Montagabend machen wir alles sturmfest. Wir liegen bei Niedrigwasser auf 8,50 m und bei Hochwasser auf 12,10 m und haben 60 m Kette draußen. Da stellt sich dem erfahrenen Ankerlieger die Frage: “Warum 60 m?” Es gibt da doch auch diese Faustregel der »sechfachen Wassertiefe«. Das wären dann 6 x 12,1 = 72,6m. Ein ordentlicher Schwojkreis! Jetzt hier in Alderney ist das mit dem Schojkreis zwar kein Problem, denn wir liegen fast allein in einem großen Ankerbereich, aber trotzdem wollen wir mal die Sönke-Röver-Faustformel ausprobieren. Die geht über den Daumen so: 30 m Kette auf Meeresboden + 5 m Radius nach oben + Wassertiefe + 2 m Freibord D.h. 30 + 5 + 12 + 2 = 49. Und weil es stürmen soll, beschließen wir 40 m auf den Meeresboden zu legen und kommen so also auf rund 60 m. Das sollte halten, denn zusammen mit unserem 25 kg Vulcan-Anker haben wir nun gut 60 x 2,2 kg + 25 kg = 157 kg Ankermasse draußen. Da muss es schon ganz schön wehen, um dieses Gewicht in Bewegung zu bringen. Das werden auch die angekündigten 40+ Böen nicht schaffen. Verwendet man diese Faustformel, kann bei Lullipulli-Wind auch der Anteil, der auf dem Boden liegt, verringert werden, aber 20 m sollten es schon immer sein.
Irgendwann in der Nacht soll es losgehen und am Dienstagvormittag soll der Sturm seinen Höhepunkt erreichen. Allerdings zieht das Sturmtief zunehmend langsamer und wird uns wohl mit seinem Starkwind lange erhalten bleiben.
Gegen 22:00 geht es dann von jetzt auf gleich los. Erst einige zaghafte Puster bis 20 kn, dann die ersten dicken Böen. Gegen Mitternacht geht es kaum noch mal unter 20 kn und es folgt eine unruhige Nacht in der sich der Wind langsam immer weiter steigert. Obwohl der Wind aus SSE kommt, steht eine erstaunliche Welle in der Bucht, die mit dem auflaufenden Hochwasser zum Morgen noch deutlich zunimmt. Astrid findet kaum Schlaf und beobachtet unseren Track auf dem iPad.
Wie man sieht, zeichnen wir, nachdem die ersten echten Böen unser Ankergeschirr gestreckt haben, einen wunderbaren Schwojkreis von 70 m. Die nun 70m Schwojkreis liegen schlicht daran, dass unser Anker vorne sitzt, aber die GPS-Antenne achtern und das Ganze auch so konfiguriert ist.
Es ist unruhig und das nicht zu knapp. Außerdem ist es laut und wir schwojen wild hin und her. Aber die ersten 30er Böen lassen in mir eine neue Sorge aufkeimen. Es gibt noch einen Teil unseres Ankergeschrirrs, den ich bisher noch nicht erwähnt habe. Die Ankerkettenkralle. Die wird in die Ankerkette eingehakt und über 2 Tampen nehmen wir so die Last von der Ankerwinde, denn die Tampen werden auf den Bugklampen belegt. Und genau diese Tampen sind es, die mir Sorgen machen. Immer wenn wir schwojen, liegt die volle Last auf nur einem der Tampen. Das sind zwar auch 18er Festmacher, aber auf denen ist nun speziell in den Böen, die inzwischen deutlich über 30 kn liegen, richtig Last drauf. Das werden wir noch ändern müssen. Die volle Last auf nur einem 18er Tampen ist unschön, das darf schon etwas kräftiger sein. Zusätzlich werden wir uns noch eine zweite Kralle besorgen, die dann bei echten Sturm als BackUp eingesetzt werden kann. Und weil wir das alles noch nicht haben, knote ich im fahlen Morgenlicht mit einem unserer dicken Festmacher einen Stopperstek auf die Kette. Danach ist wenigstens mir wieder wohler, wobei Astrid nur langsam mehr Vertrauen fasst und sich auch soweit entspannt, dass sie nun auch etwas Schlaf findet.
