Vielleicht hat uns doch auch ein klitzekleiner und ganz glücklicher Umstand jetzt schon nach La Rochelle geführt, denn am Samstagfrüh startet vor la Rochelle nun endlich die Mini-Transat 2019. »Nun endlich«, weil es ganz danach aussieht, dass sie nur auf uns gewartet haben, denn eigentlich sollte das ganze Spektakel schon am 22. September starten. Und warum der Start seit dem 22ten immer wieder verschoben werden musste, ist dem fleißigen Blogleser natürlich auch sofort klar, denn am 23ten ist ja Lin mit dem Sommer im Gepäck wieder abgereist und seitdem leidet das Wetter an mannigfaltigen Depressionen, wobei eine unschöner als die andere ist. Ach ja, die »Mini-Transat« ist auch so ein Segelevent, von dem wir schon oft gehört und gelesen haben, das aber dann doch immer »woanders« stattfand, so dass es uns am Ende doch gar nicht so recht berührte.
Aber nun klingelt unser Wecker am Samstagfrüh um 7:15, denn ab 7:30 hebt das Auslaufspektakel der 6,50 m kleinen Titanen zur See an. Um 10:30 soll dann endgültig der Startschuss fallen. Immerhin müssen 87 Teilnehmer aus dem Stadthafen vor die Ansteuerung von La Rochelle bugsiert werden, was sicher so lange dauert, dass wir uns doch noch einen Morgenkaffee in der Koje erlauben können. Ehrlich gesagt ist unsere Motivation, heute morgen auf die Mole zu gehen, nun angesichts der frühen Morgenstunde nicht mehr ganz so groß, wie sie uns noch gestern erschien, als wir den Wecker stellten. Aber nun ja, die 87 haben schon 13 Tage auf uns gewartet, da wollen wir nicht auf einen zweiten Kaffee beharren und brechen auf.
»Aufbrechen« ist in La Rochelle das richtige Wort für »einmal um den Hafen laufen«, denn der Yachthafen von La Rochelle ist Frankreichs größter Sportboothafen, dessen Umrundung in einer Art Wanderung endet, die durchaus das Niveau einer jakobsmäßigen Pilgeretappe hat. Schon bald bereuen wir, dass wir nicht gleich die Fahrräder rausgeholt haben, wahrscheinlich wären wir inklusive Aufbau schneller gewesen. Aber nun gut, jeder kennt ja den Song »I’m walking« und so latschen wir weiter.
Unablässig werden die Mini-Transat-Teilnehmer zu zweit oder zu dritt aus dem Stadthafen bis vor den Yachthafen gezogen. Dort werden sie dann entlassen und segeln selbst weiter. Draußen füllt sich das Regattafeld zusehends, aber es werden unablässig immer noch weitere Minis rausgeschleppt. Selbst hier auf der Außenmole am Yachthafen haben sich noch einige Interessierte versammelt. Solche Segelevents sind in Frankreich echte Ereignisse, drinnen am Hafen und entlang des Kanals aus der Stadt heraus ist richtig was los.
Als wir zurück in den Yachthafen kommen, sehen wir, dass sich auch hier etliche Schiffe vorbereiten, um draußen den Start mitzuerleben. Es ist schon erstaunlich, wie anders in Frankreich Segeln erlebt wird und welchen Stellenwert das alles hier hat. Bei uns in Deutschland kennt man Boris Herrmann nur aufgrund des Greta-Effekts, aber nicht aufgrund seiner Regattaerfolge. Nun ja, das ist wohl sicherlich auch der Grund, warum gefühlte 80% aller Mini-Transat-Teilnehmer ein FRA im Segel haben.
Dass Segeln in Frankreich ein echter Volkssport ist, haben wir ja schon bemerkt, seit wir hier sind. Überall wird mit allem gesegelt, gesurft und gekitet, was sich nur irgendwie mit Windkraft vorwärts bewegen lässt. Und das ohne Altersbeschränkung. Und überall gibt es Segelschulen für »alles, was irgendwie segelt«. Hier in La Rochelle nicht nur für Laser, Hobies, jegliche Art von Regattajollen und natürlich auch für Rennziegen und normale Fahrtenyachten, sondern sogar auch für »Motten« und ein Gefährt, das recht ähnlich aussieht, aber so eine Art Nashorn im Segel hat. Die Teile sind der Oberhammer und wenn man nicht aufpasst, dann kann man sich damit richtig überschlagen. Im Übrigen »foilt« hier inzwischen fast alles, nur foilende Optis haben wir bisher noch nicht gesehen ?.
