Orther Bucht -> immer noch Orther Bucht
Start: 14:23 Ende: 16:16
Distanz auf dem Wasser: mehrmals 3 bis 5 Meter
Distanz in der Luft: deutlich mehr
geschluckte Ostsee: 4,3 Liter
Diesmal sind wir die Nachmittagsgruppe, um 14h soll’s losgehen. Der Vormittag zieht sich hin wie Kaugummi. Der Wind liegt bei 5 Beaufort, nimmt aber zum Mittag ab. Ich habe Sorge, dass der Wind am Nachmittag noch reicht, um auch kräftigere Silver-Ager aus dem Wasser zu ziehen. Um 13h brechen wir auf.
Vor dem Umziehen messe ich auf dem Deich moderate 3 bis 4 Beaufort. Wir nehmen 7er, 8er und 9er Kites. Da ist für jede Gewichtsklasse das Richtige dabei. Diesmal sind Lin und Astrid in einer Gruppe. In der Surfstation wird einem der Materialunterschied zwischen Kites und Windsurfern noch einmal drastisch vor Augen geführt. Alles ist voll mit Brettern, Gabelbäumen, Masten und Segeln. Die Kiter ziehen mit einem Rucksack und einem Brett in Snowboard-Größe los. Das ist alles schon echt leichter und einfacher. Und heute werden wir sehen, ob das Fliegen auch einfacher ist, die Kiter sagen ja nicht “Fahren” oder “Surfen”, sondern “Fliegen”, selbst wenn sie auf dem Wasser bleiben. 🙂
Diesmal gelingt auch das Anziehen schon mal schneller und diesmal haben meine Damen den Reißverschluss auch gleich hinten ;-), dann würgt der Kragen auch nicht so sehr am Hals ;-).
Und selbstverständlich sind die Deppenhelme auch wieder dabei. Da heute der Wind aus Westsüdwest kommt, können wir an der Station bleiben und brauchen nur 200m über den Deich zu gehen. Den Aufbau der Kites machen wir in Eigenregie, die Lehrer prüfen nur noch, ob alles richtig ist. Unser Coolness-Faktor ist definitiv größer als gestern. Das wird heute der Hammer.
Dann werden die Kites gestartet und los geht’s. Ich nehme unsere wasserdichte Kamera mit, gestern hatten wir definitiv zuwenig Photos. Das mit der Kamera muss gehen, ich stopfe sie mir unter den Neo und verabrede mit Birk, dass wir uns gegenseitig photographieren.
Wir latschen wieder unendlich weit raus. Heute ist Mike unsere Lehrer. Mike hat sich das Board und den 9er Kite für uns geschnappt und brettert wie ein Irrer hin und her. Wow, wenn wir das erstmal auch so können. Mal sehen, ob wir heute überhaupt einen Meter hinkriegen. Der Wind hat etwas zugenommen und meine Sorge, überhaupt aus dem Wasser zu kommen, ist weggeblasen.
Weit draußen machen wir erst einmal einige Flugübungen mit dem Kite und lassen uns noch einmal ohne Brett durch’s Wasser ziehen. Upps joah, der Wind hat zugenommen und der Wille des Kites ist aber nach wie vor ungebrochen. Wir haben ordentlich zu tun, um in die ganze Sache etwas Ruhe zu bringen. Mike muss kurz zu der Nachbargruppe, da stimmt was nicht. Also wechseln die Lehrer, aber wir sollen mit den ersten Startversuchen auf Mike warten. Birk fliegt den Kite mal etwas hin und her, als der Kite plötzlich munterer wird und zu echtem Kiter-Leben erwacht. Birk schließt wie eine Rakete aus dem Wasser, einige Meter durch die Luft und verschwindet kurz darauf in einer Wand aus fliegenden Ostseewasser. Der Kite kracht auf’s Wasser und zerrt aber weiter an dem armen Birk herum. Birk löst die Sicherung aus und langsam kommt Ruhe in die Szene. Gestern war das Auslösen noch Theorie, heute schon eine ganz hilfreiche Praxis.
