von Kärdla nach Tallinn


Montag 21.05.
Kärdla – >Dirhami Start: 11:30 Ende: 19:40 Wind: S -> NNW-N 3 – 10 kn Distanz: 31,1 sm Gesamtdistanz: 1014,2 sm

„von Kärdla -> nach Dirhami“

„von Kärdla -> nach Dirhami“

Am Montag brechen wir etwas skeptisch in Richtung Osten auf. Die Windvorhersage ist vage, denn genau über uns thront ein dickes Hoch. Das gibt dem Wind keine eindeutige Richtung und in unseren Grib-Files drehen sich die Windpfeile mal lustig hierhin und mal dorthin. Ab und zu werden sie auch mal von Kringeln abgelöst, wenn keiner mehr so recht weiß, woher der Nullkommanix-Wind denn nun kommen soll. Aber die Sonne scheint und das schreit förmlich nach einer nächsten Bräunungsrunde. Nur fahren sollte es am Ende etwas, wie schnell ist bei diesem Wetter egal, aber wenn wir ohne Motor vorankommen, dann wäre das schon klasse.

 

„Abschied von Hiiumaa. Tolle Insel mit toller Marina, eigentlich alles toll.“

„Abschied von Hiiumaa. Tolle Insel mit toller Marina, eigentlich alles toll.“

Einige hundert Meter hinter der Hafenausfahrt sichten wir die ersten windverdächtigen Kräuselwellchen. Schnell ziehen wir die Segel hoch und machen den Motor aus. Und … die PINCOYA fährt tatsächlich und sogar in die richtige Richtung. Also Klamotten aus und ab in die Bräunungsposition. Kurz darauf riecht es im Cockpit nach verschiedenen Sonnencremes und das verbreitet eine schon fast mediterrane Stimmung. Da es für eine Pina Colada zu früh ist, gibt es eines dieser natriumgeschwängerten Mineralwässerchen mit einem Schüsschen Traubensaft. Da kann man sich echt dran gewöhnen, – wenn es partout nichts anderes gibt.

So fahren wir bräunungsoptimiert einige Seemeilen vor uns hin, bis der Wind plötzlich in eine dieser Kringelphasen fällt. Schnell ist jede Bräunungsposition dahin und wir versuchen die Segel den Winddrehern hinterher zu ziehen. Irgendwann geben wir auf, drehen die Genua ein, ziehen das Groß mittschiffs und starten den Motor. Das hätten wir schon mal früher machen sollen, denn keine 5 Minuten später beginnt der Wind aus Nord zu wehen. Und dieser Nord begleitet uns bis eine Seemeile vor Dirhami. Aber der Nord ist eben kein Süd und macht seinem nordischem Temperament alle Ehre. Er ist nicht wirklich kalt, er erstickt aber dann doch den Willen zur Ganzkörperbräunung ziemlich direkt im Keim.

 

„Nicht mehr ganz ganzkörperbräunungsoptimiert.“

„Nicht mehr ganz ganzkörperbräunungsoptimiert.“

Alles in allem haben wir dann aber doch einen ebenso unerwarteten, wie perfekten Segeltag.

 

„Steinige Einfahrt nach Dirhami. Das geht auch nur, weil sie einige Steine weggeräumt haben.“

„Steinige Einfahrt nach Dirhami. Das geht auch nur, weil sie einige Steine weggeräumt haben.“

Und ein perfekter Segeltag wird noch perfekter, wenn man mal etwas Neues ausprobiert. In Dirhami angekommen, bezahlen wir die Hafengebühr und wie durch Zufall hat das Restaurant nebenan geöffnet. Die Sonne scheint auf die Terrasse und während Astrid noch die Duschen in Augenschein nimmt, setze ich mich spontan hin und bestelle für Astrid und mich ein Bier.

