Dunkerque -> Querqueville (Cherbourg)
Distanz: 186,2 sm Gesamtdistanz 2024: 666,4 sm
Als unser Wecker klingelt und die unruhige Nacht endlich ein Ende findet, hat es auch der Sommer bis zu uns geschafft. Das verlockende Blau hatte schon den ganzen Samstag im Westen herumgelungert, sich aber nicht dazu entschließen können, bei uns mal vorbeizuschauen. Als wir nun den Espressokocher ins Cockpit stellen, grinst es uns rundherum an.
Doch die Nacht war unruhig. Am Samstagnachmittag hatte der Wind damit begonnen zu drehen, was ja grundsätzlich auch ganz in unserem Sinne war, denn darauf hatten wir nun schon vier Tage gewartet. Doch eine solche Drehung hat leider auch ihre Nebenwirkungen, wenn man vor Dunkerque vor Anker liegt und der Wind von Südwest über West auf Nord dreht. Solange die Tide aufläuft ist das nicht weiter schlimm, denn dann guckt der Bug mehr oder weniger in den Wind und die Wellen. Doch sobald die Tide beginnt zu kentern, liegt man erst quer und dann genau mit dem Heck in den Wellen. Das ist unangenehm und laut, denn jede Welle, die nun unter das flache Heck der PINCOYA knallt, lässt unsere alte Dame regelrecht erzittern. Von Samstagnachmittag auf Sonntag hatten wir dieses Theater gleich zweimal. Nur die Aussicht auf einen frühen Start und den langen, schönen Ritt nach Westen lassen uns die Sache ertragen.
Dann duftet der Espresso und nicht nur die Erinnerungen an die letzte Nacht verblassen im Angesicht der nun vor uns liegenden Etappe schnell. Insgesamt war das Ankern vor Dunkerque schon eine Prüfung für unsere Geduld. Nicht nur einmal waren wir drauf und dran, doch aufzubrechen, aber die unter Motor gegenan stampfenden Segler haben uns dann immer wieder gezeigt, dass die Idee, unter Motor etwas zu erzwingen, doch nur eine schlechte Idee aus einer Laune des Wartens heraus ist. Aber nun passt alles und wir müssen uns diese schöne Gelegenheit nur noch schnappen.
So fackeln wir nicht lange und brechen schon gegen 7:30 auf. Das Wasser läuft zwar noch kräftig auf und der Nordwind ist noch nicht stark genug, um uns gegen die Tide voranzubringen, doch bis zum Cap Gris-Nez sind es ja auch noch etwas mehr als 30 Seemeilen. Und am Cap Gris-Nez brauchen wir den Tidenstrom mit uns, alles andere wäre eine unnötige Quälerei. So starten wir kurz nach dem Maximum des auflaufenden Wassers. Das ist zwar auch nicht optimal und man hätte es schon gerne anders, aber das Kräfteverhältnis zwischen Tide und Wind wird sich in den nächsten Stunden ja auch nach und nach verschieben. Wenigstens das ist ja sicher, der Gegenstrom wird verlässlich abnehmen und der Wind aus Nordost soll zunehmen. Und wenn die Tide dann tatsächlich kentert, haben wir schon mal ein gutes Stück in Richtung Cap Gris-Nez geschafft. Am Cap Gris-Nez wollen wir wirklich pünktlich sein, damit uns dort der Tidenstrom maximal mit um die Ecke nimmt.
Als wir starten, müssen wir mit dem Motor noch etwas nachhelfen, um nicht rückwärts zu segeln. Allein mit dem Wind geht’s im Tidenstrom noch nicht gegenan. Und diese Gelegenheit nutzen wir dann auch gleich mal, um Wasser zu machen. Seitdem wir den Wassermacher haben, machen wir wenigstens einmal die Woche Wasser, denn das System muss regelmäßig genutzt werden, sonst beginnt es zu gammeln. Auch deswegen füllen wir unseren Haupttank nur noch halb, das reicht für uns dicke und spart zudem Gewicht, das wir sonst mit uns herumschleppen müssten.
