So richtig entspannt gestaltete sich unser bisheriges Vorankommen ja nicht. Die Phasen mit Wind, die uns gut nach Westen vorangebracht haben, können wir seit unserem Start vor knapp einem Monat, noch immer an nur einer Hand abzählen. Und das, obwohl wir nicht eine einzige Gelegenheit haben verstreichen lassen und diese Gelegenheiten auch jedes Mal noch vorn und hinten etwas gestreckt haben, um sie zu verlängern. Auf den restlichen Etappen ging es immer hart gegenan, um knapp und knirsch ein neues Ziel zu erreichen. So hoffen wir nun sehr, dass sich das ab dem westlichsten Punkt der Bretagne endlich mal ändert, wir dort gut ums Eck kommen und es dann auch mal »downhill« einfach laufen lassen können.
Etwas Planung
Es ist Freitag und für den Sonntag zeichnet sich ein Wetterfenster mit Ostwind ab, mit dem wir den letzten Abschnitt nach Westen schaffen und auch gut durch den Chenal du Four kommen könnten. Der Chenal du Four führt im Westen um die Bretagne und damit auch um den westlichsten Punkt Frankreichs herum, dem Pointe de Corsen, der etwas nördlich der Stadt Le Conquet liegt. Von der Anse de Brèhec, in der wir gerade liegen, bis zum Leuchtturm Phare du Four im Norden des Chenal du Four sind es rund 80 Seemeilen. Um mit dem Strom gut um die Ecke zu kommen, sollten wir einige Seemeilen vor dem Leuchtturm den Gezeitenstrom mit uns haben. Gegen den Strom und auch gegen den Wind geht im Chenal du Four gar nichts. Deswegen bestimmt dieser Abschnitt unsere gesamte Planung und daran richtet sich auch unsere Taktung der nächsten Tage aus.
Der Ostwind soll den Sonntag über halten, doch gegen Mitternacht ist dann auch schon wieder Schluss. So gegen 11:00 kentert der Strom im Norden des Chenal du Four. Das ist also der Zeitpunkt, zu dem wir etwas nordöstlich des Phare du Four sein müssen, damit uns der Strom schön mitnimmt. Bis zum südlichen Ausgang des Chenal du Four sind es dann noch etwa 20 Seemeilen. Bis dahin haben wir gut fünf Stunden den Strom mit uns, wenn wir so gegen Stillwasser am südlichen Ausgang sein wollen. Zu früh schon am Ausgang zu sein, ist auch blöd, da wir ab dort ja nach Osten müssen, um Camaret-sur-Mer zu reichen. Wenn dann das Wasser aber immer noch abläuft, tun wir uns nur unnötig schwer damit.
Im Norden des Leuchtturms Phare du Four liegen einige Untiefentonnen herum, und davon nehmen wir uns eine, um zurückzurechnen. Auf direkter Route liegen zwischen diesem Punkt und der Anse de Brèhec etwa 80 sm. Für uns werden es insgesamt mehr werden, weil wir bis Sonntag keinen Wind bekommen werden, der uns einen direkten Kurs ermöglichen wird. D.h., wir werden kreuzen müssen, das klappt aber auch nur, wenn der Gezeitenstrom mit uns läuft.
So beginnt das Zurückrechnen am Sonntag um 11:00 an der Untiefentonne im Norden des Phare du Four. Ab Sonntag früh weht schon der Ostwind und so können wir gut 20 sm auch gegen einen, dann auch schon wieder abnehmenden Strom einkalkulieren. Das legt unseren Startpunkt für den Sonntag fest und der muss knapp westlich von Roscoff liegen. Roscoff selbst wäre uns zu knapp, denn dann müssten wir erst noch die Île de Batz im Norden oder Süden nehmen. Unsere Wahl fällt auf einen Ankerplatz hinter der Île de Siec südwestlich der Île de Batz. Der ist zwar offen, aber der Samstag soll ja auch mehr als ruhig werden und in der Nacht zum Sonntag soll der Wind eh auf Ost drehen. Also Île de Siec.
Doch am Samstag müssen wir unseren Startpunkt für den Sonntag auch erreichen können, denn am Samstag werden wir nur einen schwachen Südwest oder irgendetwas Umlaufendes zum Segeln bekommen. Damit wird es schwierig werden, voranzukommen, und so setzen wir unsere ganze Hoffnung am Samstag auf den Strom. Der ist kräftig und sollte uns dann 6 Stunden mitnehmen. Doch bei dem schwachen Wind können wir trotz des Stroms nicht mit mehr als 4 bis 5 kn Fahrt rechnen. Auch wenn wir die Gezeit vorn und hinten noch etwas strecken, sind in keinem Fall unter Segeln mehr als 30 sm drin. Und die werden schon eng. Etwa 30 sm östlich von Roscoff liegt die Île Tomè vor der Anse de Perros. Diese Ecke sieht nach einem problemlosen Ankerplatz aus. Also legen wir die Île Tomè oder die Anse de Perros mal als unseren Samstagstart fest, denn die Anse de Perros ist auf direkter Route wiederum nur rund 30sm von der Anse de Brèhec entfernt, in der wir gerade liegen und rechnen.