Und apropos Optis, schon die ganz Kleinen, also im Kindergartenalter, so um die 4 bis 5 Jahre, sind in stark heruntergerefften Optis bei fast jedem Wetter und echter Welle draußen. Da können wir nur staunen. Auch wenn sie keine Höhe laufen können, sie donnern vor dem Wind raus und werden dann im Gänsemarsch wieder in den Hafen gezogen. Und das nicht nur in den Ferien, sondern ganz offensichtlich auch im Rahmen von Schul- und vielleicht sogar Kindergartenveranstaltungen. Aber hier in La Rochelle gibt es sogar auch eine Segelschule für Rollstuhlfahrer. Unglaublich, aber wahr, vorn vor der Capitainerie gibt es einige breite Fingerstege, an denen spezielle Boote und Rampen liegen. Kein Wunder also, dass die Franzosen die Regattawelt dominieren.
Aber die segelnden Franzosen haben auch ein Defizit, was sich offensichtlich auch durch intensivste Schulung nicht ausmerzen lässt. Kaum einer kann auch nur halbwegs vernünftig anlegen und Leinenmanöver scheinen vollkommen unbekannt zu sein. Und das, obwohl von Segellehrern durchaus alles Anlegetechnische akribisch geschult wird. Hier in La Rochelle können wir praktisch den ganzen Tag beobachten, wie durchgehend mit wenigstens 4 Schiffen Hafenmanöver geübt werden. Doch nichts, aber auch gar nichts scheint davon bei der Masse der segelnden Franzosen auch nur irgendwie haften zu bleiben. Sieht man in Deutschland oder Skandinavien mal ab und zu ein Schiff mit Bugfender, so gibt es hier fast keins ohne. Und das nicht ohne Grund, denn das Standardanlegemanöver geht so:
Nachdem ein freies Plätzchen an einem Fingersteg gefunden ist, wird versucht, die Lücke zu treffen. Das gelingt nicht immer, deswegen ist es für schon festliegende Segler ratsam, sich den im Cockpit bereitliegenden Fender bei den ersten Anzeichen eines drohenden Anlegers zu schnappen, um Schlimmeres zu verhindern. Dies sollte man auch dann tun, wenn ein Anleger woanders geplant ist, denn man treibt gerne auch mal etwas überrascht mit dem Wind ganz woanders hin. Ruhe hat man selbst nur, wenn der Anleger auf der anderen Seite des Stegs stattfindet. Hat sich dann der anlegende Franzose mit einigem Abstützen an anderen Schiffen in seinen Liegeplatz hereingedengelt, wird stumpf gegen den Steg gefahren. Sofort danach springt eigentlich immer gleich die gesamte Crew von Bord, natürlich einschließlich des Rudergängers, um kurz darauf vehement an der Seereeling zu zerren. Nur so kann das Schiff auf Position gehalten werden. Hat der normale Franzose mal richtig Pech und trifft auf einen fast leeren Hafen in der Nachsaison, liegt man auch gerne gleich mal unversehens quer zwischen zwei Fingerstegen oder treibt einfach so wieder raus. In der Regel ist als Festmacher immer nur eine Vorleine klar, die nun aber leider irgendwie unerreichbar auf dem Vorschiff liegt. Also muss einer wieder hoch, um die Vorleine zu holen, während die Reeling unter den Halteversuchen vor Entsetzen ächzt. Doch nun kann es unter Umständen zu einer vierfachen glücklichen Fügung kommen, die das Gesamtmanöver dann vereinfacht. Aber eben nur mit viel Glück. Die Vorleine ist tatsächlich auf einer Vorschiffsklampe belegt, es ist sogar die richtige Seite, die Vorleine geht nicht über die Reeling und landet auch nach dem beherzten Wurf nicht wieder als Knäul direkt vor den Füßen des Werfers. Nachdem der Bug weiterhin gegen den Steg dölmert, weswegen auch ein Bugfender wichtiger ist als alles andere, wird die Vorleine auf dem Steg belegt und das Schiff an der Reeling parallel zum Fingersteg gezogen und gehalten. Nun die Heckleine. Ja, wo ist sie denn? Mist, noch in der Backskiste! Doch auch die Heckleine bringt immer noch keine Entlastung für den armen Bugfender. Irgendetwas ist komisch. Ach ja, eine Spring! Stimmt! Die kommt nun auf die Mittelklampe und an ihr wird kräftig nach vorn gezogen, denn der Fingersteg ist ja kurz und die Klampe darauf sitzt vor der Mittelklampe auf dem Steg. Dieses Manöver macht es dem Bugfender allerdings noch schwerer, größeres Unheil zu verhindern. Erst als dann auch ein Zerren an der gegenüberliegend Bugleine immer noch nicht das Schiff etwas nach hinten bringt, greift der Franzose zu einem letzten, vollkommen ungeahnten Mittel, er setzt eine Spring von der Bugklampe nach achtern. Und was soll man sagen, wenn nun noch die festgeknallten Bugleinen und die Heckleine etwas gelöst werden, löst sich auch der Bugfender von dem Steg und hat bis zum nächsten Anleger Feierabend.
