Açores -> Ireland – Tag 6 bis 8 –


Praia da Vitória, Terceira, Açores -> Ziel Kilrush, Ireland bisher: 991,2 sm Gesamtdistanz 2023: 6.912,5 sm

„Tag 6 bis 8“

„Tag 6 bis 8“


Tag 6, Dienstag, 13.06.2023
Nachdem wir ab kurz vor Mitternacht wieder segeln konnten, gleiten wir nun mit 5 bis 6 kn durch die Nacht. Ich schreibe extra »gleiten«, weil es ein total unwirklich ruhiges Segeln ist. Als ob wir gut geschmiert einfach so dahinflutschen. Aus 10 kn Wind 6 kn Fahrt zu holen, ist wenigstens für uns mit der dicken Erna unmöglich. Doch wir haben einen satten Knoten Strom mit. Die Wellen sind schmusig, der wenige Wind lässt keine Unruhe aufkommen, und auch deswegen läuft es einfach so.

„Nur am Horizont sind Wolken, gleich kann sie uns schon einmal wärmen.“

„Nur am Horizont sind Wolken, gleich kann sie uns schon einmal wärmen.“

Am Morgen kommt die Sonne hinzu und rundet die ganze Sache noch einmal von einem fast wolkenlosen Himmel ab. Die ganze Nacht über hat uns schon ein grandioser Sternenhimmel begleitet. In 5 Tagen ist Neumond, da kommen auch mal die weit entfernten Sterne mit ihrem schwachen Licht zur Geltung. Auch wenn wir das Glück haben, so etwas immer wieder sehen zu können, es ist jedesmal auf’s Neue faszinierend.

Schon die ersten Sonnenstrahlen machen es in unserem segelnden Wintergarten wieder schön warm. In zwei Stunden können wir sicher auch schon mal die Luke öffnen, ohne eine Gänsehaut zu bekommen.
Unter solchen Bedingungen kann man tief und fest schlafen, ohne immer wieder gestört zu werden, weil man in der Koje doch hin und her gerollt wird. Das ist die Versöhnung für den Affentanz der letzten Tage. Das Tief hat sich in der Nacht tatsächlich um uns herum aufgelöst und wir segeln gerade mit seinem Restwind aus Südost auf seiner nun zusehends schwächer werdenden Ostseite. Für den Ausläufer des großen Neufundlandtiefs ist unser Resttief nur noch eine kleine Störung. Der Ausläufer wird uns im Laufe des Tages nur streicheln und den Wind dann wieder über Süd auf Südwest drehen.

„OpenCPN statt die Predictwind-App ist bei uns nun Standard geworden.“

„OpenCPN statt die Predictwind-App ist bei uns nun Standard geworden.“


Der Tag vergeht ohne Höhen und Tiefen. Es ist ruhig genug und wir können uns einen Eintopf aus den restlichen frischen Sachen kochen. Ein hübscher Segeltag, es geht gut voran.

„Ein Süppchen! 😋“

„Ein Süppchen! 😋“

Bis Mitternacht hat die Winddrehung auf Südwest uns noch nicht erwischt. Sie muss knapp hinter uns sein, ist aber wohl etwa genauso schnell wie wir nach Norden unterwegs. Den ganzen Tag waren wir nicht eben langsam, aber trotzdem ganz wunderbar unaufgeregt.

Um 23:59 loggen wir unser 5. Etmal mit 135,5 sm. 415 sm to go.


Tag 7, Mittwoch, 14.06.2023
Ebenso unaufgeregt geht es in der zweiten Nachthälfte weiter, auch wenn es etwas auffrischt und ohne Ende regnet. Dass die Sonne aufgeht, merken wir nur daran, dass das schwarze Nasstrüb langsam in ein graues Nasstrüb übergeht. In den ersten 6 Stunden dieses Tages haben wir immerhin schon mal 41 sm geschafft. Laut Vorhersage sollte der Wind schon vor Stunden auf Südwest gedreht haben, aber wir segeln immer noch mit dem alten Ostsüdost in dem sich angeblich auflösenden Regenband.

„Oben die Aussicht nach Backbord und untern nach Steuerbord.. oder war es umgekehrt? 🙄“

„Oben die Aussicht nach Backbord und untern nach Steuerbord.. oder war es umgekehrt? 🙄“

Uns soll’s recht sein, wenn es so schön vorangeht. Und der viele Regen tut den Segeln sicher auch mal gut, eine Süßwasserspülung kann nicht schaden. Schon lange haben wir nicht mehr so unaufgeregt eine Meile nach der anderen gefressen. Und wenn es dazu dann auch noch unbedingt regnen muss, dann gehen wir halt nicht raus und warten drinnen ab.


