Eine doppelte Odyssee durch Concarneau


Schon kurz nach unserer Ankunft am Sonntagnachmittag muss der Schiffsjunge sich ein ums andere Mal in einer Extralektion Tiefenentspannung üben und die Capitana bekommt eine Gänsehaut. Nicht deswegen ?, aber auch?! Auf unserem Spaziergang durch das Ville Close, der befestigten und auf einer Insel liegenden Altstadt Concarneaus, gewinnen leider im Handumdrehen wieder dunkle Wolken die Oberhand und machen alles ebenso farblos wie auch kühl.

„Der Yachthafen liegt direkt vor dem Ville Close.“

„Der Yachthafen liegt direkt vor dem Ville Close.“

Dabei starten wir bei so (!) schönem Sommerwetter, dass die Capitana sogar ihr Sommerkleidchen herausgekramt. Aber die Wolken sind schneller und nach kurzer Zeit gibt es Sonnenlicht und vor allem auch die Sonnenwärme nur noch in homöopathischen Dosen.

„Concarneau gewährt uns an diesem Nachmittag nur wenige sonnige Lichtblicke.“

„Concarneau gewährt uns an diesem Nachmittag nur wenige sonnige Lichtblicke.“

„(Zu) Optimistisch mit Sommerkleidchen.“

„(Zu) Optimistisch mit Sommerkleidchen.“

Mal ganz abgesehen von der Gänsehaut der Capitana, die natürlich eigentlich viel schlimmer ist als ein Photo, aus dem die dunklen Wolken gierig alle Farbe herausschlürfen, treiben es die Wolken mit mir besonders schlimm. Immer wieder werde ich mit einigen Sonnenstrahlen angefüttert und immer wieder locken mich kleine Lücken zwischen den Wolken gerade so lange, bis wir aufgebaut und ein Panorama schon halb im Kasten haben, um dann den Rest mit den strahlenden Lichteffekten einer Sonnenfinsternis zu versauen. In solchen Momenten wollen mir auch die richtigen Atemübungen einfach nicht mehr einfallen, aber die gänsehäutige Capitana versucht dann trotz ihrer eigenen Unterkühlung den zur Hyperventilation neigenden Schiffsjungen mit dennoch warmen Worten zu beruhigen. Dieser Photonachmittag ist hart und deswegen müssen wir gleich am nächsten Morgen einen neuen Versuch wagen.

„Das »russische Pier« von Concarneau heißt deswegen »russische Pier«, weil hier ein russischer Frachter mit Beton strandete und die praktischen Bretonen gleich den so glücklich angelieferten Beton für den Bau dieser Pier verwendeten.“

„Das »russische Pier« von Concarneau heißt deswegen »russische Pier«, weil hier ein russischer Frachter mit Beton strandete und die praktischen Bretonen gleich den so glücklich angelieferten Beton für den Bau dieser Pier verwendeten.“

„Wir üben uns im filetieren! Nun gibt's die Fischchen mal anders.“

„Wir üben uns im filetieren! Nun gibt's die Fischchen mal anders.“

Diesen neuen Versuch kann ich aber der Capitana nur unter der Bedingung abtrotzen, dass wir gleich hinterher auf die Suche nach einem Angelladen gehen. Hierzu hat die Capitana schon wie durch Zufall ein kleines Arrangement von 6 Bootszubehörläden in eine fußläufige Reihenfolge gebracht, die sich nahtlos an unser Sightseeing im Ville Close anschließt. Um das alles zu verstehen, muss man zweieinhalb (!) Dinge wissen. Erstens gibt es in Frankreich in eigentlich jedem Bootsshop auch jegliches Angelzubehör, was manchmal sogar den Schwerpunkt des Shop-Angebotes etwas verschiebt. Zweitens wurde die Capitana von einer Angelleidenschaft gepackt.

