus, anders kann man es nicht sagen. Der Sahara-Staub hat alles paniert, ist in jede Ritze eingedrungen und hat es selbst in ansehnlicher Menge durch die Fliegengitter der kleinen Luken geschafft, die nur einen kleinen Schlitz geöffnet waren. Und es nimmt kein Ende. Die Calima färbt alles rötlich gelbbraun. Und die Luft ist so smoggig, als ob Peking und Neu Delhi ihre Luftverschmutzung zusammengeworfen hätten. Wenn der Wind mal etwas auf Nord dreht, dann wird es besser. Aber im Augenblick herrscht eher Ost- oder Südostwind vor. Marion und Paul erzählen uns, dass das alles noch viel schlimmer geht, aber uns reicht es so schon. Was hatten wir hier für eine gute Luft, als das Azorenhoch es beständig aus Nord wehen ließ. Hoffentlich kommt es möglichst bald auf seinem Sommerliegeplatz zurück.


Bevor wir am Dienstag die Sachen von Jan holen, will ich mal eben schnell einen der neuen Ruckdämpfer auf einen der alten Festmacher ziehen. Alte 18er Festmacher und neue 20er Ruckdämpfer mögen sich aber nicht besonders. Nach einer Weile habe ich zwar die richtige Zugrichtung raus, aber es bleibt ein furchtbares und absolut elendes Gezerre und Gewürge.

„Hau und ruck. Das hatten wir uns anders vorgestellt!“

„Hau und ruck. Das hatten wir uns anders vorgestellt!“

Vielleicht hätten wir doch einfach neue Festmacher kaufen sollen. Einfacher wäre das in jedem Fall gewesen. Unter viel Gefluche und am Ende nur mit Hilfe der Winsch gelingt es uns, das Teil auf den alten Festmacher zu fädeln. Wobei »fädeln« echt ein niedlicher Ausdruck für dieses Gezerre ist. Nach einem Ruckdämpfer ist der Schiffsjunge schon völlig fertig. Pro Ruckdämpfer sind es ja auch immerhin 6 Einfädelungen. Ein Ruckdämpfer pro Tag reicht definitiv! Vor uns liegen aber noch 3 alte und 2 neue Festmacher. Was für eine Sch…arbeit!!!

„Kaum kürzer trotz Puffer, aber schwarz“

„Kaum kürzer trotz Puffer, aber schwarz“

Und dann ist der eigentlich weiße Festmacher hinterher auch noch schwarz vom Gummiabrieb. Gott sein Dank lässt sich das aber mit einem scharfen Wasserstrahl wieder weitgehend entfernen. Aber die Reinigung braucht auch noch mal fast eine Stunde.

Zum Mittag ziehen wir auf unserer ächzenden Sackkarre all unsere Beute von Jan zur PINCOYA. Eine echt teure Beute, hoffentlich rentiert sich diese Investition durch eine absolut störungsfreie Ruhe in den nächsten 10 Jahren. Gerne auch 20, so dass wir in unserem verbleibenden Seglerleben an diesen Stellen nichts mehr machen müssen!

„Die Beute!“

„Die Beute!“

Da noch eine der Lithiums fehlt, beginnen wir mit dem Solarregler. Endlich haben wir auch die passenden Stecker für die Borddurchführung unter der Sprayhood zum Anschluss der Zusatzpanels gefunden. Bei einem Musikhaus, das auch Technik für Outdoor-Musikanlagen vertreibt. Hammer, genau das, was wir gesucht haben. Es hat lange gebraucht, aber es lohnt sich immer, auch außerhalb des Seglerbedarfs zu suchen. Es gibt so viele so gute Lösungen jenseits der einschlägigen Segelzubehörfirmen, da lohnt es sich immer, etwas mehr zu suchen.

„Endlich mal eine richtige Verstrickung der Zusatzpanels.“

„Endlich mal eine richtige Verstrickung der Zusatzpanels.“

Frei fliegend stecken wir alles zusammen. Leider ist das Display-Kabel für den Solar-Regler zu kurz. Wir dachten, dass 3 m für eine lichte Entfernung von 1,2 m reichen. Wieder einmal falsch gedacht! Mit allen Ecken, an die man nie richtig denkt, hätten wir 5 m gebraucht. Egal, es verschwindet erst einmal »unordentlich« unter dem Teppich. Und dann machen die Solarpanels in der späten Abendsonne auch schon mal ihre ersten 3 Amps über den neuen Regler. Coole Sache, morgen mehr.


Und wie beginnt ein neuer Tag auf der PINCOYA in Arrecife? Ja, genau! Mit einem neuen Ruckdämpfer auf einem alten Festmacher zum zweiten Kaffee. Der erste Kaffee ist tabu, sozusagen garantiert ruckdämpferfrei und nur zum Aufwachen. Und nichts, absolut nichts geht besser als gestern. Jeder weitere Kommentar ist überflüssig. Das Wort mit »Sch« beschreibt alles absolut treffend.

„Solar läuft schon mal wieder.“

„Solar läuft schon mal wieder.“

Die finale Montage des Solarreglers schnappt sich dann den ganzen Tag und lässt ihn spurlos im Nichts des unsichtbaren Kabelziehens verpuffen. In meinen Ohren klingen noch die Worte eines lieben Arbeitskollegen: “Dann machst du mal eben die Kabel dran und zack ist alles fertig! Wo ist das Problem?” Das ist zugegeben die verkürzte Version seines Ratschlags, wir allerdings stecken in der verlängerten Version des Kabelziehens. Vielleicht sind wir auch zu pingelig…??!!?? Doch wir haben es auch ganz gerne, wenn man von den Kabeln nichts mehr sieht und der Einbau auch einen halbwegs ordentlichen Eindruck macht.


