Sandhamn -> Rønne (Bornholm) Start: 14:15 (06.09) Ende: 14:00 (07.09.) Wind: ~WSW 17-22-17 kn Distanz: 120,7 sm Gesamtdistanz: 1043,2 sm
Sandhamn erwacht genauso friedlich, wie es eingeschlafen ist. Am Morgen ziehen sich ganz zarte Frühnebelschleier durch die Bäume am Ufer.
Als wir gestern hier in Sandhamn ankamen und einen Liegeplatz suchten, sahen wir auf der zweiten Pier einen Tour-de-France-verdächtigen Haufen von Fahrrädern. Da die Tour de France aber schon lange zu Ende ist und höchstwahrscheinlich auch dieses Jahr nicht durch Sandhamn gekommen ist, musste es eine andere Erklärung für die Fahrräder geben. Uns fiel dazu nur ein, dass hier wohl eine Fähre für Berufspendler ankommen muss, die dann sogleich auf ihre Fahrräder springen, um noch pünktlich zum Abendbrot zuhause zu sein. Deswegen haben wir uns auf die andere Seite der Pier gelegt, weil wir messerscharf geschlossen haben, dass es Pendlerfähren immer eilig haben und deswegen gleich vorn festmachen und nicht mühselig um die Pier fahren, um dann dort festzumachen.
Das war allerdings alles völliger Bullshit. Die Sandhamn Marina hat hier bestimmt 30 Fahrräder zur freien Verfügung hingestellt. Technisch einfach, aber alle in einem gepflegten Zustand mit ordentlich Luft auf den Reifen ?? ?.
So ist unsere Einkaufstour gesichert, denn inzwischen ist unsere Liste auch länger geworden und es steht nicht mehr nur “knoblauch-freies” Brot darauf. So geht es erst einmal auf Einkaufstour und weil das alles so irre praktisch ist, fahren wir auch gleich den Müll mit den Fahrrädern zum Container und uns selbst zur Dusche und zu den Toiletten.
Wenn man den Grib-Files glauben darf, haben wir noch genau 2 x 24h in denen wir unter Segeln fahren können und in denen wir möglichst auch zurück bis nach Heiligenhafen kommen wollen. Die ersten, etwas üppigeren 24h sind von Dienstagmittag bis Mittwochnachmittag und die zweiten, etwas magersüchtigeren 24h kommen dann ab Donnerstagvormittag bis, na ja, hoffentlich bis Freitagvormittag zum Zug. Drum herum gesellt sich ein Wind, der keiner ist, und der zudem aus einer Richtung kommt, die keiner will. Der erste Schwupp an Wind soll kräftig aus W bis SW kommen, um dann irgendwo über Finnland und Russland umzudrehen und als zweiter Schwupp aus E bis SE zurückzukehren. Das war’s dann, mehr soll es für unsere restlichen rund 250 Seemeilen nach Hause nicht geben.
Doch bevor wir aufbrechen, nutzen wir die Gunst der Stunde und machen noch mit den Fahrrädern eine Tour durch den Hafen und um die Bucht.
Gegen Mittag brechen wir dann auf. Wo und wie uns der Kreuzkurs dann hinführt ist offen, denn das entscheiden wir, wenn wir den Wind in den Segeln haben und sehen, was er mit uns macht. Auf jeden Fall wird es aber zunächst einmal hart gegenan gehen, hinter allen anderen Kursen liegen zwar auch tolle Ziele, aber eben nicht HHafen.
Südöstlich von Sandhamn bzw. Torshamn liegt ein Schießgebiet der schwedischen Army. Gestern Abend haben wir noch bis 20:00 einiges an Maschinengewehrfeuer und auch einige größere Kanonenschläge gehört, dann hatte die Landesverteidigung Feierabend. Diese Ballerei kann in keinem größeren Gegensatz zu diesen idyllischen Plätzchen stehen. Von unserem ersten Trip in diesen Gewässern kennen wir ja auch die Schäreneinfahrt nach Karlskrona bei Torshamn und etwas weiter südlich liegt ja auch das Idyll Utklippan, wo wir vor 3 Wochen unseren Urlaub erholungstechnisch begonnen haben. Unglaublich, das man hier so rumballern kann!
Als wir uns gestern Sandhamn näherten, erzählte mir Astrid von Wasserfontainen und Schüssen, die sie im Fernglas beobachtet hätte und auch hören konnte. Als ich durch’s Fernglas guckte, war davon nichts mehr zu sehen, aber in der Karte ist eine „shooting area” hinter den ersten Schären eingezeichnet. Das ist zwar quer zur Einfahrt nach Karlskrona, aber na ja. Die ballern ja nicht hier voll vorn in die Einfahrt nach Sandhamn, hier ist ein betonntes Fahrwasser, da wird nicht rumgeballert, die schießen auf der anderen Seite und ohnehin ist jetzt ja sowieso alles ruhig. Nur abends fängt es noch mal an, kurz nachdem wir durch die Molenköpfe der Hafeneinfahrt durchgefahren sind.
