Nachdem wir am Sonntag angekommen sind und auf unseren Liegeplatz verholt haben, fallen wir erst einmal in die Kojen. Draußen herrscht zwar reges Wochenendmarinatreiben, aber wir schlafen tief und fest. Doch es ist warm, nicht nur etwas, sondern echt heiß für uns! Nun ja, nach den letzten Wochen empfinden wir alles als »echt heiß«, was jenseits der 20 °C liegt. Wir haben Nachholbedarf und wenn man als norddeutscher Ersatzeskimo so urplötzlich in einen Sommer gestoßen wird, dann ist das schon schweißtreibend.
Solange wir bei Niedrigwasser im Keller der Marina sitzen, regt sich auf der PINCOYA fast kein Lüftchen. Das wird erst besser, als es wieder nach oben geht und so langsam der Wind auch wieder über das Schiff streichen kann. So sitzen wir abends noch lange mit einem zu warmen Weißwein auf dem Vorschiff und genießen das »südliche Feeling«. »Bonjour«, »bonsoir«, »merci«, »pardon«, »s’il vous plaît« »je ne parle pas français« … wir arbeiten uns so langsam ins Französische herein, was uns beiden nicht wirklich leicht fällt, da alles vollkommen fremd ist. Da sind keinerlei Schulkenntnisse, die nur aufgefrischt werden müssen, da fangen wir naturellement bei absolument null an.
Das Sprachgewirr hier in Belgien ist schon lustig, man hört ganz merkwürdige Dialekte. Eigentlich ist das Flämische ja das belgisch Niederländische und das Wallonische das belgisch Französich. Offensichtlich versteht hier auch irgendwie jeder jeden, aber wenn wir lauschen, fällt es uns oft schwer, den ein oder anderen Dialekt überhaupt einem bekannten Sprachklang zuzuordnen. In jedem Fall klingt das hier alles sehr »südlich« und das passt zum Wetter und das alles zusammen macht definitiv ein gutes Gefühl.
So wie der Sonntag unser Ankommenstag war, ist der Montag unser Ruhetag. Nun ja, nicht ganz Ruhetag, denn die Zeit zum Bloggen und Photos sortieren muss ja auch ihren Raum bekommen und gehört so eben auch als Reisebestandteil fest dazu. Aber inzwischen haben wir auch schon wieder unsere Fahrräder einsatzbereit, so ist es kein Problem, mal neben nach vorne zum Meer zu schauen, um wieder etwas mit den Füßen durchs Wasser zu laufen.
Nieuwpoort, speziell die KYCN Marina, ist schon prima und nicht annähernd mit den schrecklichen Marinas in Oostende zu vergleichen, die wir uns am Donnerstag auf unserem Ausflug nach Brügge noch ansehen werden. Dagegen sind die beiden Marinas von Nieuwpoort pures Gold und absolut zu empfehlen. Auch ruhig für ein paar Tage mehr und nicht nur für einen Zwischenstopp. Nieuwpoort selbst ist eine mehr oder weniger kleine Hafenstadt mit einem weit innen liegenden Fischereihafen. Früher war hier sicher mal mehr los, aber die »kleine Fischerei« ist eben überall auf dem Rückzug. Nieuwpoort-City macht auch etwas für Touristen und Urlauber, ist aber eben keine Touristenmetropole, sondern fast ein normales Städtchen.
Ganz anders Nieuwpoort-Bad und eben nicht nur Nieuwpoort-Bad, sondern eigentlich alles an der gesamten Küste Belgiens. Die einzige Ausnahme bildet da wirklich das Schießgebiet der belgischen Armee nördlich von Nieuwpoort-Bad ?. Die gesamte Küste Belgiens ist zugepflastert mit den aller hässlichsten der hässlichen Bettenburgen, die man sich in seinem schlimmsten Albträumen noch nicht einmal vorstellen kann.
Wenn man das das erste Mal sieht, ist es ein Schock und man fragt sich, wie allen Ernstes irgendjemand bei klarem Verstand so etwas über Kilometer an seiner Küste entlang bauen kann. Eine hässliche Bettenburg drängt sich an die nächste und ganz vereinzelt stehen dazwischen noch alte Villen, die zeigen, das die Belgier das früher auch mal anders konnten. Man kann es wirklich nicht anders sagen, die gesamte Küste Belgiens geizt wirklich nicht einen Moment mit all dem, was wir nur als furchtbar empfinden. Ein ums andere Mal fragen wir uns, wie man hier allen Ernstes wohnen und seinen Urlaub verbringen kann, aber es geht ganz offensichtlich, denn alles ist rappelvoll und die Menschen scheinen das auch gar nicht schlimm zu finden. Erstaunlich aber war.