 

„Unten… der Tatort!“

„Unten… der Tatort!“

Als wir so beim Bier da sitzen, sehen wir, dass rund um das Haus des Hafenmeisters dicht an dicht Fische hängen. Also fragen wir die Bedienung, was man denn damit vor hat und macht und ob das Dörrfische sind oder was sonst. Oh, sagt sie, die verkaufen wir und die werden zum Bier gegessen, aber eigentlich eher zu Wodka. Alte Männer trinken immer Wodka zu diesen Fischen oder essen so einen Fisch eben zum Wodka, ganz wie man es sehen möchte. Dabei schaut mich die Bedienung aber nicht direkt an, ihr Blick ist wirklich neutral in die allgemeine Ferne gerichtet. Sie fragt, ob wir denn mal einen probieren wollen? – Ok, aber wir bleiben trotzdem beim Bier, schließlich kommt mein Geburtstag ja erst noch.
Kurz darauf sehen wir, wie der Koch einen Fisch von der Hütte des Hafenmeister abschneidet und 2 Minuten später erscheint die Bedienung mit einem Teller, auf dem der Fisch liegt, einer Art Petersilien-Dipp, einem messerähnlichen Werkzeug und zwei Zitronentüchlein. Wir müssten nur mit dem Messer unter die Haut und die Schuppen abheben und was dann zum Vorschein kommt, könne man essen.

Der Fisch ist ziemlich trocken und möchte seine Haut mit den Schuppen gar nicht so gerne verlieren. Vorsichtiges Probieren hat da wenig Erfolg. Die Bedienung macht es uns kurz vor und überlässt uns dann unserem Schicksal. Und Astrid überlässt das Grobe dem Schiffsjungen. Also packe ich das knacktrockene Teil hinter seinen Kiemen und versuche, ihm seine Haut über die nicht vorhandenen Ohren zu ziehen. Drei Schichten Tapete in einem Altbau bekommt man leichter runter. Irgendwann liegt das frei, was man zum Wodka essen soll. Ich pule das, was früher einmal ein frischer Fisch war, raus. Homöopathische Globuli sind größer. Erst probiere ich, dann Astrid. Na ja, recht neutral im Abgang. Vielleicht war das Stück zu klein. Ich suche nach mehr, aber der Fisch wehrt sich noch immer. Der hat wirklich einen sehr trockenen Humor.
Das messerartige Werkzeuge ist zwar nicht scharf, aber sollte es bei der angewendeten Gewalt abrutschen, steckt es auch bis zum Anschlag im Finger. Der Fisch wurde so getrocknet, wie er mal gelebt hat. Also nicht irgendwie ausgenommen oder so. Vielleicht kann man das mit ganz viel Wodka trotzdem essen, aber wir haben ja nur Bier. Ich schaue mal weiter hinten. Aber auch dort … alles trocken. Zwischen den Gräten ist aber was, was ganz Dünnes. Das war wohl früher mal frisches Fischfleich, ist jetzt aber eher Fischpergament. Ich knabbere an verschiedenen Teilen des Fisches herum und pule auch mal auf der anderen Seite. Astrid lutscht an dem Pergament zwischen zwei Gräten. Vielleicht ist er ja nur einseitig getrocknet und auf der anderen Seite ist noch mehr. Aber da ist auch nix. Hmm, ich kaue noch mal an einer Gräte herum und betrachte einige Dinge, die ich dann doch nicht essen möchte. Und dann ist mir doch irgendwie nach Wodka. Astrid steckt ihren Finger in den Dipp und sagt: „… joah!“ Die Zitronentüchlein riechen nach frischer Zitrone, obwohl ich mir sicher bin, dass dieser Duft kein Duft einer glücklichen Zitrone aus mediterraner Freilandhaltung ist.
Irgendwie sind uns frische Fische doch lieber. Warum macht man so etwas mit den armen Fischen? Nur wegen des Wodkas und für die alten Männer? Nun ja, vielleicht war der Fisch ja auch zu klein. Aber da hängen ganz viele dieser Größe, das muss also schon so gewollt sein.
Als wir bezahlen, fragt die Bedienung: „Na, how was the fish.“ Wir zeigen auf den Trümmerhaufen von Fisch vor uns und sagen: „It’s not exactly our favorite Aggregatzustand of a fish …. to be honest!”
Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie ein klitzekleines Lächeln unterdrückt.

p.s. Leider haben wir von der ganzen Fischaktion nicht ein einziges Photo, weil wir uns einfach zu spontan in diese neue Erfahrung gestürzt haben und noch nicht einmal ein Handy in der Hosentasche hatten.