Vielleicht ist genau dies auch der Grund, warum die Franzosen Non-Stop-Regatten ganz ohne jeden Anleger und am besten non-stop rund um die Welt favorisieren. Bei denen sind sie ohne Frage auch die Besten!
Nach dem Start der Mini-Transat und einem verspäteten Frühstück machen wir unsere Räder klar und brechen zu einer Stadtrundfahrt auf. Etwas Sightseeing in La Rochelle muss sein, denn La Rochelle ist eine der ganz wenigen französischen Hafenstädte am Atlantik, die zum Ende des zweiten Weltkriegs nicht völlig zerstört wurden. Nach einem Nichtangriffspakt wurde die Stadt mit der deutschen Kapitulation unversehrt den Alliierten übergeben. So ist die Altstadt erhalten geblieben und wir fahren und laufen den ganzen Samstag durch die Gassen rund um den alten Hafen.
Es ist wieder einmal Wochenende und entsprechend viel ist rund um den alten Hafen los. Außerdem ist La Rochelle ein Touristenmagnet und das Touristenleben brummt auch in der Nachsaison auf Hochtouren. Das eine Hafenbecken des alten Hafens ist noch fast ganz leer, dort hat bis vor wenigen Stunden die Mini-Transat-Flotte gelegen. Wir sind ganz froh, doch in der viel ruhigeren, neuen Marina zu liegen, obwohl diese Monster-Marina mehr als 3000 Liegeplätze hat. Aber der Gästesteg ist überschaubar und jetzt in der Nachsaison ist ohnehin nur noch wenig los.
Das Wetter ist fast sommerlich und so radeln wir in T-Shirt und kurzen Hosen durch La Rochelle. Am Sonntag fahren wir dann mit den Rädern nach La Pallice, dem Industriehafen von La Rochelle. Dort befindet sich der alte U-Boot-Bunker aus dem 2ten Weltkrieg. Der ist zwar nicht direkt zu besichtigen, aber einige Szenen des Films »Das Boot« sollen hier gedreht worden sein. Wir hoffen wenigstens ran-, wenn schon nicht reinzukommen.
Aber das Hafengelände ist großräumig dicht und dort, wo vor 75 Jahren U-Boote stationiert waren, werden nun Windräder für ihren Off-Shore-Einsatz vorbereitet. Nur von Ferne können wir ein Photo durch einen hohen Absperrzaun machen. Schade, gern hätten wir uns das mal näher angesehen, doch nun bekommen wir nur ein “entferntes Photo”. Dafür stehen aber am Ende immerhin 35 La-Rochelle-Kilometer auf unserem Fahrradtacho, das ist ja auch mal ein echter Kontrast zu unserer Segelei, zumal ja Fahrradfahren auch noch total gesund sein soll. Der Rückweg führt uns am nördlichen Ufer zurück nach La Rochelle. Es bläst kräftig aus Westen, das macht den Rest unserer Fahrradtour zu einer Rauschefahrt.
Mit einem Auge schielen wir jedoch die ganze Zeit auch auf Arcachon. Nicht direkt, aber wetter- und wellentechnisch. Nach Arcachon und zur Dune du Pilat wollen wir unbedingt. Ich war schon einmal dort und würde gern noch einmal auf die Düne klettern und Astrid den fantastischen Ausblick über die vorgelagerten Sandbänke und auf das Meer zeigen. Außerdem waren wir im letzten Jahr auf den Dünen bei Łeba in Polen und bei Nida in Litauen auf der kurischen Nehrung. Dann hätten wir mit der Dune du Pilat die drei höchsten Dünen Europas ersegelt und auch erklommen. Das macht zwar am Ende keinen tieferen Sinn, aber schön ist es trotzdem und Spaß macht es auch ?!
