Um die Bretagne im Nordwesten zu runden, entscheiden wir uns für das ablaufende Abendhochwasser. Der Reeds empfiehlt, für die Innendurchfahrt an der île de Molène entlang zum Hochwasser von Brest am nördlich gelegenen Leuchtturm Le Four zu sein. Ob dieser Zeitpunkt am Ende wirklich der richtig optimale ist, erscheint uns im Nachhinein zwar zweifelhaft, aber die Entscheidung für das Abendhochwasser beschert uns dann doch ein ganz besonderes Erlebnis.
Da das Abendhochwasser von Brest am 15.08. erst um 18:12 ist, trödeln wir so vor uns hin, werden aber gegen 10:00 von merkwürdigen Lautsprecherproben aufgeschreckt. Am gegenüberliegenden Ufer, direkt auf der Slippe und auf der Kaimauer tut sich etwas. Ein Partyzelt wird errichtet, bestimmt 60 Stühle und Bänke werden aufgestellt und eben eine Lautsprecheranlage wird eingerichtet.
Hmm… am anderen Ufer, also auf unserer Seite, scheint eine Art Fahrradrennen stattzufinden. Immer wieder kommen Grüppchen von Radrennfahrer auf dem Uferweg entlang. Dann brummt ein Rettungskreuzer heran und macht gegenüber fest. Lautsprecher, Stühle, Zelt, Rettungskreuzer und Fahrradfahrer, die Sache scheint klar zu sein, hier findet ein Triathlon statt und drüben ist das Ziel und schwimmen wollen die auch noch. Schwimmen, ja, genau, schwimmen! Der Rettungskreuzer! Die schwimmen bestimmt genau dann direkt vor unserer Nase durch den L’Aber, wenn wir aufbrechen wollen. Dann wird der L’Aber Benoit sicher geschlossen und wir können das Abendhochwasser vergessen.
Die Sache mit dem Triathlon hat allerdings zwei Schönheitsfehler. Erstens ist in der Richtung, in der das Radrennen zu toben scheint, kein Rüberkommen und zweitens schwimmt man beim Triathlon erst, und danach wird Fahrrad gefahren, bevor man dann läuft. Während wir so überlegen, kommen ein zweiter und ein dritter Rettungskreuzer an. Einer flaggt über die Toppen. Nach und nach versammelt sich am gegenüberliegenden Ufer auch eine immer größer werdende Menschenmenge und ein wahrer Strom von Segel- und Motorbooten kommt an. Bestimmt 20 dieser kleinen, traditionell bretonischen Holzsegler mit diesem mächtigen Bugspriet, der länger zu sein scheint als das Boot selber. Aber auch moderne Boote, größere und kleinere. Und Gummiboote jeder Art und Größe. Und alle machen irgendwie vor der Kaimauer und der Slippe fest. Dann setzt über die Lautsprecher eine Musik ein, die nicht gerade typisch für einen Triathlonzieleinlauf ist und uns dämmert ganz langsam, was hier bald losgehen wird.
Ein Seegottesdienst mit Schiffssegnung! Für den Pfarrer wird eines der flachen Austernarbeitsboote als Kanzel hergerichtet. Ein Tisch wird zum Altar, ein Kreuz findet seinen Platz und alles, was so für einen katholischen Gottesdienst benötigt wird, wird auf das Austernarbeitsboot gebracht. Die Gemeinde ist vollzählig, und vor dem Kai findet auch kaum noch ein weiteres Schiff einen Platz. Dann kommt der Pfarrer mit seinem Gefolge und einigen Fahnen, die vor und hinter ihm hergetragen werden. Unter Orgelklängen aus den Lautsprechern besteigt die ganze Prozession das Altarboot, wird losgeworfen und mitten in die wartenden Boote gezogen. Etwas mehr als eine Stunde erleben wir nun aus nächster Nähe einen bretonischen Schiffsgottesdienst. Wir liegen direkt gegenüber und so bekommen auch wir etwas von dem Segen ab. Ein gutes Omen und eine schöne, ganz zufällige und auch sehr bewegende Begebenheit, direkt vor unserem ersten Törnabschnitt in die Biskaya und auf den Atlantik. Nun kann uns nichts mehr passieren.
L’Aber Benoit -> Camaret-sur-Mer (A) Start: 13:00 Ende: 21:55 Wind: ~W 4 – 12 kn Distanz: 37,7 sm Gesamtdistanz: 1012,7 sm
Um gegen 18:00 am Leuchtturm Le Four zu sein, brechen wir gesegnet gegen 13:00 auf. Der Reeds schreibt sogar, dass »etwas früher« auch nicht schaden kann. Knapp 15 Seemeilen liegen bis zum Le Four vor uns, der Strom läuft noch kräftig gegenan, aber der Wind ist eher schwächlich.