 

„Wieder so ein ETP!“

„Wieder so ein ETP!“

„Extreme tranquillizing pictures (ETP) schreien ja nach einer (wenn auch kurzzeitigen) meditativen Grundhaltung.“

„Extreme tranquillizing pictures (ETP) schreien ja nach einer (wenn auch kurzzeitigen) meditativen Grundhaltung.“

„Astrid hält länger durch ?“

„Astrid hält länger durch ?“

in Dirhami
59° 12′ 35,2″ N, 23° 29′ 58,2″ E

 


Dienstag 22.05.
Dirhami -> Vaike-Pakri (A) Start: 10:20 Ende: 17:20 Wind: NNE – NW – W 5 – 10 kn Distanz: 28,0 sm Gesamtdistanz: 1042,2 sm

 

„von Dirhami -> in die Ankerbucht hinter Vaike-Pakri“

„von Dirhami -> in die Ankerbucht hinter Vaike-Pakri“

Der nächste Tag ist wieder so einen Segelversuchstag. So schön Hochdrucklagen auch sind, es gibt eben nicht viel Wind und mit einer eindeutigen Windrichtung ist das auch so eine Sache. Aber wir kommen so langsam in Richtung Tallinn voran. Morgen soll es etwas mehr Westwind geben und als Vorboten schickt der Westwind schon mal ab Nachmittag einige Wolken vorbei.

 

„Windstille zum Auslaufen aus Dirhami“

„Windstille zum Auslaufen aus Dirhami“

„.. aber ein kleiner Hauch schiebt uns doch weiter in Richtung Tallinn“

„.. aber ein kleiner Hauch schiebt uns doch weiter in Richtung Tallinn“

Abends lassen wir den Anker hinter der östlichen Pakri-Insel fallen. Vorher sind wir relativ dicht an der Steilküste entlang gesegelt. Auf der ganzen Länge wird diese Steilküste von der See unterspült, woraufhin die obere Schicht in riesigen Platten abbricht und ins Meer stürzt. Dagegen sind die Abbrücke am Kap Arcona echt niedlich. Geologisch soll diese Steilküste ein Paradies für Forscher sein, denn durch die klare Schichtung und die Abbrüche werden den Geologen die eiszeitliche Sedimente wie auf einem Silbertablett serviert.

 

„Abbruchkanten… zur Freude der Geologen!“

„Abbruchkanten… zur Freude der Geologen!“

Hinter Vaike-Pakri liegen wir prima vor Anker. Im Osten ist zwar der Industriehafen von Paldiski zu sehen, dass stört aber im Süden der Insel nicht mehr sehr. Theoretisch hätten wir uns auch noch etwas weiter um die Insel herumtasten können, aber das lassen wir jetzt mal. Da wäre dann auch vorher eine kleine Erkundungsrunde mit dem Gummiboot ganz gut gewesen, denn die ganze Zeit, die wir hier nun unterwegs sind, liegt der Wasserstand bei – 40 bis – 50 cm. Das kann man gut an den Hafenmolen sehen und auch der Hafenmeister von Kärdla hatte uns das nochmal gesagt. Insgesamt ist dieses Frühjahr wohl in vielerlei Hinsicht etwas ungewöhnlich. Außerdem ruft Tallinn und deswegen liegt die Priorität auf einer ruhigen Nacht und nicht auf einem Naturversteck.

 

„oben Paldiski bei der Anfahrt“

„oben Paldiski bei der Anfahrt“

vor Anker südlich Vaike-Pakri
59° 18′ 36,1″ N, 24° 00′ 25,0″ E


Mittwoch 23.05.
Vaike-Pakri -> Tallinn Start: 12:30 Ende: 20:15 Wind: NW – W 10 – 18 kn Distanz: 31,5 sm Gesamtdistanz: 1073,7 sm

 

„von Vaike-Pakri -> nach Tallinn“

„von Vaike-Pakri -> nach Tallinn“

Da wir ja gerne vor Anker liegen, haben wir es am Vormittag auch nicht besonders eilig. Außerdem sind die Wolken in der Nacht durchgezogen und wir sehen sie nun im Osten. Seit Sonnenaufgang scheint die Sonne in unser Cockpit und es ist wunderbar warm. In einem Monat ist Mittsommer, da hat die Sonne nun schon seit Stunden Dienst und das zahlt sich aus. Nach dem Frühstück mache ich erstmal die Bilder für die schon fertig geschriebenen Blogs und Astrid strickt in der Sonne Socken für kühlere Zeiten.

