Dienstag früh schauen wir aus der Bugkoje durch ein Milchglasfenster in einen Himmel, den wir nicht sehen, der aber wohl immer noch da ist. Ich ahne Böses und krabbele aus den warmen Decken. Astrid weigert sich! Erst einmal muss die Heizung mindestens eine halbe Stunde laufen, vorher will sie nicht rauskommen. Auch die Frontscheiben des Decksalons und die Seitenscheiben auf Backbord sind milchglasig. Draußen sehe ich die Bescherung.
Es ist lausig kalt. Mir frieren fast die Finger an der Kamera fest, als ich mit zitternden Fingern nach dem Auslöser taste. Kann es vielleicht sein, dass es in Heiligenhafen erst bei minus 5° schneeregnet? Mit klammen Finger zerre ich unser Badeentchen nach draußen. Es tut mir etwas leid, denn eigentlich sind Badeentchen ja wirklich andere Temperaturen gewohnt.
Aber das Entchen bestätigt, dass die Physik nach wie vor auch in Heiligenhafen gilt, Schnee und Schneeregen ab 1°C, obwohl es sich ganz anders anfühlt. Auch ich verkrieche mich wieder unter den Decken, die Astrid so selbstlos warm gehalten hat und zusammen warten wir, bis die Heizung mindestens 1 Stunde gearbeitet hat.
Eigentlich haben wir noch einiges zu tun. Aber selbst mit der Aufräumerei unter Deck kommen wir nur langsam voran. Irgendwie lähmt uns diese Affenkälte. An irgendwelche Arbeiten draußen ist gar nicht zu denken. Ein Schneeregenschauer jagt den nächsten und mit jedem Schauer frischt der Wind auch ordentlich auf. Unter Deck versuchen immer noch die Klamotten der ersten Outdoor-Aktion zu trocknen. Gemütlich ist etwas anderes.
Nach dem Frühstück beschließe ich, den Blog zu der nächtlichen Outdoor-Aktion mit Peter zu schreiben. Während ich noch die Bilder sichte, gesellt sich zu dem beständig lauter werdenden Pfeifen des Windes auch ein blödes Ruckeln im Schiff, das es mir immer schwerer macht, über das Touchpad die Bilder zu bearbeiten. Um das Wetter hatten wir uns vor lauter Kältefrust gar nicht mehr gekümmert. Als ich aus dem Niedergang schaue, sage ich nur: “Ach du Scheiße! Astrid, ich glaub wir müssen was tun!”
Astrid lässt alles stehen und liegen. Wenn etwas nicht wirklich spaßig ist, dann bleibe ich meist ruhig und ernst. Ich muss wohl sehr ernst und sehr ruhig geklungen haben, sonst wäre Astrid nicht so schnell neben mir gewesen.
Es bläst inzwischen mit guten 35 kn und über Heiligenhafen sieht es nach mehr aus. Viel mehr! “Kriegen wir noch mehr Leinen über die Dalben?” Die Frage ist eigentlich Quatsch, denn die stellt sich gar nicht. Wir müssen wenigstens noch eine dicke Spring zusätzlich haben. Mit dicken Kabelbindern binden wir unsere beiden Bootshaken zusammen und von der Ruby Tuesday aus erwischen wir auch sofort den Dalben. Gott sei Dank! Inzwischen sind es mehr als 40 kn. Die Ruby Tuesday müssen wir auch noch etwas mehr festbinden. Ute und Peter sind gestern kurz nach Hause gefahren und wir haben die Sorge für ihre Dame übernommen.
Ich versuche einige Photos zu machen und zu filmen. Das ist aber fast ummöglich. Unglaubliche Regenmengen peitschen uns waagerecht entgegen. Nachdem mich auf unserem eigenen Vorschiff eine Bö fast ins Wasser geworfen hat, ziehen wir uns Schwimmwesten an. Am Mittelsteg hat ein Schiff damit begonnen sich loszumachen. Astrid ruft die Werft an, um Hilfe anzufordern. Das geht hier nicht mehr alleine. Ich schnappe mir einige unserer Festmacher, um die Dame am Mittelsteg zu bändigen.
Es ist nicht nur die eine Dame am Mittelsteg auf Abwegen, überall rucken sich die Schiffe los. Man gut, dass erst so wenige im Wasser sind. Inzwischen ist es schwer auf dem Steg zu stehen, man muss wirklich aufpassen, um nicht einfach in’s Wasser geweht zu werden. Zu dem Regen fliegt nun auch noch die Gischt durch den Hafen. Der Wind peitscht die Wellen über den Außensteg.
Hoffentlich wird das nicht noch mehr. Die Ruby Tuesday und unsere PINCOYA liegen noch mit am besten. Glück habt, obwohl der kleine Seitensteg neben der Ruby auch schon Auflösungserscheinungen zeigt. Das ist einfach zu viel Wetter, dem sind die Stege auf Dauer nicht gewachsen.
Als es dunkel wird, weht es immer noch mit runden 45 kn. Mal mehr mal weniger. Alle im Hafen liegenden Schiffe sind so gut vertäut, wie es eben geht. Die Mannschaft von der Werft hat eine 200m Rolle Festmacher mitgebracht. Dort, wo die Planken der Steege ganz herausgerissen sind, werden die Festmacher um die Stegbalken geknotet. Nur ganz langsam geht der Wind runter auf unter 40 kn. Unter Deck gibt’s erst einmal einen richtig steifen Grog und dann sehen wir um 24:00 das letzte Mal nach unseren und den Festmachern der Ruby Tuesday.
In der Nacht frischt es mit jedem Schauer wieder auf Sturmstärke auf. Gegen 2:30 rumpelt es direkt über uns auf Deck. Ich springe in mein kaltes, nasses Seezeug, finde draußen aber nichts Ungewöhnliches. So ein nächtlicher Kontrollgang in sturmgepeitschtem Regen hat schon was, vielleicht sollte ich meine Ideen, einmal nach Grönland zu segeln, doch noch mal überdenken.
Am nächsten Morgen ist es zunächst etwas ruhiger.
Aber die Ruhe hält nur kurz. Den ganzen Tag weht es weiter mit 30 bis 40 kn und immer wieder sind Regen- und Hagelschauer dabei. Ein heftige Bö lässt das Nutella-Glas vom Salontisch purzeln. Was in Dreiteufelsnamen ist eigentlich mit unserem Osterurlaub? Schert sich eigentlich überhaupt niemand mehr um unsere Urlaubsgefühle? Meine Tochter fragt im Chat: “Wo seid ihr eigentlich? Urlaub in der Antarktis? Ich dachte, ihr wolltet nach Heiligenhafen!”
Erst am späten Abend wird es dann wirklich etwas ruhiger, aber die lausige Kälte bleibt uns treu.
durchgepustet in Heiligenhafen / Ortmühle 54° 22′ 20,4″ N, 11° 00′ 15,7″ E