Hörnum auf Sylt -> Esbjerg Start: 5:00 Ende: 16:45 Distanz: 62,8 sm Gesamtdistanz: 295,3 sm
Am Freitag lebt sich Lin erst einmal ein. Der Tag vergeht mit Ankommen, Strand und Baden. Vor dem benachbarten Golfhotel darf Astrid die Ankunft eines Golf-Messias’ beobachten. Unzählige Hotelpagen und Bodyguards umschwirren eine riesige schwarze Limousine. Natürlich hat Astrid überhaupt keinen Sinn dafür, sich Marke und Modell zu merken, was angesichts der Fachkenntnisse von Luiz und Andy absolut unverzeihlich ist. Nachdem der Chauffeur sich unendlich langsam aus der Limousine geschält hatte, um dann, sich des großen Augenblicks durchaus bewußt, in Zeitlupe auf die schwarz abgetönten Scheiben des Font zuzubewegen, geht ein fast erotisch prickelndes Raunen durch die Menge. Die Hotelpagen halten die vibrierende Menge der Jünger in einem Abstand, der diesem Augenblick gebührt. Eine etwas zu stark geschminkte Dame mit Sylter Lederhaut kann nicht an sich halten und entweiht diesen einmaligen Augenblick mit dem Blitz ihrer Kamera. Einige Herren aus der Jüngermenge werfen ihr mißachtende Bilcke zu und überprüfen schnell noch einmal den lässigen Sitz der hochgeklappten Kragen ihrer 300 € Polohemden auf korrekte Lässigkeit. Natürlich sind das keine normalen Polohemden, sondern echte Golfershirts, die die Namen der legendärsten Golf-Hotspots in den jungen Abendhimmel von Sylt brüllen.
Ganz langsam und unendlich lässig dreht sich nun eine große schlanke Gestalt aus der Limousine, lächelt in die Runde und hebt die Hand zu einem uns Seglern unbekannten Golfergruß. Das Sponsorshirt fällt lässig über die Designer-Jeans, als Tiger Woods auf das Portal des Golfhotels zuschreitet, wo der Hotelmanager in demütiger Haltung, welche auch sein persönliches Handicap widerspiegelt, schon wartet. Astrid hat kurz den Eindruck, dass die Menge der Jünger für den kleinen Moment eines Abschlags der spontane Wunsch durchzuckt, sich mit der Stirn gen Mekka auf den Sylter Parkplatzasphalt zu werfen, aber da ist ihr Mekka auch schon wieder weg.
Bei Astrids Rechnerei ist diesmal 5:00 herausgekommen. Da es bis Esbjerg fast 70 sm sind und nur 3-4 Beaufort aus SSE vorhergesagt sind, wollten wir noch kurz vor dem Hochwasser raus. Dann haben wir zwar noch etwas Flutstrom gegenan, aber nur auf der Strecke, die wir wahrscheinlich sowieso mit Motor fahren müssen. Gleich Freitagmorgen, als der Mittlere aus unserem Dreierpäckchen aufbrach, haben wir den äußeren Nachbarn nach innen gelassen. So liegen wir bis zum späten Nachmittag auch außen. Gut für unseren frühen Aufbruch am Samstag, so können wir unabhängig los. Dann kommt allerdings noch eine etwas erschöpfte Crew mit einer kleineren Segelyacht rein. Die kommen von einer der ostfriesischen Inseln und sind seit mehr als 36 Stunden unterwegs und es ist ihnen im Moment auch völlig egal, ob sie um 5:00 umlegen müssen oder nicht. Hauptsache erst einmal fest und Hauptsache erst einmal Ruhe.
Ganz im Gegensatz zur Ostsee, wo große und nagelneue Yachten Gang und Gäbe sind, sieht man hier in der Nordsee auffallend viele kleinere Yachten. Natürlich gibt es auch hier einige größere 50-Fuß Yachten, aber allen Yachten ist gemein, dass sie eher älter sind und deutliche Spuren des regelmäßigen Segelns tragen. Alles sind Eignerschiffe. Bis Esbjerg sehen wir nur eine einzige Charteryacht.
Um 4:30 klingelt also am nächsten Morgen unser Wecker und um 5:00 sind wir startbereit. Unsere beiden Nachbarn sind beides Nordsee-erfahrene Vollblutsegler. Selbstverständlich sind beide auch schon wach, so müssen wir nicht den Weckdienst spielen, lange bitten und uns entschuldigen. Beide sind Profis in der Helgoländer-Päckchenaufklapptechnik. So geht das ganze Manöver auch bei ungünstigen 4 Beaufort aus SE flott und reibungslos vonstatten.
Mit der ersten Dämmerung fahren wir aus dem Hafen. Nicht alle Tonnen sind beleuchtet, aber mit dem Nordturm auf Amrum ist die Ausfahrt kein Problem. Der Wind kommt frisch aus Südost und hat sogar eine kleine Tendenz Richtung Ost. Passt eigentlich! Wir setzen die Segel und fahren durch das Holtknobsloch aus. Einige Seehunde schauen uns zu, trauen sich aber nicht in Fotoentfernung heran. Inzwischen ist aus der frischen Brise eine starke bis steife Brise geworden. Aber ab der Ansteuerung fahren wir Kurs Nord und so stehen die gut 6 Bft schön von achtern aus 120° in den Segeln. Es beginnt ein irrer Ritt durch die Wellen vor Sylt. Mit zeitweise über 8 kn fressen wir eine Seemeile nach der anderen. Zielzeit Ansteuerung Esbjerg 13:00. Wenn das wirklich so weiterläuft, nehmen wir in einer Rutsche Hvide Sande in Angriff. Bei halb ablandigem Wind ist die Einfahrt auch bei Starkwind kein Problem. Ich lege mich ein Stündchen auf’s Ohr und lausche der Rauschefahrt und dem zischendem Plätschern am Rumpf. Als ich wieder aus der Koje gucke, sind wir schon halb an Westerland vorbei.