So zieht sich die Anfahrt und wird zusehends immer zäher und zäher. Statt abzunehmen, erfreut sich der Gegenstrom bester Gesundheit und wir haben fast das Gefühl, durch klebriges Wasser zu fahren, das uns nicht loslassen will. Wie von einem Treibanker festgehalten. kämpfen wir uns Stunde um Stunde irgendwie flügellahm voran.
Es ist kein wirkliches Vorankommen. Aus dem ursprünglich gar nicht so schlechten Nordwest, ist auch viel zu schnell ein schlapper West geworden, der im Abgang auch noch eine kleine Note Süd in sich hat. Irgendwie ist in letzter Zeit wirklich der Wurm drin, nichts geht mehr einfach so und alles Segeln ist irgendwie ein endloses Gewürge. Das schlägt auf unsere Stimmung, die sich auch nicht mehr durch unseren fast unkaputtbaren Optimismus wiederbeleben lässt, denn der hat seinerseits schon längst das Zeitliche in diesem elenden Gegenstrom gesegnet.
Und der Strom kentert nicht! Er will ums Verrecken nicht kentern. Und da uns der Wind zeitweise ganz verlässt, müssen wir immer wieder motoren. Insgesamt sind wir wohl auch zu früh losgefahren, das rächt sich nun auch. Gegen 18:30 nähern wir uns einem Kabbelwasser und es keimt etwas Hoffnung auf. Und tatsächlich … der Strom nimmt uns etwas mit. Aber das Vergnügen ist kurz, schon nach eineinhalb Seemeilen kommt ein neues Kabbelwasser und der Strom kentert erneut gegen uns. Wieder dieses zähe Gewürge. Wenn der Strom mitläuft, geht es unter Segeln gerade so, wenn nicht, fahren wir fast rückwärts. Insgesamt eine sehr frustige Angelegeheit. Und das alles auch noch nach diesem schwierigen Segeltag von Roscoff ins L’Aber Wrac’h.
Das fühlt sich alles nicht gerade wie ein Stimmungsaufheller an. Irgendwie hatten wir uns den Spaß an der Freud anders vorgestellt. Zudem ist es kalt und immer wieder setzt Nieselregen ein. Ein echt schottisches Sommerwetter! Mit unserem Bretagne-Törn können wir getrost auch unseren Schottland-Törn abhaken. Da müssen wir gar nicht mehr hin.
Nun verstehe ich auch den Satz: »einmal Süden, immer Süden«! Wer auf seinem Weg in den Süden Frankreich hinter sich gelassen hat, will nie wieder in dieses Wetter zurück.
Nach Stunden setzt dann zwischen der Île de Molène und Le Conquet doch so etwas wie mitlaufender Strom ein. Auf zwei Seemeilen wird’s ordentlich schaukelig und es geht auch voran. Dann ist wieder Ruhe. In den Overfalls dort treiben mehrere Angelboote. Wie die Franzosen bei dem Geschaukel in diesen Nussschalen stehen können und dazu noch in aller Seelenruhe immer wieder die Angel auswerfen, ist mir ein Rätsel. Vielleicht haben sie ja Fußschlaufen in den Booten, anders kann ich mit das nicht vorstellen.
Angesichts der Angelboote bringen auch wir schnell unsere neue Schleppangel aus. Auf Empfehlung haben wir uns in Roscoff so ein Ding gekauft. Da steht »maxi chance« drauf und hinten sind fünf lecker aussehende Fische abgebildet. Also los! Schleppangel raus und gewartet. Nach kurzer Zeit ruft Astrid: »Ist sie oben? Ja doch, der Schwimmer ist wirklich oben! Soll er doch auch, oder? Ein Fisch, schnell schnell, da muss einer dran sein!.« Ich lasse alles stehen und liegen und hole langsam die Schnur ein. Astrid holt unseren Kescher. Vor Jahren haben wir extra einen XXL-Kescher gekauft, weil wir echt richtig große Fische fangen wollten. Fische, die eine Woche Vollverpflegung sicherstellen, also richtige und nicht solche Minidinger. Allerdings hat der Kescher bis heute noch gar keinen Fisch gesehen. Keinen kleinen und schon gar keinen großen. So ist es auch für ihn das erste Mal, genauso wie für uns, denn unser letztes Mal ist so lange her, dass es gar nicht mehr zählt.
Und dann… eine Makrele, wow! Und zack wieder rein. Unser Jagdinstinkt ist geweckt, Scheiß auf die Overfalls und den belämmerten Gezeitenstrom, es gibt Wichtigeres zu tun, das Segeln ist eh nur frustig, da schafft das Angeln wenigstens etwas Abwechslung. Und zack noch eine! Etwas kleiner, aber so reicht das erst einmal für’s Abendbrot. Wenigstens das, auch wenn alles andere so schwierig ist.
