Harvungon (A) -> Fäliskäret Distanz: 34,4 sm Gesamtdistanz: 2359,1 sm
Über Nacht dreht der Wind auf Südost und im Laufe des Vormittags nimmt er noch etwas zu. Ab und zu zerren kräftige Böen an uns herum. Schon in der Nacht hatten wir das gehört. Der Wind ist ziemlich unstet. Aus einer Grundstimmung von 4 Beaufort sausen immer mal wieder 6er Böen mit einer leichten Tendenz zur 7 über uns hinweg. Wegen der schwülen Wärme haben wir vor einer Woche unsere kuschelige Mittelkoje verlassen und schlafen nun in der Bugkoje. Wir sind also sozusagen von unserem Winterquartier in unser Sommerquartier umgezogen ?. In der Bugkoje können wir die Luke ganz geöffnet lassen, so dass ab Mitternacht schon mal das ein oder andere laue Lüftchen bei uns vorbeischauen kann.
Obwohl wir nun fast direkt mit dem Ohr auf der Ankerkette schlafen, ist kein einziges störendes Geräusch beim Schwojen zu hören. Und wir schwojen bei diesem Wind teilweise recht wild hin und her, so dass die Kette aus den Drehbewegungen heraus schon das ein oder andere Mal ziemlich steif kommt. Da wir ja doch viel ankern, haben wir inzwischen noch einige andere Varianten zu Anschlagen der Ankerkralle ausprobiert, sind dann aber schlußendlich wieder bei unserer ersten Variante gelandet. Die ist wirklich lautlos, auch bei diesen Bedingungen.
Den Vormittag über macht Astrid etwas Reiseplanung für Kvarken, das Schärengebiet hier vor Vaasa. Derweil schreibe ich Blogs und fummele noch etwas an unseren Reffs im Groß herum. Die haben wir nun so angeschlagen, dass ein Palsteg um den ganzen Baum geht und nicht nur an den kleinen, seitlichen Ösen hängt. Das ist uns so sympathischer, aber die ganze Geschichte braucht noch etwas Feinjustierung. So trödeln wir rum, denn eigentlich soll der Wind wieder etwas abnehmen. Etwas weniger als 5 – 6 Beaufort wären uns für dieses Fahrtgebiet schon recht. Denn nur rein äußerlich betrachtet, sieht es hier ganz ähnlich wie in den finnischen Schären weiter südlich aus. Guckt man aber in der Seekarte nach konkreten Fahrwegen, stellt man fest, dass hier eine echte Unmenge von Steinen herumliegt. Als ob da einer nach den Eiszeiten extra noch einmal mit einem riesigen Stein-Salzstreuer rüber gegangen ist, um zusätzlich schnell noch tausende von Steinen und Felsbrocken zu verstreuen. Dagegen hatte man in den finnischen Schären weiter südlich und in den Ålands ja fast das Gefühl, auf freiem Wasser zu segeln ?.
So hat die Zicke-Zacke-Routenplanung hier schon fast etwas von Gegenwind und Aufkreuzen. Um ein Ziel zu erreichen, dass Luftlinie zum Greifen nahe liegt, körselt man ein ums andere Mal zickezacke um Untiefentonnen herum und fährt immer wieder Fahrwege, die nur mäßig in Richtung des Ziels führen. Halbwegs gerade Fahrwege kann man vergessen und auch, wenn ein Fahrweg (»recommended track«) in der Seekarte eingezeichnet ist, dann muss man erst einmal schauen, für wieviel Tiefgang der denn überhaupt so »recommended« ist. In den Schären weiter südlich und in den Ålands waren 2,4 m echt wenig. Hier scheitern wir ein ums andere Mal an der Angabe 1,2 m oder gar 1,0 m. Deshalb kommen wir aus unserer Ankerbucht heute auch nicht nach Norden weiter, wie wir uns das eigentlich gedacht hatten, sondern müssen denselben Weg, den wir gestern gekommen sind, erst einmal wieder zurückfahren, um dann vor dem Außenfahrwasser nach Norden abzubiegen.
