Sark


Alderney -> Sark, Derrible Bay
Distanz: 26,5 sm Gesamtdistanz 2024: 716,5 sm

„von Alderney -> nach Sark in die Derrible Bay, mit Zwischenstopp in der Bay La Grève de la Ville“

„von Alderney -> nach Sark in die Derrible Bay, mit Zwischenstopp in der Bay La Grève de la Ville“

Noch gestern sah alles danach aus, dass wir auch den Samstag noch auf Alderney verbringen. Doch ein erster Blick auf die Vorhersage plant mal kurzerhand unseren Tag um. Der Nordwest vom Sonntag ist Geschichte und wenn wir überhaupt noch etwas unter Segeln rausreißen können, dann nur noch heute nach dem Frontdurchgang. So warten wir auf den Winddreher, der eingebettet in original englischen Landregen gegen Mittag kommen soll. Bis dahin bläst noch ein frischer Südwest und lässt uns im Schwell vor Alderney rollen.

Und tatsächlich, gegen Mittag dreht der Wind schlagartig von SW 15 auf NW 5 und es beginnt zu regnen. Also los, der Regen ist egal, er soll bald wieder aufhören und kommt ja eh nur als leichter Nieselregen daher. Wir gehen im Norden um Alderney herum nach Osten, doch was ist mit dem Strom los?

„Etwas betrübt heute. Was für ein Gegensatz zu dem letzen Bild aus dem vorhergehenden Blog!“

„Etwas betrübt heute. Was für ein Gegensatz zu dem letzen Bild aus dem vorhergehenden Blog!“

Nun wäre ein früherer Start sicherlich besser gewesen, doch da kam der Wind ja noch genau von dort, wo wir hin wollen. Aber dennoch, die Overfalls und das Alderney Race sind schon erstaunlich gut ausgeprägt. Es ist zwar Springzeit, doch hat das dann gleich solche Auswirkungen, zumal die Tide ja noch gar nicht richtig losgelegt hat?

Also rechnet der Schiffsjunge noch einmal 😓 und prüft noch einmal die Zeiten. Irgendetwas passt da nicht zusammen und ganz langsam keimt in uns das zarte Pflänzchen der Erkenntnis 😟. Auf den Channel Islands herrscht natürlich die britische Zeit, denn alles andere wäre der Anfang vom Ende des Commonwealth. Wir aber wollten uns das ganze Theater mit der Zeitumstellung ersparen und für die paar Tage auf den Kanalinseln, einfach weiter in der Kontinentalzeit leben. So weit so gut, doch Astrids Handy und mein neues iPad haben sich klammheimlich doch umgestellt. Eigentlich sollte diese Funktion ausgestellt sein. So leben wir seit drei Tagen ganz unbemerkt in zwei Zeiten, der britischen und der kontinentalen. Und wenn man mit der einen plant und in der andern lebt, dann ist die Tide ihrer Planungszeit schon mal eine Stunde voraus.

„Ruppig, nass, kalt und ... ok, lassen wir's gut sein ...“

„Ruppig, nass, kalt und … ok, lassen wir's gut sein …“

So ist es in den Overfalls schon ordentlich ruppig. Das ist für uns nicht ganz so schlimm, wie für einen Holländer und einen Franzosen, die mit ihrer Kalkulation wohl noch etwas mehr daneben liegen als wir. Die beiden kämpfen sich im Schneckentempo voran, wobei wir teilweise mit mehr als 10 Knoten an ihnen vorüberfliegen. Da wir schon durch das gefahren sind, was die beiden noch vor sich haben, beobachten wir auf AIS, wie sie vorankommen. Sehen können wir sie leider nur kurz, denn der Nieselregen ist inzwischen so dicht geworden, dass wir schon bald auch von Alderney nichts mehr sehen. Dieser Nieselregen scheint ein direkter Verwandter des britischen Nebels zu sein, gewährt aber wenigstens noch bis zu einer Seemeile trübe Sicht. Er kompensiert jedoch diese Großzügigkeit mit Regenmengen, die wir bisher einem Nieselregen nicht zugetraut hätten. Und so bereichern wir den meteorologischen Sprachschatz um die hübsche Bezeichnung »Nieselschüttregen«.

Kurz drauf sehen wir auf AIS erst den Holländer und dann auch den Franzosen nach Osten abdrehen. Nach Norden ist wohl absolut kein Vorankommen mehr möglich. Das wundert uns allerdings auch nicht wirklich.