„Über den Dächern des Ville Close.“

„Über den Dächern des Ville Close.“

„Blick auf Concarneau von den Mauern des Ville Close.“

„Blick auf Concarneau von den Mauern des Ville Close.“

Es ist schon verblüffend, dass man sich schon so lange kennen kann und schon fast 10 Jahre verheiratet ist, um dann doch plötzlich noch ganz neue Dinge bei seinem Partner erblühen zu sehen. Nicht dass die Capitana auch die Fische umbringt oder ausnimmt, ihr Jagdeifer beschränkt sich auf das Fangen und das Essen hinterher. Das »Dazwischen« obliegt dem Schiffsjungen. Immerhin haben so schon seit Roscoff 12 Makrelen und 2 Hornhechten unseren Speiseplan ergänzt. Und deswegen haben wir in Bénodet auch einen zweiten, etwas größeren Paravan gekauft, damit wir nicht nur Makrelen und Hornhechte, sondern auch mal etwas anderes und vor allem GRÖSSERES fangen. Aber nun kommt von den 2 1/2 Dingen, die man wissen muss, noch das Halbe… Dieser neue Paravan funktioniert nicht. Entweder schwimmt er gleich kopfüber auf oder er rotiert vorher noch wie eine Hubschrauber vor sich hin, um dann aufzuschwimmen. Das ist unbefriedigend und hat die Capitana auf dem Weg zu den Îles de Glénan und zurück zur schieren Verzweiflung gebracht. Deswegen muss ein neuer, eben ein richtig funktionierender Paravan her. Was den ersten, der ja bestens funktioniert von dem zweiten, der eben gar nicht geht, unterscheidet, wissen wir nicht. Äußerlich sind sie nahezu identisch, aber irgendein Unterschied muss sich da wohl doch irgendwo verstecken, sonst würde es ja gehen. Also muss ein neuer, eben ein richtiger her!

„Buntes Touristentreiben im Ville Close I“

„Buntes Touristentreiben im Ville Close I“

„Buntes Touristentreiben im Ville Close II“

„Buntes Touristentreiben im Ville Close II“

„Etwas abseits der Shopping-Meile des Ville Close ist es ruhiger.“

„Etwas abseits der Shopping-Meile des Ville Close ist es ruhiger.“

„Auf den Festungsmauern in luftiger Höhe auf der Jagd nach Panoramen.“

„Auf den Festungsmauern in luftiger Höhe auf der Jagd nach Panoramen.“

Nach einer sonnigen Phototour durch das Ville Close geht’s dann auch gleich an den eigentlich wichtigen Teil der Tagesgestaltung. Aber es ist Montag und ein Montag in Frankreich bedeutet hinsichtlich eines ungebremsten Shopping-Fiebers nichts Gutes. Montag ist Ruhetag und so finden wir zwar einige Bootszubehörläden, die bestimmt auch ganz viel Angelkram haben, aber wir stehen vor verschlossenen Türen. Das Ablatschen der Liste der Capitana grenzt schon etwas an eine sportliche Höchstleistung, denn wir müssen auch den am weitesten entfernten Shop noch aufsuchen, um festzustellen, dass auch dieser geschlossen hat. Mit jedem geschlossenen Laden sinkt die Stimmung der Capitana zusehends und erst als wir kurz vor dem Hafen auf der Uferstraße zufällig an einen Jagd- und eben auch Angelladen der ganz früh-französischen und ganz traditionellen Sorte vorbeikommen und der nette ältere Herr auch just in diesem Moment seine Mittagspause beendet und wieder öffnet, ist alles gerettet.

„Der neue Paravan wird gleich für den Einsatz vorbereitet.“

„Der neue Paravan wird gleich für den Einsatz vorbereitet.“

Mit Händen und Füßen erklären wir unser Problem. Leider sprechen weder der nette Ladenbesitzer noch seine Frau auch nur das klitzekleinste Wörtchen Englisch. Also zeigen wir auf die ausliegenden Paravane und all das Angelzubehör und tanzen vor, was unser nicht funktionierender Paravan so macht und vor allem, was der neue machen soll! Tauchen und schnapp Fisch dran. Das überwindet die Sprachbarriere im Handumdrehen und der nette Herr weiß sofort, was wir brauchen. Allerdings weiß er nicht, wo es ist. Aber nun kommt seine Frau ins Spiel, die weiß, wo alles liegt. Hin und her und her und hin und schon nach einer Viertelstunde verlässt eine überglückliche Capitana diesen sagenhaften Angelladen, der auch die Mutter aller französischen Angelläden gewesen sein könnte.

Mit den Worten: “Nun können wir weiter!” steckt Astrid für uns das morgige Programm schon mal ab. Aber daraus wird leider nichts, denn nun kommt es überraschend zu der zweiten Odyssee, nachdem die erste mit dem neuen Paravan erfolgreich abgeschlossen werden konnte.