Als wir dann gegen 15:00 fertig und der Meinung sind, dass der Wind nachgelassen hat, brechen wir auf. Aber als der Wind das bemerkt, gibt er gleich noch mal alles. Einen Anker bei mehr als 20 Knoten Wind halbwegs geordnet aufzuholen, ist schon eine echte Aufgabe. Natürlich muss Astrid mit dem Motor schieben, da viel zu viel Zug auf der Kette ist. Immer wieder schwoit die PINCOYA hin und her und wir fahren unserer Ankerboje nur halbwegs und mehr oder weniger entgegen. Sobald Lose in die Kette kommt, ziehe ich die mit der Ankerwinde raus, dann geht es auch schon wieder in die andere Richtung und die Kette kommt wieder steif. Als nur noch 10m Kette draußen sind, bricht der Anker bei einer dieser Aktionen aus und ich kann ihn reinholen. Aber die Ankerboje ist noch draußen und Astrid muss vermeiden, über die Dyneema-Strippe zu fahren. Wenn die in die Schraube kommt, können wir den Anker gleich wieder fallen lassen und ich darf dann wie Indianer Joe mit einem Messer zwischen den Zähne tauchen gehen, wobei ich allerdings nur mit der Dyneema-Strippe kämpfen und nicht einem gefrässigem Krokodil den Bauch aufschlitzen muss, um eine vollbusige, kreischende Blondine zu retten. Das würde meine Situation zwar deutlich entspannen, wäre aber immer noch hinreichend unschön. Aber soweit kommt es gar nicht, denn der Karabiner, mit dem die Ankerbojenstrippe am Anker einhakt ist, öffnet sich und die Ankerboje verabschiedet sich. Aber da das Gegengewicht an der Ankerboje nun über den Boden schrabbelt, kommt sie nicht so schnell voran. Wir klaren kurz auf und fahren dann von Luv ein erfolgreiches Ankerboje-über-Bord-Manöver. So einfach kommt die uns auch nicht davon. Es ist nun schon das zweite mal, dass sich der Karabiner heimlich geöffnet hat, da müssen wir uns wohl mal so einen zuschraubbaren Karabiner besorgen.
Der Wind ist echt zickig und pendelt immer wieder zwischen 10 und 20 kn. Im Groß steckt das erste Reff und das lassen wir auch mal schön so, aber die Genua rollen wir ein ums andere Mal aus und wieder ein. Gegen 17:00 sehen wir, wie sich über dem Festland Gewitterzellen bilden. Da die steuerbord nach Norden ziehen, sind wir auf der sicheren Seite. Aber kurz vor 18:00 beginnt das Spielchen in Luv von uns und es grummelt nun gut hörbar aus einer für uns etwas ungünstigen Richtung.
Das Regenradar bestätigt uns unsere unangenehme Situation und wir suchen nach einen Zufluchtspunkt, den es hier für uns gar nicht gibt. Am Ende entscheiden wir uns für dafür, nordwestlich von Bredskäret zu ankern. Selbst wenn viel Wind in den Gewitterburschen steckt, dort ist genug Platz, um den Anker nochmal neu einzufahren. Aber die Befürchtung haben wir eigentlich gar nicht, denn unser Rocna Vulkan Anker hat schon Schlimmeres gehalten. Ein ungutes Gefühl machen nur die Gewitter. Gut, die Wahrscheinlichkeit, wirklich getroffen zu werden, ist rein statistisch gesehen gering, aber in einem Gewitter am Fuß eines 17m-hohen Blitzableiters zu sitzen, macht eben trotzdem kein besonders gutes Gefühl.