In dem Nieselschüttregen trieft inzwischen alles. Richtige Regentropfen sind kaum auszumachen, dafür scheint das triefende Nass überall zu sein und vor allem dicht geschlossen daherzukommen. Der Wind aus Nordwest hat inzwischen etwas zugenommen und passt eigentlich recht gut zu unserem Kurs. Und gerade, als es sich der Schiffsjunge im Decksalon gemütlich gemacht hat und ausgerechnet hat, dass er erst in drei Stunden wieder raus muss, und die Capitana noch einmal draußen nach dem Rechten sieht, nimmt der Wind schlagartig zu und dreht abrupt auf Südwest. Was ist das nun wieder für eine 💩?

Das war’s dann mit der Ruhe, denn plötzlich segeln wir in einen Südwest, der mit 15 bis 20 kn daherkommt. Wir müssen wieder von hinten in die Front hineingefahren sein. Eine andere Erklärung gibt es da wohl nicht. Das Teil scheint einfach zu langsam nach Südosten zu ziehen und immer noch zwischen Alderney und Guernsey herumzulungern. Unseren hübschen Kurs nach Sark können wir so schon mal gleich komplett vergessen. Wenn es hoch kommt, schaffen wir noch den Osten von Jersey, aber niemals Sark oder gar Guernsey.

Und aus 15 bis 18 kn wahrem Wind werden hart am Wind in den Segeln ganz locker mal um die 20 kn. Wir reffen, erst die Genua, dann das Groß und dann noch einmal die Genua etwas mehr. Es ist absolut ungemütlich und ruppig. Die Wellen steilen sich auf. Der Strom läuft nun genau gegen den Wind und das ganze Ungemach hüllt sich in einen der dichtesten Nieselschüttregen, die das Königreich je gesehen hat.
Meine Güte, wie tief haben wir nun schon wieder mit unserer Entscheidung ins 🚽 gegriffen?

Auf halbem Weg zwischen Alderney und Sark liegt die Untiefe Blanc de la Schôle. Diesen Sand können wir nun nur noch im Osten umfahren. Außerdem ist der Gezeitenstrom höchst unstet. Mal segeln wir um die 10 kn über Grund, mal nur noch 5. So einfach geradeaus scheint die Gezeit hier auch nicht zu laufen.

… und Photos gibt es keine … weil es eh nicht zu sehen gibt …


Hinter dem Flach zaubern wir eine Wende in die chaotische See. Unsere Hoffnung, dass uns der Gezeitenstrom unseren Wendewinkel noch ordentlich aufpoliert, geht diesmal ganz wunderbar auf. Noch nie haben wir hart am Wind solch einen hübschen Wendewinkel hinbekommen. Es lebe der Gezeitenstrom (!), natürlich nur, solange er mit uns ist.
Es nieselschüttregnet zwar noch immer, aber so könnten wir es in einer Stunde mit der nächsten Wende schaffen, Sark wieder anzuhalten. Doch schon kaum eine halbe Stunde nach unserer preisgekrönten Wende, werden wir urplötzlich zwangsgewendet. Im Handumdrehen dreht der Wind ganz ohne unser Zutun vor uns durch und kommt wieder aus Nordwest. Gesehen haben wir auch diesmal nichts. Ganz offensichtlich sind wir wieder unter der Front hindurchgesegelt und nun wieder auf der anderen Seite. Nach dieser überraschenden Zwangswende ist der Rest einfach. Stück für Stück fallen wir ab und nehmen Kurs auf auf Sark.


„Die ersten Zacken von Sark. Nur mal nebenbei, es ist kein SW-Photo“

„Die ersten Zacken von Sark. Nur mal nebenbei, es ist kein SW-Photo“

Die Sicht ist immer noch sehr schlecht. Erst glotzen wir uns die Augen aus dem Kopf, um einen Segler auszumachen, der uns auf AIS klar entgegenkommt, und dann versuchen wir, irgendetwas von Sark möglichst frühzeitig zu erkennen. Doch erst knapp eine Seemeile vor Sark taucht die Insel dann schemenhaft als dunkelgrauer Klops aus dem Einheitsgrau auf. Triefend bergen wir die Segel und fahren von Norden in die Bucht La Grève de la Ville.

„Die Bay La Grève de la Ville“

„Die Bay La Grève de la Ville“

Fast alle Moorings sind belegt und etwas außen liegt noch ein größerer Ausflugsdampfer. Alle Boote an den Moorings schaukeln sich in dem elenden Schwell die Seele aus dem Rumpf. Da wird einem schon beim Zusehen schlecht. Eigentlich bräuchte es ja nach dem heutigen Tag nicht wirklich viel, um uns zufrieden zu stellen. Doch unsere Begeisterung mag dennoch nicht so recht ausrasten. Auch deswegen nehmen wir uns erst einmal eine der letzten beiden Moorings. Wir wollen dem ersten Eindruck die Chance geben, sich von dem zweiten überwältigen zu lassen. Doch obwohl es nun aufhört zu regnen und wir unsere triefenden Segelklamotten erst einmal ins Cockpit werfen können, sprechen sich die beiden ab und sagen unisono »Och nö!« zu dieser Bucht. Da haben wir wirklich schon schöner schlecht gelegen.