Eigentlich wollten wir ja heute im Sonnenschein der Hochdruckbrücke im Cockpit mal duschen, aber bei aller Liebe, angesichts dieses Hamburg-Wetters ist uns wirklich nicht danach. Bis 12:00 läuft’s so weiter, sowohl von oben wie auch geradeaus. Dann schläft der Wind ein und die Drehung kündigt sich an. Schade eigentlich, nun werden uns auch einige Schwachwindbereiche einholen, bis es dann mit dem Ausläufer des Neufundlandtiefs weitergehen kann. Wir schiften, der Wind kommt nun aus Südwest. Volle Fahrt voraus! 3 kn!

Aber so können wir auch erst einmal Wasser machen, das haben wir bisher noch gar nicht gemacht, weil uns nicht danach war und es oft auch gar nicht ging. Die Sache mit einem Wassermacher haben wir all die Jahre ganz anders gesehen, heute würden wir nicht eine Seemeile mehr ohne fahren wollen. Die Freiheit ist einfach unglaublich viel größer, und was eigentlich noch viel entscheidender ist, ist die Wasserqualität. Inzwischen haben wir mehr als 5.000 Liter Wasser gemacht und die größte Menge davon ist eben nicht in unserem Trinkwasserzusatztank gelandet, sondern in den Haupttank geflossen. Und nun schmeckt auch das Wasser aus dem Haupttank genauso gut und neutral, wie das Wasser aus unserem Trinkwassertank. Es ist erschreckend, was für ein Wasser wir vorher immer so getankt haben müssen.

„Duschzeit!“

„Duschzeit!“

Doch dann wird doch erst einmal geduscht. Die Sonne ziert sich zwar noch etwas, aber es ist mild. Auch diese Freiheit, einfach mal mit Süßwasser ausgiebig zu duschen, ist phantastisch. Allerdings sinkt unsere Produktionsrate mit der Wassertemperatur. In der Karibik haben wir immer so um die 45 Liter pro Stunde gemacht, hier sind es nur noch 35 Liter. Doch das kann uns ja eigentlich auch alles herzlich egal sein, dann läuft der Wassermacher eben etwas länger. Die Energie für ihn erzeugen wir ja rein regenerativ und bisher auch noch im Überfluss.


Der Tag vergeht im Einheitsgrau. Ab 15:00 liegt die See bleiern um uns herum. Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich es hier draußen sein kann. Wir motoren etwas, mal sehen, was da hinten so kommt. In diesem Nordsee-Einheitsgrau wollen wir uns nicht einfach treiben lassen, auch weil es immer noch ordentlich schwabbelt. Aber wo sind eigentlich die 13 kn Wind? Wird so etwas mit den 20 kn der Nacht verrechnet, die eigentlich nur 15 sein sollten? Das wäre in diesem Fall echt gemein, denn die 20 in der Nacht wollten wir ja gar nicht haben! 😤

„Seenebel.“

„Seenebel.“

Um 19:00 sind wir zwar noch nicht auf der Höhe von London, aber der Nebel hat uns. Flaute und Nebel passen gut zusammen, hoffentlich hält das nicht so lange an. Ohne Radar ist das schon etwas blöd, da bleibt uns nur die Hoffnung, dass wir wie in den letzten 48h nicht ein einziges Schiff treffen. Und wenn einige doch so leichtsinnig sind, sich uns in den Weg zu stellen, dann haben sie hoffentlich AIS an und fischen nicht im Verborgenen.


Das neue Wetter macht wenig Hoffnung auf eine flottere Fahrt. Das letzte Ende bis Irland wird zäh. Das Neufundlandtief lässt sich Zeit und schwächt sich ab. Und zwischendrin soll es ein paar indifferente Zwischenspielchen geben, von denen keiner so genau weiß, ob die nun eher hoch oder tief sind.

„Ein Sonnenuntergang zwischen den Wolken.“

„Ein Sonnenuntergang zwischen den Wolken.“

Doch in jedem Fall haben sie hübschen Nebel dabei, denn nach einer kurzen Auflockerung, stecken wir nun schon wieder in der Suppe. Aus 7 bis 8 kn Wind machen wir immerhin noch 3 kn Fahrt, das ist zwar nicht berauschend, erspart uns aber den Motor. Im Nebel können wir ja eh nichts sehen, da können wir auch schlafen geh’n. 30 min später sind beide weg, der Nebel und der Wind. Seit der Karibik sind wir nun schon fast 3.500 sm auf Langfahrt. Die Einfahrt zum Shannon liegt etwa 250 sm vor uns. – Wir motoren, morgen soll es ja wieder etwas Wind geben. Echt toll wäre es, wenn sich der Wind über eine Langfahrt mal gleichmäßig verteilen würde. Das wäre mal echt eine coole Sache. So ist das eher wie Stoßlüften.

