Erst können wir es gar nicht glauben, der Regen hat tatsächlich zum Montagmorgen hin aufgehört und rundherum zeigen sich in der Dämmerung Wolkenlücken. Schnell stopfen wir uns etwas Frühstück in den Bauch und nehmen unseren zweiten Kaffee, während wir unsere Ausflugssachen einpacken. Es sieht wirklich nach einem sonnigen Ausflugstag aus und da darf nichts vertrödelt werden.
Über die Landstraßen sind wir schnell an der kleinen Kapelle, die auf einem einsamen Felsen hoch oben über dem Meer thront. San Juan de Gaztelugatxe. Auf der Fahrt nach Bilbao hatten wir ja schon von See aus einen Blick auf sie werfen können. Der Parkplatz für das Ausflugsziel »Gaztelugatxe« liegt etwas entfernt und ist umgeben von Restaurants. Irgendwie hatte der einsiedlerische Charakter dieser Kapelle in uns eine Erwartung von Abgeschiedenheit, Ruhe und gar Einkehr geweckt. Nach der ersten Ausschilderung rund 20 Kilometer vor diesen Parkplätzen hätten wir uns schon denken können, dass aus der Geschichte mit der einsiedlerischen Ruhe wohl eher nichts werden wird. Da waren wir definitiv falsch konditioniert und die schiere Größe und Anzahl der Parkplätze (Plural!) lässt auf einen unvorstellbaren, sommerlichen Touristenrummel schließen. Was für ein Glück, dass wir in der Nachsaison hier sind, in der Hauptsaison hätten wir sicher gleich wieder auf dem Absatz kehrt gemacht.
So hält sich der Besucherandrang in Grenzen und das kleine Kirchlein mit seinem schmalen Zugang über die Felsen kann seinen ganzen Charme ausspielen. Obwohl nur etwa ein Drittel der Parkplätze belegt sind, zieht es eine fast unablässige Karawane von Selfi-Hungrigen den schmalen Gang hinauf und wieder herunter. Wir haben keine Idee, wie das hier zugehen soll, wenn im Sommer wirklich alle Parkplätze belegt sind. Wir lassen uns Zeit und genießen die schroffe Küste, in deren Mitte der Fels mit der Kapelle liegt. Wahrscheinlich sind die Mönche seinerzeit gar nicht richtig zum Beten gekommen, denn der Ausblick ist schon auf dem Weg zur Kappelle einfach so fantastisch, dass man wahrscheinlich auch das Beten vergisst.
Aber leider haben die Mönche oder vielleicht nun auch die baskischen Behörden vergessen, das Seil zur Glocke über dem Eingang zur Kapelle hochzuziehen oder einfach abzuschneiden. Heutzutage gibt es ja fast kein einziges Urlaubsfoto mehr, welches nicht ein Selfi ist oder auf dem entweder die Freundin oder der Freund gut 50% der eigentlichen Sehenswürdigkeit verdecken, denn bei den Freundinnen oder Freunden handelt es sich in wenigsten Fällen um eine Sehenswürdigkeit. In vielen Fällen sind es auch mehr als 50%, denn das hängt ja stark von der Körperfülle und der Länge der Arme ab. Da hat so eine arme Sehenswürdigkeit oftmals kaum noch eine Chance. Aber egal – nun aber zu dieser Glocke! Jeder der Selfi-Maniacs, aber auch wirklich jeder, macht ein Selfi unter dieser Glocke. Doch bei den Selfiisten hat sich leider noch nicht herumgesprochen, das Selfis keinen Ton haben. Dessen ungeachtet zerrt ein jeder so doll er auch nur kann an der Strippe der Glocke und ist überglücklich, wenn ihm oder ihr oder auch beiden gleichzeitig ein Bild genau in dem Moment des größten Höllenlärms der Glocke gelingt. Wenn Kinder sich darum drängeln, eine Glocke zu läuten, dann ist das ja verständlich, aber dass sich Erwachsene eine wahre Schlacht um die Glockenstrippe liefern, so dass die Lütten überhaupt gar keine Chance mehr haben, ist schon etwas befremdlich. Leider geht durch diesen Wahn viel von dem tollen Flair des Kirchleins verloren. Und das schon in der Nachsaison bei einem so geringen Andrang, dass sich das Öffnen der Kassen am Zugang bei den Parkplätzen schon nicht mehr lohnt.
