Tallinn

 


Donnerstag 24.05.

Der Lennusadam ist der alte Wasserflugzeughafen Tallinns aus dem Ersten Weltkrieg. Und natürlich wurde dieser Hafen auch im Zweiten Weltkrieg und danach in der sowjetischen Zeit immer rein militärisch genutzt. Das änderte sich erst mit der erneuten Unabhängigkeit Estlands 1991. Allerdings wurden die alten Hallen des Wasserflugzeughafens und große Teile des Hafen selbst erst 2006 nach einer 7-jährigen Streitodyssee zwischen einer russischen Firma und dem Staat Estland tatsächlich an Estland übergeben. Von 2010 bis 2012 wurden dann die Hallen und das ganze Gelände drumherum grundsaniert und danach vom estnischen Maritime Museum bezogen.

 

„Im Lennusadam direkt vor dem Museum und der Suur Töll“

„Im Lennusadam direkt vor dem Museum und der Suur Töll“

Die Esten sind sehr stolz darauf, dass sie während ihrer ersten Unabhängigkeit eine eigene Wasserflugzeugstaffel hatten. Gleich als wir ankommen, empfiehlt uns der Hafenmeister ganz dringend einen Besuch des Museums. In dem Museum würde auch ein ganzes U-Boot liegen und für Gastlieger des Lennusadam gäbe es auch eine „reduction“. Aber das wäre alles egal, denn das Museum ist ein Highlight von Tallinn und dort muss man einfach gewesen sein. Und auch den alten Eisbrecher Suur Töll, den wir vis-á-vis als Cockpit-Panorama haben, sollte man unbedingt besichtigen. Man merkt schon deutlich, dass da etwas Stolz auf „seinen“ Hafen mitschwingt.
Die Schwimmsteganlage ist nagelneu und alles andere sieht auch noch nicht wirklich alt aus. Im Museum sehen wir später, dass noch ein weiterer Ausbau geplant ist. Platz genug ist ja in jedem Fall vorhanden und wenn man die Hafenmole noch etwas weiter herumzieht, dann kommt auch der Schwabbelschwell der Fähren nicht mehr so leicht in den Hafen. In den 20 € Hafengebühr ist alles inclusive, auch Waschmaschine und Sauna. Da haben wir in anderen Schrabbelhäfen schon deutlich mehr bezahlt. Und wenn man bedenkt, dass für uns eine Nacht im Old City Harbour von Tallinn mal eben 45 € kostet hätte, dann haben wir wohl nicht viel falsch gemacht, als wir den Lennusadam ausgewählt haben.

 

„Im Old City Harbour ist es gerade nicht so idyllisch“

„Im Old City Harbour ist es gerade nicht so idyllisch“

Das bestätigt sich dann auch bei einem Besuch des Old City Harbour zu Fuß. Rund um den Yachthafen tobt gerade eine Riesenbaustelle. Man ist dabei, das gesamte Hafenareal rund herum komplett umzubauen. Auf Bildern kann man schon sehen, dass das eine echte Luxusecke für waschechte Oligarchen werden wird. Das, was hier geplant ist, ist sicher beeindruckend, aber dann auch ganz sicher nichts mehr für die Portemonaies normaler Fahrtensegler. Hoffentlich wird der Lennusadam von diesem Geschäftssinn nicht angesteckt, das wäre wirklich schade.

 

„Die Kreuzfahrer“

„Die Kreuzfahrer“

Bei strahlendstem Sonnenschein ziehen wir nach dem Frühstück los, um Tallinn zu entdecken. Vom Lennusadam in die Altstadt ist es auch nicht viel weiter als vom Old City Harbour. Tallinn ist schon ein echter Touristenmagnet. Täglich spucken hier bis zu vier Kreuzfahrer ihre Gäste aus, und das sind nicht eben wenige. Überall in der Stadt stehen große Touristentrauben mit ihren verschiedensprachigen Stadtführern. Eine fernöstliche, aber englischsprachig geführte Truppe löst sich nach jeder Erklärungsrunde bei dem Kommando „photo position“ kurz auf, um sich dann nach kurzer Zeit wieder zusammenzufinden.

