Viel Schlaf hat die Capitana letzte Nacht ja nicht bekommen ?, dafür waren wir schon zu schnell vor Jurmala. Da lagen meine Wachen irgendwie günstiger. Deswegen lassen wir es nun auch ruhig angehen ?, bevor wir dann zu einer ersten Erkundungsrunde losziehen. Ein bestimmtes Ziel haben wir nicht, wir wollen einfach mal gucken und etwas in der Altstadt herumlaufen.
In Riga ist der Sommer ausgebrochen, das haben wir schon bei der Anfahrt nach Riga bemerkt. Je näher wir dem Land kamen, desto wärmer wurde der leichte Wind, der nun ja auch nicht mehr über das kühle Wasser musste, um uns um die Nase zu wehen. In der langen Einfahrt nach Riga ließen wir dann nach und nach auch unsere letzten Hüllen fallen ?. Also nicht alles ?, sondern nur die letzten Winterhüllen ?. Da die letzte Nacht ja wieder sternenklar war, fiel auch die Temperatur am Badeentchen wieder schnell auf unter 10°. Und bei unter 10° trägt man auf dem Wasser schon mal gerne eine gefütterte Snowboardhose, auch wenn Snowboardhosen auf einem Schifff zugegeben etwas unseemännisch sind, aber schön warm sind sie trotzdem. So kommen wir in Riga zwar nicht von null auf hundert, aber eben 10 auf 27 Grad mitten im Hochsommer an.
Ohne echtes Ziel schlendern wir zunächst an dem Pilsetas Kanal in Richtung Altstadt. Der Kanal zieht sich wie eine grüne Ader östlich der Altstadt entlang. Alle Rigaer (oder Rigarianer oder Riganesen oder…, ich weiß es wirklich nicht), die nicht gerade über die Hauptstrasse am Hafen fahren müssen, um den Verkehrsfluss aufrecht zu erhalten ?, hat der Sommer nach draußen gelockt. Die Rasenflächen am Kanal und auch in den Parks nebenan sind voll mit Menschen, die die Sonne und den Sommer genießen. Das Wetter scheint wirklich etwas ungewöhnlich zu sein. Die Hafenmeisterin erzählte uns, dass der Sommer im letzten Jahr erst Ende Juni kam. Da kann man die Begeisterung verstehen, die unverhoffte 27° Anfang Mai auslösen. Alle Bars und Restaurants, in denen man draußen sitzen kann, sind bevölkert mit Sonnenhungrigen, die einfach nur das tolle Wetter genießen wollen. Und diese entspannte Sommerstimmung schwappt auch durch die Strassen.
In der Altstadt laufen wir durch alle möglichen Strassen und Gassen. Ein historisches Haus reiht sich an das nächste und fast alles ist wirklich toll restauriert. Jede Fassade ist anders als die nebenan. Andere Farben, andere Details, andere Ornamente, andere Skulpturen und andere Fratzen. Es ist schon überwältigend. Staunend schlendern wir durch die Häuserzeilen, man kann den früheren Reichtum dieser alten Handelsstadt fast mit den Händen greifen. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchen Details früher Häuser gebaut wurden. Das haben wir auch schon so in Danzig empfunden, aber hier in Riga ist das sozusagen alles noch einmal verdichtet. Riga wurde ja auch im Krieg nicht so sehr zerstört wie Danzig.
Unwillkürlich müssen wir an unsere Städte zuhause denken. Wie einzigartig müssen auch dort vor dem Krieg die alten Strassen in den Städten gewesen sein. Einiges erinnert ja auch noch heute daran, aber wie unglaublich viel wurde einfach unwiederbringlich durch den Krieg zerstört. Und das nur, weil ein Irrer Deutschland in den Krieg geführt hat und damit fast in der ganzen Welt ein unermessliches Unheil heraufbeschworen hat. Und das auch nur, – das muss man vielleicht heute umso lauter und eindringlicher und auch öfter sagen -, weil die Massen dem Wahnsinnigen gefolgt sind und nicht auf die wenigen Mahner gehört haben und nicht aufgestanden sind und nicht Widerstand geleistet haben. Einen Widerstand, der nicht erst geleistet werden muss, wenn die Demagogen und Populisten an der Macht sind, sondern der sofort und immer den ewig gestrigen Hetzern und ihrer Anhängern in den Weg gestellt werden muss. Aus Geschichte könnten die Menschen ja durchaus lernen, wenn Geschichte aufmerksam genug beachtet würde.