Erst als ich mal wieder einen Motorcheck mache, verhakt sich in meinem Kopf eine Feststellung von vorgestern. In der Bilge war etwas Wasser und dieses Wasser war grünlich. Nun ist grünliches Wasser in der Bilge nicht unbedingt merkwürdig, denn wir wintern auch die Bilgenpumpen ein, von denen wir ja immerhin drei haben. Und in deren Schläuchen stehen dann eben immer noch Reste des Glycols, die über die Saison langsam ihren Weg in die Bilge finden. Die ganze Sache hatte diesmal nur einen kleinen Schönheitsfehler, der mir erst aufgeht, als ich beginne, den Motorcheck zu machen. Im letzten Winter haben wir ausschließlich rotes Glycol verwendet, was nun nicht so recht zum grünen Wasser in der Bilge passt.

Ein Blick in den auf dem Motor sitzenden Kühlwasserbehälter des inneren Kühlkreislaufs zeigt … nichts! Und genau dort sollte nun eigentlich tatsächlich grünes Kühlmittel zu sehen sein. Ein Blick nach unten zeigt einige kleine Tröpfchen des oben fehlenden Kühlwassers auf dem Rumpflaminat. Das Problemkind ist schnell gefunden, es ist der Zulauf aus dem Motorkühlkreislauf zum Warmwasserboiler. Hier dröppelt es wieder und hier hat es auch schon einmal gedröppelt. Mit einem einfachen Nachziehen der Schlauchschellen ist es diesmal aber nicht getan, denn der ganze Schlauchstutzen wackelt, wenn auch nur fast unmerklich. Also raus damit und nachsehen, aber vorher lassen wir auch noch das restliche Kühlwasser ab und sammeln es in zwei Eimern. Wer weiß, ob wir hier in Concarneau so einfach neues Glycol bekommen.

Der Stutzen liegt natürlich ungünstig und Volvo hat dafür einen Schlauchstutzen aus Kunststoff verwendet. Wieso hier Kunststoff und nicht wie sonst überall Metall, das bleibt das Geheimnis der Volvo-Ingenieure, die ja durchaus auch schon andere, recht extravagante Dinge an diesem Motor designed haben.

„Der Übertäter!“

„Der Übertäter!“

Lange Rede kurzer Sinn, die Schlauchtülle überlebt den Rausschraubversuch natürlich nicht, denn sie ist angebrochen und reißt gleich komplett ab. So steckt nun das restliche Gewinde noch im Motor und es bleiben zwei spannende Fragen zurück: “Wie bekommen wir das restliche Plastikgewinde raus und was ist es dann überhaupt für ein Gewinde?” Wenn die Volvo-Ingenieure auch hier eine so unbändige Lust auf maximal unpraktische Individualität hatten, dann ist das »Irgendetwas« und dieses Irgendetwas ist nur bei einem echten Volvo Penta-Händler zu bekommen und nur mit einem echten Volvo Penta Spezialwerkzeug ein- und auszubauen. Mir schwant Böses!

Aber zunächst sägen wir das noch im Motorblock steckende Restgewinde mit einem einzelnen Metallsägeblatt mühevoll auf. Das ist die maximale Fummelei und dauert ewig. Irgendwann habe ich mich an zwei Stellen so weit vorgesägt, dass ich das Gewinde aufknacken kann. Bei dem Versuch das kleine, rausgesägte Stückchen mit der Pinzette zu greifen, ruscht das natürlich in den Motor und verschwindet im Kühlkreislauf. Mist Mist Mist! Da war ich wohl etwas zu zitterig, denn genau das hatte ich schon befürchtet, als ich versuchte, das kleine Stück Plastik mit der Pinzette nur über Kopf und mit Hilfe meines Rasierspiegel seitenverkehrt zu schnappen.
Zumindest lässt sich nun aber das restliche Gewinde willenlos herausschrauben und es ist ein »normales 1/2 Zoll Gewinde«. Jippi! Juchhe! Standard! Da war es wohl gerade kurz vor der Mittagspause in Schweden und die Volvo-Ingenieure hatten Hunger und keine Lust mehr, den Schlauchtüllenmarkt mit etwas ganz Neuem und noch nie Dagewesenen zu bereichern. Man muss auch mal Glück haben! Unglaublich!