Um 23:59 loggen wir unser 6. Etmal mit 125,1 sm. 211 sm to go.


Tag 8, Donnerstag, 15.06.2023
Zu einem gewissen Grad ist es manchmal schon recht enttäuschend. Da macht man sich tagelang, ja mitunter sogar wochenlang Gedanken, welches Wetter passen könnte, was man meint, selbst noch zu schaffen und sich auch zumuten oder in Kauf nehmen möchte, oder was für einen selbst dann doch zu viel ist. Auf den Azoren haben wir praktisch zwei Wochen lang das Wetter beobachtet und auf Terceira tatsächlich eine Woche gewartet, weil es uns doch zu gefährlich schien, es noch vor dem Sturmtief zu versuchen. Dann entscheiden wir uns bewusst für die Rückseite des Sturmtief und wissen, dass es noch eine Ehrenrunde drehen wird und wir einen auf die Mütze bekommen werden. Nicht zu hart, aber unangenehm genug, und dennoch entscheiden wir uns dafür.

Alles geht gut, man bekommt es seglerisch prima hin und ist am Ende auch etwas stolz, obwohl »angenehm« anders ist. Doch wir wollen ja auch sportlich segeln und durchaus auch mal unsere Grenzen etwas verschieben. So weit, so gut und dann kommt diese Scheißflaute und man kann absolut nichts machen. Bei Starkwind oder Sturm kann man reffen, ablaufen oder sonst was für eine Taktik wählen. Aber wenn einen so eine Flaute erwischt, dann geht eben nichts mehr, außer motoren. Und genau das ist zum 🤮 und hat mit aktiver Segelei überhaupt nichts mehr zu tun.

Dadurch, dass wir nun die großräumigen Wettervorhersagen auch auf See abrufen können, konnten wir unseren Kurs so optimieren, dass uns die Flaute erst spät erwischt hat. Das war zwar feucht und regnerisch, aber es segelte! Doch vermeiden konnten wir sie schlussendlich nicht. Und nun stecken wir mitten in diesem Nichts von Wind und wissen, dass sich daran auch bis heute Mittag nichts ändern wird. So etwas nervt ohne Ende. Und wenn alles bisher so schön geklappt hat, dann enttäuscht es eben, zu so einer seglerischen Passivität verurteilt zu werden.
Und wer aus diesen Zeilen nun den Frust des Schiffsjungen herausgelesen hat, der hat richtig gelesen 😯.


„Das graublaue Nichts!“

„Das graublaue Nichts!“

Bis 4:00 steigert sich der Wind um 100%. Nun haben wir schon fast 5 kn. Wenn das so weitergeht, können wir um 8:00 schon wieder segeln. Damit uns die ganze Sache nicht zu eintönig wird, gibt es Varianten des Regens mit feinen Abstufungen, die nur der erfahrene Regenologe erkennt. Mal regnet, pladdert oder dröppelt es, es gibt auch Abstufungen zwischen feinem Niesel-, zartem Fiesel- und schüchternem Pieselregen, die sich in Varianten von Sprühregen auflösen, um zu einem kurzen Schauer mit abschließendem Sturzregen zu werden. Oder umgekehrt, wie auch immer … Natürlich kann jedes Kind anhand der Geschwindigkeit seiner Durchnässung zwischen Schüttregen und Wolkenbruch unterscheiden, aber in dieser Nacht sind die Unterschiede feiner.