Am Donnerstag reißen wir es im wahrsten Sinne es Wortes. Zusammen fädeln wir die letzten beiden alten Festmacher in die neuen Ruckdämpfer. Dann ist es geschafft! Falls es jemals neue Festmacher gibt, wird es auch neue Ruckdämpfer geben müssen. Die entstandene Verbindung ist für die Ewigkeit.

Der ordentliche Einbau neuer Dinge hat ja zwei Seiten. Die eine Seite macht alles neu und die andere Seite kümmert sich um die Beseitigung des Bastellchaos. Selbst bei größtmöglicher Sorgfalt erwecken die Werkzeug-, Schrauben- und Ersatzteilkästen nach kürzester Zeit den Eindruck, dass sie unmotiviert explodiert sind. Wie von Geisterhand verteilt sich der Inhalt überall, aber damit nicht genug, der Inhalt, und speziell der, der gerade gebraucht wird, versteckt sich zudem noch bösartig und arg hinterlistig an den unmöglichsten Stellen. Das Wort »Chaos« beschreibt diesen Zustand nur unzureichend, denn das, was sich im Zuge einer erfolgreichen Bastelaktion so auftut, ist größer als das, was man landläufig als Chaos bezeichnet!

„Alles dicht!“

„Alles dicht!“

Aber mittags ist alles wieder aufgeräumt und es kann mit der nächsten Aktion weitergehen. Nun sind erst einmal die Schwerwetterverschlüsse für die Luken dran. Die alten Plastikverschlüsse geben zwar ihr Bestes, können aber die Luken nicht mehr wirklich dichthalten, wenn die Wellen mal richtig über die PINCOYA laufen. Nach dem einfachen Verschlussprinzip von Bullaugen, haben wir uns zusätzliche Schraubverschlüsse aus Alu gebastelt. Die Montage geht problemlos und ein erster Dauertest mit scharfen Wasserstrahl in die Lukenritzen lässt kein einziges Tröpfchen mehr durchkommen. Schlechtes Wetter kann nun kommen, auch wenn wir es gar nicht haben wollen.


Langsam und Schritt für Schritt geht unser Bastelalltag in ein Warten auf die letzte Batterie über. In neun Tagen läuft unsere Zeit hier in Arrecife ab. Wir hoffen sehr, dass sich Jans Optimismus in der kommenden Woche in einer zweiten Lithium materialisiert. Je länger wir hier sind und je mehr wir mit der Seglergemeinde hier ins Gespräch kommen, desto mehr haben wir den Eindruck, dass unsere bisherigen Lieferungen eher in die Kategorie »Glück gehabt« passen. Ein normales Steggespräch läuft ungefähr so: »Um Gottes Willen, ihr habt hier etwas bestellt?« Und auf unser eher schüchternes »Ja, aber wir haben auch schon …« folgt dann ein fast entsetztes »WAS???, Ihr habt sogar schon einen Teil bekommen? Unglaublich! Ihr seid echte Glückspilze!« Dann folgen noch einige Schauergeschichten, die immer damit enden, dass Segler nach Monaten des Wartens entweder zurück in die EU gesegelt sind oder in der Hoffnung irgendwo anders mehr Glück zu haben, trotzdem aufgebrochen sind.

„Zwischendurch auf dem Weg zum Baumarkt.“

„Zwischendurch auf dem Weg zum Baumarkt.“

Eines ist uns inzwischen ganz klar, auch wenn sich Jan ohne Frage sehr bemüht, wir werden nie wieder die Kanaren als Ort irgendwelcher Reparaturen, Ausbauten oder gar Bestellungen wählen. Dazu passt auch das spontane Statement von Purewater aus Deutschland, wo wir einen Wassermacher angefragt haben. »Wir liefern euch den Wassermacher gerne überall auf der Welt hin, aber bitte bitte möglichst nicht auf die Kanaren.« Es ist vollkommen unbegreiflich, warum das hier so schwierig ist. Aber Lieferungen auf die Kanaren sind definitiv mit einem vollkommen unkalkulierbaren Risiko behaftet. Mit irgendwelchem Kleinkram unter 150 € mag das sicher einfacher gehen, aber in dem Moment, in dem höhere Werte oder gar Gefahrguttransporte ins Spiel kommen, wird es ein Lotteriespiel bei Zoll und Spedition.


Inzwischen sind wir segelfertig. Einige Kleinigkeiten sind noch zu tun und zu checken, aber wenn alles so funktioniert, wie es im Dezember noch funktioniert hat, sollte da eigentlich nichts mehr hochkommen. Etwas Sorgen macht uns der Sand und Staub des Calima. Schon das eher grobe Kugellager der Selbstwendefock mag nicht mehr so richtig rollen. Der Windmesser im Mast gibt aber noch halbwegs plausible Werte von sich. Alles was sich bewegt, müssen wir wenigstens noch einmal kräftig spülen. Hoffentlich nicht mehr.

„Nicht unbedingt die schlaueste Idee, ein Kugellager auseinander zu nehmen.“

„Nicht unbedingt die schlaueste Idee, ein Kugellager auseinander zu nehmen.“

Die eine neue Lithium und der Solarregler »sprechen« nun auch schon mit uns. Alle Geräte sind inzwischen »smart« und quatschen über Bluetooth. Selbst die Batterien. Wir wissen noch nicht so recht, ob wir das so richtig toll finden, aber es soll ja auch deaktivierbar sein.

Arrecife
28° 57′ 43,9″ N, 013° 32′ 22,6″ W