Aber das blöde kleine Plastikteil muss nun auch noch raus, denn wenn das in die Pumpe kommt, ist unser Törn für dieses Jahr erst einmal gelaufen. Also beginnen wir, »die Umgebung« zu demontieren. Im Werkstatthandbuch sind das drei kleine Einträge, aber an einem 25 Jahre alten Motor, der an dieser Stelle noch nie auseinander genommen wurde, ist das eine sagenhafte Nerverei, besonders wenn man selbst das erste Mal in diese Bereiche vorstößt. Aber irgendwann schaffen wir es auch, die vollkommen fest sitzende Dichtung des Thermostats fast heile herunterzubekommen und dann auch das Thermostat selbst zu überreden, seinen Widerstand aufzugeben. Und schon können wir auch den kleinen Plastikrest herausfischen.

Nun brauchen wir eine 1/2 Zoll Schlauchtülle und im besten Fall eine neue Dichtung für das Thermostatgehäuse. In Concarneau gibt es zwar zwei ausgewiesene Volvo Penta-Werkstätten, aber ob die Ersatzteile haben oder auch nur besorgen können, ist die Frage. Deren Webseiten beflügeln unsere Hoffnungen schon mal nicht wirklich.

„Abendstimmung im Hafen von Concarneau“

„Abendstimmung im Hafen von Concarneau“

Gleich am nächsten Tag machen wir die Räder klar, denn unsere Odyssee nach der Schlauchtülle und der Dichtung wird unsere gestrige Suche nach einem Angelladen ganz sicher in den Schatten stellen. Nach einer vormittäglichen Fahrradtour zu den vermeintlichen Volvo Penta-Händlern ist klar, dass wir in Concarneau schon mal gar nichts bekommen und nur geringe Aussichten auf eine Bestellmöglichkeit in La Forêt-Fouesnant haben. Mist! Aber Astrid hat zwischenzeitlich schon einen Sanitär- und Badgroßhändler aufgetan, der zwar auch noch einmal eine sportliche Fahrradtour entfernt ist, aber mit Sicherheit eine 1/2 Zoll Schlauchtülle haben sollte.

„Auf unserer Jagd nach Ersatzteilen kommen wir auch an »richtigen Segelschiffen« vorbei. Aber mit diesem Tiefgang kommen die hier wirklich nur zu Hochwasser raus.“

„Auf unserer Jagd nach Ersatzteilen kommen wir auch an »richtigen Segelschiffen« vorbei. Aber mit diesem Tiefgang kommen die hier wirklich nur zu Hochwasser raus.“

Da wir keine Ahnung haben, was »Halbzollschlauchtülle« auf Französisch heißt und auch der Übersetzer nur für uns unaussprechliche Vorschläge hervorzaubert, zeige ich dem Mann am Tresen ein Bild von dem Ding auf meinem Handy. Er nickt und wir verschwinden zusammen zwischen den Regalwänden, die mir sofort klar machen, dass dies der Laden unseres Erfolgs sein wird. Hunderte von verschiedenen Flanschen, Muffen, Doppelnippel und all das, was das Herz eines Heizungsmonteurs höher schlagen lässt, liegen fein säuberlich in den Regalen, die bis zur Decke reichen. Ein Griff und schon hält er genau das Ding, das wir brauchen, in der Hand. Und die Tatsache, dass das kleine Ding nun an einem Schiffsmotor unseren Urlaub rettet, lässt uns zu seinem ersten deutschen Kunden mit deutscher Adresse und französischer Kundennummer werden.

„Und dann bauen wir wieder alles zusammen.“

„Und dann bauen wir wieder alles zusammen.“

Und nachdem wir dann noch im benachbarten Supermarktzentrum einen Kanister Kühlmittel bekommen, ist der Einbau nur noch Routine. Die gebrauchte Dichtung pimpen wir mit Pantera-Dichtmasse etwas auf und bauen sie wieder ein. Nur gut, dass wir die fast heile von dem Thermostatgehäuse herunterschneiden konnten.
Um 17:00 läuft und kühlt der Motor wieder und so steht dem Angelprogramm am nächsten Tag nichts mehr im Wege.

in Concarneau
47° 52′ 14,1″ N, 003° 54′ 49,1″ W