La Gomera, Canaries (E) -> Ziel: Barbados (Carib)
bisher: 2.659 sm – to go: 244 sm – Gesamtdistanz 2025: 2.716,5 sm
Tag 18, Montag 13.01. ab Mittag
Es ist schon merkwürdig, nun schon wieder den vorletzten Blog dieser Überfahrt zu beginnen. Er endet mit dem 21ten Tag und das wird aller Voraussicht nach der vorletzte Tag unserer dritten Atlantiküberquerung sein. Zweimal hin und einmal zurück. Und vor uns liegen nun nicht nur noch einmal die Karibik, sondern hoffentlich auch noch Mittel- und Nordamerika. Das alles ist schon aufregend und ist nicht so selbstverständlich, wie es sich vielleicht manchmal liest.
Doch das absolut Faszinierendste, was uns auch keinen Moment los lässt, ist diese unendliche Freiheit und die Möglichkeit, aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe die ganze Welt bereisen zu können. Ohne in ein Flugzeug zu steigen und ohne auf ein Kreuzfahrtschiff zu gehen. Aus eigener Kraft nur mit dem Wind und das auf sich allein gestellt in der atemberaubenden Weite der Meere und Natur.
Das hört sich vielleicht etwas pathetisch an, doch wenn man hier draußen in einer Vollmondnacht mitten auf dem Atlantik ist und nichts und niemand in der Nähe ist, dann spürt man diese Freiheit und diese Möglichkeiten vielleicht doch noch etwas anders als in einem Café in einer Großstadt.
Aus eigener Kraft, unabhängig und auf sich allein gestellt spielen für uns dabei eine wichtige Rolle. In einer Welt, in der alles geregelt ist und in der es für alles einen vermeintlichen Experten gibt, den man rufen kann, bieten Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Eigenverantwortung schon eine Erfahrungswelt, die vielleicht nicht so selbstverständlich ist.
Sprung … Und was machen heute Abend die Trade Winds, die uns nach Barbados bringen sollen? Sie wehen in Variationen von 13 bis 17 Knoten aus Ostsüdost bis Ostnordost. 👍🙂 Wobei der vorhergesagte Nordost immer noch auf sich warten lässt. 😢
Um 23:59 loggen wir unser 17. Etmal mit 134 sm. Genau 500 sm to go.
Tag 19, Dienstag 14.01.
Und in der zweiten Nachthälfte schlittern wir doch noch in die Flaute hinein. Das Hoch hat sich doch weiter nach Süden ausgebreitet und zudem haben wir eher einen Ost als einen Nordost, was uns auf Backbordbug mehr nach Nord bringt, als es geplant war. So stellt sich uns die Frage, ob wir doch noch einmal halsen, um wieder weiter in den Süden zu kommen, oder die ganze Sache einfach aussitzen. 7 Knoten True Wind sind in diesem Schwell für den Parasailor auch zu wenig.
Als wir uns den Erfolg der Halse ausreichend lange schön geredet haben, halsen wir. Doch mit dem mäßigen Erfolg, der eigentlich schon von vorn herein klar gewesen war. Also geht’s kurz darauf wieder zurück. Hinter uns sieht es zudem nach Squalls aus, vielleicht saugen die uns auch gerade den Wind ab.
Als dann gar nichts mehr geht, motoren wir. 🙄 Mist! Aber nur bis Sonnenaufgang, dann unternehmen wir noch einen Versuch mit dem Parasailor. Auch für ihn ist nicht viel Wind, aber einen Versuch ist es in jedem Fall wert. Doch nicht im Dunkel der ausgehenden Nacht.
Zum Sonnenaufgang setzen wir dann den Parasailor. Zusammen mit dem Groß bekommen wir ihn aber nicht wirklich zum Stehen. Der Wind liegt bei 7 kn. Also Groß runter, um wenigstens noch etwas zu reißen. Das ist auch wieder so ein letzter Versuch. Als das Groß unten ist, steht der Parasailor so leidlich und wir machen 2,5 bis 3 kn Fahrt. Das ist wenigstens etwas und in jedem Fall besser, als mit dem schlagendem Groß zu motoren.
