Roscoff -> L’Aber Benoit via L’Aber Wrac’h Distanz: 54,1 sm Gesamtdistanz: 975,0 sm
Roscoff, 6:00, 13°, Pladderregen. Im Oktober auf der Ostsee ist es wärmer! In allen Zeitungen steht etwas von einem Hitzesommer. Bis auf einige warme Tage haben wir davon noch nicht viel gemerkt. Astrids Befürchtung, dass es in Frankreich viel zu warm sein könnte, ist zum »running gag« geworden. Den Gedanken an die Dieselheizung versuche ich an diesem Morgen zu verdrängen, aber er drängelt sich immer wieder vor und will Aufmerksamkeit. Dieselheizung, das geht gar nicht, schließlich sind wir im Sommerurlaub. Wenn wir jetzt auf Spitzbergen wären, könnten wir ohne schlechtes Gewissen die Heizung anmachen. Aber doch nicht hier, nicht im Süden und nicht im Sommer! Und auf Spitzbergen ist es ohnehin wärmer, da stellt sich die Frage ja auch gar nicht. Vielleicht backe ich heute Abend einfach ein Brot, dann brauchen wir die Heizung nicht und es wird ganz unauffällig warm im Schiff.
Vielleicht sollten wir doch einfach direkt über die Biscaya fahren. Aber A Coruña hat heute Morgen auch nur 15°. Wetteronline verspricht für die Bretagne in 14 Tagen wieder die erste Mittagstemperatur mit einer 2 vorne. Nein, nein, nicht so! Ich meine zweistellig und dazu eine 2 vorne. Das ist der Hammer, oder? Hitzesommer! Da haben wir etwas zum Dauffreuen. Zum Vergleich: Bodø, ja das Bodø in Norwegen, knapp unter dem Polarkreis, startet heute Morgen mit 17° und hat am Mittag satte 23°. Kein Wunder, dass die Eisbären schwitzen. Frankreich sollte ein Asylprogramm auflegen. Was für eine Schlagzeile: »Frankreich nimmt 300 Eisbären auf und wildert sie in der Bretagne erfolgreich aus!« Die Kleinen tollen über die Klippen der Côte de Granit Rose, während in Oslo der erste Jahrgangswein mit Polarkreis-Prädikat vorgestellt wird.
Es schüttet, als wir uns zum Ablegen fertig machen. Wir tragen dieselben Sachen wie letztes Jahr Anfang April, als wir von Bornholm nach Polen gesegelt sind. Nur wir Trottel haben die Skiunterwäsche zuhause gelassen, weil Astrid ja befürchtete, dass es in Frankreich eh zu warm ist. Wieso haben wir Deppen eigentlich eine Flache Ricard gekauft? Ein Grog zum Apéro wäre das Richtige, vielleicht mit heißen Schmalzkuchen, wie auf dem Weihnachtsmarkt.
Ah ja, noch schnell eine Preisfrage: »Und wann ist die Gasflasche leer?« Ja, genau! Es ist dunkel, es ist der erste Morgenkaffee, nein, genauer gesagt, es hätte der erste Morgenkaffee werden sollen, und es schüttet, hat satte 13° und der Wind treibt den Regen mit maximalem Erfolg in Richtung Gaskasten.
Auch deswegen verwandelt sich unser Bimini wieder in ein Rainimi. Den einen Tag in diesem Jahr, an dem unser Bimini ein Bimini sein durfte, werden wir nie vergessen. Es war dieser Tag, dieser Hitzesommer, über den alle Zeitungen nicht müde werden zu schreiben. Aber heute kann das Titanic-Unglück direkt vor Brest passieren, da braucht es keinen Abstecher mehr nach Grönland, um einen Eisberg zu treffen. Also Obacht und schnell die Eiskarten neben die Tidentabelle gelegt.