Es ist schon dunkel, als wir den Anker mit stolzgefüllter Anglerbrust östlich des Hafens von Camaret-sur-Mer fallen lassen. Den ersten Ankerversuch nördlich des Hafens haben wir abgebrochen, als wir im letzten Dämmerlicht eine flotte Reihe von Fischerfähnchen zwischen den Ankerliegern ausmachen.
Fast als Mitternachtsmahlzeit kommen dann noch die Fischchen auf den Tisch und lassen uns dieses Frustsegeln und das Mistwetter vergessen.
Am Freitag fahren wir nur kurz mit dem Gummiboot in den Hafen, um einige frische Sachen zu kaufen. Uns steht eine Steigerung des Sauwetters bevor, die wir vor Anker verbringen wollen. Wenn wir eh nicht von Bord gehen können, dann müssen wir dafür auch nicht noch eine Hafengebühr bezahlen. Und hier liegen wir für die da kommenden Regenfronten und den Westwind ganz gut.
Auf AIS haben wir gesehen, dass Gudrun und Gerd mit ihrer Carpe Diem im inneren Hafen liegen. Schon in Roscoff haben wir mit den beiden und Agnes und Jürgen von der Guet Goahn zusammengesessen und einen Abend total nett verklönt. Wenn man so unterwegs ist, dann trifft man ja viele Menschen aus allen möglichen Nationen und fast alle sind nett. Man unterhält sich prima und verbringt einige Stunden zusammen, aber nur selten passt alles einfach so. Wohl auch deswegen haben wir und Gudrun & Gerd ein sehr ähnliches Ziel. Nach Süden treiben lassen und dieses Jahr irgendwie in Nordspanien ankommen.
Nach unserer kleinen Einkaufstour sitzen wir noch etwas auf der Carpe Diem zusammen, bis der Wind immer stärker wird und wir immer wieder und immer besorgter auf unser Gummiboot mit der Einkaufstasche gucken. Der Herweg mit unserem Gummiboot war schon nicht wirklich trocken, denn selbst kleine Windwellen spritzen gerne mal über die Bordwand unseres Gummiboot-Racers. Der 2.3 PS Honda gibt sich zwar alle Mühe, aber von einer Gleitfahrt sind wir soweit entfernt wie eine Hummel vom Gleitflug. So platschen wir uns immer etwas unbeholfen von Welle zu Welle voran und das ist eben nie ganz trocken. Da die Jeans der Capitana erst auf dem Rückweg vom Supermarkt wieder getrocknet ist, besteht sie darauf, ihren absolut spritzfreien Kurs auf dem Rückweg eigenhändig umzusetzen. Diesmal dient der Schiffsjunge als Spritzschutz, was ja eigentlich ganz bestimmt ohnehin auf diesem ausgefuchstesten Kurs aller ausgefuchsten Kurse der Capitana vollkommen unnötig ist.
Zurück auf der PINCOYA hat die Jeans des Schiffsjungen noch nicht einmal mit dem Trocknen begonnen, als es auch schon beginnt zu regnen. Den restlichen Freitag und auch den kompletten Samstag regnet es dann fast ununterbrochen. Das ist mehr als frustig und wir überlegen ein ums andere Mal, doch einfach Frankreich abzubrechen und über die Biscaya zu verschwinden. So richtig weit entfernt lieg dieser Gedanke hier in Camaret-sur-mer ja auch nicht, da dies für all jene der wirklich letztes Absprunghafen ist, die das eh vorhaben. So haben fast alle Nicht-Franzosen das Ziel A Curuña. Da sind wir und Gudrun & Gerd schon die echten Ausnahmen, weil wir nicht einfach so rüber machen wollen. Aber unsere Entschlossenheit bröckelt, dass müssen wir wirklich zugeben. Inzwischen sitzt der Frust über die letzten Wochen einfach schon zu tief. Und erste Zweifel keinem auf, ob wir überhaupt mal wieder nach Norden fahren sollen. Vielleicht ist der Satz »Einmal Süden, immer Süden« doch gar nicht so falsch.
Allerdings versprechen die Wetterprognosen Besserung. Spätestens Anfang der kommenden Woche soll das Azorenhoch wieder eingeschaltet werden. Und Samstagnachmittag machen wir dann Nägel mit Köpfen und geben Frankreich noch eine letzte Chance. Lin bucht ihren Flug nach Nantes und so steht fest, dass wir doch vorerst hier bleiben und nicht nach Süden fliehen. Aber das ist wirklich die allerletzte Chance, die wir der Bretagne und Biskaya geben. Geht das so oder so ähnlich weiter, hauen wir ab in den Süden.
vor Anker vor Camaret-sur-mer
48° 16′ 45,5″ N, 004° 34′ 55,1″ W