Visby -> via Västervik -> hinter einer Schäre bei Västervik Start: 11:45 (02.09.) Ende: 8:30 (03.09.) Wind: SW-W 23-8-19 kn Distanz: 74,0 sm Gesamtdistanz: 802,7 sm
Ich bin heute schon früh wach. Aber was heißt eigentlich wach, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Selbst Astrid, die eigentlich einen viel besseren Schlaf hat als ich, dreht sich in der Koje wie ein Brummkreisel. Seit gestern Abend steht im Hafen ein fröhlicher Sechser und läßt die Schwimmstege mit einem ohrenbetäubenden Lärm scheppern, krachen und quietschen. Manchmal verhakt sich eine der Rampen und löst sich dann mit einem metallenen Krachen, dass man sich unwillkürlich nach einem Auffahrunfall auf der Kaistrasse umsieht. Selbst Ohropax, meine besten Freunde, weil ich ja sowieso recht geräuschempfindlich bin, wenn’s ums Schlafen geht, helfen nicht, meine Ohren vor dem Lärm zu bewahren.
Anderen geht es genauso und so laufen schon früh zwei der ohnehin wenigen Yachten aus. Das Wetter ist zugegeben nicht so recht optimal zum Auslaufen geeignet, aber der Lärm treibt selbst eine kleine Yacht zu diesem Entschluss. Da auch wir eigentlich so schnell wie möglich weg wollen, gehe ich die Zugangskarten für die Sanitärräume wegbringen. Das ist auch eine gute Gelegenheit, mal einen Blick nach draußen auf die Ostsee zu werfen, um mal zu sehen, ob das ganze Spektakel nur hier im Hafen abgeht oder auch draußen Alarm macht. Vor der Hafeneinfahrt sehe ich dann, was dort gerade die größere der beiden Segelyachten so veranstaltet und nehme die Zugangskarten wieder mit zurück zur PINCOYA. Den Lärm müssen wir wohl noch einige Stunden aushalten, irgendwann soll es ja mit dem Wind weniger werden. Auslaufen ist jetzt gerade wohl keine so gute Idee.
Also nehmen wir Wasser und ich klettere noch einmal in den Mast, weil sich wieder 2 der Strapse unserer Haken zum Wegbinden der Fallen aufgelöst haben. Kabelbinder sind offensichtlich auch nicht wirklich UV-beständig und halten maximal 2 Jahre in der Sonne aus. Die Maststufen sind wirklich ein Segen und machen uns herrlich autark, gerade wenn es darum geht, mal eben solche Kleinigkeiten zu beheben.
Beim Wassertanken mache ich dann überraschend noch eine ganz neue Erfahrung. Alles geht so wie immer, bis der Tank voll ist und ich den Verschluss gerade wieder zudrehen will. Wir liegen ja alles andere als ruhig und rollen quer zur Welle teilweise ordentlich hin und her. Und genau in dem Moment, als ich den Verschluss aufsetzen will, rollen wir sehr stark auf die Seite, auf der der Einfüllstutzen sitzt und das gerade getankte Frischwasser hat nichts besseres zu tun, als mit einem feuerlöschschlauch-verdächtigen Strahl in einer wunderbaren, etwa 1,20 m hohen Fontaine mir spontan entgegen zu springen. Die volle Höhe kann die Fontaine allerdings erst entfalten, nachdem ich nicht mehr im Weg bin. Völlig konsterniert bleibe ich allerdings im Einzugbereich der Fontaine stehen, stelle mir in rasender Geschwindigkeit all die Fragen, die eigentlich völlig überflüssig sind und zudem auch überhaupt nicht weiterhelfen. Die Fontaine verendet mit der nächsten Rollbewegung auf die andere Seite. Das ist meine Chance und ich verschließe das Fontainenloch, von dem ich bisher glaubte, das es ein Einfüllstutzen ist. Astrid sieht mich mit Augen an, die mein Volldeppengefühl nicht im Mindesten abmildern können und ich gehe mich umziehen. War ja eh mal wieder Zeit sich umzuziehen.
So etwas sollten wir auf der gegenüberliegenden Seite mit dem Diesel besser vermeiden.