Im fahlen Morgenlicht brechen wir auf. Die Segel sind schnell oben und wir laufen ab Roscoff erst einmal mehr oder weniger nach Norden. Der angekündigte Nordwest ist nicht der kräftigste, aber zunächst läuft es trotzdem ganz gut. Nach der ersten Wende, die uns mit dem Strom nach Westen bringen soll, geht gar nichts mehr. Wind und Wellen passen in Richtung und Stärke irgendwie überhaupt nicht für unsere dicke Erna. Immer wieder werden wir von den Wellen ausgebremst und immer wieder dreht der Wind so blöde, dass wir unseren Kurs nicht halten können. Manch ein anderer ist unter Segeln schneller und auch augenscheinlich richtig gut unterwegs. Doch wir kriegen es irgendwie gar nicht gebacken. Wind gegen Strom macht die ganze Geschichte nicht besser und zudem echt ruppig.
Viele mogeln und fahren einfach unter Segel mit Motorunterstüzung. Die 6 Knoten Fahrt mit immer wieder einfallenden Segeln sind verräterisch. Wir ärgern uns schwarz, dass es für uns nicht besser läuft, aber wir sind auch zu stolz, den Motor anzuwerfen. Wir probieren alles, aber am Ende sind wir so langsam, dass uns der Strom-mit verlässt und wir auch noch mit einem Strom-gegenan kämpfen müssen. Doch damit läuft nun der Wind mit dem Strom, das glättet die See entscheidend und plötzlich läuft es gleichmäßiger, wenn auch langsam. Und dann läutet sich das ungeahnte Happy End mit einem Winddreher auf einen echten Nordwest ein. An unserem Track kann man das gut an dem »Haifischflossenkurs« kurz vor der Einfahrt nach L’Aber Wrac’h sehen. Ohne dass wir auch nur das Geringste dazu beizutragen, dreht die PINCOYA langsam fast auf Westkurs. Der Wind nimmt nur um wenige Knötchen zu und plötzlich läuft es. Selbst gegen den Strom kommen wir nun mit unserer dicken Erna gut voran.
Als wir dann in L’Aber Wrac’h einlaufen, sind schon alle da, die auch in Roscoff gestartet sind. Alle, die früher gestartet sind, und auch alle, die später gestartet sind. Alle, alle, alle sind eben schon da ?. Man ankert, liegt an Moorings oder im Hafen.
Aber wir fahren weiter, auch wenn das jetzt etwas danach aussieht, dass uns nur die Scham aufgrund dieses schmachvollen Segeldisasters vorantreibt. Nein, wir hatten uns ja gestern schon vorgenommen, mal ganz hinten im Blinddarm von L’Aber Wrac’h nachzusehen, ob wir nicht an einer der Dumbbell-Moorings festmachen können. Ute und Peter von der Ruby Tuesday hatten darüber geschrieben. Viel Platz ist ganz hinten im Wrac’h-Blinddarm nicht und bei Niedrigwasser bleibt nur noch eine schmale schiffbare Rinne. Obwohl es nicht ganz falsch ist, liegt der Ursprung des Namens L’Aber Wrac’h nicht in dem entsetzten Ausruf des Seemanns: “Dat is aber flach!”
Eigentlich wollten wir hier zu Niedrigwasser einfahren, denn der Reeds rät ja so nett, »at low water the danger can be seen«. Aufgrund unseres heutigen Segeldilemmas wird daraus natürlich nichts und »the danger« hält sich gut versteckt. So laufen wir zusammen mit dem maximal einlaufenden Wasser ein. Stillwasser wäre für solche Aktionen gar nicht schlecht, aber wer zu spät kommt, den straft die Strömung.
Langsam tasten wir uns bis nach hinten vor. Nun ja, vor der letzten Biegung verlässt uns der Mut und wir schnappen uns eine der freien Dumbbell-Moorings. Das sind Mooringketten, an denen man vorn und achtern an jeweils einer Mooring festmacht. Das ist ganz bequem, weil ja der Strom alle 6 Stunden kentert, und so schwingt man nicht immer mit der Strömung herum. Die beiden Moorings sind ihrerseits durch einen Tampen mit zwei ziemlich großen Kugelfender verbunden. So können immer gleich zwei zwischen den beiden Moorings liegen. Einer rechts und einer links. Und eben diese Moorings liegen dort in 8er oder 10er Kette aus.