 

„Die Kunst hat in einer alten Fabrik ihr neues Zuhause gefunden und Astrid ist kurz Teil einer Kunst.“

„Die Kunst hat in einer alten Fabrik ihr neues Zuhause gefunden und Astrid ist kurz Teil einer Kunst.“

Alles in Tallinns Altstadt ist auf Tourismus ausgerichtet. In jedem auch noch so kleinen Lädchen gibt es Souvenirs und all den üblichen Ramsch, den man nur an verzweifelte Touristen verkaufen kann, die dringend noch irgendetwas für ihre Lieben zuhause suchen. In dieser Beziehung ist Riga „normaler“. In Riga hat man das Gefühl, in einer Altstadt zu sein, die auch von Letten bewohnt und vor allen bevölkert wird. Hier in Tallinn hat man eher das Gefühl, dass sich die ganze Altstadt 100% auf Touristen eingestellt hat und der normale Este hier mit „seinen Touristen“ nur ein Geschäft macht, aber nicht selbst in dieser Altstadt lebt. Bestimmt liegt dieser Massenandrang auch an der Lage Tallinns. Auf dem Weg nach St. Petersburg macht hier jeder Kreuzfahrer fast zwangsläufig fest. Dafür liegt Riga einfach zu weit hinten im Rigaischen Meerbusen, da muss man schon wirklich hinfahren wollen und kommt nicht einfach mal so auf der Hauptkreuzfahrerroute nach St. Petersburg vorbei.

 

„Das Stadttor und unten mal keine Touristengruppe. Rechts der Turm der Oleviste Kirik“

„Das Stadttor und unten mal keine Touristengruppe. Rechts der Turm der Oleviste Kirik“

Aus den Touristenströmen kann man sich nur lösen, wenn man durch schmale Gassen geht, die Stadtmauer über abseits liegende schmale Treppen und Wege erklimmt oder auf Kirchtürme klettert. Und das mit dem Kirchturm machen wir gleich zu allererst bei der Oleviste Kirik (St. Olav Church).

 

„In der Oleviste Kirik“

„In der Oleviste Kirik“

„Der Leuchter von unten“

„Der Leuchter von unten“

Der Kirchturmaufstieg ist so schmal und eng, dass eine ganze Reisegruppe Monate für den Auf- und Abstieg brauchen würde, wenn es nicht ohnehin zu einer Totalverstopfung kommen würde, die man wahrscheinlich nur durch den vollständigen Abriss des Kirchturm wieder beseitigen könnte.

 

„Der Aufstieg… Zwischen dem Anstieg, der Verschnaufecke und dem Ausstieg liegen noch Wendeltreppen in Schornsteingröße, die selbst Santa Claus Angst machen würden.“

„Der Aufstieg… Zwischen dem Anstieg, der Verschnaufecke und dem Ausstieg liegen noch Wendeltreppen in Schornsteingröße, die selbst Santa Claus Angst machen würden.“

So erklimmen wir den Turm der Oleviste Kirik zusammen mit nur ganz wenigen Individualtouristen und haben von dort oben den phantastischsten Ausblick über Tallinn, den man sich überhaupt vorstellen kann.

 

„Tallinn von oben“

„Tallinn von oben“

„Der Rundgang“

„Der Rundgang“

Der Rundumgang oben am Turm ist nichts für Höhenängstler und echte Dickbäuche, denn an den vier kleinen Seitentürmen muss man sich wirklich durchschlängeln und das geht auch nur einzeln und nacheinander. Wir bleiben lange oben und blockieren auch noch die Bereiche zwischen den Seitentürmchen mit unseren Panorama-Aktivitäten. Da aber die Touris, die hier oben angekommen sind, tiefenentspannt und nicht so gehetzt sind, schlängeln wir uns geduldig aneinander vorbei oder man wartet einfach, bis der andere fertig ist. Denn der Ausblick ist grandios und da ist es nicht schlimm, wenn man an der ein oder anderen Stelle die Aussicht mal etwas länger genießt.