Insgesamt braucht es etwas, bis wir uns an den Sturm, das wilde Geschaukel und den Lärm gewöhnen. Gegen Dienstagmittag erreicht der Sturm seinen Höhepunkt. Immer wieder treffen uns 35er Böen und es geht zwischendrin nur noch mal kurz unter 30. Gott sei Dank bleiben die 40+ Dinger aus. Inzwischen sind wir aber auch deutlich entspannter und müssen über unsere Aufregung schmunzeln, als die ersten 7er Böen durchgingen. Und weil so ein Sturm auch hungrig macht, machen wir uns eine große Pfanne Bratkartoffel. Denn Bratkartoffeln passen wunderbar zu einem Sturm, besser noch als Erbsensuppe. Und das hat weniger geschmackliche Gründe als rein praktische, denn Bratkartoffeln können nicht aus der Schüssel schwappen und machen deutlich weniger Sauerei als Erbsensuppe, wenn doch mal etwas daneben geht. Denn mit der Winddrehung auf Südwest läuft nun ein richtig fieser Schwell in die Bucht und lässt uns immer wieder unglaublich rollen. Auch nur die kleinste Nachlässigkeit wird sofort erbarmungslos quittiert. Lässt man irgendetwas nur eine Sekunde unachtsam liegen, ist es sofort weg und findet sich an der tiefsten Stelle der PINCOYA wieder. Und hält man sich auch nur einen Augenblick nicht fest, sammelt man sich sofort den nächsten blauen Fleck ein.
Skeptisch beäugen wir unser Schlauchboot. Das haben wir mehr oder weniger gedankenlos einfach mit zwei Tampen am Heck festgebunden und der Außenborder ist auch noch dran ?. Der Brite neben uns hat ein kleineres Dinghy, aber auch keinen Außenborder dran, und wir beobachten mehrmals, wie es sich in einer Bö erhebt, etwas flattert und umschlägt. Das wäre schon echter Riesenmist, wenn uns das auch passiert. Immer wieder wird auch unser Dinghy von einer Welle so angehoben, dass der Wind darunter fassen kann. Aber der Außenborder scheint dann doch etwas zu schwer für den Wind zu sein. Da müssen wir beim nächsten Mal dran denken, denn jetzt ist es zu spät, den Außenborder zu bergen. Nachdem wir uns den Tanz eine Weile angesehen haben, verwerfen wir diese Idee.
Und der Sturm nimmt kein Ende. Insgesamt nehmen die Spitzen zwar ab und im Mittel geht es runter auf knapp unter 30. Aber um 20:00 weht es immer noch mit 25 – 28 Knoten. Mit dem nächsten Hochwasser läuft dann auch wieder ein richtiger Mörderschwell in die Bucht ein. Da der Wind noch etwas weiter auf West gedreht hat, laufen nun echte Wellen um die Mole herum, klatschen gegen die gegenüberliegenden Felsen und laufen dann in der Bucht aus.
So langsam sind wir genervt. Erstens ist der ständige Lärm nervtötend und zweitens entpuppt sich das Rollen zu einer echten Belastungsprobe. Wenn man nicht eine Sekunde mal ruhig stehen kann und die PINCOYA sich teilweise bis 40° aufschaukelt, dann zerrt das an den Nerven. Das hätten wir nicht gedacht, wir sind gereizt und müssen uns aktiv in der Birne beherrschen, um locker zu bleiben. Immerhin haben wir hier nun schon seit fast 24h den maximalen Schaukelalarm, da könnte es nun aber wirklich auch mal gut sein. Ist es aber nicht, der Starkwind und der Schwell bleiben uns noch bis zum nächsten Morgen erhalten.
Abends legt dann der Däne neben uns um. Wir zwei kommen uns zwar nicht mit unseren Schwojkreisen ins Gehege, aber da der Wind nun richtig auf West gedreht hat, kommt er einer der roten Mooringtonnen bedenklich nahe. Anker-auf bei guten 7 Beaufort und diesem Schwell ist kein Spaß. Es dauert, bis sie den Anker oben haben. Dabei kommen sie uns aber so nahe, dass auch wir lieber mal unseren Motor starten, um unsererseits nach vorn Reißaus nehmen zu können. Aber Papa und Mama Däne haben zwei Söhne mit Freundin dabei, die offensichtlich recht erfahren sind. So verholen sie sich an eine der großen roten Moorings hinter uns.
Erst am Mittwochvormittag wird es dann deutlich ruhiger. Dieses Gezeter hat immerhin gut 36 Stunden angehalten. Noch nie sind wir so durchgeschaukelt worden, aber unser Anker hat bestens gehalten. Das ist die Hauptsache. Und nun muss nur noch die Sonne wieder rauskommen, so dass wir noch Gelegenheit haben, etwas mehr von Alderney zu sehen.
durchgeschaukelt auf Alderney (Channel Islands, UK)
49° 43′ 31,7″ N, 002° 11′ 40,9″ W