Während Birk und Antonia den Kite wieder aufklarieren, schaue ich zu Lin und Astrid herüber. Die beiden sind leider echt weit weg, sodass ich keine Photos machen kann. Ich erkenne Lin und den Lehrer hinter der offensichtlich im Wasser liegenden Astrid. Plötzlich und völlig unvermittelt schnellt Astrid aus dem Wasser, also ob sie gerade von einem U-Boot abgeschossen wurde. Ihre Haltungsnote während des Flugs ist besser als die von Birk. Geschmeidig beschreibt ihr langgestreckter Körper elegant eine fast ebenmäßige Flugbahn von gut 5 Meter, bevor sie mit einem Köpper im Wasser verschwindet. Kurz darauf taucht Astrid wieder auf. Upps, Gott sei Dank scheint nichts passiert zu sein. Da werde ich mich mal vorsehen, dass es mich nicht auch so zerreißt. Aber ich bin ja um einiges schwerer, mich kriegt der Kite so einfach nicht aus dem Wasser.
Dann kommen unsere ersten Versuche mit Brett. Kite ruhig auf 12h halten, Beine ran, Füße in Schlaufen, kleine Acht fliegen, lenken, Bar ran, zack raus und Arme lang. Soweit die Theorie. Von den 8 theoretischen Startpunkten klappt nur der erste, allerdings auch nur so lange, wie ich mit keinem der anderen Punkte begonnen habe. Dem “Beine ran” stehen schon rein physikalisch das Trapez und mein Bauch im Wege, ganz zu schweigen von der männlichen Anatomie, mit der Frauen ja nicht so zu kämpfen haben. Man, haben die es manchmal gut! Immer wieder saufe ich in Rückenlage einfach ab, ohne den zweiten Fuß auch nur in die Nähe des Brettes zu bekommen. Unwillkürlich versuche ich mich an der Bar hochzuziehen, was aber zu diesen ungewollten Erweckungseffekten beim Kite führt. Das “Armäh lahang” höre ich nicht, weil man eben unter Wasser nicht viel hören kann. Ich schlucke unendlich viel Ostsee und pruste wie ein Walross. Dann plötzlich fühlt mein zweiter Fuß die Schlaufe, der Kite zieht, ich komme aus dem Wasser und das Brett ist immer noch an meinen Füßen und immer noch schräg vor mir. Ich denke: “Hey wow!”, kann diesen komplexen Gedanken allerdings nicht ganz bis zum Ende denken, weil ich merke, dass sich jetzt gerade etwas urplötzlich ganz grundlegend geändert hat. Das Brett ist nicht mehr an meinen Füßen und ich fliege! Unwillkürlich ziehe ich an der Bar. Den Kite sehe ich nicht mehr, aber er muss noch da sein, denn er zerrt mit einer unglaublichen Gewalt an mir. Ich überschlage mich, krache irgendwie ins Wasser und werde mehr unter als über Wasser in Richtung Land geschleift. Langsam formt sich der Gedanke in meinem Kopf, dass das jetzt hier alles nicht wirklich gut ist. Mit einer Hand taste ich nach der Notauslösung. Plötzlich habe ich Grund unter den Füßen und stehe. Der Kite liegt vor mit auf dem Wasser und hebt gerade an, sein erbarmungsloses Werk zu vollenden. “So nicht, mein Bürschchen, nicht mit mir!” Ich lasse die Bar los und führen den Kite an einem seiner empfindlichen Steuerohren zum Rand des Windfenster, starte ihn und fliege ihn auf 12h. Zugegeben kein großer Sieg, aber ein kleiner Etappensieg.
Mike sagt mir hinterher, dass ich so sehr an der Bar gezerrt haben, das ich einen Kite-Loop in der Powerzone geflogen habe. Das wäre allerdings erst ein Manöver für den Freestyle- und Stunt-Kurs.
Die Variante “U-Boot-Rakete” ist besonders spektakulär. Erst versinkt man nach einer mehr oder weniger eleganten Fahrt (bis Bild 4) vollkommen im Wasser. Der Kite ist zu dieser Zeit allerdings noch voll aktiv und zerrt mit aller Macht an einem herum. Das führt dazu, dass man wie ein Zäpfchen abgeht und aus dem Wasser katapultiert wird, um kurz darauf erneut in den Fluten zu verschwinden.