Mittags brechen wir auf. Das ist allerdings gar nicht so einfach, denn unser Anker hat sich gestern Abend mit den wenigen etwas stärkeren Windböen orkansicher eingegraben und will nun nicht mehr raus. Nur mit Gewalt können wir ihn nach zwei Versuchen unter Motor ausbrechen und hoch ziehen wir ein über und über mit Ton verklebtes Etwas, das irgendwo im Inneren als Kern unseren Anker enthält. Es dauert einige Zeit, bis wir das klebrig matschige Tonzeug wenigsten halbwegs abbekommen haben und Kurs Tallinn nehmen können.

 

„Der alte Leuchtturm wurde schon aufgegeben und den eigentlich neuen roten, streichen sie vielleicht auch schon deswegen nicht mehr, weil er eh bald seinem Vorgänger folgen wird.“

„Der alte Leuchtturm wurde schon aufgegeben und den eigentlich neuen roten, streichen sie vielleicht auch schon deswegen nicht mehr, weil er eh bald seinem Vorgänger folgen wird.“

Während dieser Ankeranktion quatscht unsere Funke die ganze Zeit schon ununterbrochen vor sich hin. Fünf Nato-Warships machen zwischen hier und Tallinn eine Übung. Dauernd wird zum „keep a wide berth“ oder „keep at least 4 nautical miles distance“ aufgefordert oder gar eine „under water explosion“ angekündigt. Auf AIS können wir die Burschen ja ganz gut sehen, im Dunst sind diese grauen Schiffe aber wirklich schwer auszumachen. Wir quengeln uns dann an der Küste durch, haben dort zwar keine 4 sm Abstand, aber die können uns ja schließlich auch anrufen, wenn es denn gar nicht passen sollte. An der Küste entlang passt der Wind gerade so, sollten die Nato-Jungs uns in die Mitte des Finnischen Meerbusens umleiten, dann wäre das schon ein echter Umweg, wobei der Wind dafür auch nicht richtig passen würde. Kurz vor Tallinn liegen dann noch ein Tankschiff und ein deutscher Nato-Kreuzer, aber hier sind wir schon fast am Verkehrstrennungsgebiet. So ein Verkehrstrennungsgebiet kann auch die Nato nicht einfach zu ihrem Übungsgebiet erklären und kurzer Hand all die Kreuzfahrer nach Tallinn umleiten. Also fahren wir einfach knapp in das Trennungsgebiet rein, machen einen auf Großschifffahrt und pfeifen auf das keepen eines wide berth.

 

„Tallinn in Sicht und unten die Mittwochs-Regatta.“

„Tallinn in Sicht und unten die Mittwochs-Regatta.“

„Tallinn“

„Tallinn“

Bis Tallinn nimmt der Wind dann noch ordentlich zu. Und vor Tallinn tobt die Mittwochsregatta. Passend zum Anlegen haben wir dann gute 5 – 6 Beaufort quer an einem recht kurzen Fingerausleger ganz vorn an einem Schwimmsteg. Das hätte jetzt nicht sein müssen und so machen wir recht unelegant, aber ohne anzudengeln, um 20:00 im Lennusadan, dem alten Wasserflugzeughafen in Tallinn fest.

 

„Fest im Lennusadam direkt vis-á-vis des Suur Töll! “

„Fest im Lennusadam direkt vis-á-vis des Suur Töll! “

„Hier kann man es aushalten und gleich morgen wird Tallinn erkundet“

„Hier kann man es aushalten und gleich morgen wird Tallinn erkundet“

in Tallinn in der Lennusadam – Marina
59° 27′ 15,1“ N, 24° 44′ 19,3″ E