So treten wir langsam den Rückzug an. Vergeblich suchen wir einen touri-untauglichen Alternativpfad zurück, doch es gibt nur die eine Hauptroute. Mit der größer werdenden Entfernung verläuft sich das Grauen allerdings doch wieder etwas und der Einzigartigkeit des Kirchleins gelingt noch der ein oder andere Durchbruch. Man müsste sich in einer wolkenlosen Vollmondnacht hier anschleichen, das wäre bestimmt der Oberhammer. Aber leider sind wolkenlose Vollmondnächte zur Zeit mehr als rar.
Auf dem Weg nach Bermeo biegen wir noch schnell zum Leuchtturm vor der Bucht ab. Hier finden wir unterhalb des Leuchtturms einen Whale-Watching-Turm! Wir können es kaum glauben, aber dort steht auf einer Tafel definitiv, dass man von hier aus nicht nur Delfine beobachten kann, sondern auch richtig echte und richtig große Wale. Wir sind vollkommen platt und und können nicht ganz glauben, was da an dem Turm steht. Trotzdem starren wir wie gebannt auf die Biskaya, aber noch nicht einmal eine Makrele zeigt sich zwischen den Wellen.
Hungrig und etwas beobachtungsmüde fahren wir nach Bermeo. Als wir so durch den Hafen schlendern, suchen wir vergeblich die Gastliegerschwimmstege, an denen wir vor vier Tagen hätten anlegen sollen und wollen, wenn wir doch nach Bermeo reingefahren wären. Aber die sind einfach nicht da. Wir gucken nochmal online nach, aber an der Mole, wo sie sein sollen, gibt es nur noch Mole und sonst nichts. Da hätten wir ganz schön blöd geguckt, vielleicht war es gar nicht schlecht, dass wir doch gleich weiter nach Bilbao gefahren sind.
Direkt am Hafen finden wir dann eine kleine Bar mit einer Speisekarte, die nur aus Substantiven besteht. Calamar, Tuna, Anchoa, Bonito und mit etwa 10 weiteren Begriffen, die uns nicht wirklich viel sagen. Wir sind ebenso ratlos wie hungrig, allerdings nur so lange, bis der Wirt zu uns kommt. Mit einem unvergleichlichen Redeschwall erklärt er uns die Karte, um kurz darauf für uns eine Auswahl zu treffen, weil Mama gerade die Calamar, die Anschovis und den Tuna ensalada frisch gemacht hat. Da geht sowieso nichts anderes mehr, das versteht sich von selbst! Und das kleine Bier geht auf’s Haus und den Weißwein müssen wir sowieso zum Essen nehmen, denn es ist der lokale und beste Weißwein, den man überhaupt bekommen kann, und so geht da auch schon mal etwas anderes gar nicht. Und zack und fertig. Und ach ja, wenn wir dann noch Hunger haben, dann hat Mama da noch die … oder das … oder … was auch immer – ich habe es vergessen -, aber er zeigt uns den kartoffelgulasch-ähnlichen Eintopf, bevor er ihn an einem anderen Tisch serviert. Verhungern werden wir hier nicht, soweit ist die Sache schon mal klar, wir haben zwar keine Ahnung, was nun kommt und was das alles kosten soll, aber der spanische Nachbartisch grinst und nickt uns mit einem »muy bien« und »muy sabroso« zu.
Und alles ist in der Tat »muy sabroso« und der Weißwein ist prima. Zum Nachtisch nehmen wir noch einen doppelten Espresso und der Likör geht auf’s Haus. Claro! Für den ist wahrscheinlich auch die Mama verantwortlich, denn der ist süß, cremig und leicht kaffeesahnig. Satt und zufrieden treten wir die Heimfahrt an. Der künstlerisch angemalte Zauberwald bei Oma in der Nähe von Kortezubi ist leider gesperrt, aber es ist inzwischen eh schon recht spät und so fahren wir zurück zur PINCOYA.
Bilbao
43° 20′ 18,1″ N, 003° 00′ 54,7″ W