Und so machen wir zwischen Dunkerque und Calais nun zum 100sten Mal Wasser. Ein erstes kleines Wassermacherjubiläum 🏅. Seit Oktober 2022 haben wir nun schon fast 8.000 Liter Wasser gemacht und das ausschließlich mit erneuerbaren Energien, wenn man mal von den trüben und grauen Monaten in Schottland und Norwegen im letzten Jahr absieht. Die Kombination aus Solarzellen, Lithiums und Wassermacher ist ideal und ein echter Erfolg. Energetisch sind wir autark. Oft haben wir sogar so viel Solarstrom, dass wir ihn gar nicht mehr nutzen können. Für diesen Fall müssen wir endlich mal die Schaltung einbauen, um dann mit der überschüssigen Energie auch Warmwasser zu machen. Zu viel Energie haben wir zwar nicht immer, aber wenn, dann wollen wir die auch nicht einfach so verpuffen lassen, sondern lieber warm duschen.
Als die Tide dann kentert, läuft’s erst einmal. Doch vor Calais beginnt der Wind herumzumaulen. Nun nimmt uns zwar die Tide mit, doch durch unseren Kurs und die Winddrehung auf Nordost segeln wir auch immer mehr vor dem Wind. So haben wir kaum noch Druck in den Segeln. Eigentlich ist es Zeit, mal über den Parasailor nachzudenken, doch kurz hinter Calais steht eine Stromkante, von der wir nicht wissen, was sie so für uns parat hält.
Das Wetter ist ruhig und man kann die Kante schon früh sehen. Von Osten kommend ist das Wasser vollkommen glatt und ab einer Linie, die sich wie mit dem Lineal gezogen über die Strait of Dover zieht, wird es kabbelig. Teilweise brechen sich sogar kleine Wellen. Es ist schon spannend, auf so eine Kante zuzufahren und dann in das Kabbelwasser zu kommen. Erstaunlicherweise ändert diese Stromkante absolut nichts an unserer Geschwindigkeit. Wir hatten schon erwartet, dass wenigstens irgendetwas passiert. Dass wir schneller oder langsamer werden oder wenigstens irgendwie zur Seite gedrückt werden. Aber nichts, es geht genau geradeaus und genauso schnell bzw. langsam weiter wie bisher. Nur dass es nun eben kabbelig um uns herum ist.
Da unsere konventionelle Beseglung mit Groß und Genua vor dem schwachen Wind nun so gar nichts mehr bringt, setzen wir noch vor dem Cap Gris-Nez den Parasailor. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, und bis wir alle Strippen so hingefummelt haben, dass es auch wirklich losgehen kann, dauert es etwas. Zudem haben wir uns ja im Winter einen Überzieher als Scheuerschutz für die Genua genäht, der kommt nun das erste Mal zum Einsatz. Er passt zwar grundsätzlich, aber eine kleine Anpassung ist dennoch notwendig, denn ganz so einfach mag er sich noch nicht über die Knoten der Genuaschoten ziehen lassen. Da müssen wir noch einen Keil einnähen und irgendetwas erfinden, das den Trichter dann auch offen hält. Doch dann steht der Parasailor und es beginnt wieder zu laufen. Zusammen mit dem ablaufenden Wasser machen wir bei dem wenigen Wind schöne sieben Knoten Fahrt über Grund. Dazu scheint sie Sonne. Was wollen wir mehr?
Doch schon am frühen Nachmittag bekommt der Spaß schon wieder einen Dämpfer. Alle sechs Stunden kentert die Tide und nun beginnt sie schon wieder gegen uns zu laufen. Es ist ein ewiges Wechselspiel und die Halbzeit, in der das Wasser mit einem läuft, scheint immer kürzer zu sein, als die, die es einem schwer macht 🧐. Allerdings ist der Wind inzwischen stark genug, um dem Gegenstrom ordentlich Paroli zu bieten. Wir rauschen durch die Wellen, sind aber über Grund nicht mehr ganz so flott unterwegs.