Doch der Wind schwächelt zunehmend. In den verbleibenden 5 bis 6 kn aus Nordost, machen wir den Tag über gerade noch 2,5 kn Fahrt, und der Parasailor hängt mehr, als dass er zieht. Nun hat uns die Flaute doch noch voll erwischt und Geduld ist gefragt. Schaut man sich die letzten vier Vorhersagen an, kann man genau sehen, wie sich die Sache verändert und sich das Hoch mit seiner Flaute peu á peu weiter nach Süden ausgedehnt hat. Unsere Idee hat zwar grundsätzlich funktioniert, aber heute ist damit auch Schluss. Nun haben wir keine Idee mehr und müssen einfach Geduld haben.
Etwas leid tut es besonders mir um den schönen Schnitt, den wir uns so sportlich ersegelt haben und der nun von diesem Nichts so hinterhältig versaut wird. Doch es ist besser, unter Segeln einen Schnitt zu versauen als unter Motor. Doch unsere Durststrecke dauert nicht allzu lange, schon am Nachmittag brist es auf und brüllende 7 bis 9 Knoten aus Ostnordost peitschen uns mit 3,5 Knoten unserem Ziel entgegen 🥳🧐. Das ist zwar auch nicht gewaltig, aber immer noch besser, als in einer formvollendeten Flaute komplett zu verhungern.
So geht es bis in den Abend. Über 10 Knoten Wind bekommen wir erst zum Sonnenuntergang und dann fährt es auch endlich mal wieder etwas besser. Wir segeln mit dem Parasailor in die Nacht und der Schiffsjunge legt sich schlafen, weil heute die Capitana die erste Wache hat. Doch schon nach einer halben Stunde weckt mich Astrid wieder. Hässliche Squalls sind im Anmarsch und im Handumdrehen zerren 20 Knoten an dem Parasailor. Das ist in der Tat etwas viel, die Schoten sind zum Zerreißen gespannt und wir machen mehr als 7 Knoten vor dem Wind. Es ist jetzt nicht direkt brenzlich, aber schon ein neues Gefühl, nun wirklich mal so durch die Nacht gepeitscht zu werden. Als wir die 23 sehen, beschließen wir, den Parasailor in der nächsten Verschnaufpause des Windes herunterzunehmen.
Da Squalls ja eher ein kurzlebiges Phänomen sind, warten wir auch den zweiten noch ab. Kurz vor dem dritten nehmen wir den Parasailor runter, was auch bestens gelingt, und segeln nun bei 17 bis 20 Knoten nur mit Genua weiter. Das Groß haben wir ja am Morgen schon geborgen und so muss es nun eben mal nur mit Genua gehen. In der Nacht nun wieder das Groß zu setzen, wollen wir uns dann doch ersparen.
Um 23:59 loggen wir unser 18. Etmal mit 96 sm. 409 sm to go.
Wenn man den ganzen Tag mit weniger als 10 Knoten Wind unterwegs ist, kann man nicht mehr erwarten. Ärgerlich ist so ein schlechtes Etmal aber trotzdem.
Tag 20, Mittwoch 15.01.
Es geht zügig in den neuen Tag, doch die Freude währt nicht lange. Der Wind wird ziemlich vollständig vom Regen abgelöst. Wieder nur 6 bis 7 Knoten, dafür diesmal aber mit kräftigen Schauern. Zudem dreht der Wind immer wieder munter um mehr als 100°. Von 355° auf 110° in weniger als einer halben Stunde ist überhaupt kein Problem. Wir stecken mitten in einer maximalen Squall-💩!
Es ist ziemlich unmöglich, da noch irgendetwas segeltechnisch Sinnvolles herauszukitzeln. So stellen wir per Windfahnensteuerung so ein »Mittelding« ein und eiern mit den Gegebenheiten unserem Ziel mal mehr und mal weniger entgegen. Manchmal liegt sogar Kurs Barbados an, doch das ist eher die Ausnahme. In jedem Fall ist die Sache hinreichend ungemütlich, denn zusätzlich zu den Windwellen, die von jedem neuen Squall erneut angeschoben werden, läuft aus Norden ein ordentlicher Grundschwell mit 2,5 bis 3 Metern ein. Das lässt die PINCOYA gerade in den Phasen mit wenig Wind erbärmlich rollen. Immer wieder versucht die Genua sich selbst aufzurollen, knallt aber kurz darauf doch wieder in die Schoten. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten 107%, in der PINCOYA fehlt nur noch der Duft von Saunaöl, um das Erlebnis perfekt zu machen. Während der Regen gegen die Türen von Niedergang trommelt und unmissverständlich erklärt, das Lüften gerade nicht die beste Idee ist.