 

„Der Kern der Altstadt steht auf dem einzigen Hügelchen weit und breit.“

„Der Kern der Altstadt steht auf dem einzigen Hügelchen weit und breit.“

Wieder unten laufen wir in den frühen Kern der Altstadt, dessen dicke Mauern von dem expandierenen alten Tallinn langsam umwachsen wurden. Auch Tallinn hatte in den beiden Weltkriegen Glück, es wurde bei weitem nicht so zerstört wie andere Städte. So reiht sich auch hier eine wunderbare, alte Häuserfassade an die nächste.

 

„Stadtansichten...“

„Stadtansichten…“

„Die russisch orthodoxen Kirchen sind ja immer ein Highlight für Photographen.“

„Die russisch orthodoxen Kirchen sind ja immer ein Highlight für Photographen.“

Der zentrale Rathausplatz (Tallinna Raekoda) gefällt uns aber nicht wirklich, da er rundherum mit Restaurants zugenagelt wurde, in denen jetzt zur Mittagszeit auch Hochbetrieb herrscht. Eigentlich wollen wir auch eine Kleinigkeit essen, aber 25 € für ein simples Standardessen aus der Fritte finden wir dann schon etwas heftig. Am Ende essen wir dann eine Kleinigkeit in einer Seitenstrasse. Die kleinen Seitenstrassen sind neben den großen Highlights Tallinns ohnehin mit die schönsten Sehenswürdigkeiten. Und da die Kreuzfahrer in der Regel nur zwischen 10 und 17:00 ihr Programm abspulen, ist die Innenstadt für die anderen Touristen wahrscheinlich außerhalb dieser Zeiten am interessantesten.

 

„Hinter jeder Ecke eröffnen sich neue Perspektiven.“

„Hinter jeder Ecke eröffnen sich neue Perspektiven.“

„Noch ein Blick auf die Oleviste Kirik und etwas Stadtmauer“

„Noch ein Blick auf die Oleviste Kirik und etwas Stadtmauer“

Am späten Nachmittag verschnaufen wir erst einmal etwas auf der PINCOYA. So ein Stadt-Sightseeing geht nach einigen Stunden ja doch ganz schön auf die Knochen. Nachdem die Waschmaschine für uns wieder einen Berg Buntes gewaschen hat, gehen wir nochmal einkaufen. Wenn man auf eigenem Kiel in eine Stadt kommt, dann stellt sich ja schon die Frage, wo man einkaufen oder auch tanken kann. So suchen wir uns in Google Maps einen nahen Supermarkt, geben die Adresse in die Navi-App auf dem Handy ein und laufen los. Hierfür sind übrigens Offline-Navis auf dem Handy echt klasse. Karten zuhause runterladen, z.B. Osteuropa inkl. Russland, und schon kann man sich unabhängig von jedem Netz offline überall zurechtfinden. Das hat selbst auf den Inselchen Ruhnu und Kihnu bestens geklappt, denn selbst Waldwege waren dort verzeichnet.

 

„Unter das Denkmal für die Opfer des Estonia - Unglücks 1994“

„Unter das Denkmal für die Opfer des Estonia – Unglücks 1994“

Diesmal führt uns der Navi durch ein eher „alternativ“ anmutendes Viertel Tallinns. Es ist nicht gerade die Schanze in Hamburg oder Linden in Hannover, aber das Publikum ist durchaus gemischt und der Supermarkt …ja, sagen wir mal … „rustikal“. So laufen wir wie normale Esten durch die nicht-touristischen Teile Tallinns. Die meist zweistöckigen Häuser mit ihren Holzfassaden sind fast alle irgendwie renoviert, aber vielfach auch noch nicht wirklich saniert. In Baulücken stehen Neubauten, die sich in das Gesamtbild des Stadtteils gut einpassen und keinen Stilbruch zu dem Drumherum darstellen. Wir sind ganz froh, dass wir ein Land nicht nur anhand seiner Touristenattraktionen kennenlernen, sondern uns auch ganz normal versorgen müssen und deswegen „einfach so“ herumkommen.