„In der Bay La Grève de la Ville hört der Regen auf. Aber das ist auch das einzige Highlight.“

„In der Bay La Grève de la Ville hört der Regen auf. Aber das ist auch das einzige Highlight.“


„Weiter geht's, die Felsen sind ein echtes Naturschauspiel.“

„Weiter geht's, die Felsen sind ein echtes Naturschauspiel.“

„Auf dem Weg in die Derrible Bay I“

„Auf dem Weg in die Derrible Bay I“

„Auf dem Weg in die Derrible Bay II“

„Auf dem Weg in die Derrible Bay II“

Also hauen wir wieder ab. Nun gut, La Grève de la Ville liegt ja heute auch etwas exponiert zu dem Schwell und es ist Springzeit. So steuern wir die Derrible Bay an, die zu 150% in der Windabdeckung liegt und sich in die entgegengesetzte Richtung zu dem durch den Englischen Kanal laufenden Schwell öffnet. Doch es bestätigt sich auch hier, dass jeder Schwell immer einen Weg in jede Bucht findet, die nicht rundherum geschlossen ist.

„Sark hat nicht wie Alderney eine eigene Flagge, deswegen setzen wir mal Guernsey.“

„Sark hat nicht wie Alderney eine eigene Flagge, deswegen setzen wir mal Guernsey.“

Trotzdem bleiben wir erst einmal in der Derrible Bay, dieser Tag muss auch mal ein Ende haben, auch wenn dieses Ende nicht weniger schaukelig ist, als der ganze Tag es eh schon war. Als kleines gutes Zeichen reißt dann aber doch noch die Wolkendecke auf und schemenhaft schimmert ein blassblaues Etwas vollkommen verschüchtert durch das trübe Graugrau.

Mal sehen, was uns Sark noch zu bieten hat. Luft nach oben ist ja reichlich vorhanden.


In der Nacht kehrt Windstille ein und mit dem Niedrigwasser beruhigt sich auch der Schwell etwas. Doch so ganz ohne Wind fehlt unserer dicken Erna die Ausrichtung und dann dreht sie sich gerne quer zu den Wellen. So rollen wir zwar weiter, aber es fliegt nicht mehr gleich alles vom Tisch. Mit dem Morgenhochwasser läuft der Schwell wieder munterer ein, doch kurz drauf dreht ein leichter Süd unseren Bug in die Wellen. So geht’s. Wir waren wegen des angekündigten Süds etwas skeptisch, weil er ja genau in die Bucht hineinweht, doch so ist er ein Segen, nur stärker sollte er vielleicht doch nicht werden.

Gestern, während die letzten Reste des Steinstrandes so langsam im auflaufenden Hochwasser verschwanden, konnten wir noch beobachten, wie die neben uns ankernden Franzosen mit ihrem Dinghy zu der Treppe starteten, die hier in den Felsen steil nach oben führt. Die Landung war schon recht abenteuerlich und wir waren uns sofort einig, dass wir solch eine Prozedur unserem neuen Dinghy ganz bestimmt nicht zumuten wollen. Zwischen den hohen Felsen manövrierten sie sich irgendwie an eine Stelle, wo sie aussteigen konnten. Und daraufhin zerrten sie mit Leibeskräften das Gummiboot samt Außenborder (!) erst über glitchige Algen und dann immer höher über die Felsen. Man kann ja die Hochwassergrenze recht gut an den Felsen erkennen und sie gaben erst Ruhe, als sie oberhalb waren. Irgendwann müssen sie auch wieder zurückgekommen sein, denn am nächsten Morgen sahen wir sie Anker auf gehen.


„Am Morgen ist noch kein Strand zu sehen.“

„Am Morgen ist noch kein Strand zu sehen.“

Als wir nun am Morgen den Treppenaufgang suchen, können wir nur einige Geländerstreben mit den Fernglas ausmachen. Die komplette Bucht hat sich vollkommen verändert und nur noch steile Felsen fallen fast senkrecht ins Wasser ab. Von den Kieselstränden ist nichts zu sehen. Kurz vor 9:00 ist Hochwasser und in den nächsten 6 Stunden verändert sich das Bild der Bucht vollständig.