Allerdings ist die Einfahrt in die Bucht von Arcachon nicht ganz so einfach und nur bei ruhigem Wetter möglich. Da müssen Wind, Welle und Gezeit ziemlich gut passen, wobei der Wind sich hierbei sogar etwas unterordnet, denn die Welle sollte zum richtigen Gezeitenzeitpunkt nicht höher sein als 1 m. So steht es zumindest in einem unserer Revierführer, was irgendwie schon recht merkwürdig klingt, denn wann gibt es in dieser Ecke der Biskaya denn mal einen Tag, an dem der Altlantikschwell mit nur einem Meter einläuft? Das erscheint lächerlich, denn das würde bedeuten, das Arcachon praktisch das ganze Jahr bootsverkehrstechnisch vom Rest der Welt abgeschnitten ist. Als ich diese Zeilen etwa 30 Seemeilen vor Saint Jean de Luz schreibe, also schon weit südlich von Arcachon,, schwingt und schaukelt uns gerade bei Nullwind ein langgezogener 2m-Schwell durch. Was allerdings nur die mittlere Höhe ist, denn dazwischen kommen durchaus immer mal wieder einige Sets mit deutlich mehr als 3 m vorbei. Alles nicht schlimm, aber eben selbst bei ruhigem Wetter keine 1 m Welle. Und wenn sich so ein 3m-Schwell auf den Sänden vor Arcachon bricht, ist das bestimmt recht unschön, wenn man gerade bei der Einfahrt ist. Doch 1 m erscheint uns definitiv zu knapp und zu unwahrscheinlich zu sein, deswegen setzen wir unsere persönliche Grenze auf 2 m, allerdings mit der Veto-Option “erst mal gucken”!
Von Dienstag auf Mittwoch passt dann der Wind, um über Nacht die gut 110 sm bequem zu schaffen. Zum Nachmittaghochwasser wären wir dann pünktlich vorm Cap Ferret, nur leider versprechen uns für diesen Zeitpunkt sowohl die Grib-Files von Predict-Wind, als auch der Windfinder eine muntere Welle von 3,2 m. Wohl gemerkt im Mittel, dazwischen laufen also auch noch deutlich höhere Burschen frei herum.
Also lassen wir den Nordwind am Dienstag sausen, müssen dadurch aber auch den Starkwind am Mittwoch abwarten. Von einem späten Start am Donnerstag erhoffen wird uns dann am Freitag die nächste Chance. Die hat aber den blöden Haken, dass wir dann wohl reinkommen, aber alle Vorhersagen sich danach einig sind, dass wir in der ganzen nächsten Woche keine vernünftige Chance mehr bekommen, Arcachon zu verlassen. Und das wäre ziemlich blöd, denn das Risiko, jetzt noch zu lange irgendwo festgenagelt zu werden, können wir uns eigentlich nicht mehr leisten, denn dieses Jahr haben wir ja noch ein fixes Ende unserer Tour in A Curuña vor uns.
Und wer sich nun so fragt, was wir abends immer so machen, der sei beruhigt, langweilen tun wir uns nicht! Neue Wettermeldungen herunterladen, Tidentabellen wälzen, Wellenhöhen abgleichen, Revierführer studieren und das alles in einen machbaren Segeltag verwandeln, der es uns am Ende wahrscheinlich erscheinen lässt, dass man auch das hinbekommt, was man sich so für diesen Tag vorgenommen hat. Aber an der »Aufgabe Arcachon« verzweifeln wir. Stundenlang rechnen wir uns immer wieder alles schön, nur damit Astrid dann wieder in meiner Suppe ein Haar findet oder ich in ihrer. Es ist wie verhext und deswegen steht im Blogtitel auch »und weiter« in (), denn es geht nicht weiter nach Arcachon.
Am späten Mittwochabend streichen wir dann Arcachon und beschließen, nächstes Jahr auf unserer Anreise nach A Coruña, wenn wir die PINCOYA fit für die nächste Tour machen und mit Henry runterfahren, uns einfach für 2 oder 3 Tage in Arcachon einzuquartieren, um dann all das zu machen, was wir eigentlich jetzt hätten machen wollen.
Und ja… als ich diesen Blog bei der Anfahrt nach Saint Jean de Luz fertig schreibe, wissen wir dann auch, dass wir diesen Freitag nie und nimmer in Arcachon hätten einfahren können. Aber das ist ja eigentlich schon die Geschichte des nächsten Blogs.
dauerhaft (?) in La Rochelle
46° 12′ 58,3″ N, 001° 22′ 18,5″ W