Gegen 11:30 haben wir das unbedingte Gefühl, dass es schon viel ruhiger geworden ist. Also machen wir uns startklar und legen ab. Das erste Reff ist vorbereitet und wir setzen das Groß gleich noch im Innenhafen hinter dem Rollsplittfrachter, der immer noch nicht leer ist. Dann geht es raus in Richtung Hafeneinfahrt und plötzlich ist da dann doch wieder der Gedanke, ob das nun die allerbeste Idee der besseren Ideen war, jetzt schon auszulaufen. Boah sind die groß! Astrid versucht noch schnell, einige der sich über die Hafenmole erbrechenden Wellen für die Nachwelt zu photographieren. Das ist aber etwas schwierig, weil die Sache mit dem Halt und der Feuchtigkeit von vorn nun zunehmend Formen annimmt, die das Photographieren erschweren und auch gar nicht so gut für unsere schöne Nikon sind. Dann passiert es, genau zwischen den Hafenmolen, … eins … zwei … drei Wellen, und jede versucht die vorherige in Steilheit und Höhe zu übertreffen, was ja eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre, aber wen kümmert das schon. Zum Ausweichen braucht man etwas Fahrt im Schiff und auch Platz ist von Vorteil. Den Platz nehmen uns die Hafenmolen, über die sich die Freunde unserer Wellen gerade wieder einmal erbrechen, und die Fahrt nehmen uns die ersten beiden Wellen. Am Ende stechen wir mit dem Bug so tief in die dritte Welle, wie ich das eigentlich nicht für möglich gehalten habe und schon gar nicht für besonders schön halte. Ganz langsam hebt sich der Bug der PINCOYA dann aus der Welle und schaufelt einen erstaunlich großen Teil dieser Welle über den Decksalon und läßt ihn auf halber Höhe gegen die Sprayhood krachen. Wow, was wäre das für ein Photo von der Mole aus gewesen!
Langsam, viel zu langsam für mein Gefühl, aber schnell genug, um den restlichen Kumpels unserer Welle auszuweichen, nimmt die PINCOYA wieder Fahrt auf. Der Motor tut alles, was er kann und langsam bekommen wir auch etwas Wind ins Groß und müssen nicht mehr so direkt gegenan. Schnell ziehen wir noch etwas Genua, nur nicht so viel, wir liegen in den Wellen ohnehin immer schon ordentlich auf der Backe. Dann können wir endlich rum und auf einen Kurs gehen, auf dem wir uns mit Groß und Genua gut von der Hafeneinfahrt frei segeln können. Die Wellen sind beachtlich hoch und der Wind bläst im Schnitt mit respektmachenden 22 Knoten, in Böen kann er auch etwas mehr, aber na ja. Trotzdem finden wir diesmal sehr schnell einen Kurs zu Wind und Welle, der zwar ordentlich schaukelig ist, aber richtig gut läuft. Die PINCOYA rauscht durch die Wellen und vergessen ist die Schrecksekunde bei der Ausfahrt.
So sausen wir recht unspektakulär, aber ganz wunderbar unter Segeln dem schwedischen Festland entgegen. Der aktuelle Kurs führt uns zwar recht weit in den Norden, aber egal, dort sind die geschützten Schären und die Innenfahrwasser, da kommen wir dann schon irgendwie wieder runter und vielleicht dreht sich der Wind ja auch noch etwas zu unseren Gunsten.
Nach rund 4 oder 5 Stunden und nachdem ich mal 1 1/2 Stunden Schlaf der verlorenen Nacht nachgeholt habe, nimmt der Wind ab und beginnt mit uns das Spielchen „Na,-wo-drehen-wir-uns-denn-nun-mal-hin?”. Insgesamt kreuzen wir uns aber am Ende doch noch recht gut in Richtung Westen. So gerne wir nach diesem Segeltag einfach irgendwo in den Schären den Anker fallen lassen würden, so wenig geht das hier bei Dunkelheit. Also brauchen wir eine der wenigen beleuchteten Einfahrten ins Schärengebiet, um erst einmal reinzukommen und um das nächste Tageslicht abzuwarten. So fummeln wir uns ab Mitternacht in das Fahrwasser nach Västervik hinein. Das hört sich leichter an als es ist, denn wir schaffen es erst nach einiger Diskussion die Lichter voraus auch den Seezeichen in der Karte zuzuordnen.
Um 2:15 sind wir dann in Västervik fest und mich überfällt urplötzlich ein sehr später und sehr großer Seebärenhunger. Gegen 3:00 fallen wir dann geschafft und zufrieden in die Koje.
Um 7:00 klingelt allerdings schon wieder der Wecker, denn die Schären rufen. Verknittert und wortkarg schlürfen wir unseren Morgenkaffee, während wir ums Eck hinter eine Schäre zum Ankern fahren. Und dort machen wir dann für zwei Tage nochmal richtig Seelebaumelurlaub, bis uns am Montag ein flotter Nord Richtung Heimat bringen soll.
hinter einer Schäre bei Västervik
57° 42′ 45,6″ N, 16° 43′ 51,9″ E