Wenn man sich ein Plätzchen ausgeguckt hat, ist die Anlegerei gar nicht so schwierig, man fährt die vordere Mooring einfach gegen den Strom an, hakt sich mit dem Mooringhaken ein und läßt sich mit der Strömung zurückfallen. Dann schnappt man sich die achterliche Mooring und zieht sich wieder nach vorn. Sind die Arme bei maximaler Strömung dafür zu schwach, nimmt man den Motor, dann muss man allerdings aufpassen, sich nicht eine der vielen Hilfsleinen in die Schraube zu fahren.
Wir sind gerade fest, da kommt ein XXS-Dinghy mit zwei Herren vorbei, die uns erklären, dass wir hinter der letzten Biegung des L’Aber Wrac’h-Blinddarms festmachen sollen. »Much better and more easy!« Keine Ahnung, ob das nun die Hafenmeister waren oder nicht, aber die beiden sind freundlich, also folgen wir der »Empfehlung«. Es wäre für uns zwar »much more easy« gewesen, einfach hier liegen zu bleiben, aber so etwas übt ja auch. Nun ja, im Reeds steht eben leider auch das Visitor »V« hinter dieser letzten Biegung. Also werfen wir los, was ebenso einfach geht, wie das Anlegen und fummeln uns weiter nach hinten rein. Dort ist die nächste Mooringkette. Von der ersten habe ich mich einfach rückwärts wegtreiben lassen und die PINCOYA mit etwas Fahrt nach achtern gerade gehalten. Das war zwar einfach, rächt sich aber jetzt, denn ich muss aufstoppen, um wieder vorwärts anfahren zu können. Und wer vorher nachdenkt, ist hinterher schlauer! Das einlaufende Wasser mit seiner nicht ganz unerheblichen Strömung lässt uns sofort unkontrolliert herumschwingen. So behält der Reeds nur halb recht, denn wenn man unüberlegt unterwegs ist, dann ist es manchmal auch gut, wenn eben nicht Low Water ist und man etwas mehr Platz für seinen Blödsinn hat. Es ist schon tricky, die PINCOYA wieder einzufangen, und der dunkle Qualm aus dem Auspuff der PINCOYA hängt noch einige Minuten zwischen den Bäumen am Ende des Wrac’h-Blinddarms.
Dann sind wir wieder fest und alles um uns herum entschädigt uns in vollen Zügen für diesen schwierigen Segeltag. Als kleines I-Tüpfelchen beginnt abends eine Trompete für uns und das ganze Ende des Wrac’h-Blinddarms zu spielen. Fast eine Stunde lang bekommen wir ein Abendständchen, das nicht besser passen könnte. Zudem traut sich sogar die Sonne hervor. Es ist nun immer noch kein Hitzesommer, aber doch ein wunderbarer Sommerabend, den wir hier vollkommen allein und ohne jeden Rummel erleben dürfen. Die Trompetenklänge hallen an den Ufern des L’Aber Wrac’h und die Waldvögel zwitschern ihr Abendlied. Mal kein Gezwitscher der Möwen, wie anders kann die Welt doch auf so wenigen Kilometern werden.
Frühestens Donnerstag können wir das französische Cap de Finistère runden. Am westlichen Ende der Bretagne liegt in der Tat das Departement Finistère. Bisher war uns das gar nicht so klar, denn »Finisterre« haben wir immer ganz automatisch mit dem »Cabo de Finisterre« in Galicien verbunden. Aber als damals die Römer unterwegs waren und es nichts mehr zu erobern gab, außer ein kleines gallischen Dorf, weil nur noch Wasser vor ihnen lag, riefen sie überall dort, wo das passierte »finis terrae« aus, das Ende der Erde. So gibt es von Nord nach Süd wohl wenigstens drei »Ende der Erde«, »Lands End« in Cornwall, die Engländer hatten es schon damals nicht so mit dem Europäischen und dem Latein vom Kontinent, das Departement Finistère in der Bretagne und das Cabo de Finisterre in Galicien, denn überall dort war schließlich die Welt zu Ende.