Inzwischen hat der Wind insgesamt doch noch etwas mehr zugenommen. Aber ich will es noch einmal versuchen, bevor Birk übernimmt. Der Kite ist unruhig und schwer zu kontrollieren, aber am Rand des Windfensters geht es. Mike hilft mir beim Steuern des Kites und ich fummel meine Füße in die Schlaufen auf dem Brett. Alles sieht gut aus, ich komme sofort raus, doch ich komme nicht nur aus dem Wasser, sondern gehe direkt in die Flugphase über. Das Brett ist gleich weg. Ich fliege und ziehe wieder mal unwillkürlich an der Bar. Das macht dem Kite Spass, besonders als die Bö unter ihn fasst. Später am Strand messe ich am ausgestrecken Arm in Spitzen 29 Knoten. Der Kite ist 25m hoch, dort weht es noch etwas mehr.
Den Gedanken “Uiuiui!” kann ich diesmal zu Ende denken. Das vorstehende Photo, das Birk von mir macht, zeigt meine Startphase. Und es zeigt auch, wie perfekt ich die Bar nach unten reiße, um noch mehr Power zu bekommen. ;-( So fliegen nur echte Profianfänger. Meine Reiseflughöhe beträgt zwischenzeitlich wohl gut 3m. Nach ca. 20m ditsche ich zum ersten Mal wieder auf’s Wasser, der Kite zerrt immer noch wie ein Blöder an mir herum und reißt mich weiter in Richtung Ufer. Diesmal löse ich aus! Was zuviel ist, ist zuviel.
Nun kann Birk erst einmal wieder, ich brauche jetzt eine Pause. Aber Mike bricht ab, der 9er ist inzwischen für uns zu groß. Als Anfänger sind wir hoffnungslos überpowert. Die Profi flitzen um uns herum, als ob nichts einfacher wäre. Ob wir das auch mal so hinkriegen? Mike sagt, dass er uns einen 7er von den Mädels holt, denn die hätten schon ganz abgebrochen. Auf dem Rückweg zu uns zerlegt es Mike beinahe auch mit dem 7er. Kein Wind mehr für uns Greenhorns, auch wir brechen ganz ab.
Die Schmerzen kommen erst, als ich mich aus dem Neo pelle. Langsam aber sicher wird’s immer schlimmer. Der linke Rippenbogen scheint einen mitbekommen zu haben. Bei meinem letzten Flug bin ich links mehrmals recht heftig aufgeditscht. Es hat gedauert, bis ich die Notauslösung geöffnet hatte. Nun weiß ich auch, warum wir so weit latschen mussten: für ausreichend Platz nach Lee. Gut so!
Wir bauen ab, hören noch etwas Theorie und verabschieden uns. Den Tag können wir nachholen. Wir bekommen eine Art Gutschein.
Unser Mini ist aber zwischenzeitlich kleiner geworden. Ich komm kaum auf den Beifahrersitz. Astrid und Lin reden die ganze Zeit irgendeinen Blödsinn von Oldenburg und Krankenhaus. So’n Quatsch, ich muss nur mal etwas liegen, dann geht’s schon wieder. Es braucht etwas, bis ich über den Bugkorb auf die PINCOYA geklettert bin, schön sind die Schmerzen nicht. Ich lege mich in die Bugkoje, hier ist die Koje höher. Als ich mich auf die heile Seite drehe, um dann auf dem Rücken zu liegen, spüre ich einen deutlichen Brechreiz wegen der Schmerzen. Ich bin nicht zimperlich, aber das hier ist anders. So anders, dass ich klein beigebe und einwillige, nach Oldenburg ins Krankenhaus gefahren zu werden.
Als die nette Ärztin der Notaufnahme am linken Rippenbogen an der falschen oder eher richtigen Stelle drückt, gehe ich ab wie ein Zäpfen unter die Decke. Nach dem Röntgen ist klar, der 10te Rippenbogen ist durch, aber der Rest der Innereien ist ok. Man kann nicht viel machen, außer die Schmerzen zu genießen und abzuwarten, bis alles wieder zusammengewachsen ist. Wir holen mehrere Schmerzmittel aus der Notdienstapotheke. Tagsüber geht es damit ganz gut, aber das Liegen nachts ist einfach nur sch….
in Heiligenhafen / Ortmühle in unserer Heimatbox
54° 22′ 20,4″ N, 11° 00′ 15,7″ E