Als wir dann am Samstag weiter in Richtung Frankreich segeln, reißt das Grauen abrupt an der französischen Küste ab und so etwas wie »Küstennormalität« kehrt zurück. Fischerdörfer, auch mit Ferienanlagen, aber eben »normal«. Es geht also auch anders, warum aber die Belgier so etwas machen, wo sie doch im Norden und im Süden ihres Landes sehen können, dass es auch anders und viel netter sein kann, wird für uns immer ein Rätsel bleiben. Gott sei Dank liegt die Marina weiter hinten und dort hat man begonnen, nette Häuser zu bauen. Es geht also, aber es wird Generationen brauchen, um das Grauen an der Küste wieder abzutragen.
Und Dienstag soll nun unser Strandtag sein. Wie lange hatten wir schon keinen echten Strandtag mehr? All die vielen kalten Tage dieses Jahr haben diesen Wunsch fast magisch werden lassen. Also schnallen wir unser Badegepäck auf die Fahrräder und wollen los. Als wir aber gerade starten wollen, kommt unser Gegenübernachbar mit seinem Tauchboot wieder rein und wir nehmen seine Leinen an. Er hat sich mal kurz drei große Eimer Muschel ertaucht und fragt uns, ob wir eine Schlüssel abhaben wollen. Astrid guckt etwas skeptisch, aber ich sage sofort: “Ja ja, na klar! Gerne!” So kommen wir ganz unverhofft zu einer großen Portion wilder Miesmuscheln. Unser Nachbar war mit seinem Vater draußen, weil die Mama heute eine kleine Party geben will. So erklären die beiden uns auch gleich noch wortreich, wie wir die Muschel zuzubereiten haben, und Papa vergisst nicht zu erwähnen, dass nicht nur Weißwein an die Muscheln gehört, sondern auch der Koch immer einen ordentlichen Schluck abbekommen muss.
Unser schöner Strandtag entwickelt sich aber leider zu einem mittleren Flopp. Hätten wir etwas nachgedacht, hätten wir mal auf die Gezeitentabelle geguckt. So ist das Wasser nicht nur etwas weg, sondern richtig weit weg. Es ist ein echter Fußmarsch bis zum Wasser und auch dann ist lange noch nichts mit Schwimmen, denn es geht so seicht weiter, wie es schon »oben« vom Strand bis zu den ersten Wellchen herunter geführt hat. Und auch das Sonnenbaden hat so seine, sagen wir mal … Einschränkungen, denn irgendwie haben sich Heerscharen von balzenden, belgischen Jünglingen am Strand eingefunden, die versuchen, mehr oder weniger desinteressiert dreinschauende Jungfräulein mit immer neuen Klängen aus ihren Handys und Minianlagen und wenig inspirierenden Tanzbewegungen zu beeindrucken. Obwohl wir mehrfach den Platz wechseln, ist ein Entkommen unmöglich. Ich hoffe nur sehr, dass wir uns in unserer Pubertät nicht genauso bekloppt aufgeführt haben. Heute sind wir definitiv zu alt dafür, so verlassen wir die pubertierende Meute, zwischen der sich allerdings doch noch einige Altbelgier tapfer halten, vielleicht um sich von der betäubenden Schönheit ihrer Bettenburgwohnung zu erholen, was das Ausharren ja auch einfach macht. Auf uns wartet aber die PINCOYA in der netten KYCN Marina, da fällt es uns nicht schwer, unseren Strandtag noch einmal zu verschieben. Und nicht zu vergessen, auf uns warten ja auch noch die Muscheln!
Ja, die Muscheln. Schon die Zubereitung macht viel Spaß, zum einem, weil mir Astrid sehr skeptisch über die Schulter guckt und zum anderen, weil ich den Rat von Papa gerne beherzige.
Und dann die Muscheln! Es sind wirklich die leckersten Muschel, die ich bisher gegessen habe. Für Astrid übrigens auch, denn es sind ihre ersten und sie hält sich tapfer. Frankreich kann kommen!
Und auf der PINCOYA bleiben wir dann auch noch den ganzen Mittwoch und fahren nicht nach Brügge, weil das Wetter doch eher durchwachsen ist. So muss Brügge bis zum Donnerstag auf uns warten, aber wir vertrödeln den Mittwoch sehr erfolgreich und schwupps ist auch dieser Hafentag schon wieder vorbei.
Wer musste da vor einigen Tagen eigentlich noch seine Geschwindigkeit finden? Waren wir das? Kann ja eigentlich gar nicht sein! ?
in Nieuwpoort (B)
51° 08′ 26,0″ N, 002° 44′ 30,0″ E