Obwohl es ganz hinten im L’Aber Wrac’h echt schön ist, beschließen wir, doch noch am Dienstag wieder aufzubrechen und uns in das nächste L’Aber, das L’Aber Benoit zu verlegen. »L’Aber« heiß auf bretonisch soviel wie »die Flussmündung« und von diesen »L’Abers« gibt es hier drei. Am Mittwoch soll wieder ein Starkwindfeld durchziehen und da schließt sich ein Verlegen von selbst aus. Also werfen wir gegen Mittag los und machen uns auf den Weg ins L’Aber Benoit. Das liegt im Westen sozusagen gleich nebenan und lockt uns mit Macht, weil in unserem Revierführer der Satz steht: “attractive river off the beaten track with excellent shelter”.
Draußen ums Eck sind es nur etwa 4 Seemeilen und zusammen mit Ein- und Ausfahrt liegen etwa 9 Seemeilen vor uns. So werfen wir gegen Mittag los und sind diesmal etwas schlauer als am Tag zuvor. Da wir kurz nach Niedrigwasser ausfahren, staunen wir nicht schlecht, was da an den Rändern alles so zum Vorschein gekommen ist, was gestern nicht zu sehen war. Bei Sonnenschein (!) runden wir die zahllosen Felsen vor der Küste und fahren schon nach einer Stunde wieder in den L’Aber Benoit ein. Vor uns liegen hunderte Moorings. Etwa zwei Drittel sind belegt und es herrscht ein reger Verkehr. Segler, Angler, Hobiecat-Segelschulen, mindestens zwei voll besetzte Tauchboote unterwegs und schon wenigstens drei an der Einfahrt der Bucht vor Anker und im Einsatz. Links und rechts zwischen den Felsen liegen immer wieder weite Sandstrände mit Badebetrieb. Die Bretonen scheinen nicht solche Weicheier zu sein wie wir ?.
Aber wo geht es hier eigentlich zwischen all diesen Moorings durch? Wenn man genau hinsieht und es so erkennen möchte, scheint es eine etwas breitere Schneise zu geben. Die scheint sich nach hinten durchzuschlängeln, also fädeln wir uns dort mal vorsichtig ein.
Plötzlich hält ein Gummiboot auf uns zu: der Hafenmeister, der hier eigentlich Mooringmeister heißen müsste, denn es gibt hier ja gar keinen richtigen Hafen. Er führt uns durch die Mooringfelder weit nach hinten in den Flusslauf hinein, genau an die Stelle, die wir uns schon ausgesucht und gewünscht hatten und zeigt auf eine freie Mooring. Prima, das passt! Schnell sind wir fest und der entspannte Teil des Tages kann beginnen.
Abends kommt der Hafenmeister noch einmal rum, begrüßt uns als seine fünften (!) Gäste, was eine rekordverdächtige Anzahl ist. So viele Gäste hätte er sonst kaum, heute ist richtig was los! »Off the beaten track«! Geil, genau das Richtige für uns! Er erklärt uns noch, wo wir die Sanitäranlagen finden und dann zahlen wir für zwei Nächte 34 €. Die dritte ist dann frei, nur falls wir bleiben wollen ?.
Es ist traumhaft hier und auf eine Art noch schöner als im L’Aber Wrac’h. In jedem Fall ist hier der Freizeitwert wesentlich höher. Mit dem Gummiboot erreicht man im Handumdrehen die schönsten Badebuchten. Doch leider hat es der Sommer ja immer noch nicht bis zu uns geschafft. Im Sommer muss das hier echt super sein – auch für einige Tage mehr. Aber in der nächsten Nacht kommt nun erst einmal der nächste Starkwindfeld aus Südwest heran und da stehen nicht die Badefreuden, sondern erst einmal »best shelter« im Vordergrund.
Stationen:
12.08. Roscoff -> L’Aber Wrac’h 44,4 sm: 48° 35′ 26,4″ N, 004° 31′ 18,5″ W
13.08. L’Aber Wrac’h -> L’Aber Benoit 9,7 sm: 48° 34′ 10,4″ N, 004° 35′ 32,9″ W