Irische Schafe tragen übrigens als einzige Schafe die sogenannte Goretex-Wolle. Ein absolut wasserdichtes Haarkleid, das zudem durch den Lufteinschluss zwischen den dichten Lockenhaaren auch hervorragend wärmt und wie eine Schwimmweste wirkt. Dieses evolutionäre Meisterstück sichert das Überleben der irischen Schafe, wenn sie mal von einem Sturm ins Meer geblasen oder von einer der heimtückischen Springtiden überrascht werden. Springtiden sind eigentlich ein allgemeines, weltweit bekanntes Phänomen, doch in Irland springt die Tide oftmals besonders hoch. Als der römische Feldherr Claudius Garausius 274 n. Chr. den Heiligen St. Patric versuchte zu ergreifen, der sich auf der grünen Insel versteckt hielt, wurden große Teile seines Heeres von einer solchen Springtide verschlungen. Am Ufer stehend rief Claudius: »Das ist ja irre!”, was der Insel ihren heutigen Namen gab. Irreland. In den folgenden Jahrhunderten ging allerdings das eine »r« verloren und der Name schliff sich als Ireland ein. Einige Historiker bezweifeln allerdings, dass Claudius Garausius wirklich in Ireland war, und leiten den Namen der Insel eher von dem englischen Begriff »irrigation« ab, der in der deutschen Übersetzung soviel wie »Berieselung« oder »Bewässerung« bedeutet und wenn es mal ganz doll von oben kommt, auch mit »Beregnung« übersetzt werden kann. Die Iren feiern übrigens den damaligen Tag der Springtide heute noch als St. Patrics Day. Der Heilige soll damals auf dem Fastnet Rock gesehen worden sein, wie er die Arme urplötzlich während des auflaufenden Hochwassers in die Höhe riss und mit ihnen die See zu eben dieser Springtide anschwoll. Dies gehört allerdings wohl doch eher in den Bereich der Legenden. Das keltische Kreuz allerdings, also das Kreuz mit dem Ring, das auch auf den Heiligen St. Patric zurückgehen soll, hat allerdings einen ganz natürlichen Ursprung, denn hinter dem Ring steht nichts Mystisches, es handelt sich lediglich um eine konstruktive Verstärkung der Kreuzstruktur, die wegen der andauernden, stürmischen Winde rund um die Insel schlicht aus praktischen Gründen notwendig war. Und daran kann man heute auch gut sehen, wie sich das Klima schon verändert hat, denn von diesen Winden ist aktuell schon nichts mehr als eine Flaute übrig geblieben. Der Regen blieb allerdings erhalten und die Schafe sind nach wie vor froh über ihre Goretex-Wolle.

„Angesichts der Wetteraussichten taucht der lieber wieder ab.“

„Angesichts der Wetteraussichten taucht der lieber wieder ab.“


Um 5:30 ist es dann soweit. Die Heizung läuft. Der Wintergarten macht sich als Wintergarten halt nur bemerkbar, wenn auch die Sonne scheint. Die scheint aber gerade irgendwo anders zu scheinen, nur nicht bei uns.

„Das NICHTS!“

„Das NICHTS!“

Um 7:30 hat das Nichts um uns herum eine Perfektion erreicht, die mitnichten nicht nichtiger sein könnte. Ein allumfassendes und reines Nichts breitet sich in seiner höchsten Perfektionstufe um uns herum aus. Man könnte es hören, wenn es nicht gerade das Nichts wäre, das natürlich auch nicht zu hören ist, denn sonst wäre es ja eben auch nicht mehr das Nichts. Einzig durch die spiegelglatte Oberfläche des Atlantiks kann man darauf schließen, dass wir gerade Zeuge eines der bedeutendsten Nichts-Ausbrüche werden, die jemals nicht verzeichnet wurden. Leider zeigt unsere Windanzeige den Nicht-Wind nur bis zur zweiten Nachkommastelle an und so steht die Anzeige nun schon seit Stunden auf Nullkommanullnull. Wir müssen dem absoluten Nullpunkt des Windes sehr nahe sein.

„Immer noch nichts!“

„Immer noch nichts!“

Um 12:00 haucht es mit 6 kn. Wagemutig setzen wir Segel und machen nach 18 Stunden den Motor aus. Wir können uns beide nicht daran erinnern, dass wir jemals länger mit Motor unterwegs waren. Bis 13:00 ist es ein ungleicher Kampf zwischen den Segeln, die versuchen, so etwas wie Vortrieb zu erzeugen, und dem Nichts, was dieses unter allen Umständen verhindern will. Danach läufts, das Nichts hat aufgegeben, wir haben 7 bis 8 kn Wind und sausen mit 3,5 kn unserem Ziel entgegen. Es kann sich nur noch um Tage handeln.

„Delphinbesuch. Sie schwimmen nur etwas mit uns, wir sind ihnen zu langsam.“

„Delphinbesuch. Sie schwimmen nur etwas mit uns, wir sind ihnen zu langsam.“

Um 23:00 hat uns das Nichts wieder. 🤮 Im Südwesten droht Wetterleuchten. Da wir noch einiges an Datenkontingent haben, holen wir gleich beide Modellrechnungen, ECMWF und GFS. Die Delle, die unser altes Sturmtief in dem Ausläufer des Neufundlandtiefs hinterlassen hat, bleibt uns treu. Es will uns nicht loslassen. Wir motoren wieder bei 2 kn Wind. Seit 36 Stunden geht gar nichts mehr so richtig. Was ist das nur für eine Scheiße auf den letzten Meilen. Jetzt fehlt nur noch ein Gewitter mit Nebel und vielleicht etwas Schneeregen aus Nordosten. Unwahrscheinlich ist das bei unserem Wetterglück nicht 🙄.

Um 23:59 loggen wir unser 7. Etmal mit 111,8 sm. 182 sm to go.

Unsere Position am 15.06. um 23:59
50° 19′ 25,8″ N, 012° 26′ 01,1″ W