Die Gewitter sind schnell und eine ganze Zeit ist nicht klar, ob wir den Anker vor dem ersten Hammer unten haben oder schon vorher die volle Breitseite bekommen. Alle elektronischen Geräte, soweit das natürlich überhaupt geht, stopfen wir in unsere »Gewitterbox«. Das ist eine kräftige Alukiste, die hoffentlich den elektromagnetischen Impuls etwas dämpft, wenn wir beinahe oder richtig getroffen werden. Das ist eine Hoffnung, die wir aber auch nicht wirklich auf die Probe stellen wollen. Und wenn wir wirklich getroffen werden und es halbwegs gut geht, dann kommen wir vielleicht mit einem elektronischen Totalschaden der Bordelektronik und – elektrik davon und die Notebooks, iPads und Handys, aber auch die Festplatten für die Bilder und die Kamera überleben halbwegs in der Kiste. Eine Hoffnung …
Als unser Anker dann fällt, ist über dem Festland schon ordentlich was los. Ein faszinierendes Schauspiel. Vor den schwarzen Wolken zucken immer wieder Blitze und ab und zu beleuchtet die Sonne dazu noch die Häuser auf Bredskäret. Das sieht unwahrscheinlich toll aus und ich stehe bis zu den ersten Regentropfen draußen und versuche Blitze zu photographieren. Allerdings ist meine Trefferquote so schlecht, wie sie nur irgend sein kann. Eigentlich hat man nur eine Chance einen Blitz zu erwischen, wenn er in seinem Blitzkanal gleich noch ein zweites oder drittes Mal nachlegt und man zudem die Kamera zufällig in der richtigen Richtung im Anschlag hat. Es ist zum Verzweifeln, ich mache zig Bilder von Bredskäret und nie ist ein Blitz auf den blöden Bildern. Immer, fast immer bin ich zu spät, aber ich kriege dann noch einige Exemplare.
Aber dann geht es auch bei uns los. Der Wind frisch nur kurz etwas auf. Man weiß ja nie, wieviel Wind in diesen Gewittern steckt, aber wir sind gut vorbereitet. Vier Stunden lang blitzt, kracht und schüttet es um uns herum. Einige Einschläge sind wirklich dicht bei uns. Wenn man mit dem Zählen zwischen Blitz und Donner nicht mehr so recht beginnen kann, dann ist es wirklich ziemlich nah. Zwei- dreimal sind Blitz und Donner fast gleichzeitig da. Dann ist es auch kein richtiges Donnern mehr, das grollt und rollt. Dann kreischt und schreit es, als ob tausend Laminatplatten zusammen mit tausend Holzbohlen gleichzeitig zerbersten.
In einer Regenpause gehen wir die Lage peilen und sehen in verschiedenen Richtungen über Bredskäret oder auf dem Festland dahinter einen Feuerschein. Der Wald brennt. Kein Wunder, alles ist so furztrocken, dass schon der kleinste Funke ausreicht, um alles lichterloh brennen zu lassen. Der Rauch weht zu uns herüber und nach kurzer Zeit steht eine schwarze Rauchwalze südlich über der Insel. Und dann beginnt es so zu schütten, wie wir es wirklich selten erlebt haben. Echte Sintfluten ergießen sich über uns und ein Gewitter nach dem nächsten zieht über uns hinweg. Der Spuk dauert bis weit nach Mitternacht und es ist teilweise stockfinster. Zum ersten mal wird es wieder richtig Nacht, so wie wir es seit Monaten nicht mehr erlebt haben. Erst gegen 1:00 legen wir uns hin, es donnert, blitzt und grummelt zwar immer noch, aber etwas weiter draußen gehen die Blitze jetzt nur noch von Wolke zu Wolke und die ganze Geschichte scheint sich etwas zu beruhigen.
Am nächsten Tag werden wir von neuen Gewittern geweckt. Die ziehen aber weiter draußen über dem Bottnischen Meerbusen ab. Es ist schwül. Nicht nur etwas schwül, sondern richtig! So schwül, dass jede Bewegung zwangsläufig zu einem Schweißausbruch führt. Wir werden heute sicher noch mal einen auf die Mütze bekommen, diese Schwüle schreit förmlich nach Gewittern. Aber was tun? Wir wollen gerne noch weiter, denn Gewitter kann man ja auch anderswo empfangen. Der unglaubliche Regen der letzten Nacht scheint aber zumindest die Waldbrände gelöscht zu haben, bevor sie dafür zu groß wurden. Es qualmt nur noch und riecht überall nach Pfadfinderlagerfeuer.
Also brechen wir nach Faliskäret auf, da wollten wir sowieso hin und dort kann man bestimmt auch ganz prima die nächsten Gewitter abwarten. Als die Sonne rauskommt, wird’s knuffig. Im Schatten sind es gut 28° und wir haben eine Luftfeuchtigkeit, die den Navigator zweifeln lässt, ob er wirklich in Finnland ist oder nicht vielleicht doch versehentlich das Amazonas-Delta getroffen hat.