Freitag 25.05.

Am Freitag gehen wir in das Lennusadam Museum, besichtigen den Suur Töll und wollen dann eigentlich los. Nachdem wir dann aber stundenlang in dem Museum und dem U-Boot und dann auch noch auf dem dampfbetriebenen Eisbrecher Suur Töll herumgelaufen und gekrochen sind, ist unsere Lust, heute auch noch aufzubrechen, so ziemlich auf dem Nullpunkt angekommen. Also lassen wir noch einmal die Waschmaschine für uns arbeiten und bezahlen für eine weitere Nacht. Danach gehen wir noch etwas Bier kaufen, denn in Finnland wird das Bierkaufen aufgrund der Preise ja kein reines Vergnügen mehr sein.

 

„Das Museum im Lennusadam“

„Das Museum im Lennusadam“

„Innenansichten und unten in der Mitte ein Eissegel-Opti ?“

„Innenansichten und unten in der Mitte ein Eissegel-Opti ?“

Das Museum ist wirklich toll und nachdem wir aus dem U-Boot wieder rausgeklettert sind, können wir uns noch weniger als vorher vorstellen, dass man an der U-Bootfahrerei wirklich Spaß haben kann. Vielleicht ist das ja heute auf den modernen U-Booten anders, aber auf der „Lembit“ muss das Leben wirklich hart und absolut entbehrungsreich gewesen sein. Ziemlich unvorstellbar!

 

„Da muss man wissen, welches Ventil was macht. Untern der Bereich des Kapitäns. Eine Kabine hatte er auch nicht wirklich.“

„Da muss man wissen, welches Ventil was macht. Untern der Bereich des Kapitäns. Eine Kabine hatte er auch nicht wirklich.“

„Keine Privatsphäre und nichts für Leute, die Rücken haben.“

„Keine Privatsphäre und nichts für Leute, die Rücken haben.“

„Die Suur Töll. Der Suur Töll ist übrigens der National-Troll ?der Esten“

„Die Suur Töll. Der Suur Töll ist übrigens der National-Troll ?der Esten“

Unser Favorit ist aber die Suur Töll. Da muss man wirklich mal drauf gewesen sein und durch den Dampfmaschinenraum gekrochen sein. Im Museum und auch auf der Suur Töll hat man es geschafft, die Geschichte, die Zusammenhänge und auch das damalige Leben und die Arbeit toll in einer guten Mischung darzustellen und zu erzählen. Auch die Historie der Museumshallen selbst.

„Die Dampfmaschine...“

„Die Dampfmaschine…“

Als wir 2016 in Kuressaare waren, waren wir auch sehr angetan von der Ausstellung zur Geschichte Estlands auf der Ahrensburg. Für Museen und Ausstellungen scheinen die Esten echt ein gutes Händchen zu haben, und dann freuen wir uns auch über jeden EU-Euro Förderung, der hier reingeflossen ist und dazu beiträgt, die Geschichte aufzuarbeiten und einem Land die Möglichkeit gibt, seine Identität zu bewahren.

 

„Nur für die Offiziere der Suur Töll.“

„Nur für die Offiziere der Suur Töll.“

Abends gehen wir dann noch einmal zu einem anderen Supermarkt und kommen kommen eher durch einige Neubauecken Tallinns. Hier sieht man, wie Tallinn wächst und alle Zeichen auf Entwicklung stehen. Hier in Estland kann man ganz bestimmt recht gut und angenehm leben und arbeiten. Für die Sprache würde man zugegeben etwas brauchen, aber mit Englisch kommt man ist Estland ja erst einmal bestens zurecht. So bleibt Estland unser Favorit unter den baltischen Staaten. Wären wir etwas jünger, würden wir wohl mal darüber nachdenken, es in Estland für eine Weile zu versuchen.

„Unser grandioses Cockpit-Panorama.“

„Unser grandioses Cockpit-Panorama.“

in Tallinn in der Lennusadam – Marina
59° 27′ 15,1“ N, 24° 44′ 19,2″ E