Das ist der WAHNSINN! Wenn man solch eine Rauschefahrt einmal mitgemacht hat, bei der man sich auch noch über jede sonst gefürchtete Bö freut, dann weiß man, welche Glücksgefühle das hervorrufen kann. Schon wieder so ein Zalando-Segelglücksgefühlschreimoment!!!
Aber bekanntlich liegen Glücksmomente und weniger glückliche Momente dicht nebeneinander. Der Autopilot hat teilweise schon Schwierigkeiten in den Wellen den Kurs zu halten. Das macht die ohnehin nicht so magenfreundliche Welle noch etwas unfreundlicher. Leider hat Lin gerade ein sehr spannendes Buch am Wickel und dies gibt ihr nun den Rest. Das Lesen bei solchen Bedingungen ist halt nur etwas für starke Mägen. Doch der Wind hat etwas Mitleid mit Lin und wird Stunde um Stunde schwächer. Bald müssen wir unsere Idee, Hvide Sande zu erreichen, wieder einstampfen und schippern nun gemütlich die letzten 8 sm auf die Ansteuerung von Esbjerg zu. Langsam erholt sich Lin auf dem Vorschiff, aber der Wind legt sich vollends schlafen. 5 bis 6 kn Wind und alte Restwellen passen nicht wirklich gut zueinander. Auch wenn es Lin inzwischen besser geht, zu sehr wollen wir sie auch nicht strapazieren. Also Motor an und Segel runter.
Danach geht alles sehr schnell. Fast zu schnell, um es zu begreifen. Der Autopilot steuert uns die letzten 7sm auf die Ansteuerung von Esbjerg zu und ein Schwarm schwarzer Käfer sorgt auf der PINCOYA für fuchtelnde Hektik. Als ich so um das Schiff herumschaue, denke ich: “Wieso sind da eigentlich so viele kleine lustige Schaumkrönchen auf den Wellen? Und wieso ist es hier im Cockpit eigentlich so windig? Und wo sind auf einmal die schwarzen Käfer?” Ein Blick auf den Windmesser zeigt 18 kn SSE. Vor genau 10 Minuten haben wir die Segel bei Flaute runtergenommen, am Himmel dümpelt nur ein harmloses Wölkchen herum. Es wäre ungerecht, es nun für diesen Wind verantwortlich zu machen. Egal, also Segel wieder hoch. Aber erst einmal Lin von vorne abbergen und Luken schließen. Inzwischen kommt die Windanzeige nicht mehr unter 22 kn.
Viel müssen Astrid und ich beim Segelsetzen nicht zu besprechen, das geht einfach alles automatisch, und ruckzuck steht das Groß voll und die Genua halb. Lin steht am Ruder und hat nun genug zu tun, auf das erste Pärchen nach der Ansteuerung zuzubügeln. Astrid macht den Feintrimm der Segel, so hat Lin nur geringen Ruderdruck und die PINCOYA macht gutmütig das, was Lin möchte.
Der Wind nimmt weiter zu, aber Lin geht im Fahrwasser nach Esbjerg souverän an den Wind. Unsere dicke Dame legt sich bei Böen um die 30 kn ordentlich auf die Seite. Lin strahlt und die blöden Magenumdreherwellen schräg von hinten sind vergessen. Und ich denke: “Wieso zum Teufel müssen wir schon wieder so einen Wind haben, wenn wir in einem unbekannten Hafen fahren?” Nachdem wir die Segel in dem weitläufigen Fahrwasser vor Esbjerg eingeholt haben, tasten wir uns langsam in das Becken vor, in dem auch die Sportschiffe ein Plätzchen bekommen haben. Alles rappelvoll! Alles was im Großraum Esbjerg schwimmt, ist hier! Es ist Tall Ship Race. In zwei Nachbarbecken liegen alle Großsegler von Rang und Namen. Von der russischen Krusenstern bis zur deutschen Alex v. Humboldt. 10 richtig große 4-Master und unzählige kleinere 3-Master.
Wir kreiseln bei 30 kn Südost im Hafenbecken umher und finden kein Plätzchen. Dann winkt ein Grüppchen von Dänen zu uns herüber, wir sollen hier festmachen, der Segelkumpel, der sonst hier liegt, ist gerade nicht da, das wäre schon alles ok, man freue sich immer über Gäste. Wir haben gar nicht so viele Festmacher, wie sich uns helfende Hände entgegenstrecken. Nur der Däne mit dem kleinen Holzsegler, der in der derselben Box zwischen den Auslegern liegt, hat zwischenzeitlich etwas Angst in den Augen. Im Handumdrehen sind wir fest und können durchatmen. Ruhigere Anleger bei etwas weniger Wind, wären Astrid und mir schon lieber.