Direkt rechts und links und quer in dem betonnten Fahrwasser nach Sandhamn liegen nagelneue Fischerfähnchen ?. Echt moderne Dinger, die haben jetzt so einen neonorangen Zylinder. Absolut prima, wirklich gut zu sehen, nicht so wie diese alten Dinger, wo der Fischer sein altes T-Shirt dranknotet und seiner Frau die Lenorflasche als Schwimmer geklaut hat.
Allerdings ist die Art hier Netze auszulegen schon etwas unorthodox ?, aber in Schweden ist eben nicht alles so geregelt, wie in Deutschland, da legt man die Netze, wie die Fische schwimmen und wenn die quer durchs Fahrwasser schwimmen, – woher sollen auch die armen Viecher wissen, dass hier ein Fahrwasser ist -, dann werden die Netze eben dort so hingelegt, dass die Fische auch gut rein schwimmen können.
Als wir nun auslaufen, ballert es wieder ?. Und ich sehe rechts und links von der grünen Tonne die Maschinengewehrsalven im Wasser niedergehen. Zig kleine Fontainen. Dann ein großer Bumm und kurz darauf eine große Fontaine. Ich schlucke ??. Sind die bekloppt? Was machen die Erfinder von Knäckebrot und Tubenfisch denn hier für’n Scheiß?
Der nächste Gedanke wird von der nächsten Salve untermalt. Ist die IKEA-Nation durchgedreht und hat deutschen Seglern den Krieg erklärt? Der Hafenmeister war eben doch noch ganz nett. Na ja, der hat ja auch Geld bekommen, vielleicht nur deswegen. Bisher hatte ich die Schweden für recht friedlich gehalten. Ist zwischenzeitlich irgendetwas Weltpolitisches passiert? Vielleicht hätten wir doch mal Zeitung lesen sollen?
Inzwischen sind wir deutlich aus der Ausfahrt raus. Wieder so eine Salve. Wieder Fontainen. Vielleicht meinen die gar nicht uns, sondern die polnische Ketch ?, die etwas weiter draußen aufkreuzt. Oder fliehen die Polen und kreuzen gar nicht? Fragen über Fragen.
Die nächste Salve …. die Einschläge kommen näher. So eine Reihe Maschinengewehrlöcher im Rumpf poliert sich im Winter auch nicht mehr so einfach raus. Ich gucke Astrid an und sie sieht mich mit DIESEM Blick an ?, den ich kenne, wenn sie eigentlich doch recht hatte und ich sie nur tot gequatscht habe und diese scheiß modernen Fischerfähnchen vielleicht doch gar keine Fischerfähnchen sind.
Ich frage: „Soll ich die mal anfunken?“ Die schießen wirklich mitten ins Fahrwasser. Laut KVR ist ein Fahrwasser aber was Offizielles und da hat man, wenn man rechts fährt, Vorfahrt. Ob dies auch in solchen Fällen gilt, wenn da einer Schiffe versenken spielt? Astrid meint: „Egal, wir haben AIS! ? Und dann ziehen wir die Segel hoch und wenn AIS nicht geht, sehen sie ja die Segel!“. So mutig habe ich Astrid noch nie erlebt ?. Ich denke kurz darüber nach, ob so ein Treffer in der Bauchgegend sehr doll weh tut oder ob man so schnell tot ist, dass der Schmerz es nicht mehr zu Gehirn schafft ?.
Inzwischen ist es ruhig. Nichts ballert, zischt und blubbst mehr. Vielleicht laden sie nur nach? Wer weiß das schon? Schnell ziehen wir die Segel hoch und tun so, als ob wir genau wissen, was wir tun und vor allem, dass wir im Recht sind!
Durchs Fernglas sehe ich die feindlichen Stellungen und muss noch mal schlucken ?. Das sieht schon irgendwie gewissermaßen der Gestalt ziemlich sehr bedrohlich aus.
Gott sein Dank weht der Wind aus West schon halbwegs kräftig und wir nehmen schnell Fahrt auf. Nach 30 Minuten hören wir wieder die Maschinengewehre und irgendetwas größeres mit einem richtigen Bumm, aber da sind wir schon entkommen, die kriegen uns nicht mehr ?.
Als wir aber noch in Reichweite des schwedischen Feuers liegen und sekundlich auf das Bumm und das Splittern unseres GFK-Rumpfes warten… oder schießen die heute eigentlich immer noch zuerst die Takelage runter?…, machen wir den Autopiloten an, um die feindlichen Linien in Ruhe beobachten zu können. Aber der Autopilot biegt spontan mal gleich nach rechts ab!
Der will nicht geradeaus in Richtung Freiheit!
Nun hat unser Autopilot bzw sein Kompass ja so seine schrulligen Eigenarten. Manchmal ist er so verklemmt, dass der geschüttelt werden möchte. Also Autopilot raus, Kompass sachte schütteln und wieder rein. Aber … es geht immer noch rechts ab in Richtung der schwedischen Stellungen. Wieder raus, nochmal schütteln, nochmal rein, nochmal rechts.