Bleibt nur die Hoffnung, dass sich am Ende wenigstens irgendetwas möglichst bald ändert.
So mache ich mir erst einmal einen heißen Tee, vielleicht fühlt sich die Luft ja dann kühler an. Süßer Tee, egal ob schwarz, Pfefferminz oder Fenchel-Anis gehört inzwischen zu jeder Nachtwache wie die Nacht selber. Manchmal hat man allerdings das Gefühl, dass die Wellen extra viel Alarm machen, wenn wir Tee kochen wollen. Es ist unglaublich, in welchen Schleudergängen wir schon Tee aufgegossen haben. Die Techniken, heißes Wasser in die Thermoskanne zu bekommen, ohne sich dabei selbst zu verbrühen, sind inzwischen recht ausgefeilt und enthalten durchaus akrobatische Elemente, die eine 9,0 in der rhythmischen Sportgymnastik verdienen würden, auch wenn diese ohne Band und nur traditionell mit Teebeutel getanzt werden.
Also erst mal Tee trinken und abwarten…
Es ist die Nacht der Squalls. Allen 💩, dem wir bisher entgangen sind, holen sie in dieser Nacht nach. Mit jedem Squall springt der Wind von etwa 8 auf bis zu 24 Knoten, es schüttet, die Wellen werden ruppig und lassen die PINCOYA brutal rollen, weil die Burschen natürlich maximal blöd einlaufen. Stunde um Stunde immer wieder dasselbe Spiel. Gerade hat man gedacht, dass es das vielleicht war, aber nein, noch einer…
Wir klemmen uns bei geschlossenem Schiebeluk und Türen irgendwie im Decksalon ein und warten jedes Mal auf ein Ende. Je näher wir der Karibik kommen, desto karibischer wird das Wetter. Die Hoffnung, dass es dieses Mal vielleicht doch anders sein könnte, bekommt Risse. Was für ein unbezahlbarer Segen, dass wir einen Decksalon haben. Selbst auf dem Weg in die Karibik! Da macht auch dieses Mal kaum eine einzige Seemeile seit Bremerhaven eine Ausnahme. Wir bewundern die Segler ohne und besonders die, die zum Segeln auch noch ihre Sprayhood runterklappen. Das müssen wirklich tapfere Burschen sein.
Als es dämmert, sieht es vor uns kohlrabenschwarz aus. Hoffen wir mal, dass das das Zeug ist, was uns die letzte Nacht so ungemütlich gemacht hat und nun dabei ist abzuziehen. Astrid schläft, wir haben diese Nacht beide nicht viel Schlaf bekommen. Inzwischen ist es kühler geworden. Draußen nur noch 25° und im Schiff 28°. Die Luftfeuchtigkeit scheint auch runtergegangen zu sein. Sogar der Mond versucht noch einmal, durch die Wolken zu kommen, und beleuchtet nun die schwarze Wand im Westen. Mal sehen, wie der Tag so wird. Laut Vorhersage soll es eigentlich recht gleichmäßig aus Nordost wehen, aber was bedeutet das schon, wenn wir so einen Alarm mit den Squalls haben?
Immerhin weht es nun schon mal recht gleichmäßig mit 15 Knoten aus Ost. Doch im Nordosten sieht es auch schon wieder nach jeder Menge Thermodynamik aus 🤨.
Doch so einfach geht es natürlich nicht weiter. Kurz nach Sonnenuntergang setzen wir das Groß wieder, um etwas mehr Vortrieb zu haben. Wir setzen es das erste Mal so, wie wir sonst auch reffen oder ausreffen. Um nicht in den Wind und gegen die ruppigen Wellen anstampfen zu müssen, gehen wir etwas an den Wind und machen das Groß ganz auf. Das gnadenlose Geschlacker des Großbaums begrenzen wir durch die beiden Bullenstander. Erstaunlicherweise lässt sich das Groß so vollkommen problemlos setzen. Das hätten wir auch nicht gedacht, es war ein Versuch.