Zum Abend hin frischt der Wind noch etwas mehr auf. Unter normalen Bedingungen fahren wir den Parasailor ja vor dem Wind durchaus bis 20 kn wahren Wind, doch für eine erste Nacht mit Parasailor sind uns dann 18 kn doch etwas viel. Im letzten Tageslicht holen wir den Parasailor wieder ein und segeln konventionell weiter. Oberhalb von 15 kn geht das nur mit Groß ja auch ganz gut und wir sind durchaus schnell genug. Doch zur Hundewache hat auch der Wind keine Lust mehr und wir bereuen, den Parasailor eingeholt zu haben. Bei dem wenigen Wind ist die Tide übermächtig und für Stunden müssen wir uns mit 2 bis 3 Knoten Fahrt über Grund zufrieden geben. Auch wenn unsere Fahrt durch’s Wasser etwas höher ist, reicht sie nicht aus, um den Wellen zu entkommen. Sie laufen nun Stunde für Stunde von achtern ein und wir geigen uns mehr schlecht als recht durch die Nacht nach Westen voran.
Trotz allem ist diese Nacht ein Traum. Über uns funkelt wieder dieser unendliche Sternenhimmel und die Ruhe ist einfach magisch. Südlich der Hauptschifffahrtsroute laufen wir auch nicht Gefahr, dass uns dauernd irgendwer in die Quere kommt. Wir können es einfach laufen lassen, auch wenn sich das bei 2 bis 3 Knoten Fahrt schon etwas übertrieben anhört 😂. Auf AIS sehen wir vor und hinter uns je einen Mitstreiter, der wohl auch die kurze Ostwindlage maximal ausnutzen will. Einige Fähren kreuzen von Süd nach Nord oder umgekehrt und ein Fischer sammelt fleißig unzählige Lobster Pots ein.
Es ist ein schönes Gefühl, mal wieder durch die Nacht zu segeln. Endlich haben wir wieder diese Weite. So etwas schon im Englischen Kanal zu schreiben, liest sich sicher etwas merkwürdig, doch für dieses Gefühl reicht ja eine Scheibe von 40 Seemeilen in deren Mitte man unter diesem unbeschreiblichen Sternenhimmel sitzt. Nach Mitternacht gesellt sich dann auch der Halbmond zu uns. Ganz langsam geht er rot-orange im Osten auf. Warm ist die Nacht allerdings nicht, da müssen wir wohl noch etwas weiter nach Süden vorankommen. Doch ganz langsam schwingt sich auch unser Nachtfahrtrhythmus wieder ein. Stunde um Stunde geht’s so voran und wenn uns draußen zu kalt wird, setzen wir uns zum Aufwärmen rein.
Kurz nachdem die Sonne wieder über den Horizont guckt, wecke ich Astrid. Wir müssen dringend etwas mehr Fahrt machen und dafür brauchen wir den Parasailor. Das Setzen geht diesmal schnell und unsere dicke Erna kommt gleich wieder in Wallungen. Im Handumdrehen wird es auch ruhiger. Kaum sind wir wieder schneller als die Wellen, läuft unsere alte Dame wie auf Schienen. Wenn der Wind im Tagesgang noch etwas zunimmt, sollten wir den Rest bis Cherbourg locker noch im Hellen schaffen. Noch rund 70 Seemeilen liegen vor uns, das sollte auch mit dem ewigen Hin und Her der Tide machbar sein, sofern uns der Wind nicht verlässt. Den Parasailor setzen wir übrigens genau auf dem Nullmeridian, nun sind wir wieder auf der westlichen Hälfte.
Während sich nun Wind und Wetter tatsächlich von ihrer freundlichen und unaufgeregten Seite zeigen, holen wir etwas Schlaf nach und versegeln den hübschen Tag einfach so, wie er daherkommt. Es ist wirklich schön, wenn mal nichts passiert. An unserem Track kann man ganz gut sehen, wie uns die Tide, die sich auflaufend im Norden um die Halbinsel Cotentin dreht, nach Süden versetzt. Erst spät halsen wir, auch in der Hoffnung, dass wir so mit weniger Gegenstrom weiter in Richtung Cherbourg vorankommen.
Etwa 20 sm vor Cherbourg wird aus unserer einsamen Fahrt dann eine Art Sternfahrt. Von Norden, aber vor allem von Süden drängen unzählige Segler heran und fädeln sich vor und hinter uns in die letzten Seemeilen nach Cherbourg ein. Der Wind schwächelt, nur noch die Spi- und Gennaker-Fahrer kommen halbwegs unter Segeln voran. Gerne wären wir hier mit einer passenderen Tide angekommen, doch planen lässt sich so etwas nur bedingt, wenn das Vorankommen der letzten 36 Stunden eine ungewisse Summe aus Wind und Gezeiten ist.