Auch wenn man so ohne Ziel durch die Altstadt Rigas schlendert, landet man irgendwann fast zwangsläufig auf dem Platz vor dem Dom. Einige Touristengruppen von der AIDA werden verschiedensprachig über den Platz geführt. Das Glockenspiel erklingt zum 4-Uhr-Tee und wir setzen uns in ein Strassencafé und bestellen einen Weißwein.
Hammer! Sommer! Strassencafé! Riga! Domplatz! Und wir und unsere neue Zeit, die genau in diesem Moment noch etwas wunderbarer und unglaublicher wird, als sie bisher ohnehin schon war. Und Astrid spricht den Gedanken aus, der auch mir durch den Kopf geht: – Gott sei Dank haben wir es gemacht und insbesondere jetzt schon gemacht und haben es nicht auf morgen verschoben! –
Man hätte uns auch sauren Wein servieren können, es wäre immer einer der besten Weißweine gewesen, die wir je hatten.
Wie der erste Nachmittag, so vergeht auch der zweite Tag in Riga. Nur… die Reiseleitung hat diesmal ein Programm ausgearbeitet. So laufen wir etwas zielstrebiger durch die Strassen, was man allerdings unserer Route nicht ansieht ?.
Natürlich steht heute auch der Dom zu Riga auf dem Programm und nicht nur das Strassencafé auf dem Domplatz davor. Anfang des 13. Jahrhunderts soll Albert von Buxthoeven hier den Grundstein für ein Kloster und eine Kirche gelegt haben. Über die Jahrhunderte wurde natürlich vieles an- und umgebaut, sodass die allerersten Anfänge gar nicht mehr richtig zu erkennen sind. Wir wandeln durch die Kreuzgänge des ehemaligen Klosters, die heute mit dem Dom eine Einheit bilden. In dem Innenhof ist es erstaunlich ruhig, nur ganz wenig des geschäftigen Rigas klingt bis hierhin durch. In den Kreuzgängen hat man verschiedenste historische Dinge zusammengetragen und genau beschriftet. Das sind nicht nur Gegenstände aus der Kirche und dem Kloster, es macht eher den Eindruck, dass hier erst einmal alles in Sicherheit gebracht wurde, was einen historischen Wert hat und bewahrt werden muss. Eine Restauratorin entstaubt mit einem Pinsel ihre “Schätzchen” und achtet darauf, dass es ihnen auch gut geht und dass sie sich so zeigen können.
Da uns nicht viel in den Yachthafen zurückzieht, verbringen wir fast den ganzen Tag in der Altstadt, gehen Essen, probieren in einer Stadtbrauerei das lokale Bier und genießen den Sommertag in Riga einfach so, wie er kommt.
Bevor wir am nächsten Tag aufbrechen, wollen wir noch tanken. Da die Tanke im Hafen wohl den Nachtclubs zum Opfer gefallen ist, greifen wir auf unsere Kanistervariante zurück. So holen wir 2 x 40 Liter von der nächsten Autotankstelle. Ohne Marinezuschlag ist das ja auch preiswerter.
Danach gehen wir noch einkaufen. Ohne viel zu erwarten, laufen wir nach Navi in Richtung „nächster Supermarkt“. Der Weg führt uns außerhalb der Altstadt erst durch das Viertel der diplomatischen Vertretungen, dann am Parlament und einer russisch-orthodoxen Kirche vorbei. Auch hier stehen jeden Menge wunderbar restaurierte, alte Gebäude. Fast so wie in der Altstadt, nur größer und irgendwie schon fast monumentaler. Das hatten wir so nicht erwartet, weil wir uns irgendwie nur auf die Allstadt konzentriert hatten. Nur gut, dass wir noch einkaufen mussten, sonst hätten wir diese Ecke von Riga ganz verpasst. Also dehnen wir unseren Versorgungsgang gleich nochmal etwas aus und laufen kreuz und quer durch die Strassen und Parks.
Wenn man mal vom Yachthafen absieht ?, der ja selbstgewähltes Seglerschicksal ist ?, ist Riga schon eine echt tolle Stadt. Wir wissen zwar nicht, wie es noch weiter draußen aussieht, aber das Zentrum und nicht nur die Altstadt sind schon wirklich einzigartig. Wenn man mal von dem Verkehr absieht, da muss sich Riga wirklich noch etwas einfallen lassen.
in Riga
56° 57′ 36,2″ N, 24° 05′ 47,1″ E