Mit Groß und Genua machen wir nun leidlich Fahrt, aber den ganzen Tag über bleibt es schwachwindig und auch der ein oder andere Squall schaut immer mal wieder gerne mit einem Gruß aus der Wetterküche bei uns vorbei. Es ist schon etwas nervig und anstrengend, wenn es so gar nicht problemlos laufen will. Abwechselnd holen wir etwas Schlaf nach, was aber je nach Wellen und Wind auch nicht immer von großem Erfolg gekrönt ist.
Am Nachmittag geht dann gar nichts mehr und wir müssen wieder motoren. Das Groß schlägt erbärmlich und wir nehmen es wieder weg. Bisher haben wir immer etwas gezögert, es einfach wegzunehmen, aber nun wissen wir ja, dass wir es auch voll und bei ganz einfach wieder setzen können.
Ein kleiner Rundblick reicht, um zu sehen, dass die nächste Nacht recht ähnlich wird.
Um 23:59 loggen wir unser 19. Etmal mit 113 sm. 299 sm to go.
Nach all den schönen Etmalen von 130 bis 158 sm sind 113 wirklich schwer zu ertragen. Auch wenn unsere flotte Fahrt erst gestern einen Dämpfer bekommen hat, gefühlt dümpeln wir nun schon seit Ewigkeiten so herum.
Doch seit heute 7:00 sind wir nun auch auf unserer längsten Etappe überhaupt, wenn es um die Seemeilen geht. Die Etappe St. Martin – Azoren hielt bisher den Rekord mit 2.524 sm. Den ersten Platz der zeitlich längsten Etappe mit 23 Tagen und 6 Stunden wollen wir ihr aber nicht streitig machen 🙂.
Tag 21, Donnerstag 16.01. bis Mittag
Die Flaute ist zäh wie Kaugummi und zieht sich erbarmungslos durch die Nacht. Doch glücklicherweise haben sich die Squalls um uns herum aufgelöst. Aber mit 7 bis 8 Knoten Wind geht vor dem Wind nicht mehr wirklich viel. Unwillkürlich glotzt man ständig auf die Windanzeige und versucht, wenigstens 10 Knoten herauszuhypnotisieren.
Um 1.00 geht nichts mehr. Also wieder Motor, es ist zum Heulen. Um 3:00 dreht der Wind dann auf Nordost, er ist zwar immer noch nur 9 kn schwach, aber der kleinere Windwinkel erlaubt uns nun wenigstens etwas zu segeln. Hoffentlich hält das.
Da ich überhaupt nicht schlafen kann, wenn der Motor läuft, haben wir auf den Wachwechsel um 1:00 verzichtet. Nun kommt Astrid aus der Koje gekrabbelt und ich kriege endlich auch mal eine Mütze Schlaf. Viel bekomme ich von dem Theater, das Astrid nun die nächsten Stunden aushalten muss, nicht mit. Es dauert nicht lange, bis eine Serie von Squalls wieder mit Windvariationen von 6 bis 25 kn, die mit etlichen Drehern und heftigen Regengüssen garniert werden, für viel Theater sorgt. Teilweise sausen wir mit mehr als 7 kn durch den Schüttregen, um kurz darauf wieder mit schlagenden Segeln mehr nach Barbados zu treiben, als zu segeln. Erst zum Morgen hin versucht sich das Wetter mit etwas ausgewogener Gleichmäßigkeit wieder einzuschmeicheln. Das ist auch gut so, denn mit viel Ruhm hat es sich in den letzten Tagen ja nun wirklich nicht bekleckert.
Und so langsam ist nun auch klar, dass wir den 17.01. nicht halten können. Egal, wie wunderbar gleichmäßig und kräftig sich der Wind nun auch geben wird, am Freitag wird unser Anker nicht mehr vor Barbados fallen. Doch das Ende unserer längsten Überfahrt ist nun wirklich in Sicht. Nur noch 244 sm to go. Weniger als 10% der Gesamtstrecke, denn 2.659 sm liegen schon in unserem Kielwasser.
Unsere Position am 16. Januar 12:00
13° 20′ 34.9″ N 055° 33′ 24.2″ W