Und schon steht der Plan. Freitag müssen wir die Anse de Perros erreichen, Samstag geht’s dann bis zur Île de Siec und Sonntag zack ums Eck. Doch was wäre so ein Plan, wenn er nicht den natürlichen Weg aller Pläne nehmen würde. Wenigstens in Teilen, aber fangen wir erst einmal vorn an.
Anse de Brèhec -> Anse de Perros
Distanz: 43,4 sm Gesamtdistanz 2024: 819,0 sm
Diese erste Etappe in Richtung Chenal du Four ist ein klassisches Beispiel für unseren »Luv-Kampf« nach Westen. An unseren Kursen kann man recht gut sehen, wie sehr der Strom uns geholfen und garstig der Wind auf West gedreht hat. Dazu beginnt unser Segeltag trüb, nass, kühl und sehr ruppig.
Der Strom läuft gegen den Wind und steilt die Wellen auf. Wenigstens hört es nach 2 Stunden auf zu regnen. Am Ende sind unsere Kurse die Summe aus dem, was noch möglich war, und kurz nachdem uns der Strom verlässt, segeln wir in die Anse de Perros. Dieser Teil unseres Plans hat schon mal geklappt, auch wenn es wieder ein ständiges Gegenan der ungemütlichen Sorte war.
Die Idee, gleich vor dem Strand von Trestraou zu ankern, verwerfen wir, als wir den Trubel und die Ausflugsboote dort sehen. Halb Frankreich scheint hier gerade Urlaub zu machen. So gehen wir etwas weiter rein und werfen unseren Anker kurz vor dem trockenfallenden Bereich vor Perros-Guirec. Hier liegen wir gut, es strömt mit 2 kn mal in die eine und dann wieder in die andere Richtung, aber ansonsten ist kaum etwas los. Einige Segler warten noch an den Moorings, bis das Hochwasser sie wieder in den Hafen von Perros-Guirec lässt. Danach sind wir fast allein.
Zum Abschluss gibt es eine ordentliche Portion Bratkartoffeln. So viel Rechnerei und so ein Segeltag machen Hunger. Mal sehen, wie es morgen klappt. Wenn wir wenigstens etwas Wind bekommen, könnten wir es ja mit einem langen Segeltag schaffen. Doch alles in der Vorhersage deutet nun doch eher daraufhin, dass es sehr schwachwindig werden wird. Hoffentlich wenigstens mit etwas Sonne, der bretonische Sommer ist noch nicht unerträglich warm und dürfte sich ruhig noch etwas mehr von seiner sommerlichen Seite zeigen.
Anse de Perros -> (hinter die Île de Siec) -> L’Aber-Wrac’h
Distanz: 53,4 sm Gesamtdistanz 2024: 872,4 sm
Nach einer wunderbar ruhigen Nacht starten wir um 11:00. Der blaue Himmel vom Morgen wurde von einer grauen Flauschwolkendecke abgelöst und es regt sich nur ein kleines Lüftchen. Vielleicht legt es ja draußen noch einen Zacken zu. Doch ehrlich gesagt sieht das alles eher nach einer alten Front aus, die gerade von einem Hochdruckausläufer verspeist wird.
Das Lüftchen müht sich redlich, uns auf den ersten 5 Seemeilen voranzubringen, doch die Flaute macht ihm schon bald den Garaus. So bleibt uns nichts anderes übrig, als durch die nun spiegelglatte See zu motoren.
Ein langer, ganz ruhiger Atlantikschwell hebt und senkt uns. Erinnerungen werden wach und auch die Vorfreude auf die nun vor uns liegende lange Atlantiketappe meldet sich. Endlich ist absehbar, dass wir dieses ruppige Nordsee-Segelfeeling bald hinter uns lassen werden. Mit etwas Glück liegen ab Camaret-sur-Mer zehn wunderbare Atlantiksegeltage vor uns.
Doch zunächst müssen wir ums Eck im Westen der Bretagne. Der Sonntag ist immer noch der einzig wirklich passende Tag dafür. Also beißen wir in den sauren Apfel und motoren uns in eine gute Ausgangsposition.
