Heiligenhafen / Ortmühle -> östlich Falster Start: 11:30 Ende: 18:50 Distanz: 42,9 sm Gesamtdistanz: 42,9 sm
Genug Rippchen, genug Tiefflug, genug Kite, nun werden wir erstmal davonsegeln und Urlaub machen. Seit unserem letzten Kite-Tag haben wir hier in HHafen nicht nur etwas Wind, sondern eine ausgesprochen herbstliche Sturmlage mit kräftigen 8er Böen. Der Wind ist kalt, anders kann man es nicht sagen, alles erinnert eher an ein Wochenende im Oktober als an so etwas wie Sommer. Mein Rippchen schmerzt, besonders nachts. Bei so einem Wetter können wir mit so einem Rippchen nicht lossegeln. Ich bin nicht wirklich einsatzfähig. Der Starkwind ist nur das eine, aber bei der zu erwartenden Schaukelei ist die Gefahr einfach zu groß, dass es mich doch irgendwie in die Ecke schmeißt. Allein der Gedanke, auf dem Rippchen zu landen, ist schon unangenehm genug, da werden dann sicher auch keine Tabletten und Tröpfchen mehr helfen. Also warten wir ab und machen einfach mal einen auf „ruhige Urlaubstouristen“. Das fällt aber schwer, irgendwie zupft das Fernweh doch immer an unserem Ärmel, auch wenn die Ferne diesmal „nur“ in der Dänischen Südsee liegt.
Am Freitag nimmt der Wind dann etwas ab und soll sogar bis Samstagnacht ganz einschlafen. Also ist der Freitag unser Tag. Astrid und Lin klaren an Deck alles auf und ich mache mich unter Deck nützlich. Alles will ordentlich verstaut sein, denn auch wenn wir mit moderaten 5 Beaufort aus 120° vor dem Wind segeln, spätestens im Fehmarnbelt werden wir auf den alten Schwell aus West treffen und der wird uns nicht nur sanft hin und her schaukeln.
Kurz vorm Mittag geht es los und sogar die Sonne schaut bei uns vorbei. Wir segeln raumschots bis kurz unter Strukkamphuk, um mit nur einer Halse auf backbordbug unter der Fehmarnsundbrücke durchzukommen. In Gold ist die Hölle los, die 5 Beaufort haben wieder unzählige Kiter hervorgelockt, die spielend hin und her sausen. Mal sehen – später werden wir uns auch nochmal unter die Irren mischen. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht auch hinkriegen.
Da wir uns ja für diesen Urlaub vorgenommen haben, nur mit dem Wind zu fahren und nicht gegenan zu bolzen, ist unsere Richtung klar. Es geht in Richtig Ostnordost, nach Falster. Im Mai hatten Astrid und ich einen kleinen Ankerstop im Osten von Falster eingelegt, um eine Starkwindphase im Belt abzuwarten. Die Küste hatte uns so gut gefallen, dass wir nicht wieder weg wollten. Und genau dorthin wollen wir nun wieder. Selbst wenn der Wind aus West nicht einschläft und weiter solche Zicken macht, liegen wir dort goldrichtig vor Anker.
Im Belt treffen wir auf den erwarteten Schwell, Gott sei Dank nimmt der Wind über Mittag doch noch mal etwas zu, so dass uns die 5 – 6 Beaufort schnell durch die ansehnlich hohen Wellen bringen. Ich denke an mein Rippchen und an die 3 Nieser von heute morgen, die mich völlig zerrissen haben. Niesen mit Rippchen ist Höchststrafe. Seekrankheit mit „Fische füttern“ liegt auf der offenen Wohlfühlskala für Rippchen sicherlich ganz dicht beim Niesen, deswegen fällt Seekrankheit heute schon mal definitiv aus!
Natürlich bekommt Astrid im Kiel-Ostsseeweg auch wieder ihre Frachter und ist zwischen AIS und Fernglas in ihrem Element. Und dann kommen auch noch gleich 3 Fähren vor Gedser zusammen, so dass Astrid auch hier voll auf ihre Kosten kommt. Im Fährengetümmel kurz vor der Einfahrt von Gedser fällt Astrid etwas orange-schwarzes hinter der Betonnung der Einfahrt auf. Angler mit Weste in einem Gummiboot? Wir können es nicht erkennen. Einige Segler sind näher dran, machen aber keine Anstalten, sich darum zu kümmern. Als wir näher kommen, bin ich mir fast sicher, dass es sich um eine aufgeblasene Rettungsinsel handelt. Oben orangerot unten schwarz. Also fahren wir hin. Wir passieren das Ding in größerem Abstand und sehen – ja wie kann es anders sein – es ist ein Kite. Vom Kiter ist weit und breit nichts zu sehen. Was tun? Wir wenden und lassen die Segel in der Wende fallen. Ein Kite ohne Kiter ist immerhin so etwas wie ein Seenotfall. Astrid hält uns auf Position und ich rufe Lyngby Radio. Lyngby Radio stellt mich zum Danish Maritime Rescue Service durch. Wir geben unsere Position und damit die Position des Kites durch. So richtig ranfahren wollen wir nicht, seit unserem Kurs wissen wir, dass da 25m lange Strippen aus Dyneema dranhängen. Die wollen wir nicht in der Schraube haben. Die Dänen haben uns inzwischen eingepeilt und auf AIS gefunden. Die Rescue fragt, ob wir den Kite bergen können. Hmm… ich bin unschlüssig und frage Astrid.