Hmm.. Mist, will unsere PINCOYA mit uns einen erweiterten Suizid machen ?? Ok, vielleicht hat das ja auch noch eine natürliche Erklärung. In der Karte steht „magnetic variations“. Ist doch völlig klar ?! Wenn die Schweden hier die ganze Zeit auf Schiffe schießen, dann ist ja nicht jeder Schuss ein Treffer, also liegen hier Unmengen von daneben gegangenen Metallgeschossen rum. Wie soll da ein Kompass noch wissen, wo Norden ist? Also muss Astrid per Hand steuern. In solch kritischen Situationen muss die Capitana selbst ans Ruder, das ist keine Schiffjungenarbeit mehr.
Während Astrid uns mit sicherer Hand langsam aus der Gefahrenzone steuert, schweift mein Blick vielleicht ein letztes Mal noch durch unser Schiff und bleibt an dem pinken iPad-Smartcover hängen, das ich vorhin neben das Hafenhandbuch gesteckt habe, denn das iPad navigiert gerade oben unter der Sprayhood und das geht eben ohne Smartcover. Allerdings haben wir zur zeit auch genau dort den Kompass für den Autopiloten an einem kleinen Brettchen angebracht, um ihn eben im Bedarfsfall leichter spontan schütteln zu können. iPad-Smartcover und Kompass…., ich nehme mal das Smartcover weg und rufe der mutigsten Capitana der Welt zu: „Lass uns noch mal versuchen!“ Und siehe da, der Autopilot fährt bereitwillig geradeaus.
Vielleicht war es doch nicht die ganze Munition, sondern die kleinen Powermagnete im Smartcover, die das Cover so praktisch an das iPad klippen. Ich mache einen Versuch, tatsächlich, mit dem Apple Smartcover lassen sich sogar Schiffe steuern, allerdings nur nach rechts.
So entkommen wir am Ende doch noch unter Autopilot ganz elegant dem schwedischen Beschuss.
Nun heißt es Meilen machen und vor allem irgendwie in Richtung Südwest vorarbeiten. Bis zum Sonnenuntergang geht das auch recht komfortabel und wir können sogar immer etwas mehr nach Süd eindrehen. Gleich in der ersten Nacht unseres Urlaubstörns haben wird ja erfahren, wie nervig blöd einlaufende Wellen sein können. Jetzt geht das, wir liegen zwar nicht bequem, aber gut und hart am Wind.
Leider nimmt der Wind mit Sonnenuntergang nicht ab, sondern zu. Obwohl wir für die Nacht einreffen, liegen wir nun immer noch ordentlich auf der Backe. Je weiter wir nach Süden kommen, desto blöder laufen jetzt auch die Wellen ein. Ein ums andere Mal krachen wir so in die höheren Wellen, dass die PINCOYA bis in die Mastspitze erzittert. Es ist schwierig, einen besseren Kurs zu finden, ohne zu viel Höhe zu verlieren. Im Stockfinsteren sehen wir auch gar nichts, also krachen wir immer wieder stumpf in die Wellen. Als es zu schlimm wird, versuchen wir es mit einer Wende. Es wird etwas besser, aber an echte Ruhe oder gar Schlafen ist auf Freiwache nicht zu denken. Mehr recht als schlecht können wir auf Freiwache etwas wegnicken, aber mehr als mal eine halbe Stunde Schlaf bekommen wir beide nicht hin.
So kreuzen wir zwischen Bornholm und Christiansø durch und loggen dort unsere 1000ste Urlaubsseemeile. So ähnlich häßlich war unsere erste Nacht auf diesem Törn, wo wir dann auch erstmal aufgegeben haben und vor Anker etwas Ruhe tanken mussten. Diese Nacht halten wir durch, unsere Seebeine sind inzwischen kräftig gewachsen, aber schön ist es wirklich nicht. Könnten wir nur 20 oder 30° abfallen, wäre es ok, aber das ist eben nicht drin. Nördlich von Bornholm müssen wir dann auch noch gegen einen ostsetzenden Strom ankämpfen. Das macht uns langsam und ich schaue mir auf meiner Wache über 3 Stunden lang das Leuchtfeuer von Christiansø an, das ums Verrecken nicht näher kommen will.
Erst der Südkurs im Westen von Bornholm bringt etwas Ruhe und wir nehmen abwechselnd noch mal eine Mütze Schlaf. Die Nacht war wirklich häßlich, so etwas braucht keiner, aber um so wunderbarer ist nun der Tag. Der Hochdruck macht sich mit viel Sonne breit und wärmt unsere klammen Knochen aus der Nacht. Als Ziel haben wir uns nun Rønne ausgesucht, dort werden wir auf den Ost warten, der uns schon morgen heimwärts bringen soll.
Wie verabredet schläft der SW dann auch nachmittags ein, aber das verschlafen wir beide, denn in Rønne holen wir erst einmal den Schlaf nach, den wir in der letzten Nacht nicht bekommen haben.
in Rønne
55° 06′ 17,0″ N, 14° 41′ 35,7″ E