Auf halber Strecke nach Roscoff kommt plötzlich ein Nordost auf. Die Windvorhersage besteht zwar weiterhin darauf, dass der Ost erst am Sonntag kommt, doch nun läuft es. Auf Höhe der Île de Batz nimmt allerdings auch der Atlantikschwell von jetzt auf gleich recht unangenehm zu. Was uns bisher sehr gemütlich gehoben und gesenkt hat, ist plötzlich steiler und höher und läuft vor allem in einer kürzeren Frequenz ein. Wellen sind ja schwer zu schätzen, aber gut 2 m hat der Schwell bestimmt. Und über den Felsen der Île de Batz brechen sich die Burschen unangenehm schäumend.
Um einen Blick auf unseren Ankerplatz hinter der Île de Siec zu werfen, segeln wir noch einen Bogen in die Richtung. Im Angesicht des hässlichen Atlantikschwells haben wir kein gutes Gefühl. Zudem läuft es gerade prima und bis L’Aber-Wrac’h sind es »nur« noch 23 sm. Selbst wenn der Strom uns ganz verlässt, aber der Wind mit uns bleibt, sollten wir das noch im Hellen schaffen.
Also Planänderung und Kurs L’Aber-Wrac’h. Der Wind hält allerdings nur so lange an, bis Roscoff auch keine Alternative mehr ist. Dann schläft er innerhalb von 10 Minuten ein und wir dümpeln irgendwo in der Mitte zwischen zwei Alternativen ziemlich blöd herum.
Noch 17 sm liegen bis L’Aber-Wrac’h vor uns und wir entschließen uns, gegen den Strom zu motoren. Das ist hinreichend unangenehm, weil der nun den ohnehin schon hohen Schwell noch steiler werden lässt. Glücklich sind wir mit dieser Entscheidung nicht, aber es fällt uns auch nichts Besseres ein. Wenn wir L’Aber-Wrac’h erreichen, können wir morgen wenigstens etwas länger schlafen.
Die Strecke ist hart und nervig und 10 sm vor der Einfahrt nach L’Aber-Wrac’h sehen wir im Norden einige »komische Wolkenformationen« am Horizont.
Etwas begriffsstutzig brauchen wir etwas, bis die ganze Sache nicht mehr zu übersehen ist. Es ist Seenebel, der ziemlich schnell von Norden heranzieht. Nur ein flüchtiger Blick auf die Seekarte der bretonischen Küste reicht, um zu verstehen, dass Seenebel hier wirklich nicht besonders witzig ist.
Wir entscheiden uns spontan für die nördliche Einfahrt von L’Aber-Wrac’h, das spart uns drei Seemeilen. Hinter uns zieht es sich wirklich schnell zu, zwei Segler, die nach Osten unterwegs sind und die wir eben noch sehen konnten, hat der Nebel schon verschluckt. Es ist schwierig das richtige Schlupfloch zwischen den Felsen zu finden. Die unbeleuchtete, nördliche Einfahrt führt zwischen einigen dicken Felsen hindurch, an denen oder über die sich schäumend die Wellen brechen.
Aber welche Felsen sind es, es gibt hier jede Menge davon. Irgendwo weiter hinten in der Passage müssen zwei rote Tonnen Liegen. Das Richtfeuer, das natürlich auch nicht beleuchtet ist und nur am Tag eine Hilfe sein kann, können wir auch vergessen. Es ist zwar noch hell, aber inzwischen so trüb und grau, dass man gar nichts mehr davon erkennen kann. Hinter uns verschwindet die Untiefentonne, wir sind dem Nebel nur noch knapp 2 sm voraus.
Irgendwann entdecken wir die erste Rote und nun wissen wir, wo es durchgeht. Hinter uns biegt ein Engländer auf unseren Kurs ein, hoffentlich ist er selbst zu der Überzeugung gekommen, dass dies der richtige Weg ist und fährt uns nicht einfach nur hinterher. Dann holen uns die ersten Nebelausläufer ein. Vor uns sehen wir noch kurz die Marina, am Rand des Fahrwassers liegen zwei ankernde Segler. Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Wir lassen den Anker auf halben Weg zur Marina fallen, der Engländer macht wenig später dasselbe, nur 100 Meter neben uns.
Dann hat uns der Nebel. Das war knapp. Wir haben »kleine Welt«. Alle Geräusche kommen nur noch in Watte gepackt zu uns. Wir bringen noch schnell unser zweites Ankerlicht am Geträteträger an, denn das Ankerlicht im Masttop sehen wir selbst kaum noch. Aber auch das ist wohl nur zu unserer eigenen Beruhigung, denn inzwischen sehen wir keinen unserer Nachbarn mehr.