Exakt an der ersten nördlichen Untiefe im Osten der Halbinsel von Cherbourg, verlässt uns der Wind. Von jetzt auf gleich fällt der Parasailor in sich zusammen und schlackert nur noch im Gleichtakt der Wellen hin und her. Um uns herum geht es den anderen genauso und die Flaute scheint sich nach Osten auszudehnen. Gerade hatte es wieder begonnen zu laufen, denn nach dem Stillwasser wollte der Tidenstrom gerade wieder in der passenden Richtung für uns loslegen. Da haben wir Glück gehabt, dass der Wind bis hier durchgehalten hat, sonst hätten wir nun noch länger motoren müssen.
Wir nehmen den Parasailor runter und dann auch gleich das Groß. Rien ne va plus. Es war ein wunderbarer Schlag direkt von Dunkerque bis hierher, besser und schöner hätte es kaum laufen können.
Die große Karawane der Segler, – wir haben in den letzten Stunden gut 30 Segler mit Ziel Cherbourg gezählt -, zieht bis auf ein einziges Schiff in die Marina von Cherbourg. Nur die PINCOYA nimmt nicht die erste, sondern die zweite, also die westliche Einfahrt in den riesigen Molen der Grande Rade von Cherbourg. In Noforeignland haben wir direkt vor Querqueville einen hübschen Ankerplatz gefunden und direkt in fußläufiger Entfernung gibt es dort einen E.Leclerc und einen Lidl. Wir müssen mal wieder etwas Frisches einkaufen, da scheint dieser Ankerplatz ideal zu sein. Und mal abgesehen davon, dass wir 2019 in Cherbourg unsere erste, selbst ersegelte Palme hatten, hatte uns Cherbourg nicht wirklich gut gefallen. So ist Querqueville mal etwas Neues.
Gegen 21:00 fällt unser Anker direkt vor den Moorings von Querqueville. Sofort hüllt uns eine Ruhe ein, als ob wir auf dem Maschsee in Hannover geankert hätten. Der leichte Windhauch aus Nord dreht uns in die Pol-Positon für den Sundowner. Und obwohl das Lidl Bier noch bis 2025 haltbar ist, zischen nun zwei Döschen und wir stoßen auf diese zwei wundervollen Segeltage an.
Vor Querqueville
Vor Querqueville liegt man wirklich ideal. Am nächsten Tag kommt noch ein Holländer dazu. Es ist viel Platz, aber wir sind froh, dass die allermeisten doch immer lieber in eine Marina gehen.
Die Versorgung bei Lidl und E.Leclerc ist einfach. Viel einfacher, als wir das aus der Marina von Cherbourg in Erinnerung haben. Wir gucken bei Niedrigwasser, was alles so an Felsen zum Vorschein kommt und merken uns den passenden Weg zur Slippe direkt bei Lidl.
Nachmittags machen wir noch einen langen Spaziergang nach Querqueville und bis ans Ende der westlichen Mole der Grande Rade. Irgendeiner der französischen Ludwige hat mit dem Ausbau der Hafenanlagen von Cherbourg begonnen und Napoleon hat den Bau der Grande Rade dann vorangetrieben. Der Bau hat viele Jahrzehnte gedauert und die Grande Rade ist heute immer noch die zweitgrößte künstliche, abgeschlossene Reede weltweit. Ein gigantisches Bauwerk, was natürlich auch im zweiten Weltkrieg von Hitler-Deutschland genutzt wurde. Die Bunker und Geschützstellungen verschandeln heute noch dieses historischen Bauwerk.
Gerne wären wir noch einige Tage länger geblieben, doch Ostwinde sind rar, so müssen wir schon am nächsten Tag nach Alderney aufbrechen. Irgendwie schade, aber wir wollen ja weiter nach Westen und dann in den Süden. Und das ist nicht immer ganz so einfach.
vor Anker vor Querqueville in der Grande Rade de Cherbourg
49° 40′ 04,2″ N, 001° 40′ 26,7″ W