Der langgezogene Urschrei mit dem bösen Wort, das kleine Kinder so gar nicht sagen dürfen, hängt noch eine ganze Weile unter der Decke der Halle herum. Nur langsam finden die Schallwellen den Ausweg ins Freie, wo sie sich in den Masten der aufgebockten Schiffe verheddern und von den Windrädern auf der nahen Wiese durchgequirlt werden. Kurz konnte man den Eindruck haben, dass sich die Windräder nun eher in eine südöstliche Windrichtung drehen wollen, aber dann setzt sich doch wieder der bitterkalte Nordwest durch. Astrid klaubt ihre Pudelmütze aus dem Staub, die es ihr vom Kopf gehauen hat, und fragt mit größtmöglicher Empathie in der Stimme: “Schatz, ist was passiert?” Aber Schatz beantwortet ihre Frage nicht. Stattdessen bricht ein doppeltes Tripel des bösen Wortes aus ihm hervor, das von eine Salve eindeutig fäkaler Geschwisterworte verfolgt wird. Erst nach einer kurze Bedenkpause folgt so etwas wie Selbsterkenntnis. “Ich Hornochse, ich bin ein so vollverblödeter Oberhornochse! Wie kann man nur so vollkommen oberbekloppt sein?”
Mein Blutdruck hat Fukushima-Niveau zur Kernschmelze erreicht. Zurück aus dem Motorraum stehe ich im Decksalon und stecke meine Hände so tief es irgend geht in die Hosentaschen. Mir ist danach, irgendetwas kaputt zu machen. Das verspricht in solchen Momenten ein ungemein befreiendes Gefühl, was allerdings, das habe ich schon selbst herausgefunden, nur sehr kurz anhält. Deswegen habe ich meine Hände in den Hosentaschen selbstfixiert und warte auf den Moment, dass das Gehirn wieder die Führung übernimmt. Ich bin so sauer auf mich selbst, dass ich platzen könnte.
Bis eben hatte alles noch gut, ja fast perfekt geklappt. Die Dieselschläuche sind an Tank und Motor montiert, es fehlen nur noch die Anschlüsse am Filter selbst. Die nun wirklich passenden Verbindungswinkel habe ich inzwischen bei eBay gefunden und bestellt. Der Kühlwasserfilter sitzt perfekt auf der anderen Seite des Motorraums und macht den Eindruck, als ob dies der einzig richtige Platz für ihn ist. Die Schläuche für den Zu- und Ablauf liegen optimal, können nirgends schamfilen und sind auf den Millimeter genau eingepasst. Mit dem guten Gefühl, gleich eine der großen Baustellen genau so abschließen zu können, wie wir es uns vorgestellt haben, greife ich mir siegessicher die kleine Tube mit seewasserfestem Fett. Wenn einem ein Erfolg und Sieg nicht mehr genommen werden kann, dann zögert man den letzten Schritt unwillkürlich etwas hinaus. Zu prickelnd ist das Gefühl des herannahenden Triumphes, der nun unabwendbar kommt, egal was passiert. Vor einigen Jahren bin viel herumgerannt und habe unter anderem auch einige Marathonläufe geschafft. Das war eine unglaubliche Plackerei, bis man mit dem Gefühl an der Startlinie stand, dass man es schaffen kann. Dann kam der Lauf selbst und man plagte sich gegen seinen inneren Schweinehund durch alle Motivationstiefs bis zur Ziellinie vor. Dann sah man die Ziellinie und wußte: jetzt, genau jetzt hast du’s geschafft und nichts kann dich mehr daran hindern, diese Ziellinie zu überqueren. Das Gefühl vor der Ziellinie ist viel schöner, als das dahinter, obwohl das dahinter auch noch ziemlich gut ist.
Mit diesem Gefühl greife ich die Tube Fett, die Knarre mit der 8er Nuss und die beiden Schlauchschellen und krieche durch die Mittelkoje zu der backbordseitigen Revisionsklappe des Motorraums. Dort liegt der Wasserfilter direkt vor mir. Ein wunderschöner Platz für den Wasserfilter, es wird ihm hier sicher ganz besonders gut gefallen.
Als ich gerade die Tüllen des Wasserfilters mit etwas Fett einschmieren will, galoppiert ein ebenso unfertiger, wie grausamer Gedanke durch meinen Kopf. “Hatte der Wasserfilter auf der anderen Seite des Motorraums nicht andersherum, also spiegelverkehrt gesessen?” Ohne den Kopf zu drehen versuchen meine Augen unmerklich, die gegenüberliegende Seite des Motorraums zu fokussieren. Aber noch bevor sich das Bild der bisherigen Position des Wasserfilters überhaupt annähernd in meinem Kopf zusammensetzen kann, donnert der große Bruder des ersten Gedanken mit hämischem Gebrüll durch meinen Kopf. “Hä hä, du Depp! Spiegelverkehrt! Spiegelverkehrt heißt…. alles ist jetzt andersrum!” Die Einfettbewegung gefriert im Ansatz und alles in mir versucht, den Fehler in dem letzten Gedanken zu finden. – Da ist aber keiner. – Nochmal denken… gucken, …. und denken. – Aber da ist immer noch kein Fehler. Wenn man etwas umdreht, dann ist es umgedreht, und das, was vorher rechts war, ist dann links, und irgendwie ist das vorherige Links dann das neue Rechts. Oh nein! In der Gewissheit vorzufinden, was ich vorfinde, schraube ich zögernd den Deckel es Filters ab. Dort sehe ich, was nicht sein darf, was aber wahrhaftige Wahrheit ist. Der Zulauf ist nicht dort, wo der Zulaufschlauch endet und der Ablauf…. ach Scheiße, auch egal. So sehr ich auch an dem Zulaufschlauch zerre, er wird nicht wieder länger und er wird nie, niemals den Zulaufstutzen erreichen. Das fehlende Stück, es ist ja gar nicht wirklich viel, liegt abgeschnitten und leblos im Decksalon auf dem Boden.
Das alles hätte so perfekt passen können, wenn nicht der Zulauf klammheimlich auf die falsche Seite gesprungen wäre.
Und in diesem Moment, einem Moment der tiefen sinnlosen Erkenntnis unendlicher Deppenhaftigkeit, da entfährt einem manchmal, in ganz besonderen Fällen, ein solcher Urschrei.
Und während ich noch mit meinem und dem Schicksal des Schlauchs hadere, poliert Astrid unverdrossen und mit großer Hingabe den ganzen Rumpf der PINCOYA.