„Das ändert sich aber langsam und der Strand kommt wieder zum Vorschein.“

„Das ändert sich aber langsam und der Strand kommt wieder zum Vorschein.“

Es ist ja Springzeit und auch wenn wir zurzeit nur die »kleine Spring« zum Neumond haben, wird der Wasserspiegel in den nächsten 6 Stunden um etwas mehr als 6 m fallen. In 14 Tagen, zur »großen Spring« bei Vollmond, werden es sogar 8 m sein. Es ist immer wieder unglaublich beeindruckend, diesen Wandel mitzuerleben. Noch wissen wir ja nicht, was hier noch alles so zum Vorschein kommt. In der Seekarte sieht man zwar, dass große Teile der Bucht trocken fallen sollen, doch wenn man so auf die steilen Felswände sieht, während das Echolot noch 10,5 m Wassertiefe anzeigt, ist das alles nur schwer vorstellbar.

Doch nach und nach kommen erst die Kieselstrände wieder zum Vorschein und dann auch eine Kante aus dickeren Felsbrocken. Doch der gut 80 m breite Sandstrand kommt dann für uns doch etwas überraschend, obwohl wir das eigentlich aus der Seekarte hätten herauslesen können. Dieses kleine Naturwunder erklärt auch die vielen Besucher, die nun schon um uns herum liegen. Es ist Sonntag und das Niedrigwasser zum Mittag hätte für einen sonntäglichen Badeausflug nicht besser passen können.

„Was vor 6 Stunden noch mehr als 6 m unter Wasser lag, liegt nun trocken.“

„Was vor 6 Stunden noch mehr als 6 m unter Wasser lag, liegt nun trocken.“

Natürlich machen nun auch wir nun unser Gummiboot klar, denn nun gibt es ja einen Sandstrand zum Anlanden. Zuerst erklimmen wir die Felswand über die Treppe. Von oben hat man einen atemberaubenden Blick über die Bucht. Und von hier wird einem auch erst das ganze Ausmaß der Gezeiten bewusst.

„Wir erklimmen die Steilküste“

„Wir erklimmen die Steilküste“

„Die Derrible Bay“

„Die Derrible Bay“

„Es geht steil hoch und der Ausblick ist sagenhaft!“

„Es geht steil hoch und der Ausblick ist sagenhaft!“

„Die Derrible Bay in ihrer ganzen Schönheit.“

„Die Derrible Bay in ihrer ganzen Schönheit.“

„Dann geht's wieder runter und ...“

„Dann geht's wieder runter und …“

Doch am spektakulärsten ist es, in die Höhlen zu gehen, die nun hoch und trocken liegen. Ums Hochwasser herum veranstalten die Wellen, die in die Schlünde der Höhlen laufen, einen ziemlichen Lärm. Teilweise hämmert es regelrecht und in großen Fontänen sprüht das Wasser wieder aus den knappen Öffnungen, wenn die nächste Welle der ersten den Ausgang versperrt. Und nun liegt alles trocken und wir können einfach so hineinspazieren. In der größten Höhle ist das Dach eingestürzt, so dass man nun nach oben den Himmel sehen kann. Wir gehen durch dieses unglaubliche Gewölbe und gucken dennoch etwas skeptisch nach oben. Sicherlich fällt hier immer noch mal der ein oder andere Stein herunter, doch die Neugier und der irre Ausblick nach oben besiegen die Skepsis.

„... in die Höhlen.“

„… in die Höhlen.“

„Höhlendurchblicke. In 6 Stunden steht hier das Wasser wieder mehr als 6 m hoch.“

„Höhlendurchblicke. In 6 Stunden steht hier das Wasser wieder mehr als 6 m hoch.“

„Tidenlandschaften. Die schwarze Kante zeigt gut den Wasserstand zu Hochwasser.“

„Tidenlandschaften. Die schwarze Kante zeigt gut den Wasserstand zu Hochwasser.“

In allen Revierführern steht, dass man diese Buchten am besten zur Nippzeit besuchen soll, doch die Springzeit hält Überraschungen bereit, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Und es gibt Wettersituationen, die dann auch sehr gut passen. Wir haben echtes Glück, so eine Zeit getroffen zu haben. Und so zeigt sich Sark von seiner nettesten Seite und macht alles wieder gut, was gestern doch noch irgendwie nicht ganz so prickelnd war.

„Die Höhleneingänge im Panorama.“

„Die Höhleneingänge im Panorama.“

„Die Bucht im Panorama“

„Die Bucht im Panorama“

„Und schon ist wieder alles weg ... Zumindest fast, etwas mehr als 2 Meter fehlen noch.“

„Und schon ist wieder alles weg … Zumindest fast, etwas mehr als 2 Meter fehlen noch.“

03. + 04.08. Derrible Bay, Sark
49° 25′ 26,5″ N, 002° 21′ 01,4″ W