Astrid, Lin und ich beschließen, einen Versuch zu machen und von Lee aus an den Kite zu fahren. Die Bar mit den Strippen zieht der Kite ganz sicher in Luv hinter sich her. So wie die Kites das auch mit uns gemacht haben. Wie gut, dass wir so einen Kurs gemacht haben! 😉
Über Funk sage ich der Rescue, dass wir es versuchen werden und uns in 10 Minuten wieder melden. Inzwischen sind zwei weitere Segler auf „stand by“, die haben unsere Aktion verfolgt und auch die Segel runtergenommen. 3 – 4 andere Segler fahren direkt durch, ohne sich zu kümmern, auch vorher schon, als wir noch gar nicht in Aktion waren, sind mindestens 4 Segler an dem Kite vorbeigefahren und haben noch nicht einmal bei Lyngby Radio eine Meldung abgesetzt. Das hätten wir ja auf 16 gehört. Man muss ja nicht gleich selbst Seenotrettung spielen, aber über Funk mal die Rescue rufen, ist ja wohl nicht zuviel verlangt. Was ist das nur für eine Seemannschaft? Die beiden auf „stand by“ sind übrigens Dänen, durchgefahren sind Holländer und Deutsche. Zufall?
Astrid manövriert uns vorsichtig gegen den Wind an den Kite. Gegen den Wind heißt auch gegen die Welle. Wir sind noch nicht in der Abdeckung von Falster und die PINCOYA stampft sich langsam voran. Lin und ich sind vorn am Bug. Jetzt nur nicht gegen das Rippchen kommen. Die PINCOYA stampft, es ist wie Achterbahn fahren. Wir kriegen eine Steuerleine des Kites mit dem Bootshaken zu fassen und ziehen sie langsam zu uns. Der Kite macht einen Startversuch, endet aber an unserem Großbaum. Gut so, nun noch die Bar rausziehen. Lin und ich zerren an den Strippen und versuchen gleichzeitig den Kite an Bord zu halten. Die PINCOYA springt förmlich auf und ab in den unangenehmen Wellen und wirft sich hin und her. Astrid kann nichts machen und muss den Motor solange ausgekuppelt lassen, bis wir alles an Bord haben. Dann haben wir auch die Bar und alle Strippen an Bord, aber in dem schlagenden Durcheinander hat sich alles irgendwie an der Reeling vertüddelt und die Strippen fallen wieder rein. Wir tanzen in den Wellen einen wilden Kite-Bergungs-Tango. Scheiße! Alles hat sich an der Reeling vertüddelt. Und am Mast ist kein Messer, ein Tauchermesser wollte ich schon lange dort festtapen. Kann man ja immer mal gebrauchen. Nun ist aber eben keins da. Mist! Also Lin allein vorne und ich hole ein Messer und Astrid schaut machtlos zu. Das Rippchen bekommt an den Aufbauten einen Schlag, mir bleibt die Luft weg und ich stöhne wie John Wayne, als sie ihm die Kugel aus der Schulter schneiden und es schon seit Tagen keinen Whisky mehr gab. John Wayne-mäßig beiße ich die Zähne zusammen und hole unser Tomatenmesser. Das ist besonders scharf! Und zack die Leinen durch, egal. So kriegen wir den Kite aber immer noch nicht in’s Cockpit, die Tubes und Struds sind noch aufgeblasen. Also wieder schnell an den Kurs erinnern, Tag 2 „Der Abbau“. Das Ventil finden wir dort, wo es sein soll und lassen die Luft raus. Wenn so einem Kite die Luft ausgeht, dann ist er schlagartig viel gefügiger, und lässt sich auch fast willenlos ins Cockpit stopfen. Lin klettert hinterher. Alles ist gut! Wow! Was für ein Ritt.
Astrid legt die PINCOYA erst einmal wieder so in die Welle, dass es schon fast wieder gemütlich ist. Der Rescue melde ich unseren Erfolg. Die bedanken sich sehr herzlich für unsere Unterstützung und sagen, dass wir den Kite in unserem nächsten Hafen dem Hafenmeister geben könnten, wenn wir wollen. Wohin wir den fahren würden? Ich erzähle, dass wir nur „north bound“ sind und heute Nacht irgendwo „East of Falster“ ankern werden. Ok, sagt der Rettungsmann, er könne uns nicht sagen, was wir nun mit dem Kite machen sollen, aber schönen Dank, dass wir ihn geborgen haben. „Ok“, sage ich „than we’ve just won a kite, right?“ Er lacht und sagt: „Yes, seems so. You’ve just won a kite! Thanks to you, over and out.“
Wenn das kein Zeichen ist! Es soll also mit aller Macht in unserer Kiter-Kariere weitergehen.
östlich von Falster vor Anker
54° 37′ 19.52“ N 11° 58′ 5.38″E