Dann hören wir Stimmen und auf unserem Radar sehen wir, dass sich noch ein Schiff nähert. Hoffentlich haben die auch Radar oder können unser AIS-Signal wenigstens sehen und haben nicht nur einen Ausguck am Bug. Wir liegen wie die anderen am Rand des Fahrwassers, weiter rein können wir nicht, dann würden wir bei Niedrigwasser zwischen den Gestellen der Muschelfarmen aufwachen. Für einen kurzen Moment tauchen die Navigationslichter schemenhaft vor uns auf, dann verschluckt sie auch schon wieder der Nebel.
Es ist das erste Mal, dass wir in so pottendicken Nebel ankern. Ein surreales Gefühl. Die Augen sehen überhaupt nichts mehr und die Ohren scheinen zu wachsen und lauschen auf jedes Geräusch. Machen können wir nichts mehr, also gehen wir schlafen. Die Ruhe ist wenigstens unendlich.
Und so geht unser schöner Plan schon am zweiten Tag nicht mehr auf, aber es kommt ja noch der dritte und für den sieht es nun wieder ganz gut aus.
L’Aber-Wrac’h -> Camaret-sur-Mer
Distanz: 40,7 sm Gesamtdistanz 2024: 913,1 sm
Bei Sonnenaufgang hängt der Nebel noch immer im Osten und Norden herum. Ansonsten hat es sich aber gut gelichtet. Da wir es ja gestern noch bis L’Aber-Wrac’h geschafft haben, können wir es heute ruhig angehen lassen. Als wir um 7:00 mal nach dem Rechten sehen, weht auch schon ein leichter Ostwind.
Von hier bis zu der Untiefentonne, die ja der Ausgangspunkt unserer Berechnung war, sind es noch 6 sm. Obwohl es für alle ausreichen würde, um 10:00 zu starten, bricht seit 7:00 eine unendlich Karawane von Seglern aus L’Aber-Wrac’h auf. Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht sieht man sie in Marinetraffic in Richtung Chenal du Four ziehen. Da scheint der eingefahrene Segelalltag, mit Sonnenaufgang aufzubrechen, noch sehr tief verwurzelt zu sein.
Um 10:15 brechen wir als fast letzte auch auf und ein wunderbarer Segeltag beginnt, der auch mal all unsere Planungen einfach so bestehen lässt, wie wir sie geplant haben. Pünktlich kentert die Tide an der Untiefentonne und wir können nach Süden abknicken.
Und es läuft bis hinter den Leuchtturm Phare du Four prima.
Dann behält allerdings das Wettermodell von ECMWF recht und wir fahren in die Abdeckung vor dem westlichen Ende der Bretagne. Eigentlich ist es wohl nicht nur die Abdeckung durch das Land, sondern vielmehr auch ein kleines Hochdruck-Nichts, von dem aus gesehen es nördlich aus Ostnordost und südlich aus Ostsüdost wehen soll. Von jetzt auf gleich ist der Wind weg und nur noch der Strom nimmt uns etwas mit. Für etwa 2 sm motoren wir, dann ist der Wind wieder da. Zwar nicht so stark wie vorher, aber es reicht, um zu segeln.
Doch das Verblüffendste ist die Temperatur. Heute morgen sind wir im L’Aber-Wrac’h bei 16° gestartet und nun bläst uns ein Föhn mit 28° voran. Das erste Mal seit 1 1/2 Jahren sitzen wir im Cockpit in einem warmen Wind und segeln.
Durch den Chenal du Four kommen wir mit einem Kreuzschlag. Am südlichen Ausgang körselt der Wind etwas herum und am Ende sind wir tatsächlich etwas früh, denn das ablaufende Wasser aus dem Golf von Brest kommt uns immer noch entgegen.
Es ist erst kurz nach 15:00 und so kreuzen wir weit nach Süden, um dann mit dem wieder auflaufenden Wasser und dem Ostsüdost-Wind Kurs auf Camaret-sur-Mer zu nehmen.
Um 18:00 fällt unser Anker vor Camaret-sur-Mer. Hier machen wir nun erst einmal einige Tage Pause, holen bei den Blogs auf, kaufen ein und bereiten unseren hoffentlich direkten Schlag nach Madeira bzw. Porto Santo vor.
Immerhin haben wir ja den Sommer gefunden, dann können wir es ab hier auch mal ruhig angehen lassen.
09.08. Anse de Perros: 48° 49′ 00,9″ N, 003° 25′ 12,7″ W
10.08. L’Aber-Wrac’h
48° 36′ 08,6″ N, 004° 34′ 26,3″ W
11.08. Camaret-sur-Mer
48° 16′ 46,5″ N, 004° 35′ 06,6″ W