Mit wenig achterlichem Wind plätschern wir nach Westen in die äußeren Schären. Wenn der Wind eine Verschnaufpause braucht, tuckern wir etwas unter Motor vor uns hin, bis er wieder kann. Schon bald können wir im Dunst den Holzturm von Faliskäret sehen. Dieser Holzturm ist 22m hoch und die älteste hölzerne Sichtmarke Finnlands.
Er steht ziemlich weit außen im Bottnischen Meerbusen und kennzeichnet seit 1784 die westliche Einfahrt nach Vaasa. Faliskäret war früher ein Lotsenstützpunkt, bevor der Hafen auch von der Coast Guard genutzt wurde. Das ist aber heute alles vorbei und das finnische Amt für Forstwirtschaft betreut nun die Gebäude und hält alles in Stand. Man kann sich hier auch einmieten und das alte Bootshaus wurde als ein Veranstaltungsraum umgebaut.
Aber auf Faliskäret ist alles sehr einfach und naturbelassen und so auch nur etwas für eher naturbelassene Seelen. Speziell die Westseite von Faliskäret ist sozusagen der prototypischste Prototyp einer außenliegenden Schäreninsel.
Hier kann man stundenlang über nackte Felsformationen klettern und staunen, wie vielfältig die Eiszeiten sich in den Felsen verewigt haben. Bäume gibt es auf Faliskäret kaum und wenn, dann ducken sie sich auf der Ostseite weg, denn hier ist es die meiste Zeit des Jahres nicht so ruhig wie heute. In einigen Mulden haben sich Regenwasserteiche gebildet und wir stauen etwas über einige Schilfkolben, die irgendwie so gar nicht in diese Landschaft passen wollen.
Abends erfinden wir eine neue Variante des Sundowner-Sightseeings. Wir rudern hinter Faliskäret mit unserem Gummiboot etwas herum und lassen uns dann vom Ostwind ganz ganz ganz langsam eine Stunde lang wieder zurücktreiben. Sundowner-Drifting gehört ab heute definitiv zu unseren SSS, dem Sundowner-Standardvarianten-Sightseeingprogramm. In dem Gummiboot kann man bequem sitzen und wenn man lange genug in eine Richtung geschaut hat, dann paddelt man einfach mit den Armen etwas im Wasser herum, so dass sich das Gummiboot etwas dreht, und schon hat man eine eine neue Perspektive, die sich wieder lange anschauen läßt.
Bei der Ruderei in die Ausgangsposition zum Sundowner-Drifting muss ich allerdings die Ruder schnell an Astrid abgeben. Ich rudere zu rund und überhaupt nicht rechteckig! Es folgt eine kleine Einführung in die Rudertechnik im Allgemeinen und Speziellen. Früher bin ich einfach nur so drauflos gerudert und auch irgendwie angekommen. Nun weiß ich, wie kompliziert und ausgefeilt richtiges Rudern zum formvollendeten Ankommen auch sein kann. So erreicht unser Gummiboot zwar nicht ganz die Geschwindigkeit eines Damenvierers mit Steuerfrau, aber schnell die ansehnliche Endgeschwindigkeit eines Dameneiners mit tatenlosen Zuschauermann. Es ist doch erstaunlich, dass man auch nach 8 Ehejahren und vielen Jahres des Zusammenlebens immer noch ganz neue Seiten bei seiner Frau entdecken kann. Seiten, die ich gerne entdecke, denn sich in technischer Perfektion zum Sundowner-Drifting rudern zu lassen, ist eine der durchaus angenehmen Seiten des Lebens.
Ach ja, und die Gewitter. Es gewittert tatsächlich und auch nicht zu knapp, aber wir bekommen nichts ab. Alles zieht weiter innen über das Festland ab. Da sind wir auch gar nicht so böse drum, denn irgendwie war das gestern schon ein etwas beklemmendes Gefühl.
Stationen:
29.07. Harvungon (A) -> nordwestl. von Bredskäret (A) 19,0 sm: 62° 55′ 19,0″ N, 21° 09′ 51,7″ E
30.07. Bredskäret (A) -> Fäliskäret 15,3 sm: 63° 03′ 41,1″ N, 20° 48′ 19,8“ E